Zuerst schien es fast, als würde Casey die zu erwartende, vernünftige Antwort geben, die überhaupt nicht auf das hinauslief, was Ross eigentlich von ihm wissen wollte. Kein Grund an dem Bericht zu zweifeln, es gab schon Vorfälle, blabla... Aber dann machte der Reporter eine kurze Pause und hatte sich danach wohl entschieden, tatsächlich seinen persönlichen Eindruck zu teilen. Oder eher seine Erlebnisse.
Ross nickte ihm hin und wieder zu und fühlte sich einerseits grimmig bestätigt, andererseits ein wenig erleichtert, weil Casey sich immerhin auch mit dem Thema beschäftigt hatte und nun doch nicht ganz so lethargisch darüber wirkte, wie es den Anschein gemacht hatte.
"...Vielleicht war es auch kein Traum sondern ein nachhaltiger Effekt dieses Haluzinogens? Bisher scheinen nur einige wenige davon befallen zu sein, ich, Nova und vielleicht auch Sam. Vielleicht hatte jeder von uns Kontakt mit diesem Stoff, falls es denn bloß ein solches Mittel ist?"
Gerade wollte der Geschäftsmann einhaken, als eine Gestalt das Büro betrat. Urgh. Da wäre ihm Zoe ja wirklich tausend Mal lieber gewesen. Ausgerechnet Catus.
"Kann ich kurz was mit dir besprechen?"
"Ich.. denke schon."
"Ich meinte.. also.. alleine."
Meine Güte, Ross hatte wirklich keine Lust, dass der Kerl sich wieder irgendwie erklärte und dann in manisches Gemurmel verfiel. Das war beim ersten Mal gruselig genug gewesen. Und gerade jetzt war der Zeitpunkt dafür noch unpassender, als er es auch ohne die morgendliche Entdeckung schon gewesen wäre.
Glücklicherweise war Sam bereit, auch vor Casey zu sprechen, aber trotzdem konnte sich der Geschäftsmann kaum auf das konzentrieren, was der Typ sagte. Plötzlich hatte er aber einen Zettel in der Hand und er war bemüht, aus den folgenden Ausführungen noch zusammenzureimen, was das nun sollte. Und gerade als sein Verstand aufgeholt hatte, fragte Sam: "Warum? Jetzt mal ganz ehrlich: Was hab ich dir getan? Warum bist du so offensichtlich feindselig mir gegenüber?"
Das brachte Ross fast noch mehr zur Weißglut als alles andere, was er bisher auf dieser bescheuerten Insel gehört hatte. Er atmete tief durch, aber das half überhaupt nichts. Und warum sollte er sich auch zusammenreißen? Nicht heute, heute hatte er einfach schon keine Lust mehr.
"Erstens", setzte er an und trat ganz nah an Sam, "...hast du immer den beschissensten Zeitpunkt, um irgendwelche Sachen klären zu wollen. Ich habe heute richtig, richtig schlechte Laune und absolut keinen Nerv für Diskussionen, warum wir uns nicht lieb haben. Außerdem habe ich mich gerade mit Casey unterhalten. Zweitens." Nun verschränkte er die Arme vor der Brust, "...halte ich dich für labil und unberechenbar. Nicht erst, seit du auf diese Insel gekommen bist. Du hast selbst angedeutet, dass schon vor deiner Reise einiges vorgefallen ist, was dich unter anderem dazu getrieben hat, Rich eine reinzuhauen. Ich weiß bei dir nie was ich bekomme oder ob du nicht ernsthaft einen an der Waffel hast und das trägt nicht besonders dazu bei, dich in meiner Nähe haben zu wollen. Und in der Situation in der wir uns alle befinden will ich mich damit auch nicht unbedingt beschäftigten müssen. Und drittens..."
Er hielt kurz inne. Ja, was war eigentlich drittens? Irgendetwas war da noch. Etwas, das Sam gesagt oder getan hatte und an das Ross sich nicht einmal genau erinnerte. Da war nur ein schlechtes Gefühl in Verbindung mit dem Kerl und irgendetwas mit seiner ersten Entschuldigung.
Ein Räuspern durchbrach die Gedanken des Geschäftsmannes. Ob es Zufall gewesen war oder Casey es beabsichtigt hatte war nicht festzustellen, aber es brachte Ross weiter aus dem Konzept. Etwas verloren sah er nun das Papier in seiner Hand an.
"Ich glaube ich habe kein drittens.", murmelte er und runzelte die Stirn, weil ihm nun etwas auffiel.
"Sechs Bildschirme, ja? Hier sind aber nur fünf aufgelistet. Zumindest wenn wir annehmen, dass jedes Gebiet auf der Liste auf einen Bildschirm übertragen wird - je nachdem durch mehr oder weniger Kameras. Was ist auf dem sechsten? Und wo dieser Hangar sein soll frage ich mich ebenso, das könnte wirklich wichtig sein."
Sam starrte ihn an. Ob er einfach nur höchst verwirrt oder empört war über den plötzlichen Gemütswechsel konnte nicht so genau festgestellt werden, da Ross ihn vorerst nicht zu Wort kommen ließ.
"In Ordnung, ich rede mit Sarah darüber.", sagte er nickend, stand auf und verstaute das Papier in seiner Hosentasche.
"Kannst du mir Bescheid geben, wenn du etwas in den Akten entdeckst? Vielleicht finden wir mehr Antworten wenn wir die Sache mit den Kameras lösen - ich halte dich auch auf dem Laufenden.", richtete sich der Geschäftsmann nun an Casey, dem er gegenüber ein etwas schlechtes Gewissen hatte, weil er nun gleich nach ihrem Gespräch und der Unterbrechung von Sam aufbrechen wollte. Der Reporter nickte jedoch und schien nicht irgendwie enttäuscht - vermutlich hatte er das gesamte Gespräch ja auch gehört und wusste, dass die neuen Erkenntnisse vielleicht wichtig waren.
"Oh, und..." Ross war schon auf dem Weg nach draußen gewesen, drehte sich aber nochmal um. "Falls du irgendetwas Auffälliges über die Nolans entdeckst, oder einfach etwas, das du als interessant empfindest... könntest du mir das dann auch berichten? Ich werde später erklären warum." Vielleicht.
Dann machte Ross sich wirklich auf den Weg nach draußen und wurde von Catus aufgehalten, der wie ein Fisch auf dem Trockenen den Mund öffnete und wieder schloss. "Wenn du noch was zu vorhin sagen willst, kannst du von mir aus auch mitkommen.", murrte Ross und wandte sich der Tür zu.
"Also... eigentlich.... Sarah ist schon im Konferenzraum.", entgegnete Sam und folgte dem Geschäftsmann auch nicht dorthin. Sarah saß alleine an dem großen Tisch und legte gerade noch ein paar Beeren zu einem bereits recht stattlichem Haufen.
"Noch niemand da für die große Jagd?", platze Ross herein und setzte sein bestes Grinsen auf. Die Frau schüttelte nur den Kopf und konzentrierte sich weiter auf das "Frühstück", das sie bereitmachte.
Ross setzte sich auf den Stuhl, der ihr am nächsten Stand und fing an, an einer Wurzel zu knabbern.
"Sag mal, uns ist aufgefallen, dass es in den Häusern einige Vorrichtungen für Kameras gibt. Waren hier mal Kameras? Ich meine, es gibt ja immerhin diesen Keller mit den ganzen Bildschirmen, ist dir bestimmt ja auch bekannt." In diesem Moment war er erleichtert, dass die Frau ihnen am Vorabend explizit erlaubt hatte sich umzusehen, sonst wäre dieses Gespräch hier äußerst schwierig geworden.
"Und einer der Bildschirme zeigt auf eine Art Lagerhalle, Sam meint, es wäre ein Hangar. Weißt du, wo sich der befinden könnte?" Und mit einem besonders freundlichen Lächeln fügte er hinzu: "Ich weiß, du hast gerade anderes zu tun, aber ich verspreche ich trommle Leute für die Jagd zusammen, wenn du mir kurz Auskunft gibst." Oder ich versuche es zumindest. Oder versuche, es zu versuchen.
Casey machte sich also daran, die Akten noch weiter zu durchstöbern. Vielleicht konnte er ja etwas finden, was sie noch nicht wussten, etwas was ihnen weiterhelfen konnte, etwas, was interessant war. Es fiel ihm schwer, die wissenschaftlichen Texte zu lesen, an Verständnis war in den meisten Fällen überhaupt nicht zu denken. Allerdings kam es ihm komisch vor, dass sich unter den sonst so naturwissenschaftlich geprägten Artikeln auch Abhandlungen über indianische Symbolik und Brauchtümer finden ließen. [Intelligenzprobe gelungen] Er begann also, aus den Akten all jene herauszusortieren, die in diese Richtung gingen. Dann begann er, diese etwas genauer durchzugehen. Einige der Artikel handelten von merkwürdigen Totenritualen, bei denen die Leichen aufgebahrt wurden und dann mit halluzinogenen Flüssigkeiten eingerieben wurden - wieder andere vom Aberglaube der Indianer, wonach Geister der Toten die Lebenden überwältigen und kontrollieren konnten. Zu Halluzinogenen gab es doch auch andere Artikel - hatten die Wissenschaftler tatsächlich geglaubt in den indianischen Brauchtümern etwas gefunden zu haben?
"Ich weiß, du hast gerade anderes zu tun, aber ich verspreche ich trommle Leute für die Jagd zusammen, wenn du mir kurz Auskunft gibst."
"Ja, hier waren mal Kameras, wir hatten den Raum im Keller als Sicherheitsraum eingerichtet. Als die Wisschenschaftler dann aus dem Dorf verschwunden sind, haben sie davor noch die Kameras entfernt, keine Ahnung warum. Und klar weiß ich von dem Hangar. Das war ein alter Hangar aus dem zweiten Weltkrieg. Ihr seid auf der entgegengesetzten Seite der Insel gestrandet. In der Halle müsste noch ein altes kaputtes Transportflugzeug stehen, da ist aber die Hälfte schon durchgerostet. Die Landebahn war aber noch in gutem Zustand, als wir gelandet sind. Wurde verwendet, um Vorräte hierher zu bringen, als ich hier angekommen bin, sind wir auch da gelandet. Das müsste etwa ein Tagesmarsch sein."
Sam war ganz perplex. Was war den dass gerade? Okay, die leichte Abneigung hatte er sich noch irgendwie und halbwegs plausibel zurechtreimen können. Aber der Ausbruch gerade war schon ziemlich heftig und auch ein wenig... unrational. Gut, Sam hatte schon länger nicht mehr aktiv die Eskapaden um Ross Norway verfolgt, aber dennoch entsprach dass ganz und garnicht der eher lässigen, vielleicht ein wenig überheblichen und über allem stehenden Art des Suchmaschinenmoguls wie Sam sie in Erinnerung hatte.
Sam hatte deutlich das Gefühl, dass er in seinen geistig abwesenden Zeiten etwas getan hatte, was für Ross absolut inakzeptabel war. Oder gab es etwas anderes in seiner Vergangenheit, an das Sam ihn erinnerte? Irgendwas an seinem Charakter oder bei dem, was er gesagt hatte? All das Grübeln brachte nichts, Sam kam einfach auf keinen grünen Zweig.
Das machte ihn irgendwie traurig, dass sein Kindheitsheld so auf ihn reagierte. Wie oft hatte sie sich vorgestellt wie er zu sein? Oder ihm zu begegnen, und was sie dann alles machen und sagen würden. Sie hatten sogar davon geträumt eine Urlaubsreise in seine Heimatstadt zu machen und gewitzelt ihn zu besuchen oder sich heimlich in eine seiner berühmten Partys zu schmuggeln.
Etwas deprimiert und immer noch darüber nachgrübelnd erinnerte er sich daran, dass er nach Ross' Weggang nicht allein im Raum war.
"Ist er.. schon den ganzen Tag so? Lag das jetzt an mir oder bin ich wirklich einfach nur im falschen Moment dazugekommen?"
Er wollte die Sache klären, wusste aber nicht wie. Erstmal bräuchte er mehr Informationen über den Grund, ein weiteres Gespräch würde sonst wohl nur zu einer noch größeren Katastrophe führen.
Seltsam war auch sein plötzliches Schweigen. Es wirkte so, als hätte er sich an etwas erinnert, was er aber nicht laut aussprechen wollte und lenkte schnell auf ein anderes Thema und den Raum verlassen zu können.
Er würde Casey nach seiner Antwort darauf ansprechen, vielleicht wusste er was genaueres.
Als Zoe erwachte, galten ihre ersten Gedanken nicht ihrer Versöhnung mit Iker, und auch nicht dem Zwitschern der Vögel, und auch nicht Ewgenya, die ein bisschen zu eng an ihr lag. Nein, ihr erster Gedanke war "Scheisse".
Sie sprang auf, wankte zur ausgetrockneten Toilette und reiherte erst einmal herzhaft in die Schüssel. Aber der Frieden währte nicht lange, als Ewgenya angehechtet kam, Zoe zur Seite schubste und ihre Position an der Toilette streitig machte.
"Woah, Fuck, was..."
"Diese Wurzeln. Ich vertrag diese Wurzeln nicht, glaub ich."
"Uh-huh."
Es dauerte nach diesem Vorall noch ein paar Stunden, bevor sich die beiden Frauen tatsächlich aus ihrer Wohnung in der 1A quälten. Etwas ratlos standen sie jetzt auf der Straße im Dorf, blinzelten in die Sonne und fühlten sich, als hätte man sie grade vom Bordstein vor dem Berghain gekratzt.
"Und nu?"
"Kein Plan. Kein Bock auf Frühstück."
"Kein Bock auf Kackwurzeln."
"Eyy, Nicht Schlange stehen, ist genug für alle da."
Ugur kam langsam aus seinem Haus geschlendert und lehnte sich gegen eine Wand. Ewgenya drehte sich um, musste anscheinend kurz würgen (nicht wegen Ugur, sondern wegen den Wurzeln) und deutete dann auf die leere Wohnung neben ihm.
"Ey, wo isn Kaktus?"
"Keine Ahnung, hab ihn noch nicht gesehen. solltest du heute Nacht nicht auf ihn aufpassen, damit er nicht wieder abhaut?
"Yeah."
"Yo, und, hast du die Nacht mit dem Kaktus überlebt?"
"Ey, ich weiß gar nicht, was ihr habt, der is' eigentlich nicht soo schlimm."
Ugur zuckte einmal mit den Schultern und fixierte dann das zweistöckige Haus gegenüber.
"Ey, Zoe, du steckst doch im Arsch von den ganzen wichtigen Typen, da, wasn'n da los?"
"Ja, warum steckt ihr alle ständig da im Keller...?"
"Und wo bleibt jetzt eigentlich unser verfickter Rettungshubschrauber?"
"Guys, chillt mal."
Zoe ging ein paar Schritte bevor, bevor ihr Würgereiz auch sie wieder überkam und sie ihr Gesicht zur Grimasse verzog.
"Kackwurzeln."
"Wat?"
"Jedenfalls, da drin geht halt krasser Mysteryshit ab, keine Ahnung, wenn ihr eine ellenlange megatrockene Erklärung haben wollt, frag Casey oder Ross."
"Ne, lass mal nicht machen."
"Ja, der ist echt Experte darin, Frauen trocken zu machen."
"Da klingt jemand salty."
"Ich BIN salty!"
Leicht wankend wanderte sie los in Richtung 3A. Durch die Fenster konnte sie schon sehen, dass Casey mal wieder vor dem PC hockte und Ross' und sams Haarschöpfe konnte sie auch schon von weitem sehen.
"Ugh."
Sie machte auf dem Absatz kehrt und blickte ihre Gang an.
"ODER, wenn ich genauer drüber nachdenke, lasst gleich mal die Palisade auschecken."
"Wieso sagst DU denn auschecken?"
"Weil ihr 'n schlechter Einfluss auf mich seid. Abmarsch!"
Nach wenigen Minuten standen die drei Deutschen vor der kaputten Palisade. tatsächlich waren einige der Holz- und Metallplanken aus ihrer Verankerung am Boden gerutscht und die Kabel, die sie eigentlich oben halten sollten, hatten mit der Zeit nachgegeben.
"Eyyy, was?"
"Jo. Shit."
"Also, was meinte diese Sarah gestern?"
"Dass wir die Planken wieder oben mit den Kabeln verbinden müssen."
Ewgenya zeigte auf die abgerissenen Kabelstränge an den Kanten der Palisade.
"Ich würd' ja vorschlagen, dass einer von uns da hochklettert, sich die Käbel...Kabel...die Mehrzahl von Teilen halt eben schnappt und der andere von unten die Planken zurecht schiebt. Dann müsste das eigentlich ganz easy gehen."
"Yoah, ich kann einen von euch hochheben. Und dann wieder abstellen."
"Alles klar, wer macht das Kabelknoten auf Ugurs Armen?"
Zoe und Ewgenya schauten sich an. Klar, die Aufgabe, auf Ugurs breiten Schultern zu sitzen und die Kabelstränge zu verknoten war erheblich angenehmer, als sich mit all dem Körpergewicht gegen die Platten zu stemmen und sie wieder in Position zu schieben.
"Ich will!"
"Ne, du bist stärker, du kannst den Scheiss besser schieben."
"Ja, aber ich kann besser Knoten machen!"
"Ach, kannst du?"
"Klar, hallo, schonmal was von Bondage gehört?"
"Ugh."
"Was sagst du?"
Ugur blickte zwischen den beiden Frauen hin und her, die ihn erwartungsvoll anblickten. Seine Antwort war schließlich genau so furztrocken wie sein Humor und wurde von einem weiteren Schulterzucken begleitet..
"Ewgenya ist leichter, oder?"
Mit diesem Plan und ihren vereinigten Kräften begannen also Ewgenya, Ugur und (eine leicht beleidigte) Zoe damit, die Palisade wieder zu reparieren.
Das gekochte Essen war... akzeptabel.
Nova wusste nicht ob jemand unter ihnen kulinarisch anspruchsvoll war, wenn ja... sollte diese Person das schnellstmöglich hinter sich lassen.
Sie freute sich einfach darauf in Ruhe etwas essen zu können. Still und ohne viel Gequatsche und Gemurmel etwas in sich hineinschlingen zu können... das Loch in ihrem Magen zu füllen war so wohltuend.
Dann kam Sam.
Am liebsten hätte sie ihn einfach ignoriert, doch Ross, der gegenüber von ihr saß, schien seine Anwesenheit nicht gut aufzunehmen. Die Schwedin konnte den Kerl ebenfalls nicht leiden, auch wenn er ihr geholfen hatte. Etwas in Nova sagte ihr, dass sie weiterhin vorsichtig sein sollte.
Sie erinnerte sich daran wie aggressiv sie in der Höhle wurde und kurz formte sich der Gedanke, dass es Sam vielleicht genau so erging und er für seinen Wutausbruch nichts konnte...
Aber dann wurde ihr klar, dass sie es ja auch geschafft hat niemandem eine aufs Maul zu geben. Sam war einfach instabil und weiterhin eine potentielle Gefahr. Da konnte er sich noch so sehr anstrengen.
Nova wollte das Gespräch welches sich mit Ross bot einfach in eine andere Richtung schubsen, merkte jedoch, dass die Stimmung weiterhin recht kühl blieb.
"Ein weiterer Punkt auf der "Ich mag Sam nicht-Liste" dachte sich die großgewachsene Schwedin.
Der Geschäftsmann verließ kurze Momente später auch schon den Tisch. Das sowieso schon nicht so gut schmeckende Essen wurde dadurch nicht besser... eher im Gegenteil. Der Appetit war Nova knallhart vergangen.
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Es war Morgen und Nova hatte eine der beschissensten Nächte seit Jahren gehabt.
Die Anstrengungen und der Aussetzer des gestrigen Tages und der Absturz von vorgestern waren einfach absoluter Overkill. Keine Nachtruhe der Welt war genug um das ordentlich zu verarbeiten.
Was wäre also der nächstbeste Schritt um die allgemeine Situation zu verbessern?
Nova konnte beobachten wie ein Dreiergespann bestehend aus Zoe, Ugur und Ewgenya zur Palisade trampelte.
Gut, ein Punkt auf der imaginären Liste abgehakt.
Sarah wollte bestimmt jagen gehen... und Nova wusste bereits jetzt, dass sie da definitiv nicht mitmachen würde. Sie war Ingenieurin. Eine verfluchte Akademikerin. Armee hin, Armee her. Sie wurde bezahlt um zu denken.
Auf den ersten Blick war das nun aktuell nicht die optimalste Situation.
Und nun... nun stand sie da. Dachte nach. Wie geht es nun weiter? [Probe auf Intelligenz um weitere Aufgaben zu entdecken]
Casey war inzwischen mit dem letztem der Dokumente fertig. Er wusste zwar immer noch sehr wenig von dem was in den ganzen wissenschafltichen Papers drinstand, aber das war wohl zu erwarten gewesen, ohne einen PhD in etwa vier verschiedenen Bereichen würde er da wohl alleine wenig weiter kommen. Aber es schien wohl tatsächlich so, dass sie hier nach etwas suchten, dass Menschen manipulieren konnte. Insbesondere die wiederholten Referenzen auf alte indianische Kulturen. Insbesondere Totenrituale bei denen gewisse Stoffe verwendet wurden. Scheinbar war wohl Nolan und sein Team überzeugt, dass es etwas mit ihrem Projekt zu tun hatte. Er erinnerte sich mit Ross darüber zu reden.
Casey blickte vom Tisch hoch und sah sich um. Er hatte dem Gespräch zwischen Sam und Ross nur anfangs gelauscht und sich danach wieder auf seine Arbeit fokusiert. Er bekam aber gerade noch mit, wie der Norweger das Zimmer verließ. Sam selbst stand noch wie belämmert da. Irgendwie wirkte er aber auf Casey immer so, also war es schwer einzuschätzen, ob das Gespräch ihn mitgenommen hatte oder nicht.
Er wandte sich ihm zu.
"Ist er.. schon den ganzen Tag so? Lag das jetzt an mir oder bin ich wirklich einfach nur im falschen Moment dazugekommen?"
"Mir gegenüber war er recht ruhig, kann jetzt nicht sagen, dass er wütend ist." Casey blickte Sam an. Er schien wirklich nicht zu verstehen, warum die anderem ihm gegenüber etwas reserviert sein konnten. Casey wollte nichts provozieren und versuchte einfach höflich zu sein.
"Hey, macht dir nichts drauß. Seit deiner ... Aktion .. gestern ist er dir wohl reserviert, wir haben ihn ja ungesprochen zu unserem Anführer gemacht, scheinbar fühlt er sich wirklich verantwortlich für die Gruppe. In ein paar Tagen, falls wir solange hier bleiben, ist er sicher besser auf dich zu sprechen."
Casey stand auf und streckte sich etwas aus. Er wusste nicht so ganz was er tun sollte. Vielleicht würde er nach draußen gehen und mal sehen was es so zu tun gibt.
Ross blieb kurz nachdenklich bei Sarah stehen. "Also die Wissenschaftler haben die Kameras entfernt, bevor sie völlig verrückt geworden sind, ja?", fragte er eher sich selbst, aber die Frau nickte kurz. "Wie merkwürdig. Und ich nehme an, bei dem Flugzeug war nichts zu machen, ja?" Die Frage war natürlich blöd - hätte Sarah auf irgendeine Art und Weise die Möglichkeit gehabt, mit diesem Flugzeug abzuhauen, wäre sie nicht hier. Und sie hatte die Info auch viel zu bereitwillig geteilt, als dass er auf irgendeinen Verdacht gegen sie kam.
"Wir haben einige fähige Leute in der Gruppe, vielleicht wäre es gar nicht so blöd, wenn die sich dort mal umsehen würden. Wer weiß, womöglich kann man aus dem Transportflieger noch was machen, oder zumindest irgendwelche Teile für etwas Nützliches verwenden..."
Sarah zuckte mit den Schultern. "Das mag schon sein, aber wie gesagt, es ist ein Tagesmarsch bis zum Hangar. Und ich glaube, ohne Proviant ist der Weg nicht so leicht zu schaffen."
Sie sah ihn an und er verstand den Wink mit dem Zaunpfahl.
"Alles klar, ich schaue mal wen ich auftreiben kann.", sagte Ross glucksend und verließ den Konferenzraum.
Die wenigen Sätze, die er mit der erfahrenen Frau gewechselt hatte, setzten wieder mehrere Gedankengänge in seinen Kopf. Langsam fühlte er sich als würde sein Schädel platzen - dieser Morgen hatte es in sich.
Der Hangar war definitiv eines der nächsten Ziele, das sie ansteuern sollten. Daneben mussten sie aber unbedingt herausfinden, was mit den Leuten hier geschehen war und jetzt mit ihnen selbst geschah. Auch wollte er mehr über die Nolans erfahren und wissen, ob die Tatsache, dass er nun in ihrem Haus war, überhaupt ein Zufall sein konnte. Außerdem war für sein eigenen Seelenheil auch noch wichtig, dass Sam ihm nicht mehr solcher "Aussprachen" aufdrängte.
Einmal mehr fragte Ross sich, wo Iker eigentlich abgeblieben war - er konnte bestimmt irgendwie Ordnung in dieses Chaos bringen. Aber wenn der Junge nicht wollte, dann würde er später seinen Laptop holen müssen, denn damit war es für ihn einfach leichter, einen roten Faden in etwas zu bringen. Und statt diesen ganzen Aufgaben, vor denen er sich sah, hätte er sich eigentlich am liebsten nur mit Nova irgendwohingesetzt, um einfach zu reden... jemandem erzählen zu können, was er am Vorabend im Wohnzimmer realisiert hatte.
Seufzend machte der Geschäftsmann sich aber erst einmal auf den Weg nach draußen. Es hätte bestimmt ziemlich negativ auf Sarah gewirkt, wenn er sich einfach ins Büro oder nach oben verzogen hätte, ohne sein Angebot wenigstens augenscheinlich erfüllen zu wollen.
Also begab er sich in Richtung 2A. Beim Essen hatte er gehört, dass Fabian, Lilly und Susanne dort nächtigen hatten wollen, und zu Ersterem wollte er.
Gerade als Ross das Haus betrat, in dem sich zwei Wohnungen befanden, kam der Feuerwehrmann aus einer der beiden und schloss achtsam die Tür. "Hey, gut geschlafen?", grüßte der Geschäftsmann und wartete, bis Fabian ihm entgegen kam.
Dieser nickte und deutete nun, dass sie nach draußen gehen sollten.
"Lilly schläft noch, ich will nicht riskieren sie zu wecken.", erklärte er schließlich als sie wieder auf die Straße traten.
"Verständlich, war bisher ja auch kein Entspannungsurlaub, oder?" Ross grinste kurz, wurde dann aber gleich wieder ernst.
"Hör mal, ich bin vorrangig zu dir gekommen, weil ich schon seit gestern mit dir reden wollte. Es geht eigentlich nur um die Sache, die du bei den Klippen gesehen hast"
Die beiden Männer traten nun in einen der allseits beliebten Zwischenräume zwischen den Häusern - den Topspots für vertraute Gespräche.
"Wir haben herausgefunden, dass hier auf der Insel viel experimentiert wurde, weil es offenbar schon seit Jahrzehnten immer wieder zu seltsamen Vorfällen kam. Eines der Themen, das immer wieder auftaucht bei diesen Forschungen sind Halluzinogene. Also... wir wissen nun wirklich nichts Genaues, aber ich wollte einfach nicht, dass du dir Sorgen machst. Einige von uns haben schon seltsame Dinge gesehen und es ist definitiv davon auszugehen, dass es an etwas auf der Insel liegt und nicht an der Psyche diverser Leute. Was immer du auch gesehen hast, es liegt nicht daran, dass du plötzlich eine Schraube locker hast oder mit der Situation nicht umgehen kannst."
Eigentlich war Ross gar nicht so klar, ob Fabian die ganze Sache an den Klippen wirklich bedrückte, aber seine Vermutung war, dass der Feuerwehrmann einfach nicht zuließ, sich darüber den Kopf zu zerbrechen und das unterschwellig ganz anders aussah.
Fabian schwieg eine Weile und schien nachzudenken. "Danke für die Information.", sagte er schließlich und wirkte auch tatsächlich dankbar. Allerdings musste das wohl trotzdem erst einmal verarbeitet werden.
"Es ist natürlich nicht beruhigend, dass wir noch nicht wissen, was diese Dinge auslöst, aber naja... das Problem nur ansatzweise zu kennen ist nötig, um es im Ganzen zu erfassen, oder so, nicht wahr?"
Er grinste Fabian aufmunternd an.
"Oh, und falls du dich erst mal ablenken willst: Du hast nicht zufällig Lust mit Sarah jagen zu gehen? Ich wollte mich für sie nach Freiwilligen umsehen, aber außer dir fielen mir nur noch Rich und Brix ein. Bei Rich weiß ich aber nicht wo er sich herumtreibt und Brix jagt eher mir eine Kugel oder einen Pfeil in den Kopf, als einem wehrlosen aber durchaus schmackhaftem Tier."
Zoe, Ewgenya und Ugur standen nun also vor der kaputten Stelle der Palisade. Nach kurzem Beratschlagen hob dann Ugur also Ewgenya nach oben, wo diese die Kabelstränge zusammenziehen und dann wieder verknüpfen sollte, sodass Zoe anschließend die Metallplanken und Holzpfosten aufrichten konnte und diese dann mit den Kabelsträngen wieder befestigt werden und stabilisiert werden würden. Ugur hatte einen festen Stand, Ewgenya war ja auch ein Fliegengewicht. [Stärkeprobe gelungen]
Dann begann Zoe damit, die Metallplanken und Holzpfosten aufzurichten. Das hatte allerdings im vorhinein leichter ausgesehen, als es sich dann schlussendlich herausstellte. Wann immer eine dieser Planken aufgerichtet war, hielt Ewgenya sie sofort fest und wickelte etwas vom Kabel herum. So ging die Arbeit recht gut voran. Nur noch ein Holzpfosten war übrig. Zoe drückte ihre Schulter dagegen, die Anstrengung stand ihr ins Gesicht geschrieben. Sie schob den Pfosten langsam in eine aufrechte Position - doch er fing langsam an zu rutschen. Schweißperlen liefen ihr die Stirn herab, als sie versuchte, mit einem kleinen Schritt ihren Körper wieder unter den Schwerpunkt des schweren Holzstückes zu bringen, doch dafür war es bereits zu spät. Der Pfosten fiel immer schneller. Reflexartig brachte sie gerade noch rechtzeitig ihre rechte Hand - und dann ihre linke - unter den Pfosten und konnte den Fall stoppen, bevor er mehr aus der Palisade reißen konnte. Sie spürte wie ihre Armmuskulatur brennend schmerzte, doch dafür war gerade keine Zeit. Mit einem letzten Kraftakt gelang es ihr, das letzte Puzzlestück der Palisade in seine Position zu bringen und rutschte dann schwer atmend zu Boden. [Stärkeprobe misslungen]
Ewgenya wickelte das letzte Stück Kabel um diesen Pfosten und kommandierte Ugur dann ein wenig weiter nach rechts, um dort einen weiteren Strang zu greifen. Nun musste sie die beiden Stränge nur noch zusammenziehen und verknoten, dann war die Palisade wieder sicher - oder zumindest sicherer. Sie zog mit aller Kraft - die Kabelstränge berührten sich schon, aber um sie ordentlich zu verknoten fehlten noch einige Zentimeter. Schwer atmend gelang es ihr, sie miteinander zu verkreuzen und schließlich auch zu verknoten. [Stärkeprobe gelungen] Die Arbeit war abgeschlossen.
Zoe hat bei weiteren Stärkeproben in dieser Station eine Erschwernis von 20%
Währenddessen versuchte Nova einen Plan für das weitere Vorgehen zu finden. [Intelligenzprobe gelungen] Hatte nicht gestern noch jemand etwas von einem Werkzeugkasten in einem Keller erwähnt? Und war es doch nicht so, dass in der Palisade auch Metallstreben verbaut waren? Vielleicht konnte sie ja daraus etwas für die Antenne improvisieren. Überhaupt konnten die Werkzeuge sicher auch in anderen Situationen hilfreich sein. Außerdem hatte Sarah schon Recht, Essen zu beschaffen sollte auch eine Priorität sein. Und wer weiß, vielleicht konnte man bei der Jagd ja auch etwas mehr von der Insel sehen?
So eine gottverfluchte, mieskackige, mutantenmäßige Drecksscheisse.
Mit einer Auswahl ihrer kreativsten Flüche schob Zoe sich langsam die Treppen der 3A - oder war es 3B? Das doppelstöckige Haus halt - nach oben. Ugur und Ewgenya waren abgezogen, irgendjemandem von ihrer Heldentat zu berichten, während Zoe Wunden leckte. Ihre eigenen, genau genommen. Ihr Arm tat ganz fürchterlich weh. Vermutlich eine Zerrung? Sie hatte keine Ahnung davon, nur, dass ihr bisher schon nicht so grandioser Tag gerade eben noch ein bisschen beschissener geworden war. Endlich hatte sie die Haustür erreicht. Links konnte sie durch das Fenster Casey im Computerraum sehen. Ne. Kein Bock. Mit der nicht matschigen Schulter stieß Zoe die Tür zum Konferenzraum auf, nach wie vor schwer schnaufend.
Zoe dachte gerade, sie wäre alleine in dem Raum, als sie Sam bemerkte, der mit verschränkten Armen in der Ecke saß. Er musterte sie ein bisschen zögerlich, als hätte er Angst, dass sie ihn gleich anschnauzen würde, für irgendwas, was er noch nicht mal gemacht hatte. Zoe dagegen befürchtete, ihn wortwörtlich anzukotzen, deswegen wand sie sich schnell um und ließ sich auf den Tisch in der Mitte des Raumes fallen. Nach wenigen Sekunden realisierte sie, dass diese Position - Brust auf der Tischplatte, Kopf nach unten hängend - keine Wunder für ihr Befinden tat. Unter ächzenden Schmerzlauten drehte sie sich um, sodass sie nun flach auf dem Konferenztisch lag und die Decke anstarrte.
"Alles...ähm...okay?"
"Wieso?"
"Du liegst... auf dem Tisch."
"...Uh-huh."
Sie drehte den Kopf so weit, dass sie Sam anschauen konnte.
"Mein Tag war nicht so der Hammer."
"Sieht man irgendwie. Was ist denn passiert?"
Sie wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzen, dass das ihn ja schonmal gar nichts anging, als die sich wieder an den Ausdruck in seinen von gestern erinnerte, und an den Satz von Ugur. "Ey, ich weiß gar nicht, was ihr habt, der is' eigentlich nicht soo schlimm.". Zoe atmete kurz durch.
"Diese Wurzeln...ich fühl mich wie das eine Mal, als ich in einer fremden Badewanne aufgewacht bin und dann durch eine leere Wohnung gestolpert bin, bis ich so einen Typ gefunden habe, der meinte, er hätte mich nachts heulend auf dem Bordstein gefunden und mit hoch genommen. Und dann wollte ich ihm wohl nachts noch einen blasen und habe in sein Hochbett gekotzt und dann dachte er, ich wäre abgehauen, aber eigentlich habe ich mich nur in seinem Bad versteckt und bin dann in der Badewanne eingeschlafen."
"...Wa...?"
"Keine Sternstunde meines Lebens."
Zoe atmete einmal schwer aus und schloss die Augen. Alles drehte sich.
"Außerdem ist mir grade so eine verkackte Holzplanke auf den Arm gefallen. Wenn ich IRGENDJEMANDEN diese Kackpalisade anfassen sehe, werd eich ihn eigenhändig mit meinem anderen Arm verprügeln."
"Ähm...soll ich mal jemanden holen, der sich das mal anschaut...?"
"...außerdem hat Ugur mich fett genannt."
Das war nicht hundertprozentig richtig, passte aber gerade zu ihrem allgemeinen Weltschmerz. Sam starrte sie jetzt komplett verständnislos an. Er war anscheinend schon bei der Badewannengeschichte nicht richtig mitgekommen.
"Und ne, du musst niemanden holen. Aber...ähm...wie sag ich das... bleib einfach hier, ja? Ich fühle mich gerade nicht so gut. Und ich will nicht alleine sein."
Nachdem Casey den Raum verlassen hatte blieb Sam noch ein wenig stehen. Abwarten... Das schien keine schlechte Idee zu sein. Wenn die Leute sahen, dass er eigentlich ein ganz harmloser Kerl war, mit dem man normalerweise auch gut zurecht kam, dann würden sie ihre Meinung schon ändern. Der erste Eindruck war wohl etwas.. komisch.. rübergekommen. Und den jetzt zu ändern, nunja, brauchte einfach seine Zeit.
Dann hörte er jemandem den Gang entlang gehen und die Außentür quitschen. Kurz darauf erneut, diesmal begleitet mit einem ärgerlich klingenden Grummeln. langsam schlenderte er in den Konferenzraum hinüber. Tatsächlich war dieser nun leer, also mussten das gerade Ross und Sarah gewesen sein.
Nachdenken. Er musste erstmal nachdenken. Gedankenverloren nahm Sam sich ein paar der Früchte vom Tisch und aß sie. Er wusste nicht, was die anderen hatten, die schmeckten doch ganz gut. Er nahm sich noch eine der seltsam geformten Gurken und ging dann in eine Ecke, wo er sich an dem Schrank zu Boden gleiten ließ.
Sollte er wirklich nur warten und sonst nichts tun? Konnte er nicht proaktiv daran arbeiten, dass die anderen ihn mit anderen Augen sahen? Oder würde das kontraproduktiv wirken und sie würden genau in diesen Bemühungen etwas herauslesen, was nicht da war, sie misstrauischer machen, denken lassen, dass er sich in sie einschmeicheln wollte, damit sie lockerer wurden? Nun, dass wollte er zwar, aber nicht um ihnen zu schaden, sondern um.. Ja was? Freunde zu werden? Besser mit ihnen auszukommen? Oder würde es schon reichen, wenn sie ihn nicht mehr so finster ansahen?
Mitten in seinem Gedanken wankte Zoe in den Raum, blickte ihn kurz an, watschelte ein wenig benommen zum Tisch hinüber und ließ sich mit einem klatschen einfach mit dem Kopf voran auf den Tisch fallen. Sam war so perplex, dass er im ersten Moment nicht einmal auf die Idee kam etwas zu tun. Dann drehte sie sich zum Glück um und ihre offenen Augen blickten zur Decke hinauf. Gesund sah sie dennoch nicht aus.
Sie schien nichts dagegen zu haben, dass er hier war. Also atmete er einmal tief ein und aus proaktiv und kontraproduktiv, was? Dann wollen wir mal und fragte sie, ob mit ihr alles in Ordnung wäre. Sie antwortete relativ normal, das gab ihm Hoffnung und er fragte weiter.
"Sieht man irgendwie. Was ist denn passiert?"
Zu negativ. Mist. Sam biss sich imaginär auf die Zunge und einen Augenblick lang hatte er das Gefühl, dass sie ihm harsch antworten würde. Doch dann schlossen sich ihre Lider kurz und sie atmete ebenfalls einmal kurz ein und aus. Sam hatte aber das Gefühl, dass sie das aus anderen Gründen machte, als er kurz zuvor.
Und dann kam ein Schwall an unzusammenhängenden Informationen aus ihrem Mund, die nicht mal einen negativen Unterton hatten. Und auch wenn Sam praktisch nichts verstanden hatte wirkte Zoe am Ende irgendwie erleichtert. Und dann forderte sie ihn auch noch auf bei ihr zu bleiben. Irgendwas lief gerade verkehrt. Aber zur Abwechslung mal auf positive Art verkehrt.
Und dann kam das Lachen.
Mit einem Mal prustete Sam lauthals los, er konnte nicht mehr an sich halten und musste laut Lachen.
In Zoes Miene gaben sich mehrer Gefühle die Klinke in die Hand, erst Verständnislosigkeit, dann Wut und schließlich fing auch sie an zu grinsen und gluckste sogar leicht. Vielleicht hatte sie ja gerade selber erkannt, wie absurd die ganze Situation war.
In erster Linie war das Lachen eins: Befreiend.
Seit dem gestrigen Abend ging es Sam mental deutlich besser, aber die Sorge über die anderen Inselbewohner und wie er mit ihnen zurechtkommen sollte war weiter da gewesen. Dieses undurchsichtige Kauderwelsch von Zoe hatte seine Bedenken von ihm genommen.
"Nur um sicher zu gehen: Warum haben wir gerade gelacht?"
Fragte Zoe, immer noch kichernd und sich den Bauch haltend.
"Weißt du? Ich hab mir praktisch seit ich auf dieser Insel zu mir kam sorgen gemacht. Über Vergangenes in meinem Leben und was weiter kommen wird. Über Rich und Brix, was Ross von mir hält und ob es Nova gut geht, sogar über dich und was du über mich denkst; warum Fabian mir hilft und über viele andere Dinge. Und dann kommst du hier rein, hast deine eigenen Probleme, deine eigenen Wunden, von denen ich nichts weiß und die mir wahrscheinlich nicht mal aufgefallen wären, und machst dir wahrscheinlich genauso wenig Gedanken über meine Probleme wie ich mir über deine. Ich glaube das hat mir ein wenig geholfen."
Er war ihr Dankbar, auch wenn sie es wahrscheinlich nicht würde nachvollziehen können. Aber dass laut auszusprechen fühlte sich gerade irgendwie falsch an. Also sagte er stattdessen nur
"Ich glaube wir würden viel besser miteinander auskommen, wenn wir mehr versuchen, unseren Gegenüber zu verstehen. Und uns weniger auf eigene Probleme konzentrieren."
Es hatte sich nichts geändert. Die Lage war immer noch gleich, die Sorgen waren immer noch da und die Menschen um ihn hatten immer noch die gleichen Probleme - mit ihm und ganz eigene, wie Sam gerade deutlich bewusst wurde.
Aber etwas war anders.
Wenn auch nur ein wenig, so hatte sich seine Ansicht geändert. Sie war nicht plötzlich grandios oder überirdisch geworden, aber der Fokus hatte sich ein wenig weg von ihm und in Richtung der Anderen verschoben. Es war weit weg von seiner fast schon göttlichen Offenbarung - Sam konnte nicht glauben, dass es nicht mal zwei Tage her war -, die ihm nur noch wie ein ferner Traum vorkam. Damals, vor einer Ewigkeit war es ähnlich wie jetzt, nur um ein vielfaches stärker. Er verstand alles: Die Menschen um ihn, konnte ihre Beweggründe erstaunlich klar und detailliert vor sich sehen, wusste, wie er mit ihnen umgehen musste, wusste, was sie wollten und noch wichtiger: Was sie brauchten. Doch dann kam die Erinnerung zurück, sie, Tot. Wieder und wieder. Und alles zersprang, in tausend Scherben. Auch wenn Rich nicht Schuld war und es Brix mittlerweile wieder gut ging, so war dieser Anblick doch der Auslöser gewesen, der ihn aus seiner - wie Sam es mittlerweile nannte - "Göttlichen Phase" riss.
Vielleicht war das auch der Grund für seine Reaktion gewesen? Vielleicht nahm er in dem Moment einfach zu schnell und zu viel auf einmal wahr und das ließ ihn so überreagierend handeln?
Er wusste es nicht. Schon wieder etwas, dass er nicht wusste. Doch etwas wusste er diesmal: Dass er es jemandem erzählen wollte. Und irgendwie war gerade die richtige Stimmung dafür. Also fing er an und redete. Über den Absturz, wie er die Zeit danach wahrgenommen hatte, dass seine Wahrnehmung durch eine Gehirnerschütterung beeinträchtigt war. Über seine Nacht und ansatzweise, wie er den nächsten Tag erlebte, seine Klarheit. Ganz glaubte er nicht, dass er jemandem dieses Gefühl beschreiben konnte, der es nicht selbst erlebt hatte. Doch er versuchte es. Und dann erzählte er wie er beim Anblick von Brix empfand und warum es ihn zu dieser Handlung trieb und er Rich niederschlug. Sein Entsetzen darüber.
Er hätte Zoe auch von ihr erzählen können, doch er wollte nicht an sie denken, nicht an ihre traurigen Augen, nicht an ihre Worte und am allerwenigsten daran, wo sie jetzt war. Vielleicht hätte es Zoe geholfen seine Empfindungen gegenüber der jungen Goth-Dame - er konnte sie einfach nicht "Göre" nennen, nicht mal in seinen Gedanken, obwohl der Begriff wohl passender gewesen wäre als "Lady" oder "Dame" - besser zu verstehen, doch Sam konnte nicht. Also beschrieb er es so, wie er es empfand, ohne Vergleich zu ihrem "Zwilling": Sie war die Schwester, die er nie hatte. Und daran konnte er nichts ändern, egal wie unrational es war.
Sam kam sein Monolog wie eine Ewigkeit vor, in Wahrheit waren aber wohl nur wenige Minuten vergangen. Zoe hatte ihn die ganze Zeit reden lassen. Ob sie ihm zugehört hatte oder mittendrin eingeschlafen war konnte er nicht sagen. Sie war zwar die ganze Zeit in seinem Blickfeld gewesen, aber erst nachdem er geendet hatte, nahm sein Gehirn wieder bewusst wahr, was seine Augen aufnahmen. Sie blickte ihn an. Nachdenklich. Vielleicht auch etwas überrascht.
"Dann sind wir ja fertig mit unseren Insel-Erlebnissen. Und, was steht so als nächstes an?"
Versuchte er die Stimmung etwas aufzulockern und zwang ein etwas melancholisch geratenes lächeln auf sein Gesicht.
Aber er verstand jetzt Zoes Erleichterung, nachdem sie sich von der Seele reden konnte. Befürchtete aber auch, dass sie ihn genau so wenig verstand, wie er sie zuvor. Aber das war in Ordnung. Alles war in Ordnung, solange man reden konnte.
Ein wenig von der Melancholie verschwand aus seinem Blick.
Die Schwedin ging alle Möglichkeiten durch die aktuell zur Auswahl standen, die gähnende Leere die sich dort anfangs präsentierte frustrierte Nova zutiefst.
Palisade ist abgehakt, Jagen kommt nicht in Frage. Funkturm immer noch defekt...
Palisade... Funkturm.
Sie erinnerte sich, dass sie bereits etwas ungewöhnliches sah als sie hier ankamen. Die Palisade war provisorisch an einigen Stellen geflickt. Mit Kabeln, Streben und Stangen aus Metall.
Warum ist sie da noch nicht früher drauf gekommen?
Die gestrige Zusammenkunft beim Essen wurde gerade noch mehr zum Segen. Nicht nur, dass sie sich die Mägen füllen konnten, auch der schnelle Austausch aller bisher gesammelten Infos war selbstredend nützlich.
Casey hatte im Keller von Gebäude 1A einen Werkzeugkasten gefunden.
Schnurstracks ging die Schwedin in den Keller von 1A und nahm den Kasten an sich. Hoffentlich würde ihr dieser bei weiteren handwerklichen Aktionen gute Dienste leisten.
Der Kasten war recht schwer und unhandlich. Zwar hatte er einen Griff zum Tragen aber die Schwedin dachte bereits jetzt darüber nach wie sie es schaffen sollte, wie sie es zusammen mit diesem Ding hoch auf den Turm schaffen sollte.
Im Anbetracht der Tatsache, dass sie keine Tasche und auch keinen Rucksack hatte würde sie wohl oder übel improvisieren müssen.
So sehr sie auch jetzt schon wieder in Planung verfallen wollte, jetzt kam erstmal Schritt Zwei dran.
Mit dem Werkzeugkasten im festen Griff machte sich die blonde Soldatin daran die Palisade abzugehen und nach einer langen, dünnen Metallstange abzusuchen.
In erster Linie wollte sie nichts gewaltsam aus irgendeiner Verankerung befreien. Sie hoffte einfach, dass sie irgendwo ein lockeres Teil finden würde um die Statik und Stabilität nichts zu gefährden.
Nova hielt den Werkzeugkasten in der Hand und suchte in der Palisade nach einer Stange, mit der sie eine Antenne improvisieren konnte. Es dauerte ein wenig, aber dann hatte sie eine viel versprechende Metallstrebe gefunden, die sie nun vorsichtig, aber bestimmt aus der Palisade herauszog. Wunderbar - die Stange war zwar etwas verbogen, aber das war nichts, was sich nicht mit einem Hammer beheben lassen würde. Als nächstes würde sie also den Funkturm hinaufsteigen müssen und dann die Stange irgendwie oben befestigen, was sicher nicht ganz einfach werden würde, aber sie war ja dafür ausgebildet worden.
Nur eine Sache bereitete ihr ein wenig Sorge: Ihre improvisierte Antenne würde im Vergleich zu einer "richtigen" Antenne nur einen begrenzten Frequenzbereich abdecken können. Durch ihre Erfahrung in der Armee wusste sie, welche Bereiche vom Militär genutzt wurden und welche zivil - und es war eindeutig nicht möglich beide Bereiche zu treffen. Allerdings wusste sie auch, dass die Länge der Antenne eine wichtige Rolle dafür spielte, welchen Frequenzbereich sie abdecken konnte.
[Neue Aufgabe freigeschaltet]:
Antennentechnik: Mithilfe der gefundenen Stange kann der Funkturm repariert werden. Die improvisierte Antenne ist dabei allerdings nicht besonders vielseitig - es können entweder militärische oder zivile Frequenzen empfangen und gesendet werden. Geforderte Eigenschaften: Intelligenz und Geschick Teilnehmerzahl: 1
So ausgiebig wie in dieser Nacht hatte Brittney sicherlich schon länger nicht mehr geschlafen.
Das Essen am Vorabend war nicht sonderlich gut gewesen. Natürlich lag das daran, dass der Fokus - wie Sarah sagte - auf dem Fleisch lag und die Idealistin sich mit den Beilagen begnügen musste. Doch sie war daran gewöhnt, dass man sich nun mal nicht überall auf ihre kulinarischen Eigenheiten einstellte. Die Welt war von Faschismus geprägt. Da bildete auch eine einsame Frau auf einer Hinterwäldler-Insel keine Ausnahme. Doch es nährte sie und ließ sie damit auch besser schlafen. Wieder blieb sie von Träumen verschont. Das war vielleicht auch besser so. Wenn sie gerade schon in einem Albtraum gefangen war und ihr ganzes Leben daraus bestand, frei nach Martin Luther King Junior einen Traum zu haben, musste sie nicht noch die erholsamste Zeit des Tages oder der Nacht damit verschwenden, sich Fantastischem hin zu geben.
Eine der ersten Sachen, die die 19-Jährige beschäftigten, war nach dem Prozess des Aufwachens dann doch wieder das Essen. Oder vielmehr das, was zum Essen führen sollte. Sie hatte mehrfach gehört - an der Tafel wurde gestern darüber gesprochen -, dass man heute auf Jagd gehen wollen würde. Das war auf der einen Seite nur fair und verständlich, musste man Sarah doch das zurückgeben, was sie für die Gruppe geopfert hatte. Aber Brix wäre nicht Brix, wenn sie gegen eine Jagd nicht etwas hätte.
So verließ die Bassistin ihren Schlafplatz und klopfte an die Zimmertür der vermeintlich letzten Bewohnerin des kleinen Dorfes. Keine Reaktion. Draußen war sie dann jedoch aufzufinden.
"Ey, Sarah!" Sie sollte sich dieses 'Ey' abgewöhnen. Leute reagierten oft nicht besonders freudig darauf. Das war okay, solange sie nicht etwas von ihnen wollte. Doch immerhin drehte sich die Überlebende zu der jungen Frau um, dessen blaue Strähnen langsam aber sicher drohten, an Farbe zu verlieren. Sie hatte sich jedoch vergewissert, dass das Schwarz noch kräftig genug war und man das Blond am Ansatz nicht sah.
"Es ist noch keiner jagen gegangen, oder?", wollte sie wissen. Ärgerlich, wenn sie bereits zu spät wäre. Doch Sarah erleichterte sie mit einem "Nein. Aber es wird so langsam Zeit dafür."
Brittney nickte fast brav in Zustimmung, hatte sie doch noch einen Einwand. "Ich würde ja los gehen und ein paar Leuten in den Arsch treten, aber nach gestern dürfte es keine Überraschung mehr sein, dass ich... das Töten von Tieren nicht so geil finde." Sie holte nicht zu lange Luft, um Sarahs wahrscheinlich schnell aufkeimenden Einwände früh zu unterbrechen. "Ich weiß, dass ihr glaubt, dass das nötig wäre und ich will jetzt echt keine Grundsatzdiskussion oder so. Aber wenn wir uns darauf einigen könnten, dass wir eben nicht jagen und Tiere töten, sondern uns darauf beschränken, Pflanzen und so aufzutreiben, wäre das schon geil. Vielleicht denkst du jetzt, dass du Fleisch in deinen Mahlzeiten brauchst, und immerhin haben dir die anderen auch Fleisch weg gefressen, aber es wäre vernünftig, wenn wir es nicht tun. Erstens ist Fleisch viel schneller verderblich. Du hast zwar unten deine tollen Henkershaken, aber ja keine echten Kühlräume. Und ich will ja nichts sagen, aber totes Fleisch lockt bestimmt auch andere Tiere an. Wölfe oder so, du hast ja gesagt, die gibt es hier. Und natürlich ist die Palisade da, um zu schützen, aber dass ein wildes Tier es trotzdem hier rein schafft, wäre jetzt nicht das verrückteste, was auf dieser Insel jemals passiert ist, oder?" Sie ließ diese rhetorische Frage ein mal wirken. Ob sie Erfolg bei der erfahrenen Überlebenskünstlerin hatte, wusste sie nicht, aber sie hat es bis jetzt doch jedes Mal auf einen Versuch ankommen lassen, wie aussichtslos auch die Situation.
"Zweitens hat hier wirklich keiner außer dir Ahnung vom Jagen. Ich will jetzt nicht sagen, dass das ein Haufen ahnungsloser Volltrottel ist, aber zumindest ist keiner von ihnen daran gewöhnt, sowas zu tun. Die kaufen sich das alle abgepackt im Wal Mart und fressen sich dann in ihren Yuppie-Buden die Bäuche voll." Natürlich war ihr klar, dass längst nicht jeder von den hier Anwesenden ein Yuppie war. Und der einzige, der vielleicht wirklich einer war, war der, den sie fast am besten leiden konnte. Aber etwas Leidenschaft sollte diese Ansprache ja auch nicht vermissen lassen.
"Und Bree und ich würden beim Kochen dann auch übernehmen und den Scheiß verarbeiten. Bree kennt sich aus wie sonst keiner und ich habe zumindest auch Erfahrung damit. Ich kann sie dann auch direkt mitnehmen, um nach Zeug zu suchen. Dann sind wir schon mal zwei."
Sie zwang sich zu einem Lächeln. Das war jetzt nicht zu schwer. Immerhin trieb sie ihre eigene, optimistische Rede. Und Sarah war eben auch eine der Personen, die ein Lächeln am ehesten verdient hatten - zumindest so weit sie das beurteilen konnte. "Also, was sagst du?"