Casey nahm Zoes Geste auf und so hielten sich die beiden bei der Hand. Der See war merklich ruhiger, die Wasseroberfläche fast komplett ruhig. Casey fragte sich ob der Wasserfall jetzt wo anders hingelenkt würde, einen Staudamm konnten sie ja schlecht gebaut haben. Aber vorallem kreisten seine Gedanken um Zoe. Er hatte sich natürlich Gedanken darüber gemacht, und sie wusste ja wohl selbst wie sie sich anzog.
"War das dann für dich eine Urlaubsreise, oder ...?"
"Etwas professionelles", sagte sie kurzgebunden.
Sich eine Prostituierte einfliegen lassen klang schon etwas extravagant. Aber wohl im Rahmen des möglichen, in gewissen Preisklassen. Casey wusste nicht warum, vielleicht lag es einfach an den Ereignissen der letzten Tage, oder einfach am beruhigenden Gefühl das er gerade verspürte, aber er hatte kein Problem damit. Was bedeutet es schon, hier und jetzt? Sie ließen sich eine Weile lang treiben, die Geräuschkulisse des Waldes, jetzt ohne den Wasserfall, war überall um sie herum allgegenwärtig.
"Weißt du, für mich eigentlich auch", begann Casey. "Also nicht das jemand auf mich wartete, aber der ganze Flug hier war quasi schon Teil einer Undercover-Reportage. Ging um diese alberne Goth-Göre, du weißt schon, die Pazifistin. Hat recht einflussreiche Eltern, verwickelt in einen recht großen Polit-Skandal, oder so die Gerüchte. Nichts unübliches, in meiner Arbeit."
Er wusste nicht, warum er ihr das alles schilderte, aber es fühlte sich einfach gut an, mit jemanden reden zu können.
"Vielleicht sollte ich es auch positiv sehen. Der Fund eines geheimen Labors irgendwo im Atlantik dürfte auch ne gute Geschichte abgeben. Dazu noch irgendwelche Wilde die Leichen stehlen und alles entdeckt vom furchtlosen Reporter Casey Meier!"
"Oder wir werden alle Teil eines Ritual-Opfers.."
"Immer so hoffnungslos optimistisch?"
"Logo. Komm, lass uns ans Ufer gehen. Wärmer wirds ohne Wasserfall auch nicht. Also?"
"Hmm? Achso, sorry" Er ließ ihre Hand los und folgte ihr Richtung Ufer.
Zoe blickte dorthin, wo vorhin einmal der Wasserfall gewesen war. Vielleicht konnte man ja von unten irgendetwas erkennen, was Aufschluss darüber gab, was dafür gesorgt hatte, dass das Wasser auf einmal gestoppt hatte, herunterzufallen. Von hier unten konnte sie es allerdings nicht sehen, es sah nur so aus, als würde der Bach kein Wasser führen. Auch der Bach hier im Tal führte langsam immer weniger Wasser, was auch nicht weiter verwunderlich war, immerhin kam kein Wasser mehr nach.
Er rüttelte am Gitter, aber es ließ sich definitiv ohne Werkzeug nicht von der Wand entfernen. Es befand sich direkt unterhalb der Decke, ein wenig kühle Luft kam ihm entgegen. Ross schnaubte ein wenig verärgert. Es war zudem noch so in die Wand eingefügt, dass er keinerlei Möglichkeit sah, es irgendwie abzudecken. Er nahm also einen leichten Atemzug der Luft aus der Lüftung ein - roch daran, versuchte auszumachen, ob irgendetwas faul daran war. Zumindest schien die Luft nicht besonders staubig zu sein - dieser staubige Geruch musste wohl von der eindrucksvollen Menge Staub im Raum kommen. Es war schwer zu sagen, ob da wirklich etwas in der Luft lag, Ross meinte zumindest leicht einen seltsamen Geruch wahrzunehmen, aber wer konnte schon sagen, ob er sich das nicht einbildete? Schließlich war er ja mit der Erwartung herangegangen, dass irgendetwas nicht stimmte ...
Nach der schieren Überraschung bezüglich des versiegenden Wasserfalls folgte doch ein kleiner, innerer Hochmoment, als Ross sie darüber aufklärte, dass die Waffe nun tatsächlich bei ihm war. Noch besser: Selbst wenn er gewollt hätte - und Brittney blieb dabei, das er nach ihr selbst wohl der Letzte war, dem sie das zutraute - hätte er sie jetzt nicht ohne Weiteres benutzen können. Und irgendwie ehrte sie sogar, dass sie Geheimniswahrerin dieses Deals war, von dem sonst nur die beiden wussten. Das musste heißen, das auch der Geschäftsmann ihr vertraute. Und wie oft tat das schon jemand?
"Darf ich dich auch boxen, wenn du paranoid wirst?", fragte sie mit einem ironischen Grinsen nach, als er den Schreibtisch verschoben hatte und nun zum kleinen Lüftungsschacht hinaufstieg. Sie glaubte nicht an irgendein... an was glaubte er eigentlich? Jedenfalls glaubte sie nicht daran, dass irgendwas die Leute hier beeinflusste. Es waren die Abgründe der Menschen selbst, die sie so handeln ließen, wie sie es hier zum Teil getan haben. Dass er das nicht in Betracht zog - oder zumindest nach einer anderen Alternative suchte - ehrte den Reichen wohl. Aber es gab ihm nicht Recht.
Trotz der nicht vorhandene Skepsis sah sie dann doch unwillkürlich in Richtung Ross, als dieser seine Nase nah an das Loch steckte. Ein kurzer Moment der Anspannung, dann schien es Entwarnung zu geben. Er zuckte nur mit den Achseln. Eine wohl zu harmlose Geste, um von was auch immer getriggert worden zu sein. "Jo, Rossie. Ich geh mal eben nach draußen, mir den Wasserfall anschauen." Sie wusste nicht mal genau, warum sie das Gefühl hatte, ihm Bericht erstatten zu müssen. Aber so fragte er sich gleich nicht, wo sie war... wenn er sich sowas überhaupt fragen würde.
Draußen angekommen stieg sie ins nun ruhigere Wasser, kurz seufzend, da ihre Kleidung gerade im Begriff war, wenigstens wieder etwas trocken zu werden. Beim erstmaligen Hineinsteigen hatte sie darüber nachgedacht, sich zu entkleiden, wie es andere vor ihr getan haben. Aber in Anbetracht von Leuten wie Casey schien sowas ja keine gute Idee zu sein, auch wenn der sich gerade auf dem Weg zum Ufer befand und dabei bemerkenswert ruhig und freundlich mit der Frau redete, die er vor ein paar Minuten noch angegriffen hatte. Auch Sam, der sich da ja wohl irgendetwas in den Kopf gesetzt zu haben schien, musste sie einen solchen Anblick nicht bieten. Und überhaupt war sie keine Bree und auch keine Zoe. Es musste sich ja nicht jeder wohl dabei fühlen, vor einer Horde Halbverrückter blank zu ziehen.
Die 19-Jährige blieb nahe des Höhleneingangs im Wasser stehen und suchte vorerst mit den Augen die Felswand ab, an der zuvor noch der Wasserfall niedergesaust war. Vielleicht offenbarte eben diese Wand ja nun etwas, das man mit der Menge an fließendem Wasser davor nicht hat sehen können. Wenn sie dabei nichts entdeckte, würde sie sich kletternderweise hoch wagen.
"Um ehrlich zu sein, ich bin technisch gesehen noch keine wirkliche Prostituierte. Escort. Was auch immer. Ich war gerade unterwegs zu meinem ersten Job, bei dem ich nicht einfach nackt zuhause rumhocken kann."
"Und da schicken die dich einfach so über den Atlantik, wenn das dein erster richtiger Job ist? Ist das nicht ein Sicherheitsrisiko?"
"Meine Agentur fand das auch nicht so klasse. Aber der Typ hatte wohl durchschlagende..."
"...Argumente?"
"Argumente."
Zoe nickte und widerstand dem Impuls, seine Hand wieder zu nehmen. Stattdessen blickte sie Casey für ihre Verhältnisse fast schon scheu von der Seite an. Er erwiderte den Blick und lächelte sie an. Es war einfach... schön. Sie waren wieder am Ufer angekommen und irgendetwas in Zoe schrie danach, sich ihr Kleid zu schnappen und überzuziehen. Stattdessen schlang sie einfach einen Arm um ihre Brüste, um wenigstens das offensichtlichste zu verdecken. Wo kam das denn jetzt her? Zoe war massiv verwirrt. Deswegen redete sie einfach weiter wie der Wasserfall, der seinen Dienst nicht mehr tat.
"Eigentlich habe ich bisher nur Cam-Sex gemacht. Also zuhause rumgesessen, mit den Typen gechattet, die mich sehen wollten, und das wars eigentlich. Viele wollten einfach nur das Gefühl haben, nicht allein zu sein. Und naja, Brüste helfen auch immer. Und gelegentlich habe ich halt so getan, als würde ich voll auf deren schmierige Nachrichten abgehen. Wobei, manche Sachen waren schon wirklich schön...ähm...wie auch immer..."
"Und das hat funktioniert? So geldtechnisch?"
"Du wirst es kaum glauben, aber da gab es irgendsoeinen stinkreichen Ami, Anwalt oder sowas, keine Ahnung, der hat jeden Monat Tausende bei mir gelassen. einfach nur, um mir beim Cornflakes essen und Netflix schauen zuzuschauen. Der war zwischendrin ziemlich creepy, aber damit muss man rechnen. Und von dem Geld habe ich natürlich bei weitem nicht alles gesehen."
"Ein Amerikaner?"
"Ja, ich hab irgendwann angefangen, auf englisch zu camen. Größere Userbase und all das. Und irgendwie stand der Typ wohl auf junge Studentinnen, hat sich dadurch wohl jünger gefühlt oder so. Hatte drei Kinder und 'ne Ehe mit einer fürchterlichen Schreckschraube, hat sich ziemlich in mich verknallt."
Sie zuckte mit den Schultern.
"Aber für die Miete hat das nicht gereicht besonders nicht, nachdem...nachdem... naja, es hat halt nicht gereicht. Deswegen dachte ich mir irgendwann... naja, warum nicht mein Hobby zum Beruf machen?"
"Und jetzt bist du hier."
"Und jetzt bin ich hier."
Sie blickte ihn wieder an und schenkte ihm ein Lächeln, das er erwiderte und sie damit fast schweben ließ. Um Himmels Willen, Zoe, du wirst dich doch wohl nicht...! Ihre Schritte lenkten sie über die Wiese direkt zu der Wand, an der heute schon Rich und Fabian gescheitert waren. Von da oben müsste man doch...! Sie liefen wortlos nebeneinander her, aber es war keine unangenehme Stille, die Zoe normalerweise sofort mit wildem Geblubber gefüllt hätte. Im Gegenteil, Zoe fühlte sich tatsächlich gerade sehr wohl - und das trotz seines Ausbruchs in der Höhle.
Sie waren schließlich an der Steinwand angekommen und starrten an ihr nach oben. Die Kletterausrüstung von Fabian lag achtlos zwischen ein paar Steinen. Zoe bückte sich und irgendwie war es ihr fast unangenehm, nur ein Höschen zu tragen. Irgendetwas war WIRKLICH merkwürdig.
"Bist du auch neugierig, warum der Wasserfall nicht mehr fällt?"
"Willst du wirklich...?
"Aw, machst du dir etwa Sorgen?"
"Ich... Ja. Mache ich."
Als Casey den Kopf drehte, blickte er in zwei tellergroße grüne Augen, die weit aufgerissen waren vor Schock. Zoe hatte beim besten Willen nicht mit dieser Reaktion gerechnet und schien kurz komplett aus der Bahn geworfen. Aber dann fing sie sich wieder, räusperte sich kurz und griff den Kletterhaken etwas fester. Sie würde alleine nach oben klettern und schauen, was den Wasserfall blockierte und sich allgemein einmal umschauen.
"Na dann, hoffen wir das Beste."
Sie war auf halben Weg nach oben, als ihr Geist damit fertig war, in Caseys Augen zu starren und ihr eine äußerst dringende Information übermittelte.
"Alter...", grinste Richard in Ikers Richtung. "Was hat diese Felswand, was ich nicht habe, dass da wirklich jeder drauf rumklettern wollen tut?"
Iker wirkte unangenehm berührt und blickte zur Seite, als Rich ihm jedoch gönnerhaft auf die Schulter hieb, siegte ein bisschen die Neugier.
"Sag mal, bist du nicht irgendwie eifersüchtig? Du und Zoe, ihr habt auch recht vertraut gewirkt?"
Rich' Miene verdüsterte sich kurz als hätte der Junge einen wunden Punkt getroffen, doch dann winkte er ab, räusperte sich kurz und meinte: "Alter, wenn du erst Mal in meinem Alter bist, Alter, dann hast du ganz andere Frauengeschichten am Start und am Laufen. Außerdem habe ich mit der "wettenDammen"-Welt" - er sprach es tatsächlich so aus - "...ganz andere Sorgen und Probleme. Und das nicht nur auf der Insel, Alter."
Sein letzter Satz kam leise gesprochen, fast wie mehr zu sich selbst und mit einer ungewohnten Prise an Bitterkeit, dabei natürlich auf jenen "riesigen" Alterunterschied aufmerksam machen der Jugendlichen in diesem Alter die Welt bedeutete.
"Egal Mann.", hellte sich sein Gesicht dann aber schnell wieder auf, "hast du Lust, ne Runde Babewatch zu spielen?"
"Was ist Babewatch?"
"So hieß eine Fernsehserie über Rettungsschwimmer, kam vor Urzeiten im TV. Jedenfalls gab es davon einen Porno. Und von dem Porno die Parodie und davon den Porno, den habe ich mir mal reingezogen. Mit Spermela Anderson!"
Er grinste. "Außerdem sollten wir uns bereithalten, bis jetzt sind alle bis auf Low-Ping an der Wand abgestürzt und ich kann aus eigener Erfahrung sagen: Wenn dich der Sturz nicht killt, dann macht das Piratencaptain Sam Kaktus, der unten auf dich lauert, um dir Einen zu verpassen."
Iker sah aus, als würde er sich himmliche Ruhe ersehen, fast so als wäre es zum Fremdschämen, dem dämlich plappernden Sportler weiter zuhören zu müssen. Trotzdem hatte er nicht Unrecht - das Klettern war gefährlich und sich zur Hilfe bereitzuhalten, konnte nicht verkehrt sein. Also nickte er dem plappernden Sportler zu.
"Komm, gehen wir ein paar Möpse retten.", lachte Rich und gab dem jungen Mann nochmal einen ordentlichen Schulterklopfer. Im Wasser des Sees schwimmend, prustend, ob der Kälte die noch immer im Wasser vorherrschte, hielten sie auf Casey zu, der Zoe sorgenvoll und überrascht hinterher blickte.
"Hey Spacey-Casey, willst du deine deutsche Perle wirklich alleine klettern lassen?", grinste er in seine Richung und gab ihm den Daumen nach oben. Als er Zoes Blick fing, der erst fest in den schönen Augen des Reporters wie verankert zu sein schien, ihn dann aber doch streifte, nickte er ihr zu, als wollte er ihr sagen, dass sie im Falle eines Absturzes hier waren.
Dann schwamm er wieder ein paar Meter in den See, so dass er sowohl Zoe als auch Brix im Blick haben konnte, obschon Brix ja mehr in Richtung Höhleneingang kletterte, während Zoe sich mehr an der Wand versuchte.
"Hey Alter...", grinste er in Ikers Richtung, "...willst mal seh'n wie Brix wie ne Spinne in Sekunden oben ist?"
Ohne eine Antwort abzuwarten, mit den Füßen im Wasser strampelnd, formte er die Hände zu einem Trichter und rief in Richtung Brix: "Hey BRITTANEY, keine Sorge! Wenn du abstürzen tust, rette ich dich!!"
Von ihr kam nur ein Mittelfinger...
Doch noch hatte die junge Goth auch nicht zu klettern begonnen, sondern schien die Felswand des Wasserfalls abzusuchen. Sollte sie jedoch den Aufstieg wagen, wollte Richard bereit sein und hoffte, dass Iker ihm helfen würde.
Und so machten sich die Beiden bereit, um etwaige Abstürzende, also im Moment Brix und Zoe, vielleicht später noch Casey, schnell aus dem Wasser zu fischen und zu umsorgen, um durch den Absturz verursachte Mali zu minimieren oder zu negieren.
Geändert von Daen vom Clan (21.05.2016 um 10:05 Uhr)
Brix sah sich die Steilwand an - vor allem dort, wo der Wasserfall einmal gewesen war. Nichts zu sehen, was ungewöhnlich aussah. Außer der Höhle und dem Raum darin, den sie schon gefunden hatten, war nichts hinter dem Wasserfall versteckt gewesen. Sie machte einige Schritte zur Seite, wo die Wand nicht so nass und rutschig war, und begann dann auch zu klettern.
Zoe prüfte noch einmal, dass die Kletterhaken auch richtig saßen. Zufrieden mit ihrer Ausrüstung versuchte sie die optimalste Route auszumachen. Klettern konnte sie, das wusste sie auch. Aber ohne Sicherung eine 25 Meter hohe Steilwand hinaufzuklettern ... das machte sie schon ein wenig nervös. Sie griff nach dem ersten Vorsprung. Die ersten Meter meisterte sie ohne Probleme, dann kam sie zur Stelle, an der Rich vorhin gescheitert war. Nur nicht nach unten schauen. Es war ein größerer Abstand bis zur nächsten Griffmöglichkeit. Sie machte sich lang, versuchte daranzukommen, ohne springen zu müssen. Sie stand nicht besonders sicher an dieser Stelle - es war zu befürchten, dass sie bei einem Sprung abrutschen würde. Aber es half alles nichts, es war kein weiterkommen hier. Erneut streckte sie sich zum nächsten Vorsprung, es war nur etwa eine Handbreit, die sie davon trennte. Dann stieß sie sich ab. Einen furchterregenden Moment lang fühlte es sich so an, als verlöre sie ihren Halt. Doch als dieser Moment vorbei war, hing sie mit beiden Händen am Vorsprung. [Gewandheitsprobe gelungen]
Der restliche Aufstieg verlief flüssig. Oben angekommen schaute sie sich sofort um. Von hier oben sah alles im Tal so klein aus - da unten stand Rich und winkte ihr zu. Doch das war ja nicht der Grund, weswegen sie hinaufgeklettert war. Das Bett des Bachs war leer, abgesehen von einigen Pfützen. Das änderte sich auch bis zu der Stelle, an der der Wald wieder zusammenführte, etwa 250 Meter weiter hinten, nicht. Auf der rechten Seite des Bachs wellten sich einige leichte Hügel.
Das Probenergebnis fürs Klettern wurde MeTaLeVel per PN mitgeteilt
"Sag mal, bist du nicht irgendwie eifersüchtig? Du und Zoe, ihr habt auch recht vertraut gewirkt?"
"Alter, wenn du erst Mal in meinem Alter bist, Alter, dann hast du ganz andere Frauengeschichten am Start und am Laufen. Außerdem habe ich mit der "wettenDammen"-Welt" ganz andere Sorgen und Probleme. Und das nicht nur auf der Insel, Alter."
...für's Protokoll: Du bist auch nicht so viel älter als ich. Blödmann.
"Egal Mann. Hast du Lust, ne Runde Babewatch zu spielen?"
"Was ist Babewatch?"
"So hieß eine Fernsehserie über Rettungsschwimmer, kam vor Urzeiten im TV. Jedenfalls gab es davon einen Porno. Und von dem Porno die Parodie und davon den Porno, den habe ich mir mal reingezogen. Mit Spermela Anderson!"
Großartig. Einfach großartig. 90% unserer Truppe behandeln mich wie ein Kind, obwohl ich gerade mal vielleicht 2 Jahre jünger bin als der Highschool-Club. (Okay, vielleicht auch mehr. Aber nicht viel jünger!) Und der andere Teil behandelt mich wie ein Kind und erzählt mir nach einem Tag Bekanntschaft was für Pornos er guckt. Typ, was ist los mit dir?!
"Außerdem sollten wir uns bereithalten, bis jetzt sind alle bis auf Low-Ping an der Wand abgestürzt und ich kann aus eigener Erfahrung sagen: Wenn dich der Sturz nicht killt, dann macht das Piratencaptain Sam Kaktus, der unten auf dich lauert, um dir Einen zu verpassen."
Dick und ich sind keine gute Kombination. Ich verwette meine Hose darauf, dass ich die Spitznamen fast genauso wenig wieder aus dem Kopf bekomme wie Rossie.
Davon ab muss ich aber zugeben, dass da was dran ist. Mir behagt der Gedanke daran, dass jetzt noch mehr Leute da hochkraxeln, nicht besonders - und außerdem besteht die leise Hoffnung, dass Dickie neben mir dann nicht als nächstes auf die Idee kommt, mir einen Crashkurs in Sexualkunde geben zu wollen. Brrr. Auch sowas, was auf der awkwardness-Skala eine glatte 8/10 wäre.
"Hey Spacey-Casey, willst du deine deutsche Perle wirklich alleine klettern lassen?"
Fantastische Idee. Und dann schicken wir den Kaktus rauf und holen Zoe dafür wieder runter und entweder es geht gut - oder es geht schief und wir sind unsere Probleme auch los.
...okay, das war jetzt gemein.
"Hey Alter... willst mal seh'n wie Brix wie ne Spinne in Sekunden oben ist?"
Verwirrt gucke ich den grinsenden Typen neben mir im Wasser an.
"Hey BRITTANEY, keine Sorge! Wenn du abstürzen tust, rette ich dich!!"
"Brix heißt eigentlich also Brittaney?"
Huh. Und ich hatte mich schon gewundert, wer sein Kind nach einem Haufen Steine benennt.
"Eigentlich Brittney, aber sie hasst es, wenn man sie so nennt. Würd' ich dir also nicht raten, wenn dir deine Eier lieb sind."
Mein Blick muss wohl Antwort genug sein, denn Dick gluckst ziemlich amüsiert, als er mich ansieht. Ist klar und in rot notiert, Chef. Endlich mal jemand, bei dem mein Spitznamen-Tick was Gutes hat, denke ich, während wir in Aufpasser-Position schwimmen - was soviel heißt wie: Rich schwimmt und ich ahme mal nach, in der Hoffnung, dass er weiß was er tut.
"Blöd, dass wir kein Seil oder sowas haben. So zum Festbinden und so. Da könnten wir ein Ende Zoe um die Figur schnüren und das andere selber halten."
"Und wenn sie abstürzt ziehst du dran, damit sie schneller fällt oder wie?"
"'kay, sagen wir der Plan ist noch in Arbeit! Aber die Knoten würd ich sicher hinbekommen!"
"...sag jetzt nicht, dass du das aus irgendeinem bondage-Streifen hast..." Oh fuck. Das war nicht für's laut-Sagen bestimmt - und Dick grinst mich zu breit an, als dass er das überhört haben könnte.
"Eigentlich mal von ner Pfadfinderin gelernt, aber ich mag wie du denkst, Kumpel!"
Ich nutze die günstigen Umstände und versinke wortwörtlich bis zur Nasenspitze im Wasser. Höchste Zeit für den silent mode offensichtlich, also beschränke ich mich darauf, neben Dickie zu treiben, Blubberblasen zu machen und intensiv Zoe im Blick zu behalten, wie sie sich an die Felswand drückt.
Ross stieg etwas enttäuscht wieder vom Tisch. Das hatte ihn kein Stück weitergebracht. Ganz im Gegenteil, jetzt war er sich noch unsicherer, was er eigentlich glauben sollte. War da nun was gewesen oder war er wirklich nur paranoid? Oder wollte er einfach nur unbedingt glauben, dass Nova keine verrückte Militäre-Schnalle war? Das war dann ja auch noch bedenklicher als ein Psycho-Catus. Der Hänfling konnte im Notfall bestimmt überwältigt werden, aber bei einem Sergeant war das vielleicht nicht mehr so einfach.
Seufzend richtete der Geschäftsmann sich an die Umstehenden, die seine merkwürdige Aktion teilweise verfolgt hatten: "Also was auch immer die Lüftung tut, sie funktioniert zumindest nicht so gut wie sie sollte. Ich würde euch allen echt sehr ans Herz legen, diesen Raum hin und wieder zu verlassen, um Luft zu schnappen." Er klang müde aber seine Worte hörten sich fast wie ein Befehl an. Selbst wenn hier nichts Seltsames vor sich ging war dieser stickige Raum trotzdem kein Ort, an dem man sich lange aufhalten sollte, weil zumindest das Denken träger wurde.
Als er selbst überlegte, ob er nicht mal nach draußen schauen sollte, um nach Brix zu sehen, fiel Ross' Blick auf Fabian. Der Feuerwehrmann war merkwürdig still gewesen und das Letzte, was man von ihm gehört hatte, war doch, ob jemand etwas Seltsames gesehen hatte. Das war irgendwie eine komische Frage, weil sie auch irgendwie so aus dem Nichts gekommen war.
Kurzerhand ging der Geschäftsmann zu Fabian. Noch hatte er nicht aufgegeben, an ungewöhnliche Umstände zu glauben.
"Hey Fabian, ich würde dich gerne was fragen." Er deutete ihm, sich mit ihm in eine der Ecken zu verziehen, falls es etwas gab, das besser vertraulich zu behandeln wäre.
"Sag mal, du hast dich vorhin doch erkundigt, ob jemandem etwas Seltsames aufgefallen ist, oder?" Der Feuerwehrmann nickte.
"Ich habe zwar nichts gesehen, aber mir kommt vor, dass irgendetwas hier nicht stimmt. Also habe ich überlegt, ob du denn irgendwas... bemerkt oder gar gesehen hast? Ich meine, deine Frage kam ja wahrscheinlich nicht aus dem Nirgendwo, oder? Hat das vielleicht sogar damit zu tun, dass du vorhin so Hals über Kopf auch plötzlich die Klippen hinaufklettern wolltest?"
Sie hatte sich in einen schwarzen Kapuzenpulli gehüllt. Natürlich hatte Brittney nicht vor, gesehen zu werden. Im Optimalfall verlief alles, ohne dass auch nur jemand in ihre Richtung sehen würde, zu verwirrt von dem, was vorgehen sollte. Dabei war ihr fast danach, sich mit dieser Tat zu rühmen. Immerhin hielt sie es für einen gewaltigen Coup im Kampf gegen das, was ihre Mutter ihr und allen anderen aufdrängen wollte.
Sie besah sich das Gebäude genau. Es sah aus wie die Menschen die darin sprachen. Weiß, prätentiös. Und an Stelle eines wirklich fest geschlossenen Daches gab es oben eine Glaskuppel, durch deren Transparenz man in die Leere eines prunkvollen aber inhaltslosen Saals blicken durfte. Gestatten - das Gemeindezentrum. Von der Hauptseite her konnte sie leise das langweilige Stimmengemisch hören, während ihre Mutter - der große Star dieser Veranstaltung und eine Gefahr für jeden gesund Denkenden - noch auf sich warten ließ. Das Mädchen besah sich die Flyer in dieser Hand und las die Informationen, die sie gesammelt hatte. Allesamt Fakten, die gegen die politische Agenda dieser Frau sprachen, die sie am Liebsten nie als Familie gehabt hätte. Sie hatte sie inzwischen so oft verlesen, dass sie die einzelnen Punkte aus dem Gedächtnis hätte aufsagen können, entsprachen sie immerhin auch ihrer Überzeugung. Sie checkte das fast nüchtern Aufgeschriebene - irgendwie musste man sich ja den langweiligen Adressaten anpassen - nur, um sich die Nervosität zu nehmen. Immerhin war das hier etwas anderes als nachts in das Schulgebäude einzusteigen
Kurz darauf konnte sie auf der Gegenseite die großen Flügeltüren hören. Das war ihr Signal. Blicke nach rechts, links und hinten versicherten die Rebellin, dass sie nicht beobachtet wurde. Dann ging es los. Das erste Stück würde das schwerste werden. Ein nahe am ungenutzten Hintereingang und dem kleinen Vordach stehender Baum sollte den Anfang darstellen. Die Menge an Flyern wurden in den Bauchtaschen verstaut, bevor sie nach dem ersten Ast griff, ihr festes Schuhwerk - sie hatte sich für diesen Zweck klobige Springerstiefel angezogen - sich an den Baum setzte und sie sich mehr mit Schwung als mit Kraft hochzog. So nutzte sie die einladende Verästelung der Natur - die bezeichnenderweise auch das war, was ihre Mutter an anderer Stelle in weitaus höherer Anzahl abholzen und durch Industrie ersetzen wollte - um sich Stück für Stück hinauf zu schwingen. Kurz unterhalb der Krone testete sie mit einem Fuß den Ast an, der ihr die Möglichkeit für etwas Anlauf geben sollte. Er fühlte sich im ersten Moment sicher an, knackste bei eben diesem Anlauf dann doch und wackelte gefährlich als sie schließlich zum Sprung ansetzte, doch hielt stand. Mit einem leichten Schmerz im Schienbein landete sie auf dem Vordach, an dem der weiße Putz noch unberührt schien. "Yes!"
Den ihrer Einschätzung nach gewagtesten Teil der Aufgabe hinter sich lassend, blickte sie hinauf. Auch das nun Folgende würde kein einfaches Zuckerschlecken werden. Von hier oben sah es dann doch schwierig aus. Oder besser: Es wirkte machbar, jedoch würde ein Fehler auch ein schnelles Abrutschen zur Folge haben. Und das könnte böse enden, wenn sie nicht das Glück hatte, wieder auf dem Vordach zu landen. Sie war aber nicht so weit gekommen, um dann den Schwanz einzuziehen. "Weiter geht's!", spornte sie sich selbst an und suchte zu ihrer Rechten nach einem Vorsprung, den sie entdeckte, doch der ihr zu weit schien. Zur Linken sah es besser aus. Ein weiter Ausfallschritt und sie stand in einem halben Spagat zwischen Vordach und einem kleinen weißen Etwas, auf das gerade noch ein zweiter Fuß passte, den sie in einem nächsten Manöver nachzog. Brittney beging den Fehler, nach unten zu sehen und musste sich für einen Augenblick fangen, wenn es doch auch nur wenige Meter waren, die sie vom Boden trennten. Weniger jedenfalls als beim 10-Meter-Brett im Freibad, in dem jedoch wenigstens Wasser dafür sorgte, den möglichen Aufprall erheblich abzufedern. Der sorgfältig gepflegte Grasboden hier war zwar weich, aber nur solange man nicht aus geschätzten fünf Metern auf ihn fiel, ohne es zu wollen.
Nun zog sie sich hinauf auf eine über ihr befindliche, recht ausladende Art Bordüre am Gebäude. Für einen Moment hingen ihre Beine - die durch die Stiefel ganz schön schwer wiegten - dabei frei in der Luft, bis sie sich mit schmerzenden Knien auch auf dieses feste Schmuckstück ziehen konnte. Dieses Mal verbot sie sich selbst, einen Blick zurück zum Grund zu werfen. Das würde sie beim Herunterklettern noch früh genug tun. Von hier aus durfte sie immerhin einige gerade Schritte in Richtung Kuppel gehen, die nun das einzige war, was sie noch von ihrem Plan trennte. Brittney überwand also die wenigen Meter und blickte durch eines der doch recht großen Fensterstücke, das sich auf ihrer Höhe befand. Sie erwischte wohl den genau richtigen Moment, in dem der Moderator der Veranstaltung - als hätte man nichts besseres zu tun - gerade ihre Mutter ans Pult bat, von dem sie so schnell wohl nicht wieder wegtreten würde. Am besten beeilte sie sich nun, damit diese Frau gar nicht erst anfangen konnte, die Gehirne der Leute zu waschen, die sich doch zahlreich eingefunden haben. Sie vergewisserte sich mit einem schnellen Griff in die Bauchtasche davon, dass die Zettelchen, die sie gleich wie Konfetti in die Menge hinabsinken lassen würde, noch da waren und griff dann an ihren ersten Haltepunkt. Die einzelnen Fensterchen von etwa zwei Quadratmetern waren von kleinen Metallstreben umsäumt, die als Einfassung dienten, sich aber auch perfekt dafür eigneten, an ihnen hinaufzusteigen. Das verursachte immerhin auch weniger Geräusche als das Treten auf die Fenster. Und leise musste sie sein, wenn sie hier schon mitten auf dem sonnendurchfluteten und halb-durchsichtigen Präsentierteller war. Wenigstens schienen die Scheiben ein kleines bisschen getönt, wohl um vor eben diesem Lichteinfall zu schützen. Das würde verhindern, dass ihr Schatten den Leuten in der Halle vor der Nase herumtanzte oder man sie mit einem - von der Rede ihrer Mutter gelangweiltem - Blick nach oben sofort sah, ohne sie nicht vielleicht erst mal für einen Vogel zu halten, den das Lichtspiel der Sonne größer zauberte als er eigentlich war.
Gesteuert von der Angst, gesehen zu werden, blickte sie immer wieder durch die Scheibe nach unten. In diesen Momenten war sie umso dankbarer über die leicht glasige Halbtransparenz. Sähen diese Fensterchen anders aus, wäre sie sich wohl vorgekommen, als würde sie mitten in der Luft liegen, oder stehen. Auch die dünnen Metallstangen, die immer wieder Halt für ihre Füße und Hände waren, gaben ihr die nötige Sicherheit. Drinnen blieb es - abseits von gelegentlichem Applaus, der unverständlicherweise wohl der Rednerin galt - ruhig. Niemand machte sich also Sorgen über die Fassadenkletterin im auffällig schwarzen Outfit. Oder bemerkte sie überhaupt.
Ein innerlicher Freudeschrei folgte als sie endlich - das Klettern machte sich auch langsam in ihren untrainierten Armen bemerkbar - die höchste Stelle des Daches erreichte und wohl froh darüber sein konnte, dass das kleine Kippfenster an dieser Stelle durch eine etwas dickere Metallstange offen gehalten wurde. Brittney zog den linken Fuß nach und positionierte ihn auf dem letzten Zwischenstreben, den sie brauchen würde. Den Halt verlagerte sie in diesem Moment auf ihre beiden Beine und nur eine Hand, die sie zudem etwas vom Glas wegdrückte, um mit der anderen nach der Masse an Flyern zu fischen, die gleich hoffentlich ihrer Vorstellung entsprechend in dynamisch-willkürlicher Verteilung in den Raum flogen.
Als sie sich wegdrückte, musste sie auch das rechte Bein zur Seite hieven, um mit den Fingern ihrer rechten Hand Zugang zur Bauchtasche zu finden. Dabei rutschte sie ab und knallte mit dem schweren Stiefel auf ein Fenster darunter. Es passierte wie in gedrosselter Geschwindigkeit. Ihre Finger hatten gerade das Papier im Inneren ihres Hoodies erreicht, da hörte sie es klirren. Ihr Fuß sackte durch das Fenster, während die kleinen Splitter an Stelle der Flyer auf das versammelte Volk niederregneten. Sie konnte in ihrer Panik nur erschrockenes Aufrufen hören, hoffentlich nicht begleitet von Schmerzensschreien. Mit einem Ruck zog sie ihren Fuß heran und ließ sich dann herab sinken. Die Zettelchen rutschten zum Teil aus der Tasche, blieben zu allem Überfluss jedoch auf einem heilen Fenster liegen, während sie gerade so am eingeschlagenen Fenster vorbeirutschte, sich durch das unfreiwillig schneller werdende Absacken immer wieder an diversen Metallstreben die ohnehin nicht unversehrte Jeans aufritzte und auch den ein oder anderen kleinen Schnitt in die Haut erfuhr. Brittney biss sich auf die Zähne, die klobigen Schuhe nahmen im Vorbeigleiten noch fast ein weiteres Fenster mit. Dann landete sie auf der breiten weißen Fläche, nicht einen Moment zögernd, bevor sie weiter lief. Ihre oberste Priorität war nun, hier weg zu kommen. Und so stürzte sie sich auf die Verzierungen am Rand, die sie zuvor hinaufgeklettert war, schwang sich auf die winzige Plattform unter ihr, kam ins Straucheln und nutzte den versehentlichen Schwung, um auf das Vordach zu springen. Von dort aus war es noch immer zu hoch, um gefahrlos zu Boden zu hüpfen, weswegen ihr vorläufiges Ziel wieder der Baum war. Diesen sprang sie mehr schlecht als recht an, holte sich mehrere Peitschenhiebe der Äste ab, bevor sie doch irgendwie an und auf etwas landete - nicht jedoch, ohne dann sofort weiter abzurutschen und von einem Ast zum nächsten zu stürzen, am Ende glücklicherweise nur aus wenig Entfernung mit der Schulter dennoch schmerzhaft auf dem sichtbaren Teil der Baumwurzel zu landen.
"Hey, du!", hörte sie eine entlarvend klingende Stimme hinter sich und stand schnurstracks auf. Ohne einen Blick in Richtung eben dieser Stimme zu werfen, rannte sie in die entgegengesetzte Richtung, den fürchterlichen Schmerz in ihrer Schulter ignorierend. Wenigstens im Weglaufen war sie geübt und lief so lange weiter -womöglich sogar durch Vorgärten der Suburbs - bis sie nicht mehr das Gefühl hatte, verfolgt zu werden. Glücklicherweise hatte sie niemandem von ihrem Vorhaben erzählt. Im Nachhinein würde sie wohl behaupten, sie hätte das Dach mit einem Ziegelstein eingeworfen.
***
"Hey BRITTANEY, keine Sorge! Wenn du abstürzen tust, rette ich dich!!"
Die Erinnerungen an ihre letzte, verunglückte Kletterpartie ließen Brix nicht los, als sie die Felswand hinaufstieg. Und so war es nur eine Frage der Zeit, dass ihre Arme ihr Gewicht nicht mehr halten konnten und sie fiel. Dabei drückte sich die 19-Jährige noch von der Wand ab, um nicht zu nah am Stein zu stürzen. Zum Glück hatte sie es nicht weit nach oben geschafft und glitt so gefahrenfrei aus nur wenigen Metern ins Wasser, spürte sogar noch Hände, die ihr Fallen abfederten. Das einzig Unschöne waren wohl die Erinnerung an vergangene Eskapaden und die gefühlten Mengen an Wasser, die beim Eintauchen in ihre Nase drangen.
"Hey Spacey-Casey, willst du deine deutsche Perle wirklich alleine klettern lassen?"
"Ich glaub die macht sich eigentlich ganz gut. Zoe schafft das!" Natürlich half wohl das Seil und Hacken, an dem sie sich heraufzog, auch mit. Dennoch erwischte sich Casey dabei wie er mitfieberte, ob Zoe es tatsächlich vollbringen konnte. Sie wäre nicht die erste gewesen, die an den Klippen scheitern würde.
"Ich glaube du solltest dir mehr sorgen um deine Schulkameradin machen, Dick.", antwortete Casey und blickte auf die zweite Person die sich ebenfalls auf den Aufstieg machte, diesmal ohne Werkzeug.
Was genau sollten sie eigentlich jetzt tun? In der Höhle ging es nicht weiter, und wenn nicht gerade jemand da oben ne Strickleiter findet werden sie nie und nimmer alle 20 da rauf bringen, nicht mit Samt ihres wenigen Proviants den sie gefunden haben. Casey wusste nicht ganz warum, aber irgendwie hatte er erwartet, dass sich alles irgendwie von selbst geben würde. Aber inzwischen war der bessere Teil des Tages schon um, und sie hatten immer noch keinen echten Plan, das Funkgerät war wohl ihre einzige echte Hoffnung, schien aber alles andere als funktionsbereit.
Ein Schrei riss Casey aus seinen Gedanken, und er sah gerade noch wie Brittney ihrem Spitznamen gerecht wurde und wie ein Stein in dem See plumpste. Es war wohl kein sonderlich hoher Fall, der Wucht nacht zu urteilen. Dennoch eilte Rich und Konsorten sofort in den See, wie ihre eigene Version von Baywatch. Nur das sie etwas schneller rannten. Etwas.
Casey blickte hinauf, und .. von Zoe war keine Spur. War sie etwa runtergefallen? Aber warte unmöglich, ..
"Zoe! Bist du oben?!", rief er besorgt hinauf.
Und tatsächlich, als Antwort, ragte plötzlich ein bekannter schwarzhaariger Kopf über die Klippe. I
Casey konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
"Und? Kannst du ausmachen, was mit dem Fluss los ist?"
Nova versuchte weiterhin die Ruhe zu bewahren, auch wenn es ihr zunehmend schwerer fiel. Ihr Kopf dröhnte weiter und ihre Erinnerungen prasselten auf sie ein, ließen ihr weiterhin kein Stückchen Ruhe.
Schritt 1. Hol die abgefuckten Batterien.
Schritt 2. Verpiss dich aus der Höhle
Schritt 3. Mach dieses beschissene Funkgerät wieder einsatzbereit.
Einsatzplan. Durchatmen. Ruhig bleiben. Nova erkannte sich kaum wieder. So ging es ihr das letzte Mal vor wenigen Jahren als sie von ihrem ersten Auslandseinsatz zurück kam.
Valentjin kam auf sie zu und hielt ihr mit einem freundlichen Lächeln die Batterien hin.
"Ich hab gehört, du brauchst Batterien? Mit denen sollte das Funkgerät wieder laufen."
Am liebsten hätte Nova zurückgelächelt, doch ihr Gesichtsausdruck blieb so starr und distanziert wie ihre Heimat kühl war.
"Gut."
Ohne weitere Worte griff sie sich die dargebotenen Stromlieferanten und nickte Valentjin nur zu. Sie behandelte ihn gerade wie einen jungen Rekruten der nicht mehr als Ausschussware war.
"Ich bin so frei und nehme das Boot nach draußen. Jetzt wo dieser beh... Wasserfall nicht mehr fließt."
Nach jedem Schritt den sie weiter nach vorn tat ballte sie ihre Faust immer mehr zusammen.
Am liebsten hätte sie gerade einfach irgendjemanden genommen und...
"Ruhig bleiben Nova. Du kannst damit umgehen. Nimm dir Zeit. Nimm dir Ruhe. Atme durch."
Vor dem Boot angekommen griff die Schwedin gleich beherzt zu und schob es unter angestrengtem Schnaufen langsam Richtung Wasser. Das Funkgerät sollte besser nicht nass werden... ebenso wie die Kugeln die sie mit sich führte.
Frische Luft war das erste was sie wahrnahm. Mit einem einzelnen Ruder bewaffnet schipperte die blonde Frau langsam über den See, zurück zum Ufer wo sie ihre Kleidung hat liegen lassen.
Erst als sie den ersten Fuß wieder an Land setzte merkte sie, wie verflucht kalt es auch innerhalb der Höhle war. Die Sonne hatte den Boden ordentlich aufgewärmt und es war ein immens tolles Gefühl mit nackten Füßen in warmes Gras zu treten.
Jetzt konnte sie sich auch endlich dem Funkgerät widmen. Auch wenn es viel zu schade war weil sie es sich gerade erst gekauft hatte... aber ihr Top musste nun als Lappen herhalten.
Nova war in diesem Moment äußerst glücklich über ihre Ausbildung. Mit der Erfahrung und dem Geschick einer ausgebildeten Elektrikerin schnappte sich die blonde Amazone ihr Top und fing an das Funkgerät zu reinigen und letztlich mit Batterien zu versehen. Hoffentlich würde es dann endlich funktionieren... [Geschick 1 + Trait]
Kurz bevor sie ansetzte hörte sie noch das rufen von Rich der ebenfalls im See trieb und sah kurz darauf wie wieder jemand von der Klippe stürzte um im Wasser landete.
Gott sei Dank schien, wer auch immer dort gerade am klettern war, nicht aus großer Höhe zu stürzen. Wenigstens etwas... Nova konnte sich ein entspanntes Lächeln nicht verkneifen.
Die frische Luft tat ihr wirklich gut.
Als der Wasserfall aufhörte zu fließen, war es als hätte jemand plötzlich einen Wasserhahn zugedreht. Was zur Hölle...? fragte sich Fabian innerlich und starrte für einen Moment verblüfft den nun nichtmehr vorhandenen Wasserfall an. Für einen Moment nahm er an, das die Leute in der Höhle irgendetwas gemacht hatten um den Wasserfall auszustellen und war schon dabei sich das mit dem Leute verscheuchen anders zu überlegen, als er sich eines besseren besann. Unsinn, das war da oben ein Fluss und keine Wasserleitung, sowas lässt sich nicht einfach abstellen, wir sind hier in keinem Computerspiel. Es muss einen guten Grund dafür geben und denn will ich selbst sehen.
Während ihm diese Gedanken durch den Kopf gingen, sah er, wie sich nun auch Zoe daran machte, die Klippe zu erklimmen, sah jedoch weniger gehetzt aus als Richard oder auch er selbst zuvor. Er hoffte ehrlich, dass sie es deswegen schaffen würde, zumindest sah sie recht beweglich aus, das würde ganz gewiss auch nicht bei der ganzen Sache schaden. Wo arbeitet die eigentlich? Bei den Klamotten wohl bei einem Eskort Service oder sowas. Nur, was macht sie dann dann in dem Flugzeug hier? schoss ihm plötzlich ein gänzlich anderer Gedankenstrang durch den Kopf, den er kurz darauf jedoch mit einem kurzen Kopfschütteln wieder abtat.
"Hey Fabian, ich würde dich gerne was fragen." Er deutete ihm, sich mit ihm in eine der Ecken zu verziehen, falls es etwas gab, das besser vertraulich zu behandeln wäre.
"Sag mal, du hast dich vorhin doch erkundigt, ob jemandem etwas Seltsames aufgefallen ist, oder?" Der Feuerwehrmann nickte.
"Ich habe zwar nichts gesehen, aber mir kommt vor, dass irgendetwas hier nicht stimmt. Also habe ich überlegt, ob du denn irgendwas... bemerkt oder gar gesehen hast? Ich meine, deine Frage kam ja wahrscheinlich nicht aus dem Nirgendwo, oder? Hat das vielleicht sogar damit zu tun, dass du vorhin so Hals über Kopf auch plötzlich die Klippen hinaufklettern wolltest?"
Als Reaktion auf diese Frage seufzte Fabian. Irgendwer musste ja früher oder später fragen, Fabian hatte es ja schließlich zuerst angesprochen, da konnte er sich jetzt schlechterdings beschweren. Er bedeutete Ross mitzukommen und bewegte sich ein paar Meter von den anderen Weg, so dass nicht gleich jeder zuhören konnte. Zwar würde die ganze Sache so oder so heraus kommen, allerdingswar es ihm trotzdem wesentlich angenehmer, es für den Moment noch unter 4 Augen zu halten. Man musste das ganze ja nicht gleich übereilen. Zugegeben... begann er schließlich und zögerte noch einen Moment, bevor er weiter sprach. Du hast vollkommen recht. Ich habe nicht einfach nur gefragt, ich habe... jemanden gesehen. Jemanden der nicht da sein kann und der ist dann die Klippe nach oben geklettert und dann... verschwunden. erklärte er Ross die ganze Sache. Immerhin war der erste dem er es erzählte jemand, dem er schon vertraute und halbwegs kannte, das machte es einfacher. Jemand von... früher. erklärte er mit stockender Stimme die deutlich machte, wie schwer es ihm fiel darüber zu reden.
Ross war überrascht über Fabians Offenbarung. Das war nicht nur irgendetwas Seltsames, sondern eine ziemlich konkrete Sache, die der Feuerwehrmann meinte, gesehen zu haben.
"Jemand von früher...", wiederholte er die letzten Worte seines Gegenübers nachdenklich.
Unter normalen Umständen hätte er gelacht, ja, Fabian vielleicht sogar ausgelacht. Sie hatten hier schon einiges durchleben müssen und die körperliche Anstrengung mit dem wenig nahrhaften Essen zehrte nicht nur an ihren physischen Kräften. Es wäre nicht verwunderlich, sich unter diesen Konditionen auch mal etwas einzubilden.
Aber gerade der Feuerwehrmann hatte sich bisher mit am besten von ihnen gehalten, hatte genug gegessen, vernünftig getrunken und keinerlei Schwächen gezeigt.
"Klar ist ja eigentlich, dass diese Person nicht wirklich da gewesen sein kann, oder?", fragte Ross, auch wenn es vielleicht etwas unsensibel klang. Aber die andere Alternative wäre gewesen, nachzuboren, und er wollte nicht so neugierig sein. Noch nicht. Irgendwie war es ihm wichtig, Fabian nicht zu nahe zu treten.
"Aber ich glaube dir, dass du überzeugt bist, sie gesehen zu haben. Zwar stimmt das nicht mit meiner Theorie über diese Höhle hier überein, aber vielleicht ist es einfach nur ein weiteres Puzzlestück zu einer Lösung..."
Der Feuerwehrmann sah ihn fragend an.
"Irgendwie hatte ich den Verdacht, dass irgendwas in diesem Raum in der Luft liegt. Etwas, das uns die Nerven verlieren lässt, wenn wir es nur lange genug einatmen. Aber wer weiß, vielleicht ist die Quelle die Falsche und es liegt an etwas anderem. Oder ich bin auf dem Holzweg und das ist nur meine Art, langsam verrückt zu werden." Er lachte, aber Fabian erwiderte es nicht. Vielmehr sah er aus, als würde er die Theorie auch nicht für völlig bescheuert halten, was Ross erleichterte. Obwohl es vielleicht nicht verwunderlich war, nach der Geschichte, die er gerade erzählt hatte.
Das neu entstehende Vertrauen spürend, wollte Ross schon ansetzen, doch genauer nachzufragen. "Was... was war denn das für eine-"
"HEY! ES FUNKTIONIERT! ICH HAB JEMANDEN ERREICHT!"
Die beiden Männer sahen sich im ersten Impuls einfach nur überrascht an. Fabian erholte sich als erstes und klopfte Ross auf die Schulter. "Komm, lass uns nachsehen gehen." Der Geschäftsmann nickte. "Wenn wir Glück haben, müssen wir uns über den ganzen Mist gar keine Gedanken mehr machen." Sie stürmten zum Eingang der Höhle, von wo aus sie ohne den Wasserfall nun sehen konnten, wie Nova am Ufer drüben stand und aufgeregt alle zusammenrief. "Und falls nicht, können wir uns später nochmal zusammensetzen und darüber sprechen."
"BOAH! Geile Punktlandung!", lachte Richard fröhlich, als Brix - mit eindeutig mehr Trotz und Kampfgeist in den Augen anstelle eines Ausdruck des Schmerzes - wieder auftauchte und die Arme zurückzog, als sie merkte, dass sie von Rich und Iker gehalten wurde.
"Diese scheiss faschistische KACKWAND!", zischte sie und starrte erst Richard, dann die Wand herausfordernd an. "Und du, DICKSIE-LAND, wixt dir jetzt Einen drauf, dass du mich gerettet hast.", blaffte sie und Richard riss die Augen auf. "Aber doch nicht vor dem Kleinen hier."
Sich komplett aus den unterstützenden Händen windend, schwamm sie wieder auf die Wand zu und wirkte, als wollte sie gleich den nächsten Angriff wagen.
Sie fluchte innerlich, als sie sah, dass Rich ihr hinterhergeschwommen kam.
"Brix, warte...", sagte er und holte dann seiner Sportlichkeit recht schnell auf.
"Ich habe grade keine Zeit für Weisheiten aus der Welt des Footballs und dass ich die Wand mit einem Ten-Hut-Hike-Whatever nehmen soll."
Richard grinste sein unbekümmertes Grinsen.
"Maann...", lachte er, "...ich weiß, dass du meine Hilfe nicht gebraucht hättest. Aber trotzdem war ich da... habs halt versucht."
Brix sah ihn kurz an, kniff die Augen zusammen und blickte dann wieder die Wand an.
"Wie bist du an der Stelle da vorbei gekommen?", fragte sie unvermittel und ohne Schärfe in der Stimme.
"Du meinst bei der 'gepiercten Clitoris'?" Brix war drauf und dran ihn stehen zu lassen und sich abermals gegen die Wand zu werfen, aber sie musste fast grinsen als sie sah, dass der dämliche Felsvorsprung wirklich so aussah. Und dann fiel ihr ein, dass er vorhin tatsächlich jedem Teilabschnitt einen mehr oder minder treffenden Namen gegeben hatte.
"Genau dort. Die Bitch macht mich fertig.", sagte sie in einem Tonfall der Entschlossenheit und massierte wieder ihre Handgelenke.
"Ehrlich gesagt... ich habs auch nicht gepackt und bin gefallen.", sagte er ein einem überraschend ehrlichen Anfall von Bescheidenheit, doch dann leuchtete wieder der Schalk aus seinen Augen. "Aber an der Stelle bin ich vorbei gekommen! Siehst du die Wurzel da, die aussieht, wie ein eingewachsenes Haar? Die hat sogar mich ausgehalten, wenn du es da versuchst, kommst du auf jeden Fall weiter. Ich bin dann erst bei dem Erdbatzen da oben gescheitert. Aber vielleicht packt es ja Jemand der so wenig wiegt wie du."
Sie grinsten sich beide für den Bruchteil eines Augenblicks an. Dann sah Brix an ihm vorbei, nickte und sagte vollkommen ohne Feindseligkeit oder Spott: "Okay, du bist der Sportler. Was würdest du noch tun?"
Richard strahlte überrascht und dachte kurz nach: "Ich würde mir so Handschuhe bauen wie ich sie vorher hatte. Hilft voll bei den scharfen Steinen. Bei den größeren Vorsprüngen könntest du ausruhen, wenn die Arme weh tun."
Danach gab er ihr noch ein paar Ideen wie er einige kritische Stellen überwunden hatte und ihr fiel auf, wie sachlich, wie nüchtern und wie gut verständlich er auf einmal sprach. Ganz ohne sein übliches Gehabe und Geprotze und ihr wurde klar, dass es für ihn um Sport ging und er ihr gerade Spielzüge erklärte, wie sie anstelle eines Footballfeldes eine Wand erklimmen würde. Sie spürte, dass er Feuer und Flamme war.
"...und zu guterletzt würde ich Zoe einfach bitten, die Kletterdingse wieder runter zu werfen.", schloss er und grinste zufrieden.
"Alles klar - wenn ich die Wand nochmal in Angriff nehme, dann habe ich ja nun einige Ideen."
"Du packst das.", erwiderte Rich feierlich, "Du kannst auf jeden Fall besser klettern als wie ich."
Geändert von Daen vom Clan (21.05.2016 um 17:43 Uhr)