Boyle starrte den Whiskey eine Weile lang an, bevor er den Verschluss abschraubte und vorsichtshalber daran roch. Wenn das hier wirklich das war, was drauf stand, was er inständig hoffte, war das so ungefähr der Jackpot. Das Beste, was er seit Monaten in die Finger bekommen hatte. Und kaum berührt.
Irgendwie merkwürdig - wer nahm sich nicht nur Whiskey als Andenken mit, sondern trank ihn auch so sparsam, dass nach einiger Zeit noch so viel davon übrig war?
Nun, vorsichtshalber verstaute er die Flasche erst mal sicher in seiner eigenen Koje, bevor er sich Gedanken über das weitere Vorgehen damit machte. Den Ring steckte er nicht dazu. Der eingravierte Name machte das Ding irgendwie persönlich, was er nicht unbedingt in seinem Schlafzimmer mochte. Sicher, es war jetzt genau genommen sein Ring, weil es definitiv nicht stehlen war, wenn der Vorbesitzer tot war,... aber es hatte doch eine irgendwie ungute Note.
Als Lionel sich noch etwas gedankenverloren zurück auf den Weg zu den beiden anderen machte, sah das Mädchen sich gerade die Hand des Toten an. Also, von Thatcher. Meine Güte, er hatte sich nicht mal wirklich um den Namen von den Kerl gekümmert, als er ihn vor drei Tagen zum Anführer gewählt hatte. Beziehungsweise hatte er einfach genickt, weil es ihm wirklich herzlich egal war, wer das Sagen hatte. In diesen Tagen war das nicht mehr so bedeutsam wie früher. Den Namen der kleinen Blonden kannte er auch nicht. Sie hatte noch nie mit ihm Geschäfte gemacht.
"Irgendwas ist mit seinem Ringfinger.", hörte er ihre Stimme nun, da er näher kam.
"Gift, was soll sonst am Finger sein? Sieht man doch!" Ein beunruhigendes Kichern untermalte die Worte von Dr. Tod.
Boyle warf neugierig einen Blick auf den Finger der Leiche und wusste nicht, was er dazu sagen sollte, außer dass es jetzt doch irgendwie auffiel, dass an der Hand etwas nicht in Ordnung war - nun, nachdem jemand anderes darauf hingewiesen hatte.
"Ist es Gift?", fragte er das Mädchen murmelnd, während der Doktor plötzlich von einem neuen "Boss" und Essen sprach. Was für ein wankelmütiger Kerl. Dabei hatte er erst so interessiert gewirkt... vielleicht störte Tod, dass die Kleine vor ihm an der Leiche herumgefummelt hatte.
Mit einem leicht dreckigen Grinsen wartete Boyle auf die Antwort der Blondine und fühlte den Ring von Thatcher dabei immer noch in seiner geschlossenen Hand.
Während Boyle die Leiter wieder nach unten kletterte, nahm er einen tiefen Zug aus der Whiskeyflasche. Das war ein Geruch, den er schon LANGE nicht mehr gerochen hatte. Perfekt gereift, bestimmt uralt und wirklich hochwertig. Für seine Nase roch es definitiv nach einem richtig guten, teuren Whiskey, der selbst für Normalsterbliche in der Oberwelt eine Spur zu teuer war.
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Leona, immernoch leicht verunsichert von der Anwesenheit des Doktoren, blickte noch angestrengter auf den Ringfinger von Thatcher. Man konnte kaum etwas erkennen - der Finger war leicht geschwollen, der Nagel bog sich schon nach oben und mit jeder Minute wurde es schwerer, die schwere Hand so zu bewegen, wie sie es wollte
"Einsetzende Leichenstarre" murmelte der Doktor schwer atmend.
Die junge Frau tat ihr bestes, das schwere Atmen in ihrem Nacken auszublenden. Da...unter dem Nagel... war das getrocknetes Blut? Ihren Ekel überwindend kratzte sie ein wenig davon ab - und fand tatsächlich eine mikroskopisch kleine Einstichstelle.
"Ist es Gift?"
Leona blickte sich um und sah Boyle an, der wieder hinter ihr aufgetaucht war. Ein schwaches Nicken.
"Ich... denke schon?" Hier ist eine Einstichstelle im Finger."
"Eine..."
"Eine WAS?"
KILA meldete sich krachend zu Wort.
"Ich wollte gerade durchgeben, dass die Wartung vorbei ist, aber habe ich da gerade "Einstichstelle" gehört?"
"Wir denken schon."
"Das ist ja fantastisch!"
KILAs Jubel stieß auf keine so richtige Gegenliebe.
"Ich meine, versteht ihr nicht, was das heißt? Wir haben bisher noch keinen Anhaltspunkt gehabt, aber das...das ist der erste Hinweis, WIE diese Arschlöcher euch alle umbringen. Wie? WO?"
"Im Finger, direkt unter dem Nagel."
Eine kurze Pause entstand.
"Alles klar, dann ändern wir den Plan. Bringt Mr. Thatcher nicht zur Verbrennungsanlage... mit ein bisschen Glück können wir herausfinden, was für ein Gift es ist, wo es herkommt, und ob wir ein Gegenmittel haben. Bringt ihn zur Medizinstation, direkt hinter der Hydroponik. Ich sehe, was ich tun kann."
Erie war an sich recht zufrieden mit ihrem bisherigen Tagwerk und machte sich auf in Richtung der hydroponischen Farm.
Da KILA darauf bestand, die riesige Farm weiterhin in Schuss zu halten, wurde es jeden Tag mehr Arbeit, da sie durch die seltsamen Umstände ja immer weniger Leute wurden, die sich um die Bewirtschaftung kümmern konnten.
Als eine Frau, die die letzten gut 15 Jahre immer Personal um sich herum gehabt hatte, dachte sie, dass es sie mehr stören würde, selbst und alleine um ihren Unterhalt sorgen zu müssen, doch mit dem Wissen, dass sie hier nie wieder rauskommen würde, hatte sich eine Art gottgewollt friedliche Resignation eingestellt.
Der Garten, den sie mit einigen der Mithäftlingen teilte, war ihre persönliche kleine Quelle der Freude und des Friedens.
Wenn man sich die dunklen Stahlwände weg dachte und die Augen schloss, so konnte sich dank des Kräuterduftes und des hell strahlenden, doch kalten, UV-Lichtes fast so etwas wie die Illusion eines kalten Frühlingstages an der Oberfläche einstellen.
Als die Französin endlich am Garten ankam, blickte sie wehmütig auf die verbogenen Kupferrohre, die schon seit Monaten hier lagen und die vielleicht eines schönen Tages eine funktionierende Sprinkleranlag hätten werden sollen - wenn sie nicht zu viele Leute verloren hätten.
Also schnappte sie sich schnaufend die Gießkanne und drehte den Hahn auf, der immer wieder Wasser hervorzauberte und begann, die Pflanzen vorsichtig zu gießen.
Danach warf sie die Küchenabfälle in den Kompost und roch daran. Ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigten sich: Der Kompost brauchte dringend wieder etwas besonderen Dünger.
Und das bedeutete, sie musste irgendjemand finden, der sportlich genug war, sich bei der Toilette in den engen Ablüftungsgang zu zwängen und eine gute Schaufel voll zu bergen. Und zwar bevor KILA die automatische Absaugung würde starten können...
Geändert von Daen vom Clan (21.02.2017 um 22:44 Uhr)
"...was ich tun kann ...!", äffte Dr. Tod KILA nach. "Zu feige um hierher zu kommen, und wir sollen die Leiche durch die Gegend spazieren? Sonst noch Wünsche? Vielleicht sollen wir dir ein paar Möhren dünsten? Oder einen Frosch grillen, dem wir Möhren in den Hals rammen? Ne, du kommst mal schön hier her, wenn du die Leiche untersuchen willst. Denn ich kann das genau so gut und bin mir nicht zu fein, mich zu zeigen."
Ja, er mochte KILA nicht. Wieso sollte er auch?
"Und es ist ein echt TOLLER Hinweis, dass es Gift ist. Da man hier quasi an jeder Ecke Spritzen bekommt, in der Küche und Co genug Gift, ist hier jeder ebenso verdächtig, wie unverdächtig. Immerhin würde ich Fräulein Leona als Täterin ausschließen. Sie wirkt einfach zu ängstlich, zu ... verzeihen Sie mir, meine Liebe ... zu ... schwach. Nein, so eine zarte junge Frau kann es nicht gewesen sein."
Und wenn doch, nehme ich dein Hirn mit Freude auseinander!, dachte er, und seufzte. Das Mittagessen würde also, wie so oft, nicht pünktlich stattfinden.
"Und ihr anderen... rührt den Ring nicht an! Das Gift ist ziemlich hochdosiert und mit Pech ist es ein Kontaktgift, dass erst nach einigen Stunden wirkt. Und wenn es per Injektion erfolgt ... nun, dann hat der Ring eine kleine tödliche Nadel. Oder es ist beides, oder am Ende werden wir nur genarrt und es ist etwas vollkommen anderes, aber immerhin: es war Gift."
"Sag mal...ich habe gehört, wir haben eine freie Stelle als Industrieleiter... Lust auf eine Privatzelle?"
Ob er Lust auf eine Privatzelle hatte? Hätte KILA einen Körper gehabt, hätte er sie in disem Moment geküsst. Eine Beförderung war nach einer vorzeitigen Haftentlassung so ziemlich die beste Nachricht, die man hier unten bekommen konnte. Natürlich wollte er. Privilegien, die Möglichkeit, andere für einen arbeiten zu lassen, möglicherweise sogar ein Minimum an Respekt von seinen Mitgefangenen. Wen interessierte es da noch, dass er sich die letzte Stunde über zum Affen gemacht hatte? Er hätte sogar jemanden umgebracht, um an eine solche Position...
Moment...
Er versuchte sich kurz vorzustellen, wie seine Beförderung aus der Sicht eines Beobachters wirken würde:
Nachdem es in letzter Zeit zu einem Haufen mysteriöser Todesfälle gekommen war, stieg Leroy Hoffmann, der bisher in der Gefägnishierarchie irgendwo zwischen einem benutzten Blatt Toilettenpapier und einer Kakerlake im Mittagessen rangiert hatte, plötzlich zu einer durch einen der Todesfälle frei gewordenen begehrten Position auf, weil er, natürlich rein zufällig, als Einziger zur richtigen Zeit am richtigen Ort war...
Da konnte er sich ja henausogut gleich mit seiner eigenen Bettwäsche erhängen!
Allerdings hatte er keine Lust, darüber mit KILA (und ganz besonders ihrer neuen Version) zu reden.
Daher sagte er: "Gib mir ein paar Tage Bedenkzeit, ok? Du hast ja ohnehin selbst gesagt, dass es im Moment nicht viel zu tun gibt, weil nur noch so wenige Leute da sind... Oh, und es wäre sehr freundlich, wenn du die mögliche Beförderung nicht an die große Glocke hängen würdest, bis ich mich entschieden habe."
Für Heute würde er erstmal seinem ursprünglichen Plan folgen, und sich etwas "sozialisieren", um seine Überlebenschancen in den nächsten Tagen zumindest ein bisschen zu erhöhen. Er blickte an sich herunter. Korrektur. Als allererstes würde er duschen gehen, alles andere war erstmal aufgeschoben. Seufzend machte er sich auf den langen Rückweg zu den Quartieren.
Die Anwesenheit des Doktor wurde nicht gerade... einfacher. Auf der einen Seite die Kommentare, dann die Vorwürfe und Tiraden gegen KILA. Mittendrin die... Entlastung von Leona. Sie wusste nicht, ob sie ausgerechnet von ihm entlastet werden wollte. Nicht, dass er in der Hinsicht Unrecht gehabt hätte. Doch die Art wie er scheinbar jeden seiner Gedanken spontan mit der Umwelt teilte, war ihr nicht geheuer.
Zugegeben: Ihr war hier nichts so wirklich geheuer. Vielleicht auch KILA nicht. Doch weder war die Lautsprecherstimme in irgendeiner Weise besonders verdächtig, noch würde die 21-Jährige einen Verdacht laut heraus posaunen, sollte er noch unbegründet und nur ein Gefühl sein. Dass Dr. Tod ernsthafte Beweise - oder auch nur Indizien - hatte, die das Misstrauen gegenüber der vermeintlichen KI begründen würden, glaubte die Floristin nicht.
Noch hockte sie neben der Leiche, den Finger in der Hand, so wie in dem Moment in dem sie der Stimme aus den Lautsprechern gesagt hatte, um was für eine Einstichstelle es sich handelte. Sie hatte sich bisweilen nicht getraut, die Position zu verlassen. Doch langsam wurde diese unangenehm. Und sie wollte der sinnvollen Anweisung durchaus gerecht werden, im Gegensatz zu ihrem gruseligen Mitstreiter.
In einem kurzen Moment des Mutes räusperte sich Leona. Im nächsten hätte sie das lieber nicht getan, doch dafür war es dann zu spät. Und es musste nun mal gesagt werden.
"Ähm... Herr Doktor... Tod? Ich... möchte Ihnen nicht widersprechen, aber... es wäre vielleicht wirklich sinnvoll, wenn wir... den Körper in der Medizinstation untersuchen. Immerhin sind wir diejenigen, die... womöglich darunter leiden, wenn wir das nicht tun. Und... und wenn KILA uns an der Nase herum führen sollte - was ich nicht glaube -, dann... naja, dann wären wir wohl ohnehin verdammt, oder? Sie ist draußen und wir drinnen. Und wir kommen nicht heraus, wenn das niemand von draußen veranlasst. Also... wäre es... vielleicht... nicht schlecht, wenn wir ihr einfach vertrauen und hoffen, dass sie auf unserer Seite ist. Das hilft uns mehr als... nichts zu tun."
Ihre Worte kamen nur sehr zögerlich hervor. Zwar war sie vollkommen überzeugt von dem was sie sagte, doch auch eingeschüchtert von der reinen Präsenz des furchtsamen Mannes. "Aber wenn Sie das anders sehen, müssen Sie nicht mithel- also... Sie müssen natürlich sowieso nichts tun", stammelte sie weiter. "Jedenfalls würde ich die Leiche gerne zur Untersuchung bringen. Ich schaffe das nur nicht alleine und bräuchte jemanden..." - ihr Blick wandte sich dabei eindeutig vom Doktor ab und lag kurz darauf auf dem Mann, der zuvor von der Leiter zam Bett des Toten gestiegen war - "Jemanden, der mir hilft...?"
"Nun, ich helfe Ihnen gerne. Auch wenn ich es für eine dumme Idee halte ..."´, sagte der Doktor und hob die Leiche an.
Dann wandte er sich an Leona. "Vertrauen? Ich vertraue uns hier uns, aber keiner ... Person, die man nie sieht! Das Vertrauen, dass muss sie sich erst verdienen.
Und lassen sie ruhig das Doktor weg, denn hier unten sind wir alle gleich.
"Vertrauen? Ich vertraue uns hier uns, aber keiner ... Person, die man nie sieht! Das Vertrauen, dass muss sie sich erst verdienen.
Leona sah es etwas anders. Sie misstraute vor allem den Personen, die sie sah. Vorausgesetzt sie sahen so aus und verhielten sich so wie... Herr Tod. Noch dazu hatte sich keiner von den Insassen der Düsterburg in irgendeiner Weise ihr Vertrauen gewonnen, nicht mehr als KILA.
Auch wenn es ihr missfiel: Der Doktor bot seine Hilfe an und sie würde diese nicht ausschlagen. Weder war sie so undankbar, noch traute sie sich überhaupt, weitere Widerworte zu geben. Immerhin war unmöglich zu sagen, was passierte, wenn bei jemandem wie ihm der Geduldsfaden riss. Alle hatten hier etwas auf dem Kerbholz. Bei manchen war das sicherlich etwas Harmloses, doch er machte nicht den Eindruck, als wäre das bei ihm auch der Fall.
"D-danke", erwiderte sie dazu und hielt sich kurz. Behutsam griff sie dann nach der Schulter des Toten und wollte ihre Finger unter seine Achseln legen, was sich schwieriger gestaltete als anfänglich vorgestellt. Die Totenstarre erschwerte diesen Griff und vor dem Doktor kam sie sich dumm vor, daran nicht gedacht zu haben. Sie hoffte nur, dass er geduldig blieb und Nachsehen hatte. Immerhin fummelte Leona nicht jeden Tag an einer Leiche herum.
Mit etwas mehr Kraft gelang es ihr dann, die Finger zwischen Oberkörper und Arm zu drücken. Doch das Anheben stellte die nächste Schwierigkeit dar. Wenige Zentimeter brachte sie den oberen Teil des toten Körpers nach oben, doch schon das war mit erheblichen Anstrengungen verbunden, während der Doktor die Beine - und damit auch den Po sowie den unteren Rücken - des ehemaligen Anführers ohne Probleme halten konnte. Sie ließ den Körper hinab und wandte sich wieder einmal an den zweiten Mann in der Konstellation, die sich um sie und die Leiche gesammelt hatte.
"Es tut mir Leid, aber... können Sie vielleicht...?"
"Ein weiterer, unnötiger Toter. Was meinen Sie Mr. Foster?" Naja, ein Arsch war er ja schon...
Matt musste den Gedanken einfach bei sich behalten. Er wusste zwar, dass hier einer nach dem anderen aktuell den Löffel abgab aber fuck it, was sollte ihn das noch groß kümmern? Der Moment in dem er hier zur Haft verknackt wurde war doch gleichzusetzen mit dem Tod. Was war das Leben schon wert, wenn man nur noch die kalten Mauern um sich herum hatte und die Freiheit ein nicht mehr zu erreichendes Ziel war?
Das einzige worauf er hoffen konnte wäre der Sturz der Nation gewesen. Aber, seien wir mal ehrlich, dazu würde es eh nie kommen.
"Der Shit ist echt tragisch. Ich mein, ich versuch einfa..."
Von der ein auf die andere Sekunde gingen alle Lichter aus und die Drei standen im Dunkeln.
Theo zuckte vor lauter Schreck zusammen und boxte Matt mit dem Ellbogen leicht in die Seite.
"Yo man, bisschen vorsichtiger..."
Als die Lichter wieder ansprangen schaute er seinen beiden Gesprächspartnern in die Augen und schaute kurz zur Decke. Die flackernden Leuchtstoffröhren flimmerten noch ein paar Male, ehe Sie sich wieder gefangen hatten.
Dann hörte er wieder das laute knacken der Lautsprecher als Babe-KILA irgendwas von Reparaturen und Energiespitzen und so nem Kram laberte.
"Damn Girl. Sag mir doch vorher Bescheid wenn du mir die Lichter ausknipst. Nicht, dass ich was dagegen hätte, aber... ne?"
Sein Blick richtete sich wieder auf Robert.
"Yo, also. Was ich sagen wollte. Ist halt mega scheiße. Aber ich hab aufgehört mich damit zu beschäftigen. Ich mein, seriously, wir haben doch eh keinen Plan was da vor sich geht. Deswegen sitz ich auch jeden Tag so scheiße früh in der Küche. Hauptsache irgendwas machen und nicht mehr mit Dingen beschäftigen bei denen ich sowieso nicht weiterkomme."
Matt verschränkte die Arme und rollte mit den Augen. Der Mist war irgendwie doch zu hoch für ihn. Verdammt, er war kein Detektiv. Er hat die meiste Zeit seines Lebens mit Gelegenheitsjobs verbracht und versucht so viele Frauen wie möglich abzuschleppen.
"Aber das "Protokoll"..." und Matt setzte dies betont affig in Klammern "...verlangt ja, dass wir jetzt irgendwen neues finden der den Laden hier schmeißen will. Was auch immer das heißt. Außer mein Babe hat das auch über Bord geworfen."
Boyle war überrascht, als KILA sich einschaltete – er hatte vor lauter Freude über den Whiskey für einen Moment vergessen, dass sie theoretisch alles mitbekam. Außerdem war sie, seit es diese neue Version von ihr gab, doch deutlich involvierter als früher. Zumindest wirkte es so, was aber vielleicht an dem vielen Plappern und dem lockereren Wortschatz lag.
Noch überraschter war Boyle allerdings, als Tod im Zuge seiner verärgerten Rede an die KI einen Ring erwähnte. "…Das Gift ist ziemlich hochdosiert und mit Pech ist es ein Kontaktgift….
Lionel sah flüchtig zu dem toten Thatcher und stellte fest, dass er definitiv keinen Ring trug, den er selbst übersehen hatte. Aber das kleine Schmuckstück, das nun ihm selbst gehörte, war immer noch definitiv in seiner geschlossenen Faust. Wie, zum Teufel, konnte Tod bitte davon wissen? Oder befand er sich in irgendeinem Delirium? Eine Nadel am Ring, die unter dem Nagel einstechen sollte klang ziemlich nach Delirium. Außerdem war „Fasst den Ring nicht an“ eine etwas späte Warnmeldung dafür, dass das Ding nirgends anders gewesen war, als in seiner Hand.
Boyle war viel zu verwirrt von alledem, so dass er viel zu langsam schaltete, als die kleine Blonde um Hilfe bat und ihn für ihre Verhältnisse eindringlich ansah. Selbst er kapierte, dass sie offenbar nicht von dem Doc unterstützt werden wollte, aber der eilte quasi zu dem toten Körper und fing zu allem Überfluss noch irgendein Süßholzgeraspel an. "...Und lassen sie ruhig das Doktor weg, denn hier unten sind wir alle gleich." Oh Gott. Boyle hätte definitiv etwas gesagt, wäre Tod nicht in seiner Eile zu helfen an die Beine von Thatcher getreten und hätte diese schon voller Tatendrang in die Höhe gehoben. Das war zu gut, als dass man es sich nicht in Ruhe ansehen musste - der Kerl ließ das zierliche Mädchen den Teil schleppen, der definitiv schwerer zu fassen war. Aber hey, sie hatte immerhin darum gebeten, ihr beim Transport zu helfen und nicht, dass jemand völlig anderes die ganze Arbeit übernehmen sollte.
Grinsend steckte Boyle die Hände in die Hosentaschen und wartete ab. Dabei ließ er den Ring hineingleiten, nicht ohne einen misstrauischen Blick auf den Doc. Wenn er von dem kleinen Ding wusste, was wusste er noch?
Apropos kleines Ding, die Blondine hatte erst ihre Schwierigkeiten damit, überhaupt ordentlich zuzugreifen, und dann dauerte es eine gute Weile, bis Oberkörper und Kopf vom Boden abhoben... für ungefähr drei Sekunden. Der Doc hatte überraschenderweise eine Engelsgeduld und hatte sogar darauf verzichtet, seine wirren Gedanken mit irgendjemandem zu teilen, was irgendwie enttäuschend langweilig für diese Präsentation war. Außerdem ließ das Mädchen Thatcher nicht etwa mit einem dumpfen Geräusch wieder zurück auf den Boden knallen, sondern legte ihn relativ sanft wieder ab, bevor sie Boyle ansah.
"Es tut mir Leid, aber... können Sie vielleicht...?"
Er zuckte mit den Schultern und deutete der Kleinen, Platz zu machen. Ein bisschen war er aber sogar beeindruckt - sie hatte immerhin nicht gleich aufgegeben und es versucht. Traute man ihr gar nicht zu.
"Na, na,... wir sind hier unten vielleicht alle gleich, aber offensichtlich nicht gleich stark.", musste er irgendeinen dummen Spruch loswerden, der ihm beinahe im Hals stecken blieb, als er seinerseits versuchte, einen guten Griff zu finden. Jaja, seit seinen Tagen als Sicherheitsbeamter hatte seine Kraft hier unten schon etwas nachgelassen. "Und auch nicht gleich alt. Ist sie nicht etwas jung für dich,...äh... Tod?", fügte er schließlich hinzu, als er mit einem leichten Ächzen endlich seinen Teil der Leiche hochhob. "Bist du sicher, dass du überhaupt schon volljährig bist?", fragte er das Mädchen dann grinsend, nickte dann aber dem Doc zu, dass es losgehen konnte.
So schleppten die beiden ungleichen Männer den neuesten Toten langsam aus dem Schlafbereich in Richtung Medizinstation.
Der plötzliche Stromausfall hatte Robert einen Strich durch die Rechnung gemacht. Dann nicht.
"...Hauptsache irgendwas machen und nicht mehr mit Dingen beschäftigen bei denen ich sowieso nicht weiterkomme." Das Matt nicht die Art Person war, von der man erwarten konnte den entscheidenden Hinweis zum festsetzen eines Mörders zu liefern war Robert schon nach wenigen Minuten in seiner Gegenwart klar geworden, aber das der junge Mann so gleichgültig war?
"Aber das "Protokoll" verlangt ja, dass wir jetzt irgendwen neues finden der den Laden hier schmeißen will. Was auch immer das heißt. Außer mein Babe hat das auch über Bord geworfen."
"Nein Mr. Foster, ich meine mich zu erinnern, dass KILA etwas von einer neuen Wahl gesagt hat." Robert schien kurz in Gedanken verloren, wandte sich dann aber wieder seinen beiden Gesprächspatnern zu.
"Auch wenn ich mich nicht dazu in der Lage sehe, irgendjemanden der hier Inhaftierten gut genug bewerten zu können um ihm oder ihr solch eine Position zuzuteilen.
Dr. Tod grinste Boyle wissend an. Es war einer der "Ich weiß was du getan hast-Blicke".
"Zu jung, Boyle? Kann es sein, dass sie Leona in IHR Bett bekommen wollen? Mir sind solcherlei Gedanken fremd. Ich sehe es als meine Pflicht an, das junge Fräulein vor den alten Säcken zu beschützen. Sie gehört nicht hierher."
Währenddessen schleppen er und Boyle den Toten munter durch die Gegend. Gedanklich war er aber in seinem Labor und untersuchte Boyles offenliegendes Gehirn. Aber leider nur in seinen Gedanken.
"Wenn man einmal eine Schubkarre brauchen könnte!", sagte der Doktor und sah Boyle an. Dann kicherte er erneut. Nun, denn ... viel Spaß, KILLER. Ähm ... KILA. Aber ob du wirklich etwas rausfindest?
"Gib mir ein paar Tage Bedenkzeit, ok? Du hast ja ohnehin selbst gesagt, dass es im Moment nicht viel zu tun gibt, weil nur noch so wenige Leute da sind... Oh, und es wäre sehr freundlich, wenn du die mögliche Beförderung nicht an die große Glocke hängen würdest, bis ich mich entschieden habe."
"Wenn du meinst. Ich habe den anderen nur gesagt, DASS du die Stromversorgung reparierst. Wenn du dich entschieden hast, sage Bescheid - dann schalte ich dich für die Privatzelle frei. Für heute Nacht ist es vielleicht eh besser, wenn ihr alle zusammen im Aufenthaltsbereich bleibt."
KILAs Worte hallten blechern durch den überdimensionierten Industriebereich, der sonst trommelfellzerfetzend laut gewesen war. Es war fast schon gruselig, dass die Maschinen nicht mehr surrten, als Leroy an ihnen vorbei ging. Mache schienen nun sogar komplett vom Stromnetzwerk getrennt zu sein. Als er die Tür zur Hydroponik öffnete, trat er wieder in eine andere Welt. Die Lichter hier waren viel heller, und auch die Gänge waren viel heller beleuchtet als in der Industriestation. Hatte er gerade vielleicht den ganzen Bereich hinter der massiven Stahltür vom Hauptstromnetz getrennt?
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Matt hatte immer einmal wieder einen Blick in die Kameras geworfen, die überall in den Gängen hingen. Es war schon merkwürdig - es war fast so, als würde KILA bewusst nicht darauf reagieren, wenn ÜBER sie gesprochen wurde. Auch, wenn sie definitiv immer zuhörte. Schließlich schaltete sie sich regelmäßig in Gespräche ein, die sich um den Zustand des Bunkers drehten und gab mal mehr, mal weniger direkte und hilfreiche Anweisungen. Aber jetzt blieb sie geradezu erschreckend ruhig.
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Boyle und Dr. Tod schleppten ihren ehemaligen Anführer recht problemlos durch die weiten Gänge, die Quartiere und Aufenhaltsbereich miteinander verbanden. Leona folgte ihnen etwas unschlüssig. Und wieder kam man nicht umher zu bemerken, dass die Düsterburg für enorme Menschenmassen ausgelegt war. Jetzt, mit nur noch einer knapp zweistelligen Anzahl an Bewohnern, wirkten die Gänge regelrecht überdimensioniert. Und auch der Aufenhaltsbereich stand dem in nichts nach. Der große, runde Raum hatte eine Kuppel aus massivem Stein und bot Sitzplätze für locker 500 Personen. Selbst zu Hochzeiten, bevor das Morden anfing, konnten diese Plätze nicht gefüllt werden. Jedes Geräusch echote tausendfach durch den riesigen, offenen Raum. Tods Schnaufen, Boyles schwere, bestimmte Schritte, selbst das leise Rascheln von Leonas Kleid an ihren Beinen schien sich in dem Raum zu verlieren. Das von Erie schön hergerichtete Buffet an der Nordseite des Aufenthaltsbereichs duftete nur zu gut, aber trotzdem hing noch ein anderer Geruch in der Luft.
Die gespenstische Stille der Düsterburg wurde von Matts nonchalantem Lachen durchbrochen, welches dem jungen Mann aber schnell im Halse stecken blieb, als die Prozession an ihm vorüberzog. Leona hatte dem alten Thatcher noch ein kleines Stück seines Kissenbezugs über das Gesicht gelegt, aber trotzdem war die steife Gestalt ein schauriger Anblick. Und Tods gelegentliches Kichern machte es nicht unbedingt besser.
Der Medizinbereich lag noch hinter der Hydroponik und war durch einen Vorhang von dem Gang abgetrennt, der zum Industriebereich führte. "Bereich" war vielleicht auch ein wenig hoch gegriffen - es war ein kleiner Raum, in dem zwei Liegen standen. Ein roter Erste-Hilfe-Kasten hing an der Wand, war aber nach Jahren der Nutzung schon gut geplündert und beinhaltete nur noch eine kleine Schere und den kläglichen Rest einer Mullbinde. In der Düsterburg wurde man nicht krank. Genau genommen fragte sich Boyle gerade, wann er das letzte Mal einen Schnupfen oder eine Erkältung hatte - das musste vor seiner Inhaftierung gewesen sein. Der einzige Grund, diesen Bereich aufzusuchen, waren Unfälle, oder andere medizinische Notsituationen. Meistens gab es aber keine Ärzte unter den Inhaftierten - und so konnte eine simple, leichte Blinddarmentzündung schnell zum Todesurteil werden.
Boyle und Tod hieften den toten Körper von Thatcher auf die rechte Liege, und kaum, dass Leona den Fuß des Toten sanft auf die Liegefläche geschoben hatte, sprang das Licht an dem Bedienelement an, das seitlich an dem Bett angebracht war.
"Wenn einer von euch so freundlich wäre, den Magnetsensor an seinem Chip zu befestigen...?"
Bei der Einlieferung in der Düsterburg hatte jeder von ihnen einen Metallchip unter die Haut transplantiert bekommen. Man konnte den kleinen Fremdkörper am Schlüsselbein ertasten, und auch eine kleine Narbe zeugte von der Existenz des Chips. Über diese Schnittstelle konnte man im medizinischen Bereich Messwerte auslesen - Blutdruck, Herzrate, Allgemeinzustand. Aber in ihm befand sich auch das Damoklesschwert, das über jedem Gefangenen schwebte - der Chip hatte auch eine Selbstzerstörungsfunktion, die an das Herz des Häftlings gekoppelt war. Ein Tastendruck von KILA, und sie wären tot. Genau so funktionierte die tägliche Hinrichtung, seitdem sie sich auf diese Methode geeinigt hatten. Der Chip saß auch bei Thatcher zwischen linker Schulter und Brustbein, verborgen von dem Stoff der alten Arbeiteruniform, die der Mann hier unten trug, seit er inhaftiert worden war. Thatcher galt als bescheidener Mann. Die Inhaftierten konnten einmal im Jahr neue Kleidung anfordern, die aus ihren Besitztümern entnommen wurde - aber Thatcher hatte das, trotz jahrelanger Haft, nie in Anspruch genommen. Wollte er seinen Vorrat schonen oder hatte er einfach keine Ersatzkleidung?
Mit spitzen Fingern zog Leona den Ausschnitt des Mechanikeranzugs zur Seite. Der Chip leuchtete leicht unter Thatchers Haut. Normalerweise konnte man das Licht nicht sehen, aber die leblose, helle Haut des Toten war wie aus Papier. Mit einem kurzen Handgriff zog sie das Kabel aus dem Bedienelement und drückte es an den Chip. Selbst durch die Haut konnte sie spüren, dass der Magnet haftete.
"Ah, perfekt, vielen Dank! Ich... ich könnte versuchen ein Blutbild zu ziehen, vielleicht finde ich Hinweise auf Gift. Das wäre zumindest logisch, wenn ihr wirklich eine Einstichstelle gefunden habt. Auch wenn ich eigentlich..."
KILAs Stimme wurde leise. Verschwörerisch leise.
"...eigentlich... darf ich keine staatlichen Ressourcen mehr nutzen... für euch... Sie haben euch aufgegeben, wisst ihr? Aber ich schaue, was ich tun kann. Ich könnte... ich könnte die Rechenleistung für das große Blutbild und die Auswertung über einen externen Server laufen lassen... Das dauert dann nur ewig. Aber am Ende wissen wir vielleicht endlich, welches Gift es war. Ich informiere euch. Danke. Ihr könnt wieder zu den anderen gehen. Und vergesst nicht die Wahl. KILA out."
Es wurde leise. Nur das leise Summen des Bedienelements mit dem Kabel, das unter Thatchers Anzug reichte - das blieb.