Fast vier Jahre hatte Leigh schon in der Düsterburg verbracht und über Monate zogen diese Morde sich nun schon hin. Beides fühlte sich wie eine Ewigkeit an und sie hatte schon einiges erlebt, war abgehärtet. Aber das bei diesem Anblick drehte sich ihr doch der Magen um. Mit von Ekel verzerrtem Gesicht wandte Leigh den Blick ab und kämpfte gegen den Würgereiz an. Dabei war sie gar nicht sicher, was sie hierdran so verstörend fand. Sie hatte in den vergangenen Wochen genug Leichen gesehen, manche so übel zugerichtet, dass sie man sie kaum noch als Menschen erkennen konnte. Es war zum Alltag geworden. Aber das hier...
Sie wagte noch einen Blick auf die Knochen und zwang sich diesmal zum Hinschauen, auch wenn ihr Puls sich schlagartig beschleunigte. Nicht dass es einen großen Nutzen hatte, schließlich hatte sie keine Ahnung von solchen Dingen. Aber sie brauchte keine zwei Sekunden, um sich davon zu überzeugen, dass die Überreste zu diesem Ramirez Estaga gehörten, von dem die älteren Gefangenen immer so geschwärmt hatten. "So endet man hier also als Held", murmelte Leigh, um sich selbst ein wenig zu beruhigen. "Gut zu wissen..." Vielleicht war das der Grund, warum die Entdeckung sie so erschreckte. Weil es der Beweis war, dass niemand hier lebend rauskam. Was sie hier sah war quasi ihre Hoffnung, gestorben und beerdigt unter einem Berg von Scheiße. Was, wenn sie genau drüber nachdachte, eigentlich hervorragend zu ihrem Leben passte.
Langsam und kontrolliert stieß Leigh ihren angehaltenen Atem aus und klammerte sich an die mitgebrachte Schaufel, bis ihre Knöchel schmerzten. Sie war aus einem bestimmten Grund hier. Besser, sie würde es schnell hinter sich bringen...

Als Leigh mit bleichem Gesicht aus dem Schacht kletterte, stand Eerie noch an der gleichen Stelle. Wortlos stellte das Mädchen einen Eimer, halbvoll mit dem widerlichen Schleim, vor ihr ab, ging dann ein paar Schritte zur Seite und atmete erst einmal tief ein. Leigh erinnerte sich nicht daran, dass das grelle Licht, der Geruch von Pflanzen und Feuchtigkeit sie jemals so erleichtert hatte wie in diesem Augenblick. Es rückte die Erinnerung an die Entdeckung immerhin ein bisschen in den Hintergrund. Sicher, ihre Knie und Hände zitterten immer noch ein bisschen und Schweißperlen standen in ihrer Stirn, aber das würde sich hoffentlich bald wieder legen. Mit einem leichten Nicken in Richtung des Eimers erklärte sie Eerie: "Keine Ahnung, ob mit dem Zeug geht, ich konnte nichts besseres finden. Wir sind zu wenige." Wenn auch weit entfernt von freundlich, fehlte ihrem Ton doch die Schärfe, die sie sonst ausmachte. "Und ich... ich glaube, ich geh jetzt duschen." Ja, nach einer Dusche sehnte sie sich jetzt wirklich. Auch wenn sie nicht wirklich etwas abbekommen hatte, fühlte Leigh sich, als müsse sie sich schichtenweise Dreck vom Körper waschen.