[Verbrecher von Düsterburg] Tag 0 - Rollenspielintro und Anführerwahl
Viele von euch haben die Sonne seit Jahren nicht gesehen.
In einer Welt, in der das Überleben ganzer Völker von harten Maßnahmen abhängt, ist das Gefängnis der einzige Weg, unliebsame Elemente loszuwerden, ohne Kugeln zu verschwenden. Mord, Raub, Betrug - alles genau so schwere Verbrechen wie Prostitution, Zechprellerei und kleiner Diebstahl. Und alle Verbrechen werden gleich bestraft - mit der Haft in der Düsterburg, einem unterirdischen Bunker ohne Wachen, ohne Kontakt zur Außenwelt, ohne Sonnenlicht. Die Verbrecher der Nation werden eingelocht und sich selbst überlassen - solange, bis ihre Strafe abgesessen ist oder sie einfach nicht mehr auftauchen.
Ihr seid unabhängig von der Außenwelt, habt eine eigene, saubere Wasserversorgung, hydroponische Gärten und müsst arbeiten, um euch eure Ration zu verdienen. Eine eigene kleine Gesellschaft von Verbrechern, in der alle gleich sind. Oder waren - denn jetzt seid nur noch ihr übrig. Und in eurer Mitte befinden sich die Mörder aller anderen Insassen.
Euer einziger Kontakt zur Außenwelt ist KILA, eine Stimme aus den Lautsprechern, die überall im Bunker angebracht sind. Sie informiert euch einmal täglich über Nachrichten aus der Nation, über wichtige technische Vorkommnisse im Bunker und über besondere Ereignisse, wie Haftentlassungen oder Todesfälle.
Nun dezimiert eine mysteriöse Mordserie die Insassen des Gefängniskomplexes unter der Erde. Und niemand wird Euch helfen.
Was als Modellprojekt begann, wurde schnell zur einzigen Art, wie in der Nation Verbrecher behandelt wurden. Einfach unter die Erde damit und fertig - vergessen, sich selbst überlassen und damit weg von den Straßen und Gassen. Schon das kleinste Vergehen reicht aus, um sich hier unten wiederzufinden. Niemand weiß, wie viele Bunker es mittlerweile gibt. Aber in der dritten Amtszeit des Herrschers wurden überall im Land diese unterirdischen Komplexe gebaut, die sich komplett selbst versorgen können und unabhängig sind von der Außenwelt. Ihr lebt im ältesten dieser Gefängnisse, in der berüchtigten Düsterburg. 20 Jahre ist der Bunker mittlerweile alt, und es hat sich so etwas wie eine Gesellschaft hier unten gebildet. Komplett frei von Wachen oder anderen Autoritätspersonen haben einige derjenigen, die lebenslänglich verurteilt wurden, die Macht an sich gerissen.
Es ist kein schlechtes Leben hier unten. Wer hier ankommt, wird von der Gemeinschaft geschützt. Und wer sich gegen die Gemeinschaft stellt, der wird in einem demokratischen Prozess getötet. Jeder Insasse hat einen eingebauten Selbstzerstörungschip - er kann aktiviert werden, sobald ein signifikanter Anteil der Insassen der Düsterburg für seinen Tod stimmt. Allerdings kann jeden Tag nur eine Person umgebracht werden, um Putsche zu erschweren.
Um andere Aufstände abzuwenden, hat die Leitung der Düsterburg ein Mittel, um alle Einwohner des Komplexes in eine schlafähnliche Ohnmacht fallen zu lassen. Wird dieses Mittel ins Lüftungssystem gepumpt, so schlafen alle Insassen innerhalb weniger Minuten ein. Jeden Abend, pünktlich um 22:00, wird dieses Mittel verteilt. Offiziell, um Strom zu sparen und eine Nachtschicht in der Überwachungszentrale überflüssig zu machen. Aber innerhalb der letzten Monate wurde diese Praxis zu einer Todesfalle - anscheinend haben einige Individuen einen Weg gefunden, die Ohnmacht zu umgehen - denn jeden Morgen, nachdem der Effekt des Gases abgeklungen ist, findet sich ein weiterer Toter in der Düsterburg.
Legende: A: Ein- und Ausgang: Jeder von euch hat dieses erstaunlich große Gebet nur ein einziges Mal gesehen. Durch lange, geschwungene Gänge wurdet ihr bis zur Schleuse gefüllt. Die Gerüchte besagen, dass die Gänge so lang sind, damit das Schlafgas bei einem Fluchtversuch genügend Zeit hat, um durch die Gänge zu strömen. Selbst der schnellste Sprinter würde es nicht zum Ausgang schaffen, bis er stolpert, einschläft und wieder zurückgezerrt wird. Mit Zuwachs der Population haben die Leiter der Hydroponik-Station und der Wasseraufbereitung immer wieder vergeblich versucht, den langen, ungenutzten Bereich in einen weiteren Gartenbereich umzubauen, um die freie Fläche für mehr Nahrungsproduktion zu nutzen. Der versiegelte Bereich beginnt an der Schleuse zur Industriestation (C). Außerdem soll es hier auch spezielle Zellen geben, für Insassen der Düsterburg, die gegen die ungeschriebenen Gesetze des Bunkers verstoßen haben, aber es nicht für eine Hinrichtung reicht.
B: Archiv und Aservatenkammer: Hier musstet ihr zu Beginn eurer Haft eure Habseligkeiten abgeben. Die meisten eurer weltlichen Besitztümer (Autos, Häuser, Geld) sind sowieso in Staatsbesitz übergangen, aber hier warten kleine Güter wie Kleidung, Andenken oder Fotos auf eure Rückkehr. Ihr durftet nur drei Habseligkeiten mit in die Düsterburg nehmen. Es ist theoretisch möglich, auf Antrag einmal pro Jahr einen Blick in die eigenen Besitztümer zu werfen, die in diesem Hochregallager aufbewahrt werden - aber keiner von euch hat je von jemandem gehört, bei dem das funktioniert hätte.
C: Industriestation: Handwerker aufgemerkt: Solltet ihr die Düsterburg betreten und so aussehen, als hättet ihr nicht zwei ganz linke Hände, so ist es recht wahrscheinlich, dass ihr euch hier wiederfindet. In der riesigen Werkstatthalle gibt es so gut wie alles, um aus den verfügbaren Materialien so gut wie alles herzustellen. Niemand weiß so genau, wo der Leiter der Industriestation seine Werkstoffe herbekommt - schließlich seid ihr völlig von der Außenwelt abgeschnitten. Außerdem wird hier sehr viel mehr produziert, als die Bewohner selbst brauchen könnten - eine Tatsache, über die die oft angespannten und wortkargen Industriemitarbeiter kaum Auskunft geben.
D: Hydroponik und Lebensmittelstation: Was die moderne Welt alles bereithält! Auch unter der Erde können Pflanzen angebaut werden. Nicht unbedingt die leckersten Pflanzen, aber immerhin. Hier wird aus Soja, Mais und kleinen Eigenzüchtungen eine leidlich gutschmeckende Proteinpaste hergestellt. Weitere Zutaten gehen meist direkt an die Küche (E). Außerdem befindet sich hier die Wasseraufbereitung und die Stromerzeugung des Komplexes. Basierend auf der Qualität des Wassers und der Art der Stromerzeugung vermuten die etwas erfahreneren Insassen, dass sich die Düsterburg unter einem Staudamm befindet. Als würde das eine Rolle spielen.
E: Küche und Vorratsbereich: In der Gemeinschaftsküche kochen engagierte Mitglieder der Gemeinschaft für alle anderen Insassen. Sie haben Vorzugsrechte bei der Wahl der Nahrungsmittel und sorgen für die Gruppenversorgung aller Insassen. Mit der wachsenden Gefangenenzahl der letzten Jahre wuchs auch hier der Bedarf an hygienischer Zubereitung, und so wird der Bereich von resoluten Damen und Herren geführt, die als Team zu den beliebtesten Arbeitgebern der Düsterburg gehören. Man sagt, wer im Küchenteam ist, der hat eine neue Familie gefunden. Aber auch das hat gegen die Mordwelle nichts geholfen.
F: Aufenthaltsbereich/Mensa: Hier wird gegessen, sich getroffen, nach der Arbeit geredet oder einfach Zeit rumgebracht. Der relativ große Bereich hat keine Wände und ist offen gestaltet. Zahlreiche Sitzmöglichkeiten und Tische laden auf eine Runde Würfelspiel ein. Auch, wenn Glücksspiel um die Tagesration theoretisch verboten ist, so hat der ehemalige Anführer El Leones hier alle Augen zugekniffen.
G: Schlafbereiche: Ursprünglich aufgeteilt in einen Frauen- (G1) und einen Männerschlafbereich (G2) schrauben sich hier zwei Türme ins Erdreich. Wie im Hochregallager sind die Wände der achteckigen Räume mit Schlafkabinen gesäumt, die sich bis zur Decke ziehen. Leitern an den Wänden ermöglichen den Zugang zur eigenen Schlafkabine, bei der man mit einem Vorhang für ein wenig Privatssphäre sorgen kann. Damit die weiter oben liegenden Kabinen nicht zur nächtlichen Todesfalle für aktive Schläfer werden, kann ein Gitter vor die Kabine geschoben werden. Es ist serh ratsam, vor 22:00 in der eigenen Koja zu liegen, außer, man möchte, dass einen das Schlafgas im Gehen oder Stehen mitten im Gang umkippen lässt. Der dritte Schlafturm (G3) wurde kurz vor dem Beginn der Mordserie fertiggestellt und sollte dem immer größeren Andrang an Insassen Herr werden - es kam aber nie zu seiner offiziellen Einweihung, da mittlerweile schlicht die Insassen dafür fehlen.
H: Waschräume: Aufgeteilt nach Frauen und Männern gibt es hier Gemeinschaftstoiletten und Duschen. Dafür, dass ihr in einem Bunker lebt, ist der Nassbereich durchaus akzeptabel - wenn auch schon etwas verlebt durch Generationen an Verbrechern.
I: Privaträume der Bereichsleiter: Theoretisch gesehen gibt es in der Düsterburg keine Hierarchie. Praktisch leben in den vier kleinen Appartements am Ende des Komplexes die Bereichsleiter von Industrie-, Hydroponik- und Stromerzeugung. Dazu kommt der nominelle Anführer der Düsterburg - bis zu seinem Tode war das der Drogenboss El Leones, der aber vor wenigen Wochen Opfer der Mordwelle wurde. Während die Bereichsleiter auf Basis ihrer Kompetenz nachrücken, sobald die Stelle durch Tod oder Freilassung frei wird, wird der Anführer demokratisch gewählt. KILA hat dabei die Aufsicht. Die Räume selbst sind nur für die jeweiligen Personen und eventuelle Begleiter(innen) zugänglich. Laut den aufgeregten Berichten diverser Insassinnen, die einmal die Ehre hatten, in die Privaträume zu kommen, gibt es dort nicht nur Badezimmer direkt in der Zelle, sondern eine regelrecht luxuriöse Ausstattung. Ein Mädchen hat sogar einmal behauptet, in der Zelle des Anführers befände sich ein Telefon.
"Ich bin ein verficktes Genie!"
Eigentlich sollte KILA nicht fluchen. Zumindest die "alte" KILA hat das nie getan. Die älteren Insassen erinnern sich - die fast schon mütterliche Stimme trug die täglichen Informationen aus der Welt der oben Lebenden so leidenschaftslos vor, dass zahlreiche Insassen der festen Überzeugung waren, KILA sei eine KI. Aber vor sechs Monaten, kurz nach Beginn der Mordserie, wechselte die Stimme plötzlich - und seitdem waren die Gefangenen allein mit KILA 2.0.
"Okay, also, wenn ich alles richtig gemacht habe, und das habe ich, dann sollte der Aufenthaltsbereich heute Nacht für euch sicher sein. Ich habe den Raum so verriegelt, dass er nicht mehr an der Lüftungsanlage hängt. Kein Schlafgas, kein Umkippen, kein Mord. Ich meine, gut, ihr müsst euch selber heute Nacht um eine Wache kümmern, aber dann wisst ihr immerhin, wer verdächtig sein könnte und wer nicht. Also, kommt, bin ich ein Genie oder bin ich ein Genie? Das bringt uns und euch doch zum ersten Mal in eine WIRKLICH gute Position!"
Ihr hört das Klackern von Fingernägeln auf einer Tastatur, dann knacken die Lautsprecher im ganzen Gebäude erneut und KILA erzählt fröhlich weiter. Durchsagen in der ganzen Düsterburg waren ursprünglich nur für das tägliche Briefing reserviert, und ansonsten hat sich KILA recht bedeckt gehalten. Aber nun, wo ihr nur noch eine Handvoll Insassen seid, ist KILA in Plauderlaune. Die meiste von euch liegen noch in ihrer Koje. Mit der neuen KILA ist auch das Briefing erheblich zwangloser geworden.
"Also, fassen wir noch einmal alles zusammen. Jede Nacht nach Einsatz des automatischen Schlafgases bleiben offenbar einer oder mehrere Insassen wach. Diese bringen dann einen oder mehrere von euch um. In letzter Zeit gibt es tendenziell nur ein Opfer pro Nacht. Und bevor wieder jemand fragt, nein, ich kann euch nachts leider nicht überwachen, weil der gesamte Komplex vom Stromnetz getrennt wird und nur die Notsysteme laufen. Ihr wisst schon, der Umwelt zuliebe."
Ein leises Schnauben ertönt. KILA ist frustriert.
"Ich kann morgens auch nur Zittern und Bangen und hoffen, dass es euch alles gut geht. Und dann ist wieder ein Bildschirm aus. So wie heute. Wie ihr sicher schon gesehen habt, hat es unseren geliebten Anführer getroffen. Genau drei Tage war er im Amt, bevor auch er gestorben ist. Ich weiß nicht, wo er rumliegt, vielleicht habt ihr ihn auch schon gefunden. Sein Koje war die G2-56, weil der werte Herr ja bloß nicht in das Privatappartement ziehen wollte. Deswegen hat er seine letzten Tage lieber bei euch verbracht. Also, findet seine Leiche, schafft sie zum Müllverbrenner in der Industrie, und wählt einen neuen Anführer. Ihr kennt das Prozedere ja mittlerweile, sagt mir, wen ihr für passend haltet, und morgen kann der glückliche dann in sein eigenes Privatzimmer ziehen. Sorry, Privatzelle. Ihr wisst schon. Sagt einfach laut, für wen ihr seid, ich höre euch schon. Und nicht vergessen, heute Abend bitte alle im Aufenthaltsraum versammeln. Und dann kicken wir diesen Mördern in den Arsch. Deswegen setzen wir heute Abend auch die Hinrichtung aus. Wenn irgendwas ist, redet nur mit mir. Ich kann mich auch privat in einen Bereich schalten, wie ihr wisst. Wenn es mal... persönlicher werden sollte. Und so. KILA out."
Um einen Anführer zu wählen, schreibt seinen Namen bitte groß und ROT in euren Post.
"Mit jedem Tag werden diese scheiß Sparschäler stumpfer"
Matt tat das was er jeden Tag seit seiner Verurteilung tat. Gemüse schälen und über den eher nicht so geilen Zustand des Küchenequipments schimpfen. Klar, es war nicht rostig, Löffel waren immer noch stumpfer und es ging schon irgendwie... aber er sehnte sich trotzdem nach einem ordentlichen Messerset zurück.
Vor ihm lag einfach nur ein enorm großer Bottich der voller geschälter Kartoffeln, Mören und Knollensellerie war. Seit knapp 2 1/2 Stunden schälte er jetzt schon Gemüse und seine Hände waren schon seit den Kartoffeln aufgeweicht von der Stärke. Aber irgendwie liebte er es auch, er hatte etwas zu tun und die meisten Leute ließen ihn hier in Ruhe. Er gehörte zur Küchencrew und da jeder gern etwas essen wollte machte es Sinn sich nicht mit ihm anzulegen.
Leise knackten die Lautsprecher auf.
"Ich bin ein verficktes Genie!"
"Damn, die schon wieder..."
"Okay, also, wenn ich alles richtig gemacht habe...
Keine Ahnung was sie da redete, aber KILA hatte definitiv einiges richtig gemacht. Vor allem als sie in den Babe Modus gewechselt ist. Das war sowas von die beste Entscheidung. Matt fragte sich seit einigen Wochen wem diese Stimme wohl am anderen Ende gehören mochte. Sexy klang sie allemale.
...persönlicher werden sollte. Und so. KILA out."
Persönlicher werden? Hatte er das richtig verstanden? Shit. Er hatte gar nicht zugehört. Dafür war die letzte Knolle Sellerie endlich von Ihrer Schale befreit und Matt hatte seinen Dienst fürs erste getan. Morgens wischen Mittags schälen, Abend wischen. Er hätte zwar durchaus mehr Lust darauf hier wirklich was geiles zu kochen aber hey... das Leben war halt kein Ponyhof.
"Yo, der Stuff ist fertig. Ich mach mich vom Acker und schau was da draußen so los ist!"
Matt wusch sich noch schnell die Hände ehe er sich daran machte aus der Küche zu verschwinden. Vielleicht würde er im Aufenthaltsraum ja irgendwen finden der KILA zugehört hatte. Irgendwas wichtiges wirds garantiert gewesen sein.
Wie immer nach "Sonnenaufgang", wie er das Einschalten der Lampen für sich persönlich nannte, hatte Leroy Lust, sich die Decke über den Kopf zu ziehen und weiterzuschlafen.
Und wie immer zwang er sich, dem Drang zu widerstehen, aus dem Bett zu steigen und in den Waschraum zu gehen (oder eher schlurfen). Leroy hasste frühes aufstehen. Und obwohl es keinen Beweis dafür gab, dass sich die Wach- und Schlafzeiten hier drin auch nur im entferntesten an denen der realen Welt orientierten, spürte er einfach wie durch einen siebten Sinn, dass es noch früh war. Nur ein weiterer auf der langen Liste der Punkte, die er an diesem Gefängnis hasste. Möglicherweise in der Top 100, aber sicher kein Spitzenplatz.
Der Grund dafür, dass er sich entegegen seinem ausdrücklichen Wunsch jeden Morgen prompt aus dem Bett quälte, war der, dass viele der anderen Gefangenen denselben Drang zu haben schienen, und ihm, im Gegensatz zu ihm selbst, auch nachgaben. Dadurch war der Waschsaal direkt nach Sonnenaufgang noch relativ leer, und die Anzahl derjenigen, die beschlossen, dass Leroy gerade an ihrem Privatwaschbecken stand, und daher mit mehr oder meist weniger sanfter Gewalt weggeschubst werden musste, obwohl noch mindestens zehn andere direkt daneben frei waren, hielt sich in Grenzen. Die andere Möglichkeit wäre gewesen, einfach noch länger als die anderen liegen zu bleiben, aber seit ihn sein "Chef" eines Tages mit einigen Tritten davon überzeugt hatte, dass Leroy gefälligst pünktlich (d.h. nicht später als zu einem willkürlich von ihm festgelegten Zeitpunkt) bei der Arbeit zu erscheinen habe, war das auch keine Option mehr.
Einer der wenigen Vorteile daran, sich so früh aus dem Bett zu quälen, war, dass, nachdem er sich also gewaschen und in der Mensa das Zeug, das sich hier drin Frühstück nannte (die Essensqualität durte irgendwo im 50er Bereich seiner Hassliste herumgondeln), in sich hineingeschaufelt hatte, er sich in aller Ruhe die neuesten Meldungen des Tages anhören konnte. Oder zumindest war es das bis vor kurzem gewesen, bevor sie KILA das Intelligenzdowngrade aufgespielt hatten.
Auch wenn er damit vermutlich der Minderheit angehörte (wie in so ziemlich allem, was dieses Domizil betraf, abgesehen davon, dass er wie alle anderen hinauswollte) war ihm die sachliche und unpersönliche KILA lieber gewesen. Typen, bei denen man nie wusste, ob sie vor einem mit dem Messer herumfuchtelten, weil sei einen Einschüchtern wollten, oder mit einem Blutsbruderschaft schließen wollten, gab es hier drin schon genug, da brauchte er nicht noch eine KI im Bimbo-Modus. Diese Änderung hatte es auf Anhieb in die Top 5 seiner Hassliste geschafft. Und prompt begrüßte sie ihn mit einem fröhlichen
"Ich bin ein verficktes Genie!"
das allein schon fast dazu ausreichte, sein Frühstück den umgekehrten Weg durch seine Speiseröhre beschreiten zu lassen.
Zumal sie in letzter Zeit ohnehin kaum Neuigkeiten aus der wirklichen Welt gebracht hatte, sondern nur davon erzählt hatte, wie die Insassen hier drin sich nacheinander gegenseitig umbrachten. Im Grunde nichts, wogegen er etwas gehabt hätte, hätte nicht jederzeit die Möglichkeit bestanden, dass er der nächste war, der mit durchgeschnittenen Kehle aufwachte, oder vielmehr nicht mehr aufwachte (gegenwärtig die offensichtliche Nummer 1 auf seiner Hassliste).
"Ich kann morgens auch nur Zittern und Bangen und hoffen, dass es euch alles gut geht. Und dann ist wieder ein Bildschirm aus. So wie heute. Wie ihr sicher schon gesehen habt, hat es unseren geliebten Anführer getroffen. Genau drei Tage war er im Amt, bevor auch er gestorben ist. Ich weiß nicht, wo er rumliegt, vielleicht habt ihr ihn auch schon gefunden. Sein Koje war die G2-56, weil der werte Herr ja bloß nicht in das Privatappartement ziehen wollte. Deswegen hat er seine letzten Tage lieber bei euch verbracht. Also, findet seine Leiche, schafft sie zum Müllverbrenner in der Industrie, und wählt einen neuen Anführer. Ihr kennt das Prozedere ja mittlerweile, sagt mir, wen ihr für passend haltet, und morgen kann der glückliche dann in sein eigenes Privatzimmer ziehen. Sorry, Privatzelle. Ihr wisst schon. Sagt einfach laut, für wen ihr seid, ich höre euch schon. Und nicht vergessen, heute Abend bitte alle im Aufenthaltsraum versammeln. Und dann kicken wir diesen Mördern in den Arsch. Deswegen setzen wir heute Abend auch die Hinrichtung aus. Wenn irgendwas ist, redet nur mit mir. Ich kann mich auch privat in einen Bereich schalten, wie ihr wisst. Wenn es mal... persönlicher werden sollte. Und so. KILA out."
Also schon wieder ein neuer Obermacker, der sich vermutlich kein Stück vom vorigen unterschied. Im Grunde konnten sie sich die Wahl eigentlich ganz sparen, dachte er missmutig, während er mit hängenden Schultern schicksalsergeben in Richtung seines Arbeitsplatzes in der Industriestation trottete.
Von allen Arten geweckt zu werden, hat KILA gewiss die charmanteste, denkt sich Theo und drückt den Kopf etwas tiefer in das abgewetzte Kissen. Bei genauem Hinhören ist ein "Dir auch einen guten Morgen" aus den unangenehm piekenden Daunen zu hören .
Aber gut, wenigstens hat V2.0 mehr Charakter als das Vorgängermodell.
Während Theo mit einer Gehirnhälfte - oder jedenfalls einem Viertel - KILAs Bericht zur Allgemeinen Lage der Nation (tm) lauscht, ist der Rest mit einer internen Diskussion zum Thema Aufstehen beschäftigt.
Pro: Das Pieken der Federn hört auf, ihn schmeißt niemand später aus dem Bett und man hat gute Karten, nicht als letzter beim Frühstück aufzutauchen. Contra: Keine Lust. Ein komplizierter Fall, der sorgfältiges Abwägen erfodert, man merkt es schon.
Früher hätte dies durchaus dazu führen können, nichts mehr zu bekommen - Vorzüge und Unabhängig hier unten hin oder her, das Essen ist trotzdem rationiert. Dank der jüngsten Belegschaftsentschlackung (Theo liebt Euphemismen) ist die Gefahr jedoch mittlerweile gebannt. Die, dass eine gewisse Köchin sich einen Scherz erlaubt und das Frühstück vergiftet, wenn man ihr Essen verschmäht, noch nicht, aber nun gut, was wäre das Leben ohne eine Prise Adrenalin?
Euer Ehren, "Aufstehen" gewinnt 3:2. Verpennt hält Theo inne und reibt sich den Schlaf aus den Augen. Sportmetaphern vor Gericht. Warum eigentlich nicht, befindet er schulterzuckend.
"Ich kann morgens auch nur Zittern und Bangen und hoffen, dass es euch alles gut geht. Und dann ist wieder ein Bildschirm aus. So wie heute. Wie ihr sicher schon gesehen habt, hat es unseren geliebten Anführer getroffen. Genau drei Tage war er im Amt, bevor auch er gestorben ist."
Fragt man Theo, so ist ein früher Tod das Beste, was einem selbsterklärten 'geliebten Anführer' passieren kann: Schleunigst abtreten (oder in diesem Fall abgetreten werden), ehe auffällt, dass vor allem er selbst sich liebt. Gut, mag sein, dass ein paar Leute hier tatsächlich an ihm hingen - bei einer demokratischen Wahl ist das jetzt nicht so abwegig -, aber Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel.
"Ich weiß nicht, wo er rumliegt, vielleicht habt ihr ihn auch schon gefunden. Sein Koje war die G2-56, weil der werte Herr ja bloß nicht in das Privatappartement ziehen wollte."
"Da hat der Kerl ne Chance auf Privatssphäre und will sie nicht.", murmelt Theo kopfschüttelnd, bereits auf halbem Weg in die Waschräume.
Um diese Uhrzeit regt sich noch nicht viel - das Küchenteam war schon längst auf, der Rest noch nicht so richtig in den Startlöchern - und auch wenn man KILAs Kommentar als Aufforderung zur aktiven Leichenbergung verstehen könnte, befindet der junge Mann, dass ein Toter schon nicht wegrennen wird. So kühl wie es morgens in der Düsterburg ist, ist der ja auch noch was haltbar, so hat das nächtliche Abschalten der Heizung wenigstens ein Gutes.
Summa Summarum: Wenn der geliebte Herr Anführer so beliebt ist, verfeuert ihn schon sicher wer anders. Und wenn nicht... nun, mit vollem Magen schleppt es sich zumindest besser.
"Und nicht vergessen, heute Abend bitte alle im Aufenthaltsraum versammeln. Und dann kicken wir diesen Mördern in den Arsch. Deswegen setzen wir heute Abend auch die Hinrichtung aus. Wenn irgendwas ist, redet nur mit mir. Ich kann mich auch privat in einen Bereich schalten, wie ihr wisst. Wenn es mal... persönlicher werden sollte. Und so. KILA out."
"Hat was, der Satz, während man gerade unter der Dusche steht."
Mit diesen Worten hüpft Theo, grinsend und mit einer kleinen Umdrehung zur Untermalung für das (vielleicht-vielleicht-auch-nicht-imaginäre) Publikum, unter den noch eisigen Wasserstrahl.
"IEP"
Kalt is', Tatsache! Und nun, Zeit mal über die Besetzung des neuen Chefpostens nachzudenken...
Matt war früh morgens erwacht, sogar fast vor allen anderen. Sogar vor KILAs täglicher Durchsage, auch wenn die heute ein wenig auf sich warten ließ - offensichtlich war KILA schwer mit der Umleitung der Lüftungsanlage beschäftigt gewesen, und hatte deswegen den üblichen Zeitpunkt für die Durchsage verpasst.
Als er in den Aufenthalt kam, atmete er eine etwas schalere Luft als normalerweise ein. Genau genommen muffte es ein wenig. Nach... frischem Sellerie? Es schien, als hätte KILA den Raum schon von der Frischluftzufuhr getrennt.
-------- Leroy trottete die menschenleeren Gänge entlang. Die nackten Betonwände des Bunkers wirkten erdrückend, auch, wenn man sich mit der Zeit an den Anblick gewöhnt. Er durchquerte den Verbindungsgang zwischen Hydroponik und Aufenthaltsbereich - aus der Küche roch es intensiv nach Gemüse. Die Schiebetür zur Nahrungsstation öffnete sich mit einem leisen Ploppen und der große, hohe, runde Raum eröffnete sich vor ihm. Das leise Rauschen der Maschinen in der Wasseraufbereitung zeigte klar, dass noch alles funktionierte - auch wenn KILA nach dem Tod des letzten Leiters der Technik gewarnt hatte, dass demnächst jemand anderes die Wartung übernehmen müsste. Schnellen Schrittes durchquerte er den üblichen Weg vorbei an den künstlichen Feldern unter warmen Lampen, bis er an der Tür zur Industriestation angekommen war. Normalerweise öffnete sich die Schiebetür recht zügig, wenn man sich ihr näherte. Doch diesmal blieb sie verschlossen. Leroy blinzelte kurz. ging noch einen schritt auf die Tür zu, hielt seine Hand vor den Scanner - nichts.
"Öhm... Insasse Hoffman ... Leroy... ich meine, ich weiß dein Engagement zu schätzen, aber willst du wirklich arbeiten gehen? Ihr seid nicht mehr so viele, und alleine würdest du eh nicht so viel schaffen. Du könntest einfach die Zeit mit den anderen verbringen, als hier zu schuften. Aber okay, wenn du unbedingt willst - ich meine, nicht, dass das noch eine Rolle spielen würde, aber dann behandele ich dich eben wie den Leiter der Industriestation. Theoretisch wäre es Zeit für eine Überprüfung der Maschinen. Ölstand, Abnutzungserscheinung.... oder du tust mir einen Gefallen und wirfst einen Blick auf die Wasserreinigungsanlage. Was darf es sein, werter Herr?"
--------
Das Wasser ist, wie Theo schnell feststellt, tatsächlich mit "erfrischend kalt" ideal beschrieben (Euphemismen machen schließlich das Leben besser). Ein Rumpeln geht durch die Rohre hinter der Wand, der Wasserstrahl wird kurz brennend heiß (Theo weicht mit einer eleganten Schraube zur Seite aus) und pendelt sich schließlich auf einem angenehm frischen Level ein. In letzter Zeit dauert es morgens immer ein bisschen, bis das warme Wasser anspringt...
Da wachte man auf, und hörte als erstes diese nervige Tusse, die meinte KILA übernehmen zu müssen, pah. Gab es denn nichts wichtigeres auf diesem Planeten?
Edward trat auf den Gang und lief langsam Richtung Speisesaal.
Soso, die gnädige Frau will verhindern, dass der Killer umgeht? Dass ihr Kunstname, KILA aber wie Killer klingt, scheint sie zu verdrängen. Da ist ja selbst noch Donald Trump seriös! Und dass sie ein "verficktes Genie" ist ... nun ja, alleine diese Ausdrucksweise. Und den Arsch kicken? Na, ich wüsste eine Lösung, wie alle überleben: Türen auf, alle rauslassen, keiner stirbt, alle sind happy.
Zumal ich endlich Frau Gregorys Kopf auf den Körper von Herrn Saaruz setzen muss, fügte er gedanklich hinzu.
Nun, naja ... schauen wir mal, welchen Schlangenfraß man uns heute morgen vorsetzen wird.
"Öhm... Insasse Hoffman ... Leroy... ich meine, ich weiß dein Engagement zu schätzen, aber willst du wirklich arbeiten gehen? Ihr seid nicht mehr so viele, und alleine würdest du eh nicht so viel schaffen. Du könntest einfach die Zeit mit den anderen verbringen, als hier zu schuften. Aber okay, wenn du unbedingt willst - ich meine, nicht, dass das noch eine Rolle spielen würde, aber dann behandele ich dich eben wie den Leiter der Industriestation. Theoretisch wäre es Zeit für eine Überprüfung der Maschinen. Ölstand, Abnutzungserscheinung.... oder du tust mir einen Gefallen und wirfst einen Blick auf die Wasserreinigungsanlage. Was darf es sein, werter Herr?"
Die Zeit mit den anderen verbringen? Wenn es eines gab, worauf er noch weniger Lust hatte, als hier irgendwelche Geräte zusammenzusetzen, die hinterher mit einem "Made in the Nation" Aufdruck in irgendeinem Discountladen auftauchen würden, dann war es "geselliges" Zusammensein mit den anderen Kerlen, die das fragwürdige Glück hatten, noch zu den Überlebenden hier unten zu gehören.
Dann doch lieber irgendwelche Maschinen warten. Auch wenn er davon nicht das Geringste verstand. Er hatte den Posten auf der Industriestation weder gewählt, weil er irgendwelche entsprechenden Fähigkeiten hatte (wie irgendeine andere Aufgabe, die man nicht von einem Bürostuhl aus allein mit dem Bewegen seiner Finger erledigen konnte), noch, weil er die Arbeit gar gemocht hätte (wie irgendeine Form von Arbeit), sondern einzig und allein, weil es unter den begrenzten Arbeiten hier unten diejenige war, bei der man am ehesten in Ruhe gelassen wurde, solange man wenigstens beschäftigt aussah.
Nunja, er konnte zumindest herumgehen und schauen, ob irgendetwas aussah, als würde es gleich auseinanderfallen, und eventuell die eine oder andere stotternde Apparatur mit einem Tritt wieder in die Spur bringen. Wenn Gefahr bestand, dass er es noch schlimmer machte, würde ihn KILA wohl schon rechtzeitig warnen. Auf diese Weise dürfte er zumindest weitgehend seine Ruhe haben, was hier unten schon für sich genommen ein kostbares Gut war.
Allerdings, fiel ihm plötzlich ein, wenn hier gerade in Mörder umging (also ein aktueller Mörder, allgemein hatten sie davon ja schon genug) war es aus gleich zweierlei Hinsicht wohl nicht die beste Idee, allein herumzustreunen. Zum einen konnte man spurlos "verschwinden", zum anderen konnte jemand auf die Idee kommen, dass man etwas zu verbergen hatte...
Nun, das erste Problem war wohl kein größeres, bisher waren die Morde immer nachts geschehen, wenn absolut niemand etwas mitbekommen hatte, und was das andere anging, würde KILA den anderen bestätigen können, wie aufopferungsvoll er sich für die Gemeinschaft eingesetzt hatte... Trotzdem wäre es vermutlich besser, wenn er zumindest den Nachmittag damit verbrachte, sich unter das "Volk" zu mischen und sich zu "sozialisieren" - vor seinem inneren Auge entstand das Bild einer Gazelle, die sich vor Hyänen zwischen einem Löwenrudel versteckt...
Fürs Erste würde er sich aber tatsächlich eine bis zwei Stunden um die Maschinen kümmern. Ob Tesafilm wohl gegen Rost half?
Kleine, schnelle Striche. Wenig Farbabgabe. Nicht zu viele kleine Details. Trotzdem musste das Motiv deutlich zu erkennen sein. Seine starken Hände huschten über das zerknüllte Stück Papier. Knack. Die Stiftmiene rutschte ein letztes mal über das Blatt, brach und rutschte über den gesamten Tisch bis sie mit einem fast unhörbaren Geräusch auf den Boden aufprallte. Robert ließ mit einem deutlich hörbaren Schnaufen langsam die Luft aus seiner Lunge entweichen. Eine Beruhigungstechnik die sich schon oft als nützlich erwiesen hatte. Er brauchte jemanden mit einem Messer oder einem anderen scharfen Gegenstand um seinen Stift wieder angespitzt zu bekommen.
Vorsichtig faltete er das Papier und schob es sich in die Brusttasche seines Hemdes. Ausgeblichene Blutflecken an den Ärmeln zeugten von seiner Anfangszeit in der Düsterburg.
Jeder Neuling hatte sich auf die eine oder andere Art und Weise behaupten müssen.
Der Aufenthaltsraum hatte sich nicht wirklich gefüllt. Vielleicht hatte er den Ansturm aber auch einfach ausgeblendet. Mit bedachten Schritten ging er auf den Ausgabebereich der Mensa zu. Das Küchenpersonal hatte neben den offensichtlichen Vorteilen auch Zugriff auf gewisse Werkzeuge die zum kochen unabdingbar waren. Vielleicht auch etwas, was man als Anspitzer nutzen konnte. Das Küchenteam hatte ihm schon öfter im Tausch gegen Zeichnungen, meist ihrer ehemaligen Geliebten, geholfen. Vielleicht ja auch heute.
Von seiner Position aus vernahm Robert leise Geräusche aus der Küche. Da er aber niemanden sehen konnte ging er ein Stück weiter zum Kücheneingang.
In dem Moment als er die Türklinke in die Hand genommen hatte wurde die Tür von innen geöffnet und er trat schnell einen Schritt zurück um dem jungen Mann,den er als Matt Foster kannte, Platz zu machen. "Mr. Foster." Ein nickte Matt mit einem schiefen, aber freundlichen Lächeln zu. "Sie sind genau die Person die ich gesucht habe."
Robert zog den abgenutzten Bleistift aus seiner Brusttasche und sah Matt fragend an.
Vielleicht ja auch heute.
Shit, er hatte für den Rest des Tages erstmal seinen Soll erfüllt. Big Boss der Küche würde Augen machen. Matt drückte gerade die Tür auf und stolperte fast in in diesen Typ in Anzugzwirn rein.
"Mr. Foster. Sie sind genau die Person die ich gesucht habe." "Mich? Dude, normalerweise...
Robert zog einen Bleistift aus den Tasche und hielt ihn Matt fragend unter die Nase.
"Yo, schicker Bleistift. Aber Autogramm ist mit dem kaputten Ding nicht."
"Ich hatte gehofft, dass Sie mir aushelfen könnten. Anspitzer gibt es hier ja keine. Aber in Ihrer Küche gibt es doch sicherlich ein Messer für solche Fälle."
"Shit man..."
Matt hob wedelnd die Arme. Die Küche war No-Go Area für Leute die nicht zum Küchenteam gehörten und die Messer darin waren sowas von Off-Limit.
"...ich bin da drin fertig und wenn ich ein Messer mitgehen lasse oder dir gebe, dann komme ich in... heh... Teufelsküche."
Andererseits... es würde eh noch ne Stunde oder so dauern bis Big Boss kommen würde um die Küche zu inspizieren.
"Sie bekommen Ihr Werkzeug auch schnell wieder zurück."
"Man... na gut..."
Matt schielte nochmal zurück in die Küche. Mit ein paar Schritten ging er noch einmal zurück in die Küche und stellte sich vor die große Kochinsel in der Mitte auf dem auch der Messerblock stand.
Matt an den Griff eines Messers und zog es hurtig aus dem Messerblock. So schnell wie er in die Küche kam, so schnell war er auch wieder weg.
Ohne große Worte presste er sich an Robert vorbei und schloss die Tür zur Küche hinter sich.
"Man. Hier haste dein Messer..."
Matt drückte ihm ein schmales Filetiermesser in die Hand und schaute kurz über seine Schulter in der Hoffnung, dass das gerade niemand mitbekam.
Empfehlung: Kontrolle der Heizanlagen, Kontrolle der Frischluftanlagen..."
Leroy hörte KILA kurz schnauben und leise kichern, aber dann fing sie sich wieder und sie verfiel zurück in ihren monotonen Singsang.
"ACHTUNG: Aufenthaltsbereich F von Luftversorgung getrennt. Kritischer Fehler!"
Eine kurze Pause entstand.
"Wäre aber ganz cool, wenn du daran bitte nicht herumschrauben könntest. Du weißt schon. Ist eure Lebensversicherung heute Nacht. Wenn du deine Hände beschäftigen willst, der Industrieleiter bunkert seine Werkzeuge ganz hinten unter seinem Schreibtisch im Bereich Lager. Die Heizanlagen sind ganz der in der Nähe davon. Da müsste auch ein PANEL mit einem Fehlercode sein. Wenn du mir den sagst, kann ich den der Bedienungsleitung nachschauen und dich durch die Reparatur leiten."
Die Stimme seufzte kurz.
"Und du könntest ruhig mit mir reden, es ist sonst echt schrecklich langweilig hier."
------- Matt blickte hektisch zu den Kameras an den Wänden und stellte sich mit seinem breiten Oberkörper geschickt vor den Sichtbereich der Kameras, um die Messerübergabe möglichst diskret ablaufen zu lassen. Aber auch nach wenigen Sekunden meldete sich keine empörte KILA - also hatte er entweder alles richtig gemacht, oder sie war gerade andersweitig beschäftigt.
Leona blieb auch nach KILAs Ansprache und dem damit verbundenen Aufwachen eine Weile im Bett, halb liegend, halb sitzend. Dabei hatte sie den Vorhang schon zur Seite gezogen, um in den Schlafraum der Frauen blicken zu können. Ein inzwischen jämmerlicher Anblick, waren doch - inklusive ihrer - nur noch vier Schlafkojen besetzt. Von hier ließ sich nicht wirklich erkennen, wer bereits aufgestanden war und wer es ihr gleich tat. Sie musste sich wohl oder übel erheben, auch wenn das mögliches Aufeinandertreffen mit anderen Insassen bedeutete. Diese vermied die ehemalige Floristin, die seit ihrer Ankunft hier ihren grünen Daumen in der Hydroponik unter Beweis stellte, für gewöhnlich. Denn auch wenn gerade ihr bewusst war, dass nicht jeder Insasse ein gefährlicher Psychopath sein musste, hielt sie sich doch gerne fern von anderen, so weit das eben möglich war. Je mehr Personen aber starben, desto weniger war es möglich, noch unter dem Radar zu fliegen.
Nicht mehr müde, aber doch erschöpft - das Schlafgas tat sicher sein Übriges - schob Leona auch das Gitter bei Seite, über das sie in der letzten Zeit noch glücklicher war als vor der Welle an Ermordungen. Die Leiter entlang kletterte sie zügig nach unten; kein einfacher Moment, musste man dem Rest des Raumes doch für einige Augenblicke den Rücken zukehren. Da dieser still lag, sollte es niemand schaffen können, sie in diesem geringen Zeitfenster überhaupt zu erreichen, doch die Düsterburg hatte die 21-Jährige paranoid gemacht.
Erleichterung verspürend gelang es ihr jedoch, den Raum zu durchqueren, ohne auf jemanden zu treffen. Draußen angekommen wollte sie eigentlich schnell in Richtung der sanitären Anlagen, die man - das war vielleicht der einzig positive Nebeneffekt der Tötungen - inzwischen auch mal für sich selbst hatte. Doch schließlich warf sie einen Blick in das ihrem Schlafraum gegenüberliegende Nachtabteil der männlichen Insassen Düsterburgs und lauschte. Auch dort schien die Ruhe entweder noch zu bestehen oder schon eingekehrt zu sein. Mindestens ein, zwei Personen hat sie den Raum sicher schon verlassen hören, seit sie durch KILAs Monolog wach geworden ist, doch ob sich auch jemand um den ehemaligen Anführer gekümmert hatte? Für gewöhnlich waren die Bewohner dieses unterirdischen Komplexes nicht dafür bekannt, Anweisungen zu folgen. Und selbst, wenn sie sich nach den paar Wochen hier noch immer nicht als Teil dieser Gesellschaft war, behagte es ihr doch nicht, zu ignorieren, was der einzige Kontakt zur Außenwelt verlangte. Und noch weniger behagte es ihr, einen Toten inmitten gewöhnlich Schlafender in seiner kleinen Todesstätte liegen zu lassen.
So betrat die junge Frau den Schlafsaal der Männer, nicht ohne von der gewohnten Spur Unsicherheit begleitet zu werden. Ihre Ohren hatten sie aber nicht belogen: Sämtliche Gefangenen hier hatten diesen Teil der Düsterburg entweder schon verlassen oder befanden sich noch in ihren Kabinen. Und auch, wenn sie aus ein, zwei eben dieser Kabinen Bewegungen wahr nahm, fühlte sie sich doch mutig genug, um sich der 56 zu nähern, aus der ohne Weiteres sicher keine Bewegungen mehr zu sehen sein würden.
Nachdem Leona die Leitern empor gestiegen war, besah sie sich das etwas bleich gewordene Gesicht des Ermordeten, der darüber hinaus - hätte sie es nicht besser gewusst - nur friedlich zu schlafen schien. Ein mulmiges Gefühl überkam sie. Inzwischen hatte sie sich an den Anblick Toter gewöhnt, doch etwas anderes sorgte für mehr als nur ein Grummeln in ihrem Magen. Wie sie so halb über ihn gebeugt auf einer mittleren Sprosse der Leiter stand und in sein aschfahles Antlitz sah... es brachte Erinnerungen zurück, die sie nur zu gern unter Verschluss hielt, auch wenn ihr Aufenthalt in diesem Gefängniskomplex allein Erinnerung genug war.
Die Pflanzenexpertin zog die Decke an seinem Leib hinab. Vielleicht war ja irgendetwas ungewöhnlich an der Art wie er gestorben war? Leona hoffte nicht wirklich, etwas zu finden, doch es kam ihr wie eine Pflicht vor, ihn zumindest rudimentär zu untersuchen, seinen Tod nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, auch wenn es doch schwierig war, nicht langsam abzustumpfen. Definitiv würde sie aber Unterstützung brauchen, wenn sie seine Leiche gleich bestatten wollen würde. Die Müllverbrennungsanlage klang zu diesem Zweck reichlich unromantisch, doch es war das, was man ihnen anbot. Und das, was einer vernünftigen Leichenbehandlung am nächsten kam.
Es war einiges an Überwindung erforderlich, um das Wort an den vermeintlich leeren Raum zu richten. Abseits ihres Arbeitsbereiches sprach sie nicht viel und selbst dort nur, wenn es unvermeidbar wurde. Doch für unvermeidbar hielt Leona das Reden auch in dieser Situation.
"Kann mir... jemand helfen? Ich möchte ihn zur... Verbrennungsanlage bringen."
"Aber du schuldest mir was, klar?"
"Alles was in meiner Macht steht, Mr. Foster."
Robert betrachtete das Messer in seiner Hand. Die Klinge war feingliedrig und schien scharf zu sein.
"Wenn Sie einen Moment warten würden." Er legte das Messer mit der untersten Kante der Klinge an den Bleistift an um die Miene zu spitzen.
Matt stand währenddessen ein wenig unschlüssig da. Sein Blick huschte abwechselnd den Flur in Richtung Hydroponik und Aufenthaltsbereich entlang.
Robert ließ sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen. Ein letzter Schnitt und er war mit seinem Werk zufrieden.
Er strich die Klinge an seinem Ärmel ab und hielt Matt das Messer mit dem Griff zu erst entgegen.
"Haben Sie schon eine Idee, was für einen Gefallen ich Ihnen schuldig bin?"
"Aber natürlich meine Liebste, alles, was du willst..." murmelte Leroy vor sich hin. Eine KI die schmollte, weil man nicht mit ihr redete... Im Moment hätte Leroy lieber ein paar Takte mit dem Programmierer der neuen "verbesserten" KILA gesprochen.
Immerhin versuchte sie trotzdem noch hilfreich zu sein. Seufzend ging er zum Schreibtisch in der Ecke und suchte etwas herum, bis er einen Werkzeuggürtel gefunden hatte. Der Versuch ihn anzulegen endete prompt damit, dass er ihm bis in die Kniekehlen gerunterrutschte, obwohl er bereits das engste Loch verwendet hatte. Typisch. Also legte er den Gürtel stattdessen griffbereit auf den Schreibtisch und begab sich zu dem angesprochenen Panel.
"Also KILA, weil ich mir ganz sicher bin, dass die Fehlermeldung nicht direkt zu dir übermittelt wurde, und weil du es im Zweifelsfall auch bestimmt nicht einfach mit einer Kamera kontrollieren könntest, der Fehlercode lautet..." Und damit las er ihr den Code von dem Panel vor. Und, um die körperlose Stimme nicht vollends zu verärgern (inzwischen hielt er sogar das nicht mehr für ausgeschlossen) setzte er noch nach: "Danke für deine Hilfe. Aber die Erklärung bitte ganz langsam, ich kenn mich mit sowas bisher überhaupt nicht aus."
"Ich bin ein verficktes Genie! Okay, also, wenn ich alles richtig gemacht habe, und das habe ich, dann sollte der Aufenthaltsbereich heute Nacht für euch sicher sein. Ich habe den Raum so verriegelt"
Sehr dumpf drang die Stimme von KILA an Boyles Ohren. Er schlief hin und wieder mit der lausigen Entschuldigung eines Kopfkissens über dem Kopf, um genau von solchen Dingen möglichst nicht geweckt zu werden.
Ich meine, gut, ihr müsst euch selber heute Nacht um eine Wache kümmern.
Boyle riss sein Kissen vom Kopf. KILA hatte offenbar viel zu sagen und es schien unmöglich, noch einmal Schlaf zu finden. Dabei hatte er diesen Tag als seinen "faulen Tag" auserkoren. Gut, eigentlich war momentan so gut wie jeder Tag sein fauler Tag, aber Morgens war er trotzdem immer zeitig aufgestanden. Leichen hatten die angenehme Eigenart, Besitztümer zu haben, um die sich niemand mehr scherte. Wenn man der Erste am Schauplatz war. Aber seit sie nur noch so wenige waren, brachte das Tauschgeschäft auch nicht mehr viel, und genau deshalb hatten die Leute auch kaum etwas, was man ihnen abnehmen konnte - tot oder lebendig - weshalb er heute eigentlich endlich mal ausschlafen hatte wollen.
So wie heute. Wie ihr sicher schon gesehen habt, hat es unseren geliebten Anführer getroffen. Genau drei Tage war er im Amt, bevor...
Nun wurde Boyle doch hellhörig. Klar, der Kerl war nur extrem kurz im Amt gewesen, aber es gab immer noch die wildesten Gerüchte um Besitztümer von El Leone, die sie nie gefunden hatten. Okay, die Gerüchte stammten von Lionel selbst, weil er sich einfach nicht vorstellen konnte, dass das, was da abgefallen war, schon alles gewesen war. Und irgendwie hatte er schon immer gedacht, dass - wenn überhaupt jemand - die Nachfolger am ehesten etwas darüber gewusst haben könnten. Ja, traurig, dass man innerhalb von Wochen schon von mehr als einem sprechen musste. Und es hatte immer genug Trara um deren Tod gegeben, dass es unmöglich gewesen war, sich da genauer zu informieren oder gar umzusehen. Aber diesmal war der Kerl nach so kurzer Zeit gestorben und nach so vielen Leuten, die schon ins Gras gebissen hatten, interessierte sich keiner mehr zu sehr dafür. Vermutlich. Einen Versuch war es vielleicht wert. Auch wenn die Chance, etwas zu finden natürlich dadurch geringer war, dass der Idiot wirklich mit ihnen im Schlafsaal genächtigt hatte. Aber egal, wenn man schon mal wach war, konnte man sich auch die Zeit vertreiben.
"...Und so. KILA out."
KILA hielt endlich die Klappe und Boyle zog den Vorhang vor seiner Koje etwas zur Seite. Hatte er Schritte gehört? Ja, ganz klar, eine zierliche Gestalt bewegte sich durch den Raum. Moment mal... schritt sie wirklich auf G2-56 zu? Waren die Schaulustigen echt schon so früh auf den Beinen?
Naja, wer zu spät kommt, den bestraft... und so weiter. Wäre am Ende wohl sowieso nur Zeitverschwendung gewesen. "Kann mir... jemand helfen? Ich möchte ihn zur... Verbrennungsanlage bringen."
War das nun besonders korrekt oder eher merkwürdig übereilt? Jetzt war das Interesse doch erst mal wieder da.
Langsam bewegte Boyle sich aus seiner Koje und schlenderte auf das Mädchen - man konnte das junge Ding wirklich nicht anders bezeichnen - zu, das gerade irgendwo herumfummeln zu schien. Oh Mann.
"Hältst du das für eine gute Idee, Kleine? Ich meine, sollte sich nicht jemand erst umsehen... also, ist ja quasi ein Tatort."
Selbst in seinen Ohren klang das wirklich ziemlich merkwürdig, aber es erschien ihm auch zu umständlich und den Aufwand nicht wert, das irgendwie noch umzuformulieren oder sich zu erklären.
"Ich seh ihn mir gerade an.", war schließlich die Antwort und ihn beschlich das Gefühl, dass das Mädchen eher widerwillig mit ihm sprach. Es klang nicht unfreundlich oder genervt, aber irgendwie einfach... keine Ahnung. Ob das nun an ihm, seiner Aussage oder dem toten Adoniskörper da drinnen lag, den sie gerade abtatschte, war schwer auszumachen.
"Und, was gefunden?", fragte Boyle schulterzuckend.
Leona war vielleicht etwas zu vorsichtig, doch sie wollte bloß nichts falsch machen. Die Frage des Mannes, der nun zu ihr gekommen war, verunsicherte sie in der Hinsicht noch mehr. Auf der anderen Seite hatte KILA nun mal gesagt, dass sie ihn weg schaffen und einen Anführer wählen sollten. Und da sie niemanden hier gut genug kannte, um Letzteres mit gutem Gewissen tun zu können, versuchte sie sich an der Sache, zu der sie sich wenigstens halbwegs in der Lage gesehen hatte.
Sie war alles andere als perfekt dafür geeignet, doch eben die erste vor Ort. Und die Wahrscheinlichkeit, dass sich unter den anderen noch jemand befand, der sich in der Leichenbeschau auskannte, hielt Leona nicht für riesig. Da sie sich beim besten Willen nicht daran erinnern konnte, auf welche Art und Weise es die letzten Opfer erwischt hatte - vielleicht sollte sie doch anfangen, sich mehr am Geschehen hier zu beteiligen - sah sie sich nach Hinweisen darauf um, wie er überhaupt ermordet worden war: Blut, Wunden und andere Zeichen von Gewalteinwirkung an seinem Körper. Oder zumindest an den Stellen, die sie bislang von ihm sehen konnte. Die 21-Jährige hatte sich sicher nicht vorgenommen, ihn ohne Weiteres komplett zu entkleiden.
Sie konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, von der Art und Weise des Todes der anderen Opfer gehört zu haben. Vielleicht sollte sie doch anfangen, sich mehr am Geschehen hier zu beteiligen...
"Ich weiß nicht", antwortete die Floristin dem Kerl zwischenzeitlich. Er konnte vielleicht nicht mal etwas dafür, dass sie ihm gegenüber ein schlechtes Gefühl hatte. Immerhin traf das auf beinahe jeden hier zu. Und er war auf ihr Rufen eingegangen. "Können Sie mir vielleicht dabei helfen, ihn... raus zu heben? Außerhalb der Koje ist es vielleicht einfacher, ihn zu untersuchen. Und hier bleiben soll er ja sowieso nicht." Bei diesen Worten hielt sie den Kopf aus der etwas miefenden Schlafkammer heraus und blickte den Mann an. Dabei gab sie sich Mühe, ihre Angst, die Unsicherheit und das Misstrauen zu verbergen.
Auf dem Weg zum Speisesaal sah er einige Mitinsassen. Er sah Leona an, deren Worte er gehört hatte.
"Ich könnte seine Leiche ...untersuchen. Vielleicht kann ich daraus Wissen ziehen? Kann ja nie schaden."
Dann lachte er.
Ganz schön feige, KILA! Wenn du nur einen Funken Mumm hättest, wärst du hier bei uns unten. Aber so? Wer garantiert uns, dass du nicht diejenige bist, die uns umbringt? Dein Fernbleiben ist schon fast ein Geständnis!
Erie war eindeutig schon viel zu lange in diesem Knast, um noch irgendetwas komisch zu finden.
Dass sich die Stimme der treuen Begleiterin KILA geändert hatte, war wahrscheinlich - so wie alle Dinge dieser Welt - dem Zahn der Zeit geschuldet, spürte sie es doch auch immer wieder in den alten Knochen, wenn sie morgens aufstand.
Zudem sie nun wirklich nichts hatte, was da draußen auf sie warten würde, hatte sie immerhin mehrfach lebenslänglich bekommen und entsprechend wusste sie sich bereits tot und hier unten begraben.
Also konnte sie auch aus der Not eine Tugend machen und hier unten, wo man sie wenigstens ob ihrer Kochkünste mehrheitlich respektierte, einen guten und angenehmen Lebensabend verbringen.
Also tat sie das, was sie jeden Morgen machte, nachdem sie aufgestanden war: Den Hydroponikgarten prüfen, ihre geliebten Pflanzen, Kräuter und Stauden pflegen und mit UV-Licht bestrahlen und anschließend bei ihrer kleinen Pilzfarm und dem Kompost nach dem Rechten sehen.
Danach schlurfte sie mit der respektablen Ausbeute des Morgens Richtung Küche los, um dort die Proteinpaste zusammen mit dem frischen Gemüse und ein paar Kräutern in etwas Schmackhaftes für die Bewohner des kleinen Reiches zu zaubern.
Bei dieser Gelegenheit würde sie prüfen, was vom Vortag Verwertbares übrig geblieben war und ob die neueste Versuchsreihe ihrer Pilze "Trumpesque Dior IV" einigermaßen zum Verzehr geeignet war.
Geändert von Daen vom Clan (20.02.2017 um 21:10 Uhr)
Mit zerzaustem nassem Haar, aber dafür nun vollständig bekleidet und hellwach, betritt Theo schwungvoll die Mensa.
"Guten Morgen zusam- hier is' ja gar keiner?"
Gut, Theo ist früh dran für jemanden, der keinem aktiven Job mehr nachging und auch sonst nicht so wirklich was zu tun hat, aber so früh...
"Mh. Schätze, wo jetzt selbst die ganz frühen Vögel letztens auf dem Grill (lies: in der Müllverbrennungsanlage) gelandet sind, darf man hier wohl kein Publikum mehr erwarten."
Früher war die Mensa morgens der Ort gewesen, andem man sich zum gemeinsamen Frühstück traf, die neuesten Geschichten austauschte, Pläne schmiedete und sich gemeinsam auf den neuen Tag freute. Also, zumindest tat Theo dies, und ging rund 90% seiner morgenmuffeligen Mitinsassen damit fürchterlich auf den Zeiger. Optimismus - in Maßen!- war auch in der Düsterburg durchaus dann und wann geschätzt, allerdings nicht zu dieser Uhrzeit.
In Anbetracht der allgemeinen Abwesen- bzw. Verstorbenheit begibt der der junge Mann sich zur Essensausgabe, schnappt sich ein Tablett, und stellt fest, dass auch heute scheinbar wieder Selbstbedienung angesagt ist. Ein paar abgepackte Scheiben Graubrot und eine offene Tube Astronautenpaste laden zum Frühstück ein - die Standardkost also. Scheint, als sei Mademoiselle Eerie noch voll im Gange.
"Ich wünschte ja echt, sie würde das Zeug wenigstens in unterschiedlichen Geschmacksrichtungen anbieten. Kreuter oder Paprika wär' doch mal was.
Ah shit, die ist ja offen - ist bestimmt eingetrocknet... Ah, nee, doch nicht. Puh!"
Merke #1: Möchtest du je jemanden festsetzen, schmier ihn, einfach mit Proteinpaste am Boden fest, das Zeug versteinert schneller als man bis drei Zählen kann. Also, diese hier jedenfalls. Nicht zugedrehte Zahnpasta nervt dich? Komm mal in die Düsterburg.
Umgekehrt heißt das allerdings, dass jemand die Tube erst kürzlich benutzt haben muss, denn sonst könnte Theo mit dem Teil jetzt Hammer und Meißel suchen gehen. Jemand von der Industrie vielleicht?
Kauend und mit einem dick bestrichenem Proteinbrot bewaffnet beschließt Theo, mal Richtung Küche zu schauen. Auf dem Weg dahin sieht er bereits aus der Ferne Matt.
"Ah, hohem Moahem~!" (Das Stück Brot, das ihm dabei aus dem Mund fällt, fängt er geschickt auf und schiebt dahin zurück, wo es hergekommen ist.)
Als Matt sich verdutzt umdreht und, beim Anblick von Theos halb zerkauten Frühstücks, leicht angewidert schaut, sieht Theo den anderen Mann im Gang und schluckt fix seinen Bissen hinunter. Offenbar waren die zwei gerade ins Gespräch vertieft gewesen.
"Hr-hrm! Ah, äh, sorry. Gar nicht gesehen. Morgen."
Merke #2: Man muss es ja nicht drauf anlegen, es sich mit Leuten zu verscherzen - zumindest nicht denen, die aussehen, als könnten sie mit Hannibal Lector verwandt sein. Theo ist bestimmt weit davon entfernt, die umsichtigste Person hier unten zu sein, aber nach ein paar beinahe-Zusammenstößen zu Beginn seiner Haftzeit hatte er gelernt, dass es sich lohnt, bei manchen... Individuen eine Spur kürzer zu treten.
"Dachte, ich schau mal, was in der Küche so los ist. Big Boss Eerie schon da?"
"Denke schon. Die müsste jetzt eigentlich gerade mit ihrer Gartentour durch sein. Wat willste denn, dude?"
"Nur mal gucken, ob ich ne Möhre oder so abstauben kann. So als kleines Extra zur Astronautennahrung. Ich versuch mein Glück einfach mal!"
Schon im Begriff, die Tür Richtung Küche anzusteuern und eine Brothälfte zum Abschiedsgruß erhoben, fällt Theo dann doch noch was ein.
"Danke für deine Hilfe. Aber die Erklärung bitte ganz langsam, ich kenn mich mit sowas bisher überhaupt nicht aus."
Während Leroy sich in Position begab, hörte er, wie ein paar Blätter raschelten.
"Code 424...424... hier. Durchgeschmorter Kontakt. Anscheinend ist die ungleichmäßige Stromerzeugung durch den St... die ungleichmäßige Stromversorgung das Problem."
KILA räusperte sich kurz, und Leroy fiel auf, dass sie da wohl gerade aus Versehen etwas zu viel geplappert hätte.
"Wenn zu viel Strom produziert wird, kann der nicht effektiv gespeichert werden und bleibt im System. Normalerweise wurde der Strom für einen Tag dann im Laufe der Nacht wegverbraucht, aber da hier nur noch so wenige Bewohner leben, hat er anscheinend ein paar Kabel durchgeschmurgelt. Okay. Leroy, kannst du Löten?"
"Ich kanns versuchen"
"Ugh, dann lieber nicht, ich will nicht, dass du stirbst, weil du es versucht hast und dann bin ich Schuld. Warte, wir könnten den Strom auch umleiten, weniger Belastung aufs System bringen... Dazu müsstest du nur die Stromerzeugung einmal kurz ausschalten, einen Kontakt überbrücken und fertig. "
Leroy hörte wieder wildes Blätterrascheln aus den Lautsprechern.
"Alles klar, der Strom-Hauptschalter ist an der rechten Seite des Panels, gelabelt mit "Main Energy". Sobald du den runtergefahren hast, funktionieren gleich nur noch die Not-Stromsysteme, es könnte also etwas dunkler werden. Danach schraubst du das Panel mit dem Fehlercode ab und schaltest dahinter der Sicherungen für den Bereich B-32 bis B-56 aus. Das müsste eigentlich reichen. Dann kommt das Panel wieder drauf, und du kannst den Strom wieder anschalten. Das müsste es eigentlich tun."
"Wolltest du mich nicht in aller Ruhe durch das Prozedere führen?"
"Schon, aber wenn du diesem Areal den Strom abdrehst, drehst du auch mit den Saft ab. Ich kann dann vorerst nicht mit dir hier kommunizieren, während die Stromversorgung getrennt ist. Also, wenn du dich selbst grillen solltest....wenn du dich in 10 Minuten nicht weider gemeldet hast, schicke ich einen der anderen, um nach dir zu schauen! Viel Erfolg!"
Und mit einem Klicken war KILA verschwunden.
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Etwas unschlüssig stand Leona vor dem Toten, mittlerweile flankiert von den beide, älteren Herren, die sie jeweils locker überragten. Die beiden Männer hatten ihr geholfen, den Mann aus seiner Koje zu hieven und hatten ihn auf den kalten Fliesenboden abgelegt. Langsam und vorsichtig machte sie sich daran, den Körper des Toten zu untersuchen.Sie zog seine Lider auseinander und erschauderte beim Anblick der leeren, toten, braunen Augen des ehemaligen, sehr kurzfristigen Anführers. Nichts. Auch am Hals oder an den Ohren konnte sie keine Hinweise auf Gewalt entdecken. es war so wie immer - der Tote sah aus, als wäre er einfach eingeschlafen und nicht wieder erwacht.
"Wenn ich jemanden umbringen wollen würde... vielleicht etwas injektieren? In die Halsschlagader, vielleicht."
Pflichtbewusst tastete Leona auch hier alles ab. Die ehemalige Floristin hatte nicht allzuviel medizinisches Wissen, wusste aber, dass ein Einstich Spuren hinterlassen musste - ein Bluterguss vielleicht, oder wenigstens eine Einstichstelle. Aber am Hals war nichts zu finden, und das, obwohl sie wirklich gründlich suchte.
"Nichts."
Die anderen Toten hatten ebenfalls keine Anzeichen von äußerlicher Einwirkung gezeigt. Die Bewohner der Düsterburg hatten mittlerweile fast alles versucht, um einander im Augen zu behalten, auch nachts. Aber es war immer dasselbe - das Schlafgas kam, und nachdem sie am Morgen alle wieder erwachten, war einer von ihnen tot. Leona bettete den Kopf des ehemaligen Anführers wieder auf den Fliesenboden und wollte sich gerade an seiner Schulter bastützen, um aufzustehen, als ihr Blick auf seine Hand fiel.
Der Ringfinger seiner linken Hand. Er war blutunterlaufen und völlig dunkelblau.
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Als Erie die Küche wieder betrat, fiel ihr sofort der Haufen an geschältem Sellerie, den Kartoffeln und den Karotten auf. Matt war anscheinend fleißig gewesen. Sie grinste ob ihrem arbeitssamen Assistenten und wuchtete die Leckereien aus der Hydroponik auch eine der blank polierten Arbeitsflächen. Wenn es schon nichts zu tun gab, so gab es doch immer noch ein paar Insassen, die sich mit Putzen die Zeit vertrieben.
In einem der Töpfe schwamm noch ein wenig Suppe von gestern, vielleicht genug für eine Portion. Erie als Kopf hinter den Überresten des Küchenteams hatte ein gutes Empfinden für Mengen - auch, wenn es eine Schande war, dass in der Hydroponik so viele kerngesunde Pflanzen standen, die eigentlich schon seit langem reif für die Ernte waren, aber es niemanden mehr gab, der sie essen konnte. Trotzdem bestand KILA darauf, die enorm große Station weiterhin in ihrer Größe beizubehalten.
Als nächsten standen die knolligen, knallorangenen Trumpesque Dior IV auf dem Speiseplan. Erie brach ein kleines Stück von dem Pilz ab, schnupperte daran, rieb mit dem Daumen über die Oberfläche - ein vielversprechendes Exemplar. Als nächstes nahm sie kurz einen Bissen von einer kleinen Ecke - und verzog sofort das Gesicht. Der Pilz wäre wohl gut, wenn er noch zwei Tage reifen dürfte.
Die Frage der Kleinen klang wieder so seltsam. Vielleicht war distanziert das richtige Wort? Das traf es auch nicht exakt. Richtig festmachen konnte Boyle es nicht, aber er beschloss, daran keine weiteren Gedanken zu verschwenden und nickte einfach. Viel eher war das eigentlich die beste Möglichkeit, sich doch noch ein bisschen umzusehen. Dann ertönte allerdings eine Stimme, zu der er unter normalen Umständen gerne mal Abstand hielt.
"Ich könnte seine Leiche ...untersuchen. Vielleicht kann ich daraus Wissen ziehen? Kann ja nie schaden."
Kurz blickte Boyle zu dem Mädchen - denTypen fand sie bestimmt nicht besonders angenehm. Also, noch unangenehmer als ihn oder den Toten oder was auch immer.
Ganz schön feige, KILA! Wenn du nur einen Funken Mumm hättest, wärst du hier bei uns unten. Aber so? Wer garantiert uns, dass du nicht diejenige bist, die uns umbringt? Dein Fernbleiben ist schon fast ein Geständnis!
Jetzt kamen auch noch ausgemacht Fantastereien dazu. Vielleicht war das aber gar nicht so schlecht für den Moment
So hievten sie den Toten schließlich aus der Koje und Boyle hatte irgendwie das ungute Gefühl, die stierenden Augen von Dr. Tod, dessen entzückender Name sich natürlich herumgesprochen hatte, vorfreudig glänzen zu sehen. Das war schon gleich ein zweiter, guter Grund, sich kurz zu entfernen, obwohl es gleich zur Verbrennungsanlage gehen sollte.
"Wenn ich jemanden umbringen wollen würde... vielleicht etwas injektieren? In die Halsschlagader, vielleicht."
Boyle nutzte die Gunst der Stunde und kletterte wie selbstverständlich zurück über die Leiter zum miefenden Schlafgemach des Verstorbenen.
"Nichts.", hörte er noch, aber das Untersuchen der Leiche und die reine Anwesenheit von Tod höchstselbst waren vermutlich Grund genug für das Mädchen, auf für sie unangenehme Art und Weise abgelenkt zu sein. Und der Doktor selbst hatte sowieso nur Augen für den Toten. Außerdem würde er sicher nicht lange brauchen.
Obwohl der Verstorbene nicht der interessanteste Mann gewesen war, gab es hier vielleicht ja trotzdem etwas zu entdecken. Hoffentlich mehr als Fotos, die bei irgendeinem der letzten Toten das einzige waren, was noch übrig war. Wer nahm allen Ernstes als die drei persönlichen Sachen von draußen nur unnütze Fotos mit?
Boyle begann also die Koje des Toten mit seinen Fingern abzutasten und zu sehen, ob irgendwo etwas versteckt war. Unter dem Kissen oder in einer Ritze am Rand oder ähnlichen, schlüpfrigen Gebieten.