-
Ritter
Erneut war Sam erstaunt darüber, wie befreiend der Gefühlsausbruch gewesen war. Er war kein Stein, aber dennoch nie der emotionale Typ gewesen, er behielt sowas eher für sich. Seins war seins und für sein Inneres galt das um so mehr. Er war auch immer recht standfest und ihn brachte auch praktisch nichts aus der Bahn.
Zumindest war das vor dem einen Tag so gewesen...
Er hatte sich verändert.
Aus Filmen kannte er das, da hatten selbst die härtesten Kerle mal ihre schwachen Momente. Die schämten sich dann nach dem Tränenausbruch oder spielten es irgendwie herunter, man musste ja den "Harter Kerl"-Schein weiterhin wahren. Und Sam hatte sich immer vorgestellt, dass er sich in solch einer Situation genau so verhalten würde. Ein dankbares Lächeln an die Verständige Person, vorzugsweise weiblicher Natur, und dann wieder stalhart nach außen hin.
Doch hier bewies sich wohl wieder, das Filme nicht die Realität waren. Zumindest nicht in Sams Fall.
Weder schämte er sich noch hatte er das Bedürfnis seine Mauer wieder aufzubauen und sein mittlerweile so empfindsames Selbst zu schützen. Im Gegenteil - er wollte auch die letzten Mauern niederreißen und sich völlig offenbaren, jetzt, wo er einmal damit angefangen hatte. Sam befürchtete, dass wenn er die Gelegenheit nicht nutzen würde, die sich ihm so offen darbot, dass er bestimmte Flecken auf seiner Seele nie los werden würde.
Und Bree... er wollte ihr vertrauen. Er kannte sie nicht. Brix zwar auch nicht, aber das war.. eine andere, eine eigene, eine Sache für sich, viel komplexer als das einfache Vertrauen, dass er Bree entgegenbrachte.
Oder entgegenbringen wollte. So verzweifelt, dass er keine Zweifel oder Warnungen zuließ?
Doch Sam hatte sich entschieden.
"Und wieder muss ich mich bei dir bedanken..."
Er lächelte sie dabei sogar zaghaft und - wie von ihm gewohnt - leicht schief an.
"...und entschuldigen. Das du mir zugehört hast. Und mich reden lassen hast."
Für dein Vertrauen, deine Freundlichkeit. Dein offenes Interesse ohne jeglicher Verurteilung. Für dein Verständnis und dein Schweigen. Für die Worte an mich. dafür, dass du dich nicht ablenken lassen hast. Das du mir verziehen hast und deine Freunde positiv hinstellst.
Das und mehr hätte er ihr sagen sollen, aber das wäre dann doch zu kitschig gewesen, also dachte er es nur und lächelte sie, diesmal etwas strahlender, mit seinen geröteten Augen an. Er bot wohl gerade keinen schönen Anblick, aber so wie er das Freudeverbreitende Mädchen einschätzte, zählte bei ihr eh nur die Geste dahinter, und weniger deren Erfolgreiche Ausführung.
"Die Anderen... damit meinst du wohl in erster Linie Rich."
Sein lächeln wurde etwas gequält.
"Ich bin die Sache falsch angegangen. So wie ich ihn einschätze, hätte er mir wohl schon längst verziehen, wenn ich ihn alleine angesprochen hätte. Vor euch musste er sein Gesicht wahren. Wahrscheinlich hätte er mein Angebot mit dem Schlag sogar angenommen und die Sache wäre damit erledigt.
Das ist nicht negativ gemeint, aber er ist in der Hinsicht recht... simpel gestrickt."
Der belustigte Ausdruck in Brees Gesicht bestätigte Sams Einschätzung wohl, also fuhr er fort.
"Und Brix... ich weiß nicht. Ich kann nicht genau sagen, was mit ihr ist, warum ich solch starke.. Gefühle für sie habe.
Oder doch... ich weiß es..."
In dem Moment, in dem er es laut ausgesprochen hatte wurde ihm bewusst, dass er es die ganze Zeit gewusst hatte. Seit dem Moment, als er sie am Strand gesehen hatte. Nein, sogar schon früher. Sie war ihm bereits am Flughafen aufgefallen. Er wäre fast sogar mit einem Pärchen zusammengestoßen, als sie da plötzlich stand. Sein Gehirn, oder irgendein Schutzmechanismus, hatte es nur nicht zugelassen, dass er die Verbindung bewusst knüpfen konnte.
Doch jetzt, einmal ausgesprochen, lag sie vor ihm, die ganze Wahrheit. Und wieder spürte er die versiegt geglaubten Tränen an seinen Wangen hinablaufen. Sein Gesicht blieb dabei aber ruhig, nur seine Augen zeigten ihren Schmerz indem sie überliefen.
Mit ruhiger Stimme sagte er, was er noch niemandem gesagt hatte, sein Vertrauen in eine Fremde legend, sein tiefstes vor ihr ausbreitend.
Es war nicht so, dass er plötzlich darüber reden wollte, aber jetzt, in diesem Moment, waren die Dämme gebrochen und während die Fluten alles mit sich rissen was noch an Widerstand in ihm war, flossen die Worte ebenso wie seine Tränen ruhig, fast emotionslos, aus ihm heraus. Es war weniger eine Impulshandlung als mehr eine kontrollierte Macht, die ihn Handeln ließ. Fast so, wie bei Rich, war es, als ob nicht er dort stehen und reden würde, sondern als ob er als stiller Zuhörer daneben stand und diese Folter über sich ergehen lassen musste, die Folter der Erinnerung.
"Sie ist.. wie sie. Brix meine ich. Sie sieht aus wie sie. Und sie redet auf diese bestimmte Art, genau wie sie. Und auch wie sie die Augen verdreht, genau so hab ich es mir bei ihr vorgestellt.
Aber ich konnte sie nicht retten, wegen mir ist ihr... schlimmeres widerfahren, als du dir vorstellen kannst. Mittlerweile müsste sie tot sein. Eine Gnade, in jeglicher Hinsicht.
Ich fand sie eingesperrt. Hinter undurchdringlichen Türen. Ich tat was ich konnte. Aber es reichte nicht. Ich kam zu spät. Dreiundzwanzig Tage hab ich alles versucht. Dreiundzwanzig Tage, die ich mich vergeblich abmühte, in Gefahr brachte, mein Leben auf den Kopf stellte.
Dreiundzwanzig. Diese Zahl verfolgt mich in meinen Träumen. Hätte ich sie retten könne, wenn ich es früher gemerkt hätte? Hätte ich es verhindern können, ihr Schicksal abwenden? Oder war es vorgezeichnet? War meine Tortur, mein Weg durch die Hölle vergeblich?
Drei Wochen und 2 Tage. So lange dauerte es. Dann wurde sie abgeholt. Aus meiner Reichweite entfernt. Mein ganzer Plan war zunichte.
Doch zumindest hat es ein Ende. Ich hab alles gesammelt und gespeichert und es den Behörden übergeben. All die.." Und an dieser Stelle Stockte seine Stimme das erst mal wieder und die Tränen brannten sich grausamer ihren Weg hinab "All die.. Fotos. All die Videos und Nachrichten.
Ich wusste alles, so viele Informationen und doch... konnte ich sie nicht retten. Nicht dieses eine Wesen, das mir mehr bedeutet hat als mein Leben."
Hier endete sein Monolog für einige Momente. Und auch seine Tränen meinten wohl jetzt aufhören zu können. Bree spürte , dass er noch nicht am Ende war, also schwieg auch sie.
Sam hatte nicht gemerkt, dass er sich immer noch etwas kryptisch ausdrückte. Aber er hatte über drei Wochen in dieser.. Wahrheit.. gelebt, so das ihm nicht in den Sinn kam, dass für die Menschen um ihn herum das Leben eine andere Wahrheit war, das jeder Mensch seine Wahrheit hatte und Bree daher seine Tortur und sein erlebtes nicht so verstehen konnte, wie es für ihn fast alltäglich geworden war.
dennoch bekam Bree die düstere Grundstimmung mit, die Sams Leben in den letzten Wochen darstellte.
Brix war wohl wichtig. Aber nicht Brix als solche, sondern Brix als Stellvertreterin für jemand anderes. Jemand, die schlimmes durchmachen musste und wohl gestorben war. Es überlief sie eisig, als sie an die Art dachte, in der Sam über das redete, was ihr passiert war.
"Diese Reise sollte unsere Flucht sein. Es war als Urlaub gedacht zum Denali, wie ich dir erzählte. Sie war schon vor Monaten geplant, bot sich also perfekt an, um sie weit weg zu schaffen. Und jetzt... reise ich doch allein.
Allein... Um mich abzulenken, um Abstand zu gewinnen. Und dann treffe ich sie hier." damit deutete er in die grobe Richtung, in der sich Brix befinden müsste.
"Es war ein Schock. Ich dachte schon, dass ich wahnsinnig werde und Halluziniere.
Und dann der Absturz und unter den vielen Toten sind ausgerechnet wir beide Teil der wenigen Überlebenden.
Ich weiß nicht, ob es so was wie göttliche Fügung gibt, aber kann das wirklich noch Zufall sein?
Ich würde dir gerne ein Foto von ihr zeigen, in meinem Koffer und in meinem Portemonnaie hatte ich Kopien aus ihren Akten. Das einzige, was ich noch von all den Daten behalten habe.
Aber das wird jetzt wohl auch alles verbrannt sein."
Betrübt schaute Sam nach unten. Da war etwas in seinem Blickfeld, das ihn störte. Eine Erinnerung...
"Was... Moment..."
Ein paar Sekunden lang machte er sich an seiner Hose zu schaffen. Jetzt erst viel Bree die leicht versteckt liegende Tasche, etwa auf Kniehöhe an der Innenseite seines Beines, auf. Nichts besonderes, es gab ein paar Hosen, die so etwas hatten, aber Sam fand sie, oder eher den Inhalt, plötzlich sehr interessant.
Dann ein Strahlen, ein Lichtblick in all der Düsternis der Geschichte, und Sam hielt ein etwa 3x4 cm großes Stück Papier in der Hand.
"Ein Glück. Ich hatte es eingesteckt, als ich es am Flughafen aus dem Portmonnaie genommen hatte um es mit Brix zu vergleichen."
Er warf noch einen langgezogenen Blick auf das Bild und übergab es dann - jetzt mit einem Lächeln im Gesicht, Bree.
Das Bild zeigte...
"Brix!"
Wenn man die Farbe aus Brix Haaren und die Schminke aus ihrem Gesicht wegdenken würde, dann hätten sie Zwillinge sein können, die Person auf dem Foto und die Bandkollegin der erstaunten Zuhörerin.
Geändert von Eddy131 (23.05.2016 um 02:26 Uhr)
Berechtigungen
- Neue Themen erstellen: Nein
- Themen beantworten: Nein
- Anhänge hochladen: Nein
- Beiträge bearbeiten: Nein
-
Foren-Regeln