So ausgiebig wie in dieser Nacht hatte Brittney sicherlich schon länger nicht mehr geschlafen.

Das Essen am Vorabend war nicht sonderlich gut gewesen. Natürlich lag das daran, dass der Fokus - wie Sarah sagte - auf dem Fleisch lag und die Idealistin sich mit den Beilagen begnügen musste. Doch sie war daran gewöhnt, dass man sich nun mal nicht überall auf ihre kulinarischen Eigenheiten einstellte. Die Welt war von Faschismus geprägt. Da bildete auch eine einsame Frau auf einer Hinterwäldler-Insel keine Ausnahme. Doch es nährte sie und ließ sie damit auch besser schlafen. Wieder blieb sie von Träumen verschont. Das war vielleicht auch besser so. Wenn sie gerade schon in einem Albtraum gefangen war und ihr ganzes Leben daraus bestand, frei nach Martin Luther King Junior einen Traum zu haben, musste sie nicht noch die erholsamste Zeit des Tages oder der Nacht damit verschwenden, sich Fantastischem hin zu geben.

Eine der ersten Sachen, die die 19-Jährige beschäftigten, war nach dem Prozess des Aufwachens dann doch wieder das Essen. Oder vielmehr das, was zum Essen führen sollte. Sie hatte mehrfach gehört - an der Tafel wurde gestern darüber gesprochen -, dass man heute auf Jagd gehen wollen würde. Das war auf der einen Seite nur fair und verständlich, musste man Sarah doch das zurückgeben, was sie für die Gruppe geopfert hatte. Aber Brix wäre nicht Brix, wenn sie gegen eine Jagd nicht etwas hätte.

So verließ die Bassistin ihren Schlafplatz und klopfte an die Zimmertür der vermeintlich letzten Bewohnerin des kleinen Dorfes. Keine Reaktion. Draußen war sie dann jedoch aufzufinden.

"Ey, Sarah!" Sie sollte sich dieses 'Ey' abgewöhnen. Leute reagierten oft nicht besonders freudig darauf. Das war okay, solange sie nicht etwas von ihnen wollte. Doch immerhin drehte sich die Überlebende zu der jungen Frau um, dessen blaue Strähnen langsam aber sicher drohten, an Farbe zu verlieren. Sie hatte sich jedoch vergewissert, dass das Schwarz noch kräftig genug war und man das Blond am Ansatz nicht sah.

"Es ist noch keiner jagen gegangen, oder?", wollte sie wissen. Ärgerlich, wenn sie bereits zu spät wäre. Doch Sarah erleichterte sie mit einem "Nein. Aber es wird so langsam Zeit dafür."

Brittney nickte fast brav in Zustimmung, hatte sie doch noch einen Einwand. "Ich würde ja los gehen und ein paar Leuten in den Arsch treten, aber nach gestern dürfte es keine Überraschung mehr sein, dass ich... das Töten von Tieren nicht so geil finde." Sie holte nicht zu lange Luft, um Sarahs wahrscheinlich schnell aufkeimenden Einwände früh zu unterbrechen. "Ich weiß, dass ihr glaubt, dass das nötig wäre und ich will jetzt echt keine Grundsatzdiskussion oder so. Aber wenn wir uns darauf einigen könnten, dass wir eben nicht jagen und Tiere töten, sondern uns darauf beschränken, Pflanzen und so aufzutreiben, wäre das schon geil. Vielleicht denkst du jetzt, dass du Fleisch in deinen Mahlzeiten brauchst, und immerhin haben dir die anderen auch Fleisch weg gefressen, aber es wäre vernünftig, wenn wir es nicht tun. Erstens ist Fleisch viel schneller verderblich. Du hast zwar unten deine tollen Henkershaken, aber ja keine echten Kühlräume. Und ich will ja nichts sagen, aber totes Fleisch lockt bestimmt auch andere Tiere an. Wölfe oder so, du hast ja gesagt, die gibt es hier. Und natürlich ist die Palisade da, um zu schützen, aber dass ein wildes Tier es trotzdem hier rein schafft, wäre jetzt nicht das verrückteste, was auf dieser Insel jemals passiert ist, oder?" Sie ließ diese rhetorische Frage ein mal wirken. Ob sie Erfolg bei der erfahrenen Überlebenskünstlerin hatte, wusste sie nicht, aber sie hat es bis jetzt doch jedes Mal auf einen Versuch ankommen lassen, wie aussichtslos auch die Situation.

"Zweitens hat hier wirklich keiner außer dir Ahnung vom Jagen. Ich will jetzt nicht sagen, dass das ein Haufen ahnungsloser Volltrottel ist, aber zumindest ist keiner von ihnen daran gewöhnt, sowas zu tun. Die kaufen sich das alle abgepackt im Wal Mart und fressen sich dann in ihren Yuppie-Buden die Bäuche voll." Natürlich war ihr klar, dass längst nicht jeder von den hier Anwesenden ein Yuppie war. Und der einzige, der vielleicht wirklich einer war, war der, den sie fast am besten leiden konnte. Aber etwas Leidenschaft sollte diese Ansprache ja auch nicht vermissen lassen.

"Und Bree und ich würden beim Kochen dann auch übernehmen und den Scheiß verarbeiten. Bree kennt sich aus wie sonst keiner und ich habe zumindest auch Erfahrung damit. Ich kann sie dann auch direkt mitnehmen, um nach Zeug zu suchen. Dann sind wir schon mal zwei."

Sie zwang sich zu einem Lächeln. Das war jetzt nicht zu schwer. Immerhin trieb sie ihre eigene, optimistische Rede. Und Sarah war eben auch eine der Personen, die ein Lächeln am ehesten verdient hatten - zumindest so weit sie das beurteilen konnte. "Also, was sagst du?"