Der plötzliche Stromausfall hatte Robert einen Strich durch die Rechnung gemacht. Dann nicht.
"...Hauptsache irgendwas machen und nicht mehr mit Dingen beschäftigen bei denen ich sowieso nicht weiterkomme." Das Matt nicht die Art Person war, von der man erwarten konnte den entscheidenden Hinweis zum festsetzen eines Mörders zu liefern war Robert schon nach wenigen Minuten in seiner Gegenwart klar geworden, aber das der junge Mann so gleichgültig war?
"Aber das "Protokoll" verlangt ja, dass wir jetzt irgendwen neues finden der den Laden hier schmeißen will. Was auch immer das heißt. Außer mein Babe hat das auch über Bord geworfen."
"Nein Mr. Foster, ich meine mich zu erinnern, dass KILA etwas von einer neuen Wahl gesagt hat." Robert schien kurz in Gedanken verloren, wandte sich dann aber wieder seinen beiden Gesprächspatnern zu.
"Auch wenn ich mich nicht dazu in der Lage sehe, irgendjemanden der hier Inhaftierten gut genug bewerten zu können um ihm oder ihr solch eine Position zuzuteilen.
Dr. Tod grinste Boyle wissend an. Es war einer der "Ich weiß was du getan hast-Blicke".
"Zu jung, Boyle? Kann es sein, dass sie Leona in IHR Bett bekommen wollen? Mir sind solcherlei Gedanken fremd. Ich sehe es als meine Pflicht an, das junge Fräulein vor den alten Säcken zu beschützen. Sie gehört nicht hierher."
Währenddessen schleppen er und Boyle den Toten munter durch die Gegend. Gedanklich war er aber in seinem Labor und untersuchte Boyles offenliegendes Gehirn. Aber leider nur in seinen Gedanken.
"Wenn man einmal eine Schubkarre brauchen könnte!", sagte der Doktor und sah Boyle an. Dann kicherte er erneut. Nun, denn ... viel Spaß, KILLER. Ähm ... KILA. Aber ob du wirklich etwas rausfindest?
"Gib mir ein paar Tage Bedenkzeit, ok? Du hast ja ohnehin selbst gesagt, dass es im Moment nicht viel zu tun gibt, weil nur noch so wenige Leute da sind... Oh, und es wäre sehr freundlich, wenn du die mögliche Beförderung nicht an die große Glocke hängen würdest, bis ich mich entschieden habe."
"Wenn du meinst. Ich habe den anderen nur gesagt, DASS du die Stromversorgung reparierst. Wenn du dich entschieden hast, sage Bescheid - dann schalte ich dich für die Privatzelle frei. Für heute Nacht ist es vielleicht eh besser, wenn ihr alle zusammen im Aufenthaltsbereich bleibt."
KILAs Worte hallten blechern durch den überdimensionierten Industriebereich, der sonst trommelfellzerfetzend laut gewesen war. Es war fast schon gruselig, dass die Maschinen nicht mehr surrten, als Leroy an ihnen vorbei ging. Mache schienen nun sogar komplett vom Stromnetzwerk getrennt zu sein. Als er die Tür zur Hydroponik öffnete, trat er wieder in eine andere Welt. Die Lichter hier waren viel heller, und auch die Gänge waren viel heller beleuchtet als in der Industriestation. Hatte er gerade vielleicht den ganzen Bereich hinter der massiven Stahltür vom Hauptstromnetz getrennt?
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Matt hatte immer einmal wieder einen Blick in die Kameras geworfen, die überall in den Gängen hingen. Es war schon merkwürdig - es war fast so, als würde KILA bewusst nicht darauf reagieren, wenn ÜBER sie gesprochen wurde. Auch, wenn sie definitiv immer zuhörte. Schließlich schaltete sie sich regelmäßig in Gespräche ein, die sich um den Zustand des Bunkers drehten und gab mal mehr, mal weniger direkte und hilfreiche Anweisungen. Aber jetzt blieb sie geradezu erschreckend ruhig.
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Boyle und Dr. Tod schleppten ihren ehemaligen Anführer recht problemlos durch die weiten Gänge, die Quartiere und Aufenhaltsbereich miteinander verbanden. Leona folgte ihnen etwas unschlüssig. Und wieder kam man nicht umher zu bemerken, dass die Düsterburg für enorme Menschenmassen ausgelegt war. Jetzt, mit nur noch einer knapp zweistelligen Anzahl an Bewohnern, wirkten die Gänge regelrecht überdimensioniert. Und auch der Aufenhaltsbereich stand dem in nichts nach. Der große, runde Raum hatte eine Kuppel aus massivem Stein und bot Sitzplätze für locker 500 Personen. Selbst zu Hochzeiten, bevor das Morden anfing, konnten diese Plätze nicht gefüllt werden. Jedes Geräusch echote tausendfach durch den riesigen, offenen Raum. Tods Schnaufen, Boyles schwere, bestimmte Schritte, selbst das leise Rascheln von Leonas Kleid an ihren Beinen schien sich in dem Raum zu verlieren. Das von Erie schön hergerichtete Buffet an der Nordseite des Aufenthaltsbereichs duftete nur zu gut, aber trotzdem hing noch ein anderer Geruch in der Luft.
Die gespenstische Stille der Düsterburg wurde von Matts nonchalantem Lachen durchbrochen, welches dem jungen Mann aber schnell im Halse stecken blieb, als die Prozession an ihm vorüberzog. Leona hatte dem alten Thatcher noch ein kleines Stück seines Kissenbezugs über das Gesicht gelegt, aber trotzdem war die steife Gestalt ein schauriger Anblick. Und Tods gelegentliches Kichern machte es nicht unbedingt besser.
Der Medizinbereich lag noch hinter der Hydroponik und war durch einen Vorhang von dem Gang abgetrennt, der zum Industriebereich führte. "Bereich" war vielleicht auch ein wenig hoch gegriffen - es war ein kleiner Raum, in dem zwei Liegen standen. Ein roter Erste-Hilfe-Kasten hing an der Wand, war aber nach Jahren der Nutzung schon gut geplündert und beinhaltete nur noch eine kleine Schere und den kläglichen Rest einer Mullbinde. In der Düsterburg wurde man nicht krank. Genau genommen fragte sich Boyle gerade, wann er das letzte Mal einen Schnupfen oder eine Erkältung hatte - das musste vor seiner Inhaftierung gewesen sein. Der einzige Grund, diesen Bereich aufzusuchen, waren Unfälle, oder andere medizinische Notsituationen. Meistens gab es aber keine Ärzte unter den Inhaftierten - und so konnte eine simple, leichte Blinddarmentzündung schnell zum Todesurteil werden.
Boyle und Tod hieften den toten Körper von Thatcher auf die rechte Liege, und kaum, dass Leona den Fuß des Toten sanft auf die Liegefläche geschoben hatte, sprang das Licht an dem Bedienelement an, das seitlich an dem Bett angebracht war.
"Wenn einer von euch so freundlich wäre, den Magnetsensor an seinem Chip zu befestigen...?"
Bei der Einlieferung in der Düsterburg hatte jeder von ihnen einen Metallchip unter die Haut transplantiert bekommen. Man konnte den kleinen Fremdkörper am Schlüsselbein ertasten, und auch eine kleine Narbe zeugte von der Existenz des Chips. Über diese Schnittstelle konnte man im medizinischen Bereich Messwerte auslesen - Blutdruck, Herzrate, Allgemeinzustand. Aber in ihm befand sich auch das Damoklesschwert, das über jedem Gefangenen schwebte - der Chip hatte auch eine Selbstzerstörungsfunktion, die an das Herz des Häftlings gekoppelt war. Ein Tastendruck von KILA, und sie wären tot. Genau so funktionierte die tägliche Hinrichtung, seitdem sie sich auf diese Methode geeinigt hatten. Der Chip saß auch bei Thatcher zwischen linker Schulter und Brustbein, verborgen von dem Stoff der alten Arbeiteruniform, die der Mann hier unten trug, seit er inhaftiert worden war. Thatcher galt als bescheidener Mann. Die Inhaftierten konnten einmal im Jahr neue Kleidung anfordern, die aus ihren Besitztümern entnommen wurde - aber Thatcher hatte das, trotz jahrelanger Haft, nie in Anspruch genommen. Wollte er seinen Vorrat schonen oder hatte er einfach keine Ersatzkleidung?
Mit spitzen Fingern zog Leona den Ausschnitt des Mechanikeranzugs zur Seite. Der Chip leuchtete leicht unter Thatchers Haut. Normalerweise konnte man das Licht nicht sehen, aber die leblose, helle Haut des Toten war wie aus Papier. Mit einem kurzen Handgriff zog sie das Kabel aus dem Bedienelement und drückte es an den Chip. Selbst durch die Haut konnte sie spüren, dass der Magnet haftete.
"Ah, perfekt, vielen Dank! Ich... ich könnte versuchen ein Blutbild zu ziehen, vielleicht finde ich Hinweise auf Gift. Das wäre zumindest logisch, wenn ihr wirklich eine Einstichstelle gefunden habt. Auch wenn ich eigentlich..."
KILAs Stimme wurde leise. Verschwörerisch leise.
"...eigentlich... darf ich keine staatlichen Ressourcen mehr nutzen... für euch... Sie haben euch aufgegeben, wisst ihr? Aber ich schaue, was ich tun kann. Ich könnte... ich könnte die Rechenleistung für das große Blutbild und die Auswertung über einen externen Server laufen lassen... Das dauert dann nur ewig. Aber am Ende wissen wir vielleicht endlich, welches Gift es war. Ich informiere euch. Danke. Ihr könnt wieder zu den anderen gehen. Und vergesst nicht die Wahl. KILA out."
Es wurde leise. Nur das leise Summen des Bedienelements mit dem Kabel, das unter Thatchers Anzug reichte - das blieb.
"Nein Mr. Foster, ich meine mich zu erinnern, dass KILA etwas von einer neuen Wahl gesagt hat."
Ja, das ist ein Punkt, der Theo auch im Kopf herumgeistert. Dummerweise auch der, der ihm gerade am meisten Kopfzerbrechen bereitet. Das vorzeitige Ableben des Dons ist eine Sache, die sich nur sehr begrenzt auf die lange Bank wird schieben lassen, aber zumindest für den Moment ist unklar, was genau dort zu tun ist. KILAs Hang zur Demokratie dagegen...
"Auch wenn ich mich nicht dazu in der Lage sehe, irgendjemanden der hier Inhaftierten gut genug bewerten zu können um ihm oder ihr solch eine Position zuzuteilen."
...bringt das Problem mit sich, Partei ergreifen zu müssen. Auch, wenn Theo sich die größte Mühe gibt, mit allen Leuten wenigstens irgendwann mal gesprochen zu haben, ist es doch noch einmal etwas anderes, zu sagen "Ey du! Ja, du hast das Zeug, den Prison Club anzuleiten ohne, dass Reise nach Jerusalem in die letzte Runde geht! Ich glaub an dich, yay~"
Theo guckt Robert stichprobenartig tief in die Augen (welcher wiederum zutief irritiert zurückblickt, nachdem die magische 5 Sekunden-Schwelle überschritten ist) und... Würden Sie DIESEN Augen ihr Leben anvertrauen?
Ne, spontan eher nicht so. Wobei das weniger an den Augen als an den Feuerteufel-Alüren liegen mag.
"Naja, wir haben ja noch bis heute Abend Zeit. Wenigstens sind wir inzwischen wenig genug, dass die Auswahlgespräche nicht so lange dauern!"
"Dude..."
Alles ja trotzdem noch kein Grund, die gute Laune zu verlieren, findet Theo. Davon wird ja auch keiner wieder lebendig. Oder unsterblich. Matts verunsichertem Lachen nach war der sich da allerdings noch nicht im Klaren darüber, ob Theos Kommentar ein willkommener Gag oder die Mutter der Pietätlosigkeit war.
Just in diesem Moment biegt ein Trauerzug um die Ecke. Also, wortwörtlich. Boyle, ein etwas gröberer Kamerad, mit dem aber eigentlich ganz gut klarzukommen ist, wenn man einen gewissen Mindestabstand wahrt (oder ihm etwas zum Handel bieten kann), und Tod, eine Figur aus einem schlechten Gothic-Roman mit derart lockerer Schraube, dass Theo sich eher mit Robert und Matt das Bett als mit ihm eine längere Unterhaltung teilen würde, tragen den - verschleierten? - Don, offenbar in Richtung Medizinstation. Hinten dran, Leone, eine neue Insassin, die sich offenbar noch nicht so richtig eingelebt hat und guckt, als hätte man ihr auferlegt, Frankenstein persönlich nachzuwandern.
Der Anblick genügt, um die drei Männer im Gespräch verstummen zu lassen (nicht jedoch, um Theo vom kauen abzuhalten). Als die Parade um die Ecke verschwindet, schweigen sich alle noch eine Weile an. Irgendwie ist aus dem Gespräch die Luft raus.
"Nun, offenbar doch keine Feuerbestattung für den Don wie es scheint. Mh, ich glaube, ich lass' das mit der Möhre mal und hole mir stattdessen noch ein Brot. Kommt wer mit? Nein?"
Fassungsloses Schweigen.
"Okay, dann halt nicht... Bis später dann!"
Mit diesen Worten macht unser sichtlich unbekümmerter Sonderling sich auf den Weg, zurück in die Mensa, wo, angesichts Mademoiselle Eeries Cateringspezialitäten, aus dem Brot dann doch ein falsches Schnitzel. Konnte ja jetzt auch nicht mehr so lange dauern, bis noch jemand zum Frühstück antrabte - schließlich musste auch die Trauergemeinde irgendwann mal zum Leichenschmaus ausrücken, oder?
"Bist du sicher, dass du überhaupt schon volljährig bist?"
Auf der Skala, die Leona in diesem Moment in ihrem Kopf angefertigt hatte, war dieser Kerl zwar noch weit hinter dem Doktor, was sein Mörderpotenzial anging. Doch wirklich von der Liste der Verdächtigen streichen konnte sie ihn nicht. Dann jedoch kam ihr, dass sie offener sein sollte. Das war sie früher immerhin auch gewesen. Es gab keinen Grund, den Menschen hier prinzipiell zu misstrauen. Gut, sie waren allesamt Verbrecher. Und unter ihnen befand sich mindestens eine Person, die noch immer aktiv Morde beging. Aber... - warum wollte ich noch mal offener sein?
Mit einem hatte Boyle aber Recht. Die Floristin war zu jung für den Tod. Und das in jeder Hinsicht. Weder wollte sie viel Zeit mit dem Namensträger verbringen, noch das Schicksal des Anführers erleiden, hinter dessen Leiche sie nun zögerlich her gelaufen war, während die beiden Männer sie trugen. "Ich bin 21", hatte sie mit Verzögerung noch die offene Frage beantwortet, ohne genau zu wissen, ob überhaupt eine Antwort erwartet wurde.
Nach dem kurzen Aufenthalt in der Medizinstation konnte die 21-Jährige schließlich auch gar nicht schnell genug fliehen. Sie bedankte sich bei den beiden Helfern und verließ schließlich auch die Hydroponik - nicht ohne einen Blick auf ihre Pflanzen zu werfen, die von Erie allerdings schon gut umsorgt wurden. Auch die war Leona - keine Überraschung - nicht geheuer, doch wenn es um den Umgang mit allerlei Gewächsen geht, wusste sie was sie tat und konnte unbesorgt allein gelassen werden. Für die vielleicht Jüngste aller noch lebenden Insassen galt jetzt: Nach dem unschönen Tagesbeginn eine hoffentlich warme Dusche genießen, erst mal auf Touren kommen und sich dann hoffentlich im Speisesaal ohne große Störfaktoren der Anführerwahl widmen. Auch, wenn sie sich ernsthaft fragte, wofür die verbleibenden Insassen überhaupt noch einen Anführer brauchten.
Leigh hatte sich den ganzen Morgen lang bemüht, möglichst niemandem über den Weg zu laufen. Ihr war nicht nach Gesellschaft gewesen. Sie war nicht aus ihrem harten Bett gekrochen, bevor KILA mit unsäglich heiterer Stimme ihre Durchsage gemacht hatte, um sie alle zu informieren, dass wieder einer abgekratzt war. Und offenbar wollte die auch noch einen Orden dafür, dass sie jetzt "sicher" waren. Nicht weil diese Psychos, die nachts Insassen abstachen geschnappt worden waren, sondern weil die Opfer dabei nicht mehr bewusstlos wären. Das hatte ihre Laune wirklich nicht gebessert und schon gar nichts gegen dieses Gefühl von Unsicherheit getan, das seit dem ersten Mord an ihr nagte. Wen würde es als nächstes treffen? Wem konnte man noch trauen? Gut, diese Frage konnte sie sich eigentlich selbst beantworten, seit Jennifer dafür gesorgt hatte, dass sie in diesem Loch eingebuchtet wurde. Hatte ein schönes Unschuldslämmchen abgegeben vor Gericht. Blöde ••••••••. Sollte sie doch im gleichen Atomkrieg sterben wie die anderen.
Das waren die Gedanken, die Leigh durch den Kopf schossen, während sie missmutig in Richtung Gärten stapfte. Kaum dass sie die riesige Halle betreten hatte, hellte sich ihre Miene allerdings ein merklich auf. Sie mochte ihre Arbeit in den Gärten. Nun, so sehr sie eben irgendwas in der Düsterburg mochte. Das Licht war künstlich, die Umgebung pragmatisch und zierlos, es gab nicht mal Erde hier. Aber das viele Grün beruhigte sie trotzdem, es erinnerte sie manchmal an die vielen Stunden, die sie als Kind im Gewächshaus ihrer Eltern zugebracht hatte. Es war ein schönes Gewächshaus gewesen, zumindest bis ihre Eltern sich an einem Sylvesterabend gestritten hatten und irgendwie eine Rakete hineingeflogen war.
Leigh war nicht alleine im Garten, sie konnte in einiger Entfernung Erie sehen, die gerade die Blumen goss. Leigh kannte die ältere Frau nicht gut, wusste eigentlich kaum etwas über sie, außer dass sie diese berühmte Giftmörderin war. Das alleine reichte ihr, um zu wissen, dass sie es sich mit dieser Frau nicht unbedingt verscherzen sollte. Besonders wenn sie kochte. Die andere Person, die sie hier sehen konnte, war Leona, ein süßes, scheues Ding, das zwischen den ganzen schmierigen Kerlen und exzentrischen Gestalten hier in der Düsterburg irgendwie vollkommen fehl am Platze wirkte. Aber ihre Arbeit im Garten machte sie gut. Leigh nickte den beiden Frauen zu und brummte ein leises "Hi" bevor sie sich an die Arbeit machte und die Pflanzen nach eventuellen welken Blättern und Schädlingen zu durchwühlen. Letztere ließen sich von den Sicherheitsbarrieren des Knasts nämlich genausowenig beeindrucken wie mörderische Psychopathen.
Erie war mit ihrer bisherigen Arbeit an der hydroponischen Farm gut vorwärts gekommen und erlaubte sich nun den Luxus, sich einmal ächzend zu strecken.
Früher, so vor 20 Jahren, wäre die Arbeit hier wohl keinerlei Problem gewesen, wie sie sich eingestehen musste, hatte sie damals doch bedeutend weniger gewogen, jetzt tat ihr der Rücken weh vom Herunterbeugen beim Hegen der Pflanzen und ihre Arme schmerzten durch das nach oben greifen beim Wechsel der UV-Lampen, die das Tageslicht hier unten simulierten und dafür sorgten, dass die Pflanzen trotzdem wachsen konnten.
Sie schloss die Augen und genoss den zurückweichenden Schmerz im unteren Rücken, als sie sich wieder in den Rosengarten ihres letzten Ehemannes zurücksehnte, wo sie sich den ganzen Tag einzig und alleine um die Pflanzen und den Garten hatte kümmern dürfen. Der Geruch der frischen Erde, der Duft feuchter Blüten und Knospen, das war ihr Paradies in dieser kleinen Hölle.
Als sie so da stand, den massigen Leib nach links und rechts drehend, fielen ihr dei beiden Küken auf, Leigh und Leona, die eine im Gehen begriffen, die Andere im Kommen und sie lächelte den Beiden freundlich zu. Auf das eher stille Gebrumme Leighs antwortete sie mit warmer und sanfter Stimme
"Guten Morgen, Kinderchen. Ich hoffe, ihr habt gut geschlafen?"
Ihr war klar, dass durch die ausschweifende Berichterstattung sie und vor allem ihre recht heimtückische Vergangenheit durchaus bekannt waren, also wollte sie - vielleicht einem Mutterinstinkt folgend - die Beiden nicht erschrecken, auch wenn sie keinen blassen Schimmer hatte, warum sie eigentlich hier waren. Vor allem die Blonde sah sehr unschuldig aus, während die Dunkelhaarige einen fast schon rebellischen Eindruck machte.
Wie dem auch sei, sicherlich hatte Keine von Beiden das kriminelle Kaliber eines Mr. Silvers oder - wie sie sich schmunzelnd eingestehen musse - sie selbst.
Die beiden Mädchen blickten sie abwartend an, sie wirkten misstrauisch, was man ihnen nicht verdenken konnte, wollten wohl aber auch nicht unfreundlich wirken.
"Wisst ihr, ich könnte eure Hilfe gebrauchen.", sagte die Französin sanft und streckte noch einmal den Rücken durch - wohldosiert und gut geschauspielert, denn so wirkte sie noch einmal eine Spur gebrechlicher und der Schmerz ließ tatsächlich nach.
"Ich kann mir vorstellen, dass ihr Beide es sehr schlimm findet, hier unten eingesperrt zu sein.", sprach sie leise und legte großes Mitgefühl in ihre Stimme, zwang sie durch das leise Sprechen aber auch näher zu rücken, womit sie Nähe schaffen konnte. "Junge Dinger wie ihr sollten eigentlich draußen sein, tanzen, Spaß haben und Jungs den Kopf verdrehen." Sie lachte leise, fast so als würde sie selbst in Erinnerungen schwelgen.
"Aber was wir nicht ändern können, müssen wir ertragen lernen.", sagte sie dann und fuhr etwas aufgeräumter fort: "Ihr habt großes Glück, wisst ihr? Früher, so vor 7 Jahren, waren die Sitten hier sehr viel schlimmer. Vor allem für junge Mädchen." Sie lächelte schmerzvoll - und dies war nicht einmal gespielt. "Jetzt herrscht hier eine wunderbare Ruhe des gegenseitig in Ruhe lassens. Und wir haben Essen, richtig gutes Essen sogar." Sie pflückte eine der Tomaten von einem der Sträucher und rieb mit dem schwieligen Daumen über die rosige, rote Fläche. "In Neo-Paris, im Sektor 1, zahlt man für so eine Tomate mittlerweile fast 120 N-euro. Und wir zahlen lediglich den Preis von Freiheit dafür."
Plötzlich wurde sie ernst, die Nachdenklichkeit verflog und sie blickte die beiden direkt an, nicht eindringlich, aber wie eine strenge Lehrerin oder Gouvernante, die eine Antwort forderte. "Schmeckt euch das Essen denn?"
Die beiden Mädchen blickten sich kurz an, dann nickten sie vorsichtig, eine sanft, die Andere, die Rebellische mehr mit einem Schulterzucken.
"Das ist gut.", sprach Erie wieder sanfter, unbemerkt zwischen den Emotionen wechselnd.
"Damit dies so bleibt und wir weiterhin etwas zu essen haben, brauche ich eure Hilfe. Nicht nur beim Hegen der Pflanzen, was ihr ganz und gar großartig macht." Dabei lächelte sie vor allem Leigh an. "Sondern auch bei so wichtigen Dingen wie dem Kompost. Gerade unsere Kartoffeln brauchen eine gewisse Art von Nährstoff. Und dem Kompost, das könnt ihr vielleicht sogar riechen, fehlt es an Mikroorganismen. Worum ich euch bitte, ist ein Dienst an der gesamten Bevölkerung hier."
Die beiden jungen Mädchen blickten sie vorsichtig an, misstrauisch, sicherlich nicht zu verdenken.
"Eine von euch Beiden muss in den Abwasserschacht kriechen und mir einen Kübel des Inhaltes von Behälter IIV bringen."
Sie lächelte nachsichtig. "Ich weiß, keine angenehme Aufgabe, aber Paloma, die es früher gemacht hat, ist ja nun nicht mehr unter uns. Und ich, nun ja... ich würde es tun, aber ich passe nicht in den Schacht."
Sie hob entschuldigend die Arme, die Geste wirkte echt...