Widerlich.
Ein stets unsicheres Geschöpf wie Leona war selten zufrieden mit sich, ihren Taten und auch ihren Gedanken. Aber sie war sich sicher, dass dieser Ausdruck der richtige war, um zu beschreiben, in was für einer Lage sie sich befand. Widerlich! Gut, vielleicht wurde das Wort bestenfalls noch von anderen begleitet: Abartig, abstoßend, ekelerregend, scheußlich, schmierig, übel, eklig, unerträglich und potenziell gefährlich. Letzteres bereitet der jungen Frau die größten Sorgen und ließ ihr Herz in einer Geschwindigkeit klopfen, die sich weder schön, noch gesund anfühlte. Sie war nur etwas froh darüber, die eventuelle Gefahr des Schleimbeckens in der Dunkelheit überhaupt ausmachen zu können. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn sie arglos hinein gefallen wäre.
Der Entschluss war schnell gefasst. Sie würde nicht ohne Weiteres nach vorne gehen. Sie traute sich nicht zu, diese Entscheidung zu treffen, ohne den Rat einer Person zu konsultieren, die gerade klar denken konnte. Also hieß es: Kehrt machen, im fiesen Dunkel dieses Lochs zurück durch die Enge und wenigstens ein bisschen Hydroponikluft schnappen. Zu diesem Rückweg setzte sie auch an. Ein wenig zwar von der Angst begleitet, sich zu verlaufen, doch das dürfte selbst ihr hier kaum gelingen, war sie doch einfach nur dem Schacht gefolgt und hatte auch auf dem Hinweg keine Experimente gewartet. Dennoch gab die Floristin ein erleichtertes Seufzen von sich als sie endlich die Silhouette der älteren Frau erkennen konnte und es tatsächlich heil an den Eingang des Gangs zurück geschafft hatte, hoffend, dass ihre Auftraggeberin sie nicht ohne einen sinnvollen Plan zurück schicken würde.
"Mademoiselle Laureanne! Ich habe... die Überreste von Señor Estaga gefunden. Allerdings liegen sie im Behälter IIV ganz hinten, bestimmt 15 Meter vom Schacht entfernt. Ich wollte nicht einfach so in das Becken, weil... der bis an die Oberkante mit... Matsch gefüllt ist und ich nicht weiß, was darunter ist. Ich wäre ja nicht die Erste, die dort stirbt." Mit Vorsicht und Bedacht atmend - immerhin hatte sie noch den unschönen Geruch in der Nase - wartete Leona auf die Reaktion der 55-Jährigen, ohne sich dabei ganz aus dem Schacht zu begeben.