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Ritter
Leona ging die zahlreichen Möglichkeiten durch, die die Hilfsmittel Eries ihr boten. In ihrem Kopf spielten sich die unterschiedlichen Szenarien ab, die bei den diversen Kombinationsmöglichkeiten auftreten würden. Einige davon machten mehr und andere weniger Sinn. Schnell kristallisierten sich so einige Favoriten heraus.
"Mademoiselle Laureanne, ich danke Ihnen vielmals!", sagte die Blondine ehrlich zu ihrer Helferin, jetzt darauf bedacht, sie beim Sprechen dieser Worte auch anzusehen. Die 21-Jährige hatte wirklich nicht gedacht, dass das französische Improvisationstalent so viele unterschiedliche Hilfsmittel in so kurzer Zeit parat haben würde. Tatsächlich fühlte die Floristin sich mit dieser Aussicht schon wesentlich sicherer, wenngleich das Vorhaben, 15 Meter in den Matsch zu gehen, waten, schwimmen oder fahren noch immer ein Angst einflößendes war. Ein kleines bisschen berechenbarer wurde die Gefahr nun aber.
"Ich nehme das Fass und den Stock mit, Mademoiselle. Sie werden mir bestimmt helfen. Wenn ich in 40 Minuten nicht wieder hier bin, schicken Sie bitte Hilfe, ja?" Mit diesem Flehen hievte sie unter einiger Anstrengung und mit der Unterstützung der 55-Jährigen das Fass in den Schacht, in den es glücklicher Weise auch passte. Es konnte sogar einigermaßen gerollt werden, was der Blondine ersparte, es die vielen Meter bis zu Behälter IIV zu schieben. Das hätte sie wohl auch nicht ohne Weiteres geschafft.
Sie war nicht gerade schneller als zuvor, da vor allem der lange Stock sich als sperrig erwies und mit einer Hand über den Boden geschleift werden musste, was das Vorankommen schon erschwerte. Doch mit jedem Meter gewöhnte sie sich an die Bewegungsabläufe des Ziehen und Rollen, passte gleichzeitig darauf auf, nicht Opfer einer Stolperfalle zu werden, wobei das vor ihr befindliche Fass sogar eine Hilfe war. Und so erreichte Leona erneut das Schleimbecken, wobei für einen Moment das einzige Wort in ihren Gedanken abermals widerlich war.
Ersetzt wurde es dann aber durch konstruktivere Überlegungen. Wie würde sie es genau angehen? Sie war sicherlich keine Strategin. In einer auch nur rudimentär vergleichbaren Situation war sie das letzte Mal gewesen als ihre Eltern ihr zu ihrem neunzehnten Geburtstag eine Gondelrundfahrt in den Kanälen von Belmont Cragin - dem Viertel, in dem sie aufgewachsen war - geschenkt hatten. Doch da war das Wasser... eben Wasser gewesen. Es war klar und schimmerte im Licht der Frühlingssonne. Die Gondel hatte sie verziert und geschmückt in Erinnerung und von den hoch gelegenen Ufern über den zahlreichen Brücken war das Geigenspiel eines Straßenmusikers zu erahnen. Der größte Unterschied war, dass sie nicht selbst hatte rudern müssen. Und, dass sie nun vollkommen alleine war. Es würden keine dreißig weiteren Minuten vergehen, bis sich das änderte.
Umso mehr war es an der Zeit, das Gedankenspiel in die Tat umzusetzen. Ein Akt für den man vielleicht mehr Mut brauchte als Leona besaß, doch noch mehr Mut brauchte man wohl, um mit leeren Händen zur Französin zurück zu kehren. So ließ die junge Frau das Fass ins schleimige Becken nieder, froh darüber, dass es nicht bis zur Gänze einsank, sondern tatsächlich so eine Art Schutz bat, sich als ein improvisiertes Boot qualifizierte. Mit all der Vorsicht, die sie aufbringen konnte, stieg sie dann in eben jenes Fass. Sie nahm sich vor, mit dem Stock ein, zwei Meter voraus zu tasten und entsprechende Distanz erst im Anschluss zurück zu legen, diese zwei Schritte mehrfach zu wiederholen, bis sie es hoffentlich zu den Überresten von Señor Estaga schaffen würde. Dort angekommen würde sie eben diese Überreste bergen, alles was sie finden konnte zu sich in das Fass einholen und - wenn nötig - den Stock als Hebel einsetzen, um besonders im Schlamm fest sitzende Leichenteile oder Gegenstände heraus zu drücken.
Sie konnte nur hoffen, dass alles nach Plan verlief und keine bösen Überraschungen auf sie warteten.
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