Ich meine, das hängt ab von der Perspektive. Viele gute Figuren kommen mir lebensecht vor, eben weil sich ihr Autor auf für die Handlung relevante Eigenschaften verständigt hat. Das bedeutet nicht, dass nicht mehr hinter ihnen steckt. Menschen, die wir treffen, erfassen wir genauso wenig in all ihrer Komplexität. Deshalb zeigen wir uns oft überrascht, wenn wir jemanden "genauer" kennenlernen und "genauer" bedeutet meistens, wir lernen denjenigen in einer ungewohnten Situation kennen. Den Arbeitskollegen auf der Gartenparty, das eigene Kind im Sportverein, den Pfarrer in der Kneipe.Zitat von Kelven
Figuren werden ebenso komplex, indem sie verschiedenste Situationen erleben (tun nicht viele). In handlungsarmer, hoher Literatur, wo es um Reflexion, braucht es hingegen nur den Reflexionsgegenstand, der dann oft intensiver betrachtet wird, als ein Mensch das jemals täte. Da zeigt sich die Komplexität nicht in der Breite, sondern anhand eines Sachverhalts. Aber beides würde ich komplex nennen.
Wie kann man das für ein Spiel nutzen? Nun, gerade RPGs werfen Spielfiguren in viele Situationen. Die unterscheiden sich selten fundamental - neue Stadt, neues Dungeon, neuer Feind/Freund -, aber bieten immer Aufhänger, eine Figur greifbarer zu machen. Durch Wort und Tat. Eine bestimmte Idee muss man ja im Kopf haben. Angenommen, man erzählt die typische Geschichte vom auserwählten Helden, der das uralte Böse besiegen soll. Angenommen, der Held ist ein tierischer Angsthase (höhö) - das ist die Idee. Ein ängstlicher Held, der durch ein dummes Schicksal die Welt retten soll. Was will ich damit erzählen? Einsatz Prämisse. Die könnte so aussehen:
"Ein ängstlicher Junge stellt fest, dass man über seinen Schatten springen muss, um das Richtige zu tun. Selbst wenn es das eigene Glück gefährdet."
Das ist abstrakt, aber ein Anhaltspunkt. Damit lässt sich fortfahren. Was ich ganz gerne mache: Ich interviewe meine Figuren. Macht Spaß und ist aufschlussreich. Die Fragen müssen rein gar nichts mit der Handlung zu tun haben, sie müssen nur den Charakter der Figur herauskristallisieren.
Beispiel:
Q: "Hi Fürchti, wie geht es dir?"
A: "Etwas nervös."
Q: "Warum? Hier passiert dir doch nichts."
A: "Das weiß man nie und außerdem: ich wurde noch nie interviewt."
Q: "Mach dir keine Sorgen, das wird Spaß machen."
A: "Na gut."
Q: "Banale Frage zum Einstieg: Was ist deine Lieblingsfarbe?"
A: "Hm, ich mag blau. Beruhigt mich so. Erinnert mich irgendwie ans Meer und an die Schlafen, die mir meine Mutter immer vorgesungen hat."
...
Ich denke, das Prinzip sollte klar sein.
Einfach so frei wie möglich arbeiten und sich nicht selbst in ein Korsett zwängen. Dann klappts.