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Deus
Genau, der Autor beschränkt sich auf die für die Handlung relevanten Eigenschaften oder anders ausgedrückt: Der Autor lässt die Figuren nur das sagen und tun, was das Publikum (im Idealfall) unterhält. Natürlich kann eigentlich noch viel mehr hinter den Charakteren stecken, es wird nur nicht gezeigt, da hast du recht. Auch damit, dass wir von echten Menschen, selbst wenn wir viel mit ihnen zu tun haben, nur sehr wenig wissen. Aber wir kennen uns selbst und wissen, wie viel Gedanken wir an das Banale verschwenden und wie widersprüchlich selbst die Eigenarten sind, die uns eigentlich ausmachen. Egal um welche Situation es sich handelt, Liebe, ein einschneidendes Ereignis, etwas Furchteinflößendes oder der Kampf gegen den Bösewicht, der gerade die Welt vernichten will - wir würden wohl anders denken und paradoxer handeln als die Figuren aus der Fiktion. Chaotischer, weniger geradlinig, ich kann das nicht so gut in Worte fassen, was ich eigentlich meine. Ich finds aber auch nicht schlimm, dass Figuren (mMn) nur selten lebensecht sind. Sie müssen so sein, weil sie dadurch zugänglicher sind.
Ein Beispiel, das mir gerade einfällt, ist Javert aus Les Miserables (natürlich keine besonders zeitgenössische Unterhaltungsliteratur), der in seiner Rechtschaffenheit so kristallklar ist, wie es wohl kein echter Fanatiker je sein würde. Auch wenn jemand fanatisch an etwas glaubt, wird er gegen seine eigenen Ideale verstoßen, heuchlerisch sein, paradox handeln, wie es Menschen eben tun, und für sein Abweichen Ausreden finden. Javert aber kann sich das nicht verzeihen.
Aber das nur am Rande. Meine Motivation, dieses Thema überhaupt aufzugreifen, ist ja dieselbe wie immer, keine Kritik an der fehlenden Lebensechtheit der Figuren (das ist so in Ordnung, wie es ist), sondern an dem Gedanken, die Realität nachzuahmen. Dieser Gedanke hat - das kann natürlich nur mein Eindruck sein - der Makercommunity eher geschadet. Schon früher wurde den Entwicklern gesagt, sie sollen sich an der Realität orientieren. "Die Charaktere müssen tiefgründig sein" - viele Geschichten unterhalten sehr gut, gerade weil die Figuren einfach gehalten sind. "Was hättest du anstelle der Figur getan?" - dabei sind die Charaktere doch in der Regel keine self inserts. "Figurn müssen logisch handeln" - obwohl die wenigsten Vulkanier sind. Menschen werden von Emotionen geleitet. Figuren können ohne weiteres unglaubwürdig sein: Der rechtschaffene Held, der seinem Gegenspieler selbst dann noch hilft, wenn der gerade mit dem Schwert in seinem Rücken steckt, ist so eine. Solche Figuren sind beliebt (ich selbst mag sie übrigens nicht), neutral betrachtet spricht nichts gegen sie. Solche Charaktere dürfen dann aber innerhalb der Geschichte auf Basis dieser unglaubwürdigen Persönlichkeit nicht unglaubwürdig handeln, sprich sie dürfen nur mit guter Begründung etwas tun, was ihrer absurden Einstellung widerspricht. Das ist für mich die wahre Glaubwürdigkeit: Charakterkonsistenz.
Wobei dein letzter Satz eigentlich alles, was ich sagte, gut zusammenfasst. So seh ich das nämlich auch. Bloß nicht in ein Kleidungsstück zwängen lassen, das einem gar nicht passt.
Geändert von Kelven (30.06.2016 um 16:02 Uhr)
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