Leigh starrte Linn einige Augenblicke lang an, als hätte sie kein Wort verstanden. Genaugenommen hatte sie das auch nicht, denn während ihr Gegenüber mit ihr redete, war sie in Gedanken noch ganz anderswo unterwegs. Als Linn allerdings den Namen "Erie" fallen ließ, holte sie das ganz schnell in die Gegenwart und Realität zurück. "Was, Eerie suchst du?" Leigh zuckte mit den Schultern. "Die alte Hexe ist eben mit Leona verschwunden. Wollten ein paar Knochen aus dem Klo fischen." Sie sagte das in ihrer typischen, ungerührten Weise, aber innerlich schauderte sie. Leigh war nie ängstlich gewesen, aber diese Französin hatte etwas an sich, was ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Die Distanzlosigkeit, mit der sie sich ihr näherte, die vollkommen unüberraschte, kalte Art, wie sie über Estaga gesprochen hatte... es würde Leigh nicht wundern, wenn insgeheim die Giftmörderin ihn auf dem Gewissen hatte. Irgendwie musste er ja gestorben sein und sie konnte sich nicht vorstellen, dass er einfach reingesprungen und ertrunken war. Jedenfalls war Leigh froh, gerade nicht in Eries Nähe zu sein. Gleichzeitig hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil diesmal doch Leona mit ihr mitgegangen war. Das arme Mädchen sah nicht aus wie jemand, der nein sagen konnte. Andererseits hatte Leigh sich eigentlich oft genug in Schwierigkeiten gebracht, um einem hübschen Mädchen zu helfen...
"Keine Ahnung was mit dem Wasser ist", fuhr Leigh fort, die unangenehmen Gedanken beiseite schiebend. "KILA hat schon rumgezickt deswegen. Ich glaube, dieser komische Doktor wollte sich das angucken?" Wieder zuckte sie mit den Schultern. "Und der Rest ist auf Mörderjagd... als ob das noch was bringen würde." So erfolgreich wie sie in den letzten Monaten gewesen waren, musste schon ein Wunder geschehen oder sie alle würden nach und nach hingemetzelt wie in einem schlechten Horrorfilm.
Seufzend und mit grimmiger Miene erhob Leigh sich. "Ich muss jetzt in den Garten." Ihr Gewissen hatte sie nun doch eingeholt. Sie konnte ja zumindest nachsehen, ob Leona noch lebte oder das alte Biest sie schon aufgefressen hatte. "Und wenn ich du wäre, würde ich von Eerie wegbleiben. Außer, du kletterst gerne in Kanälen rum, dann hat sie den perfekten Job für dich."
"Ugh. Bloß nicht!", antworte Linn angewidert auf Leighs Kommentar, "kann denn die Alte nicht mal etwas machen, was einem nicht gleich die Fußnägel hochklappen lässt?"
Sie zuckte mit den Schultern und streckte ihre Faust leicht angehoben. Das war wohl ihre Art, Linn viel Erfolg (oder einfach nur Durchhaltevermögen) zu wünschen, ohne Körperkontakt herzustellen. Eine Geste, die Linn wertzuschätzen wusste. Sie verließen zeitgleich den Raum und gingen dann jeweils ihrer Wege. Auf dem Weg zur Hydroponik kreuzte Dr. Tod noch auf, vor dem Linn ehrlich gesagt ein wenig Angst hatte. Nicht, weil er sich irgendwie übermäßig eigen verhielt, denn "normal" bzw. "ordinär" zu sein war keine Eigenschaft, die die meisten im Gefängnis von Düsterburg geteilt hätten. Trotzallem überkam Linn bei diesem sowieso schon eigenartigen Mediziner besonders großes Unbehagen. Die Gründe dafür würde wohl jemand anderes nicht wissen...
"Dr. Tod, sch-schön Sie zu sehen. Ähm... ich habe gehört, Sie möchten sowieso zur H-Hydroponik, um sich anzusehen, was mit der Wasserversorgung los ist...? I-Ich müsste auch mal einen Blick darauf werfen, also... ähm... gehen wir?"
"Ich nehme das Fass und den Stock mit, Mademoiselle. Sie werden mir bestimmt helfen. Wenn ich in 40 Minuten nicht wieder hier bin, schicken Sie bitte Hilfe, ja?"
Die französische Dame nickte ernst und legte ihr zum Abschied nochmal die Hand an die Wange. "Sei vorsichtig. Wenn dir etwas passiert, dann werde ich alle Hebel in Bewegung setzen, dich dort zu retten, Liebes.", sprach sie noch sanft, doch dann wurde ihr Blick wieder so befremdlich ernst. "Enttäusche mich also nicht."
Danach blickte sie Leona hinterher, die trotz ihrer Unsicherheit mutig genug war in den dunklen Schacht zu klettern, wofür sie durchaus Bewunderung verspürte.
Sie fragte sich zum wiederholten Male, warum wohl eine so zarte Pflanze hier unten verwelken musste. Sie wusste nicht einmal aus welchem Distrikt, Sektor, altem oder neum Land Leona stammte, nahm sich aber vor, sie alsbald danach zu fragen. Vor allem brannte es ihr aber auf der Zunge zu erfahren, was die kleine Blüte verbrochen haben musste. "Vielleicht haben sie ja Schönheit mittlerweile unter Strafe gestellt?", sagte sie mehr zu sich, drehte sich um und erblickte Mister Boyle, der genau dies gehört haben musste und lachend fügte sie hinzu: "Dann wäre ich auf jeden Fall eine Musterbürgerin, nicht wahr?".
Trotz des Lachens hob Lionel nur eine Augenbraue und verzichtete auf eine Antwort, die vielleicht nur zu einem Wortgefecht mit der streitbaren älteren Französin geführt hätte und setzte sie stattdessen über die Neuigkeiten ins Bilde, bevor er wieder weiterzog, um als guter Anführer - so zumindest hatte Eerie ihn gerade eingeschätzt - andere einzuweihen. Sie blickte ihm hinterher und überdachte seine Worte.
"Gift also...", kicherte sie leise und erinnerte sich an den Spießrutenlauf, dem sie ausgesetzt war als ihre Taten, ihre Neigungen und ihre Herkunft ans Licht gezerrt worden waren. Wie man sie bespuckt und beschimpft hatte und nach ihr diese schrecklichen Meme2.0-Gifs kreierte, in denen man sie mit verschiedenen Giften in einer interaktiven Grafik hatte foltern können.
Sie zuckte seufzend mit den Schultern. Den Tod hatte sie allemal verdient. Sollte er kommen, wäre sie an einen besseren Ort, ein Gedanke, der sie schaudernd tröstete.
Dann jedoch wurde ihr klar, dass sie ihr umfangreiches Giftwissen der Allgemeinheit zur Verfügung stellen sollte, vielleicht sogar helfen konnte. Und wer weiß, es mag ja sein, dass man hier unten klug genug war, zu wissen, dass eine weltweit bekannte Giftmörderin nicht mit Gift töten wurde, wollte sie nicht auffallen.
Sie nahm sich vor zu helfen. Keinesfalls um ihretwillen. Mehr jedoch um so Geschöpfen wie Leona -die junge Lilie, oder Leigh - die wilde Rose, oder Linn eine zweite Chance zu verschaffen. Einen klitzekleinen Vorsprung in einer kleinen, unbarmherzigen, nach Tod dürstenden Welt. Sie war gebrandmarkt, für immer, aber vielleicht konnten die drei jungen Frauen ein besseres Leben als sie führen und ihre verlorenen Träume verleben?
Nun jedoch musste sie sich konzentrieren!
Wieder begab sie sich auf Horchposten am Schacht, den langen, vorne mit einem Stück Holz beschwerten,Gartenschlauch in der Hand, um ihn mit der Kraft ihrer schwabbeligen Arme in den Schacht zu werfen, sollte die junge Lilie nach Hilfe rufen.
Das war sie ihr schuldig.
Geändert von Daen vom Clan (26.02.2017 um 22:49 Uhr)
Die Nacht ist zum Glück relativ ereignislos gewesen: Kein Gas, ein paar Wachschichten, keine neuen Tode. Ganz akut ist Theo aber vor allem froh, dass Boyle offensichtlich ein guter Gewinner ist: Theo hatte kurzzeitig befürchtet, el Cheffe 2.0 könnte ihm übel nehmen, dass seine Stimme trotz flammender Wahlkampfrede an jemand anders gegangen war. Ganz offensichtlich ist der Mann aber nicht nachtragend - puh!
Weniger glücklich ist allerdings, dass die marode Wasserversorgung nun vollends lahm liegt. Gestern hatte er sich ja schon fast beim Duschen verbrüht, aber selbst das im Zweifelsfall besser als gar kein Wasser. Wenn es eh schon siedend heiß ist, muss man es immerhin nicht mehr kochen!
"Ich frage mich, ob es in der Küche noch ein paar Teebeutel gibt...?"
Es stehen drei mehr oder weniger offensichtliche Aufgaben an. Nummer 1: Der Giftreport. Langfristig betrachtet wird der wohl am wichtigsten sein, allerdings muss der ja nur gelesen werden - und Theos Erfahrung nach gibt es wenig nervigeres, als ein Blatt Papier mit fünf Mann lesen zu wollen. Nummer 2: Das Wasser wieder ans Laufen bekommen. Das ist definitiv KEIN Langzeitziel - abgesehen davon, dass Theo seine morgendlichen Duschen als absolut nicht verhandelbar betrachtet, brauchte man das Wasser ja auch zum Kochen, Waschen, und noch vieles mehr. Ohne wird es hier unten verdammt fix verdammt ungemütlich. Nummer 3: Auf Schatzsuche gehen!
"Wäre doch bloß Nummer 2 nicht... Gut, und wäre der Schatz nicht mit dem gesammelten Scheiß von dem Laden hier verbunden. Urghs."
Wäre Nummer 2 nicht, wäre Theo SOFORT bei einer Schatzsuche dabei. Spaß, Spannung, Abenteuer, potenzieller Reichtum - bloß wie gesagt mit leider auch eine beachtliche Menge Exkremente in diesem Fall. Und so toll Abenteuer auch klingen, Wasser geht halt vor, weswegen Theo Schumann auch, entgegen all seiner sonstigen Launen, auf dem Weg in Richtung Hydroponik unterwegs ist.
"Dass die anderen da so entspannt bleiben... Und da sagt man sonst ICH sei zu unbekümmert."
Und noch einmal um die letzte Ecke und... 'Oh Gott, alles nur nicht der Typ.' Um die Ecke steht Tod, der sich gerade offenbar zu Linn umdreht, einer jungen Frau die Theo bisher fast nur vom Sehen kannte. Und nur zur Klarstellung: Gegen Linn hat Theo nichts. Aber der andere Mann scheint ihm entschieden besser in einer Psychiatrie aufgehoben als in der Düsterburg. Aber gut, hilft ja alles nichts.
"Einen schönen guten Morgen zusammen! Auch hier, um zu klempnern?", und, mit Blick auf Tod, "Ich dachte besser wir kriegen die Duschen wieder ans Laufen ehe unsere Schatzsucher wieder kommen. Könnt' sonst ein interessanter Geruch beim Mittagessen werden."
Als Leigh in der Gartenhalle ankam, war von Leona keine Spur zu sehen. Dafür war Eries massige Gestalt am Schacht um so schwerer zu übersehen. Und eigentlich hätte Leigh sie da auch am liebsten so stehen lassen. Von allen Gestalten, die noch in der Düsterburg rumwanderten, war die Alte diejenige, die sie am wenigsten vermisst hätte. Aber wenn Leigh auch vieles war, ein Feigling war sie nicht und sie würde sich nicht von dieser Hexe abschrecken lassen.
"Ist Leona da unten?", fragte Leigh im Näherkommen und erhielt ihre Antwort in Form eines Nickens, begleitet von einem breiten, dämonischen Grinsen. Eine Armlänge von Erie und Schacht entfernt blieb sie stehen, verschreänkte die Arme und nickte mit skeptischer Miene Richung Schacht. "Sicher, dass sie das alleine hinbekommt?" Es reizte Leigh nicht gerade, wieder runterzusteigen, trotzdem wanderten ihre Augen die Umgebung ab, auf der Suche nach irgendetwas, womit sie Leona möglicherweise unterstützen könnte.
Eerie war überrascht, als plötzlich die rebellisch wirkende Leigh vor ihr stand.
Sie hatte damit gerechnet, dass die "wilde Rose", wie sie im Geiste ihre bisherigen kleinen "Blümlein" aufgereiht und gelistet hatte, sich drücken würde.
Umso mehr kräuselten sich ihre Lippen nun zu einem Grinsen.
"Du kommst gerade Recht, Liebes.", sagte gurrend und klopfte leicht gegen das Metall des Schachtes. "Leona ist tatsächlich da unten und ich denke, du wärst ihr eine liebe Freundin, wenn du ihr zur Hand gehen könntest."
"Zudem...", sie schnalzte mit der Zunge, als hätte sie gerade einen feinen Wein aus ihrem früheren Leben an der Oberfläche verkostet, "...soll es sich auch für dich lohnen. Dass du vergessen hast, mir von der Leiche zu berichten, nun ja, das wollen wir vergessen..." Die beiden ungleichen Frauen fixierten sich mit Blicken beiderseitigen Misstrauens und Wut und Eerie kam nicht umhin, ihren Mut zu bewundern, der jedoch einen riesigen Groll in ihrem Bauch erzeugte.
Hätte es eines ihrer Bediensteten gewagt, sie so lange anzustarren, eine Ohrfeige wäre schon lange angebracht gewesen. Doch sie kämpfte den Impuls nieder, der jungen Göre Respekt einzubläuen, wusste sie doch, dass sie die wilde Rose brauchen würde.
Also lächelte sie stattdessen und kam einen Schritt näher.
"Nun, liebe Leigh... den Mann, den du gestern gefunden hast, könnte für uns Drei noch einmal wichtig werden. Oh ja, ich rede von uns Dreien, denn auch wenn es zu glauben schwerfällt, ich sehe mich in dir, in jungen Jahren. So wild, so leidenschaftlich und eine Wut, die wie Glut lodert. Vielleicht ein Gefühl Hass auf die Ungerechtigkeit der Welt?" Sie lachte leise in sich hinein, ein gruseliges Glucksen, obschon sie keine Ahnung hatte, warum dieses wilde Gewächs hier unten war. Vielleicht war es die störrische Wut eines jungen Pferdes, vielleicht hatte sie einen Politiker geohrfeigt? Eerie wusste es nicht.
"Unser Ausbrecherkönig ist mit gutem Werkzeug unterwegs gewesen, dies zu bergen, nun ja...", sie lehnte sich gegen den Schacht und kam noch einen Schritt auf Leigh zu, die wusste, dass ein Zurückweichen vor der massigen Französin als Zeichen der Schwäche ausgelegt werden würde und diesen Triumph wollte sie ihr nicht gönnen - auch wenn es bedeutete, ihre schmierige Nähe zu ertragen, die sich wie fettige Abdrücke auf ein Brillenglas legten und erst nach einer Dusche wieder weggehen würden.
"...wird uns sicher durch die Nacht bringen. Wenn wir einander vertrauen und aufeinander aufpassen." Wie selbstvergessen hatte die massige Frau nach dem schwarzen Haar von Leigh gegriffen und wickelte es sich um den eigenen Finger.
"Die Ausrüstung von Señor Estaga kann hier unten über Leben und Tod entscheiden."
Das Lächen Eeries war so kalt wie das eines Haies und doch... vielleicht schwang durch, in Nuancen nur, dass sie es auf ihre Art ernst meinen könnte, sie beschützen zu wollen.
Schnaubend wandte Leigh sich ab, griff nach ihrem Haar, das sich seidig vom Finger der Mademoiselle wob und stützte sich auf dem Eingang des Schachtes ab.
"Also? WAS soll ich mit nach unten nehmen?", blaffte die rebellische junge Frau zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und blickte die Französin nochmal an - eine genussvolle und delikate Mischung aus Wut und Mut.
Lächelnd reichte Eerie ihr zwei der von Leona ausgeschlagenen Dinge, den Gartenschlauch und die Netzgitter, die früher vor allem die Ratten davon abgehalten hatten, sich an den jungen Setzlingen zu vergreifen.
"Mit den Gittern kannst du über den Schlamm waten, meine wilde Rose." Sie reichte ihr die Gitter zusammen mit einigen Kabelbindern von der Tomatenzucht. "Zum..." "...Festmachen an den Schuhen. Ich WEIß.", blaffte Leigh abermals und Eeries Finger zuckten, sie zu züchtigen, doch noch hatte sie sich unter Konrolle.
"Benutzt das Seil und ich werde euch Beide hochziehen, wenn ihr in Not seid." Leigh nickte und machte sich abermals auf, geschickt in den Schacht zu klettern. "Vorausgesetzt, ihr habt die Leiche...", schloss die dicke Französin triumphierend, als der Kopf der jungen Frau in der Dunkelheit verschwand...
Geändert von Daen vom Clan (26.02.2017 um 23:58 Uhr)
"Einen schönen guten Morgen zusammen! Auch hier, um zu klempnern?", platzte Theo plötzlich hinein und wandte den Blick zum Doktor, "Ich dachte 'besser, wir kriegen die Duschen wieder ans Laufen, ehe unsere Schatzsucher wieder kommen'. Könnt' sonst ein interessanter Geruch beim Mittagessen werden."
Linn kam sich ein wenig albern dabei vor, das Lächeln nicht unterdrücken zu können, als er die Runde betrat. Hoffentlich würde niemand etwas merken. Pfew, Gott sei Dank wird das hier doch kein zweisamer Ausflug mit dem Doc!
"Theo, hi...", Linn stockte kurz zum Nachdenken, "uhm, ja, wir waren gerade dabei, hier mal einen Blick draufzuwerfen. Wenn du willst, machen wir das gleich mal gemeinsam. Vier Augen sehen mehr als zwei– äh, ich meine in diesem Fall natürlich sechs. D-Der Spruch geht ja nun mal so. Aber man hätte ihn wohl auch verstanden, wenn ich gleich 'sechs' gesagt hätte, oder? Ähm..."
Linn kratzte sich beschämt an den Haaren, als hätte sich dort die Peinlichkeit selbst festgesetzt. Aus irgendeinem Grund war die Situation irgendwie leicht seltsam, aber das hatte keine Priorität.
"Sorry, ich hab's jetzt. Schauen wir's uns an."
Der Dreiertrupp begab sich zu dem offenen Teil des Röhrensystems der Hydroponik, um zu schauen, ob irgendwelche seltsamen Begebenheiten festzustellen waren. Da Linns Vater die Familie relativ früh verlies, lag es an dem Nachwuchs, sich um die technischen Probleme des Bauernhauses zu kümmern, wenn etwas war. Linns Mutter war auch so erpicht darauf, dass vor allem ihr Kind solche Sachen in die Hand nahm, fast schon besessen davon. Zumindest hatte Linn dadurch einigermaßen ordentliches Handwerksgeschick aneignen können.
Mit einer Portion Mut, die für sie völlig untypisch war, die sie aber auch irgendwie genoss, ließ Leona sich in das Fass gleiten. Sie konnte darin bequem stehen. Auch, wenn es für zwei Personen definitiv zu eng war - für die zierliche Frau reichte der Bootsersatz erstaunlich gut aus. Aber wie - und ob - sie Senor Estaga hier hineinbekommen würde - das war ein Problem der Leona in 10 Minuten. Zunächst stand das Übersetzen auf dem Plan. Vorsichtig tastete sie mit dem langen Stock nach dem Boden des Behälters. Mit einem leisen Klonk kam sie auf den Metall auf. Das war ja schon einmal gut.
Eigentlich fast zu gut, um wahr zu sein, denn der Stock kam so in der idealen Länge zum stehen, sodass sie ihn bequem greifen und damit staken konnte. Aber beim Herausziehen des Metallstabes aus der Masse - da überkam es sie wie eine Welle aus reinen, braunen Exkrementen. Anscheinend bedeckte die relativ feste Schleimschicht nur die oberste Ebene des Behälters, und alles darunter war alles andere als wohlriechend und neutral. Die wenigen Überreste des chemischen Mittels, welches die Hinterlassenschaften austrocknete, kam nicht mehr so tief. Mit jedem einzelnen Stich in den Boden riss sie ein Loch in die Decke, die den Geruch bisher aufgehalten hatte. Nach 5 Metern stank es bestialisch, nach 10 Metern war es fast unerträglich - aber Leona hielt durch. atmete bewusst und langsam durch den Mund. Es war auch nicht schlimmer als das eine Mal im Krankenhaus, als sie in die überfüllte Leichenkammer geschickt wurde, wo die Opfer des letzten Aufstands auf die Verbrennung warteten.
Nach guten 15 Minuten schließlich hatte Leona die andere Seite des matschigen Tümpels erreicht und die Oberfläche gut aufgestochen. Der Dft musste mittlerweile auch den gang nach oben ziehen, aber der jungen Frau war das herzlich egal. Sie war angekommen.
Wenigstens hielt Senor Estaga keine größeren Überraschungen für sie bereit. Mit ein bisschen mentaler Überzeugungsarbeit konnte sie sich einreden, dass das hier auch nichts anderes war als das Schulskelett aus dem Biologieunterricht. Die Knochen waren mittlerweile sauber freigelegt und glänzten förmlich im fahlen Licht der Notbeleuchtung. Das Skelett war völlig intakt, auch wenn die Gefängniskleidung des Mannes mittlerweile in Fetzen von den Knochen hing. Daneben lag eine geschlossene, knallrote Sporttasche auf der Masse.
Noch während Leona überlegte, wie sie den Leichnam am besten transportieren konnte, rumorte es in dem braunen Tümpel. Die oberste Schicht der braunen Masse rumorte, einer ihrer Einstiche in den Morast blubberte kurz, und ein fürchterliches Geräusch erschütterte den Raum. Anscheiennd war nach Jahrzehnten der Untätigkeit der Abfluss plötzlich frei geworden und würde nun alles einsaugen, was sich in seinem Weg befand!
Gerade, als Leigh um die letzte Ecke bog, konnte sie sehen und hören, wie Leona mit einem spitzen Schrei locker einen halben Meter absackte. Der Morast war plötzlich und schwallartig flüssig geworden, und der blonden Frau würden nur wenige Sekunden bleiben, eine Entscheidung zu treffen. Leigh warf ihr mit all ihrer Kraft den rettenden Gartenschlauch entgegen, mit dem sie dem schwallenden See aus Hinterlassenschaften entkommen konnte. Aber um ihn zu ergreifen, würde Leona eine Hand brauchen - sie konnte also nur eine Sache mitnehmen.
Entweder sie griff nach dem Skelettkörper, um dessen fragilen Hals eine goldene Kette mit einem glänzenden Ring hing.
ODER sie griff nach er großen Reisetasche, die daneben in der Scheisse schwamm, von der sie aber nicht sehen konnte, was sich darin befand.
Das jeweils Übrige würde in den Abfluss fließen und wäre wohl nicht mehr zu bergen...
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Matt legte das zerknüllte Papier stolz auf den Pergament von Mr. Silver und begann zu schraffieren. So sah das doch aus, wenn man Abdrücke von alten Dokumenten abpausen wollte, oder?
"Sind Sie sicher, dass das mit einem Computerausdruck klappen wird?"
"Ist 'n Versuch wert, oder, Mr. Silver?"
Aber leider erschien nichts neues auf dem Papier. Die zerknüllten Linien des alten Briefs an den Mörder wurden auf dem Papier sichtbar, aber sehr viel mehr auch leider nicht.
Das einzige, was sie erkennen konnten, war die Tatsache, dass der Mörder wohl imemr wieder über die Worte "freier Mann" gestrichen hatte, als würde er sie zärtlich streicheln wollen.
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"Hauptmann Boyle! Schön, dass Sie hier sind. Die Tür müsste sich öffnen!"
Und tatsächlich - als Boyle mit der Hand vor dem Sensor wedelte, öffnete sich die Tür mit einem Rauschen. Die Luft in den Gängen hier hinten roch etwas abgestanden, schließlich war hier niemand mehr seit den letzten paar Wahlen gewesen. Die meisten Hauptmänner vor ihm waren der Überzeugung, dass es Pech bringen würde, sich in die Privatzelle zurückzuziehen. Ein besonders paranoider Zeitgenosse war unmittelbar nach seiner Wahl in die Zelle verschwunden und wurde erst drei Tage später tot aufgefunden, weil er sich schlicht und ergreifend darin verbarrikadiert hatte. Geholfen hat das allerdings nichts.
Er ging den engen Gang entlang, bis er an der hintersten Zelle angekommen war. Und was er da sah, verschlug ihm den Atem...
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Theo und Linn quetschten sich zusammen in den engen Schacht, der den Hauptteil der Wasseranlage ausmachte. Dr. Tod stand etwas hinter ihnen, und die beiden Jüngeren waren ganz froh, dass in dem engen Schachtsystem unter den Rohren nicht mehr genug Platz für den Wunderling war. Dankenswerterweise funktionierte das Fehlermeldesystem noch.
"Linn, ich glaube, da hinten leuchtet was rot.... Kannst du... vielleicht...ich könnte eventuell feststecken..."
"Alles klar."
Leicht geduckt bewegte sich Linn zu den tatsächlich wild blinkenden Wasserrohr. Hier hinten, an der Filteranlage, splitteten sich die riesigen Wasserrohre und unendlich viele kleine Röhrchen auf, die einzeln durch Filter flossen und das Wasser so reinigten. Jedes einzelne Rohr endete in einem separaten Filter. Und genau so ein Filter leuchtete jetzt Rot. Filter A-29 war anscheinend der Übeltäter, der das komplette System lahm legte. Linn blickte kurz durch das wilde Rohrgewusel. Von hier aus könnte sie den Filter nicht aufschrauben, um ihn zu reinigen. Das ging nur von der anderen Seite. Von der Seite, auf der gerade noch Dr. Tod stand.
"Doktor... köntten Sie... vielleicht... nach Filter A-29 sehen? Ich glaube er ist verstopft."
"So verstopft, wie ich hier den Gang verstopfe?"
Es stimmt. Theo hing immernoch in dem Rohrgeflecht fest. Sein Schuh hatte sich unter einem kleinen Rohr verfangen. Es würde die Hilfe von Linn brauchen, um hier wieder freizukommen.
Dr. Tod hingegen huschte zu dem benannten Filter und schaute ihn sich an. Leider war eine Abdeckung im Weg, und er konnte leider nicht sehen, was das Problem war. Allerdings klang das fahle, metallische Scheppern gar nicht gut.
Er hatte jetzt zwei Optionen - entweder, er würde nach Werkzeug Ausschau halten und die Abdeckung abschrauben - oder er nahm sich die Brechstange, die an einem anderen Rohr lehnte, und ging mit Gewalt an die Sache heran. Das würde erheblich schneller gehen - aber barg auch die Möglichkeit, das zu zerstören, was sich im Inneren des Filters befand...
Der Doktor fluchte. Er sah eine Brechstange, mit der er das Problem schnell lösen könnte aber er wusste, dass er damit zu viel zerstören würde. Und dann die Sache mit Theo, dem immerhin von Linn geholfen wurde... hier ging eindeutig zu viel schief.
Darum sah er sich nach Werkzeug um, da er nicht dafür sorgen wollte, dass die Wasserversorgung ganz zusammenbrach.
Linn kroch ein paar Schritte wieder nach hinten und schaute sich an, was für ein Problem Theo jetzt genau hatte. Es war ein kleines, jedoch fest verbautes Rohr, an dem er mit seiner Schuhspitze bis zu den Zehenansätzen steckenblieb und sich aus irgendeinem Grund nicht mehr daraus befreien konnte. Wahrscheinlich war es zu eng?
"Ja, du hängst hier an einem Rohrbogen fest", beschrieb Linn für Theo die Situation, "aber ich denke, wenn du deinen Fuß kräftig nach hinten ziehst, müsste es klappen."
Theo kicherte: "Wenn das so einfach wär, würd' ich jetzt wohl immer noch nicht hier feststecken!"
Sein Kichern verwirrte Linn ein wenig. Das war doch jetzt wirklich keine Situation zum Lachen. Eine kurze Zeit herrschte eine Stille zwischen den beiden; lang genug, sodass man sie bemerken würde. Danach zog Theo noch einmal kräftig mit seinem Fuß, doch es half nichts.
"Siehst du? Es hilft nix", resignierte er lächelnd. Linn konnte aus der Position zwar nicht sein Gesicht erkennen, aber das konnte man sich bei ihm schon fast denken.
"Und was sollen wir jetzt machen?"
"Ich weiß nicht! Wie wär's, wenn du mir beim Ziehen behilflich sein könntest?"
Linn machte ein Gesicht, als würde vor den beiden gerade ein Mustang grazile Eiskunstlauffiguren vollführen. "Was soll das denn heißen?"
"Na, du ziehst an meinem Bein!"
Oh nein. Alles, bloß das nicht. Linn hatte immer noch dasselbe Gesicht inne, nur irgendwie seltsamer. Ein leicht verzweifelter Seufzerausstoß war zu vernehmen.
"Kannst du nicht einfach deinen Schuh ausziehen?"
Ich brauch den eigentlich noch, weißt du? Mach dir mal keinen Kopf, du brichst mir schon nichts!"
Linn machte allerdings immer noch keine Anstalten, Theos Fuß aus der Klemme zu operieren. Zwar konnte er das Gesicht des Mädchens nicht sehen, stelle sich aber vor, was man man gemeinhin einen "komplizierten Gesichtsausdruck" nannten.
"Schön, ich probier's mal. Du schuldest mir 'nen Schuh wenn der hier was abbekommt! Wenigstens wird meine Größe wohl kaum vergriffen sein, bei dem kleinen Personalengpass zurzeit..."
Und damit machte Theo sich daran, irgendwie zu versuchen, aus dem Schuh herauszukommen.
Hoffen wir mal, dass ich heute morgen schlecht geschnürt habe, wa?
Der Doktor unterbrach die Suche und sah sich Theos Fuß an und fragte, ob er helfen könne. Vielleicht wusste ja KILA mal ganz ausnahmsweise Rat?
"Vereint schaffen wir es sicherlich! Das ist jetzt wichtiger, als das Wasser. Und pass bloß auf, dass du dich nicht verletzt. Eine Blutvergiftung wäre gefährlich und ich weiß nicht, ob ich hier unten genug Medikamente finden könnte, um dir dann zu helfen."
"Okay, Theo, wir machen das so", Linn holte einmal ganz tief Luft, "ich ziehe dir den Schuh aus, aber dann musst du ihn selbst herausziehen, okay?"
Man würde nicht wissen, ob es einfach daran lag, dass es Theo war, aber irgendwie konnte sich Linn doch dazu aufraffen, zumindest die Schnüre zu lockern. Aber wenn es etwas gab, das Linn noch mehr zuwider war, als an jemandes Bein zu ziehen, dann war es jemandes Fuß anzupacken, um ihn aus einem Schuh zu ziehen.
"Außerdem geht der Schuh ja nicht verloren, du kannst ihn sicherlich schon wieder mitnehmen!"
Linn versuchte, an Theos Schuh herumzufummeln, sodass er leichter aus diesem herauskäme und sich somit aus den Fängen des kleinen Rohrs befreien könnte.
Der Doktor blickte sich kurz um, und tatsächlich - ein paar Arbeitstische weiter lag ein einwandfreies Werkzeugset - vielleicht sogar eines der besten, die er seit langem in der Düsterburg gesehen hatte. Die meisten Werkzeuge hier waren von den Jahren der Benutzung abgestumpft und in keinem guten Zustand. Hier war aber tatsächlich ein noch spitzer Schraubenziher dabei! Ein echter Traum! Während Edward den Schraubenzieher im Licht der grellen Lampen drehte und bewunderte, wurde das Scheppern im Rohr lauter. Er wanderte wieder hinüber zu der Filteranlage und löste vorsichtig die Schrauben der Abdeckung. Das Rütteln und Scheppern wurde lauter. Mit einem letzten Ruck fiel die letzte Schraube zu Boden und er konnte die Abdeckung abnehmen.
Er traute seinen Augen kaum, als er in dem Rohr eine leicht eingedellte, aber sonst einwandfrei silbrig schimmernde Konservendose fand.
Mit einem mutige Handgriff entfernte Dr. Tod den Fremdkörper aus dem Rohr, und keine Sekunde zu früh zerrte Theo seinen Fuß aus dem abgetretenen Turnschuh, denn mit einem Stöhnen erwachte das ganze Wassersystem wieder zu neuem Leben. Das kleine Röhrchen am Boden pfiff ohrenbetäubend und stieß eine Welle an heißem Dampf aus, der Theos Fuß mit Sicherheit gekocht hätte, hätte er noch festgesteckt.
Dr. Tod hingegen drehte die Dose in seinen Händen und spiegelte sich in den schimmernden Rillen. Auch Linn und Theo kamen schließlich dazu und zu dritt starrten sie auf dieses merkwürdige Fundstück. Bis es im Inneren der Dose vibrierte.
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Boyle betrat den Raum ganz langsam, als müsste er erst einmal verarbeiten, was er hier sah. Seine letzten Jahre waren geprägt von der neutralen, nichtssagenden Einrichtung der Düsterburg. Schmucklose Kojen, schmucklose Esstische, brachiale Nutzerfreundlichkeit.
Hier dagegen betrat er eine Welt des Prunks. Er hatte einmal, vor Jahren, einen Bericht über den Wohnstil der Superreichen gesehen, und diese Zelle stand dem in nichts nach. Gut, es war immernoch unverkennbar eine Zelle unter der Erde, aber mit einem Lichtpanel an der Wand entstand fast so etwas in der Art wie der Eindruck eines Fensters, das Bett an der Seite war mit dunklen Holzbalken gesäumt und hatte eine RICHTIGE Matratze (auch, wenn diese durch Jahrzehnte der Nutzung durch den nicht gerade schlanken Don Leone ein wenig durchgelegen war). Ein riesiger Schreibtisch beherrschte die Szene, und tatsächlich, die Gerüchte waren war - es stand ein altmodisches Drehscheiben-Telefon in Grün auf dem Tisch. In einem Schrank hinten an der Wand sammelten sich Akten, ein paar davon besonders markiert und allgemein wirkte der Raum eher wie ein Büro. Ein verdammt pompöses Büro.
Er hatte nun die Wahl:
Er könnte sich zuerst das Bett anschauen.
Er könnte sich den Schreibtisch mitsamt dem Telefon anschauen
Er könnte sich eine der Akten zur Hand nehmen.