Ergebnis 1 bis 20 von 238

Thema: [Gestrandet] - Episode 2 - Verschwunden (Tag 2)

Hybrid-Darstellung

Vorheriger Beitrag Vorheriger Beitrag   Nächster Beitrag Nächster Beitrag
  1. #1
    Kaum das Rich oben angekommen war und sich die Sekunde Zeit gegönnt hatte, Zoe ein grinsendes Nicken und Sarah ein neugieriges Zwinkern zuzuwerfen, legte er sich flach auch den Boden, so dass er den kletternden Aufstieg von Brix würde beobachten können.

    Er selbst hatte damit gerechnet, dass die Kletterpartie kein Ding der Unmöglichkeit sein würde, nicht bei seiner Sportlichkeit und vor allem nicht unter den Augen der geneigten Zuschauerschaft. Aber bei Brix machte er sich etwas größere Sorgen. Doch sie konnte stur und entschlossen sein und hatte immer einen klaren, fest definierten Willen vor Augen. Den würde sie auch brauchen.
    Er selbst hatte beim Klettern gemerkt, wie es durch die lose bröckelnde Erde immer schwerer geworden war, die Klippe zu erklimmen und er war froh, dass der Rest der Überlebenden den Komfort eines Seiles genießen konnten, das sie oben halten würden.

    Brix, die 25 Meter unter dem Sportler war und nach oben blickte, warf diesem einen undeutbaren Blick zu, er revanchierte sich mit einem zuversichtlichen Grinsen und einem Daumen nach oben. Er konnte fast spüren, wie sie schmunzelnd die Augen verdrehte, als würde sie sagen wollen, dass sie weder seine Erlaubnis, noch seine Unterstützung brauchen würde und dann machte sie sich daran, ebenfalls die massive Klippe zu überwinden.

    Während Richard als geborener Sportfanatiker jeden einzelnen Schritt seines Aufstiegs noch einmal in Gedanken durchging und neu erlebte und natürlich mit dem Vorgehen seiner Kindheitsfreundin verglich, merkte er die enorme Anspannung, als er das schwarzhaarige Mädchen an der Wand klettern und kleben sah. Jedes Mal wenn sie ein bisschen Wurzelwerk abriss, setzte sein Herz aus, wann immer sich kleine Staublawinen in erdigen Krümeln nach unten senkten, wünschte er, er könnte einfach runterklettern und ihr helfen. Doch dazu war die Wand zu gefährlich und auch ihr Kletterstil zu verschieden. Er würde sie eher in Gefahr bringen als ihr helfen, soviel war ihm klar.

    Sie hatte gut die Hälfte geschafft, als Rich das erste Mal ein Zittern in ihren Armen und Muskeln wahrnehmen konnte. Sie war nicht die kräftigste Person, schien normalerweise aber viel mit ihrer Gewandtheit und Agilität ausgleichen können.
    Doch an eine Wand geschmiegt, verloren auf einer götterverlassenen Insel schien ihr das relativ wenig zu helfen.
    Mit zusammengebissenen Zähnen blickte sie nach oben. Direkt in Rich‘ Gesicht und er sah sofort, dass sie Probleme hatte.
    Es wirkte, als wäre sie gegen eine unsichtbare Barriere geklettert.

    Etwas schien nicht zu stimmen, die Anspannung und der Schock drückten schwer auf seine Schultern, sein Mund wurde trocken.
    Die Finger der Schülerin krallten sich nun in den Felsen, die Arme und Beine zitterten aufgrund der nicht ungewohnten, doch extrem anstrengenden Haltung beim Klettern. Sie konnte weder vor, noch zurück, nicht nach links und nicht nach rechts. Sie war buchstäblich zwischen den Felsen gefangen durch das Nichtvorhandensein weiterer Alternativen.

    Für Richard war klar – sie hatte sich im Kletterpfad verschätzt und nun war – absolut unerreichbar für sie – genau ein Meter zu viel zu überwinden, um auf die nächste Plattform zu kommen.
    Sie war in Lebensgefahr.

    Plötzlich schien sich für den Sportler alles in Zeitlupe abzuspielen. Das vor Anstrengung verzerrte Gesicht von Brix, ihre Augen bohrten sich in die Seinen und obschon er in Sicherheit war, schien es, als würde SEIN Leben vor dem inneren Auge Revue passieren, ganz so, wie man es kannte, wie man es sich erzählte, wenn Jemand dabei war zu sterben und sein Leben vorüberziehen sah…



    Es war ein hochsommerlicher Tag und Richard schwitzte so stark, dass er das Gefühl hatte als würde Jemand warmes Wasser seinen Rücken entlangfließen lassen. Aber das war okay, Taylor neben ihm schwitzte genauso und sein freundliches Gesicht wirkte klatschnass noch aufgedunsener als sonst. Coach Breckenrigde hatte sie Beide zu Straftraining verdonnert. Nicht weil sie schlecht waren, ganz im Gegenteil, sondern weil sie – wie er es nannte - „Schande über das Team“ gebracht hatten. Vielleicht war es wirklich nicht die beste Idee gewesen, dem überlebensgroßen Plüsch-Maskottchen der Paloma-High einen riesigen, schwarzen Strap-On umzubinden und ihn in den Flur der Freshman zu stellen, aber was sollte man machen? Sportliche Rivalität musste gepflegt werden…

    Plötzlich unterbrach Taylor seinen locker tausendsten Wurf des Footballs und starrte an Rich vorbei Richtung Schulgebäude, Naturwissenschaftlicher Trakt.
    Dort sollte die Außenfassade erneuert werden und aus diesem Grunde waren dort halb aufgebaute und noch nicht wirklich gesicherte Gerüste zu finden.
    Und in den spinnennetzartigen Eingeweiden kletterte in dieser Sekunde eine Gestalt herum.
    Richard erkannte sie sofort – Brittaney, die er seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen oder gesprochen hatte seitdem sie nun in der High School waren.

    Geschickt schlang sie ihren Griff ein ums andere Mal um die Stahlstreben und kam damit ihrem Ziel – augenscheinlich ein offenes Fenster im dritten Stock immer näher.
    Soweit sich die beiden Sportler erinnerten, war es ein Lagerraum für irgendwas vom langweiligen Fach Biologie.
    Die beiden sahen sich verwundert an und starrten dann wieder Richtung Brix. Sie hatte das Fenster fast erreicht und stieß sich in diesem Moment vom Gerüst ab, um direkt auf dem Fenstersims zu landen, was ihr mit katzenhafter Anmut auch gelang. Wahrscheinlich grinste Brix, so vermutete Rich, doch viel wahrscheinlicher nicht für lang, denn durch den Tritt des Abstoßens war das Gerüst ins Schwanken geraten und verlor in diesem Moment die hölzernen Trittflächen, die krachend nach unten stürzten und einen Rückweg auf diesem Pfade so gut wie ausgeschlossen machten.

    Wieder sahen sich die Beiden an und setzten sich wie automatisch in Bewegung, um zum Ort des Geschehens zu kommen, während Brix sich durch das offene Fenster in den Bio-Raum gleiten ließ.
    Sie hatten vielleicht die Hälfte des Weges zurückgelegt, als sie wieder am Fenster erschien, nun eine Umhängetasche um die Schultern und augenscheinlich in großer Eile, sie wirkte fast gehetzt.
    Und ihr schien klar zu werden, dass sie sich ihren Rückweg verbaut hatte.
    Richards Herz machte einen Sprung als er erkannte, dass Brix trotzdem weiter am Fenstersims herum kletterte. Sie schien nachzudenken, es wirkte, als würde sie einfach nicht an Sackgassen glauben.
    Sie streckte den Fuß aus – zu kurz.
    Sie fingerte mit der Hand an der Wand herum, suchte wohl einen Griff zum Halten, doch keine Chance.
    Es war im Grunde unmöglich, auf diese Entfernung zum Gerüst zu gelangen, es sei denn…
    Selbst auf diese Entfernung konnte er ihre Entschlossenheit sehen, als sie mit einem irrsinnigen Sprung vom Sims in Richtung Gerüst jagte und für eine Ewigkeit in der Luft zu schweben schien.
    Ein Absturz aus dieser Höhe war tödlich, keine Frage.

    Der Football, der achtlos aus den Händen des starrenden Taylors zu Boden fiel macht ein ploppendes Geräusch, als Brix den Todessprung absolvierte und mit beiden Händen eine Querstange des Stahlgerüstes erwischte und behände nach unten kletterte. Nun grinste sie wirklich und die beiden Sportler starrten einander fassungslos an und dann sprinteten sie los.

    Als sie angekommen waren, war Brix verschwunden und nicht mehr zu sehen.
    Aber die nächsten zwei Tage sollte der Biologie-Unterricht ausfallen, denn sämtliche Lebendfrösche, die hätten seziert werden sollen, waren auf wundersame Weise verschwunden.
    Sehr zum Verdruss von Miss Levensworth, die erst vorgestern noch energisch im Streit mit einer gewissen Schülerin davon gesprochen hatte, dass „das Tier dem Menschen untertan ist und locker seziert werden kann weil es eh keinen ‚echten‘ Schmerz spürt.“




    Richard hatte sich die Lippe blutig gebissen, während er an diesen Tag zurückdachte, der nun drei Jahre in der Vergangenheit lag.
    Nur das Brix jetzt noch höher hing und noch weniger Überlebenschance hatte.
    „Fuck …“, knurrte er und starrte Sam und Zoe an. „Bindet mir das Seil um, ich springe von der Klippe und helfe ihr!“, zischte er und Beide rannten sofort los, um das Seil nach oben zu ziehen.
    Doch dazu sollte es nicht mehr kommen.


    Es war zu spät.
    Von Brix war ein letztes, gequältes, ächzendes Stöhnen zu hören und dann verließen ihre Finger die Kante, in die sie sich hineingekrallt hatte…


    Rich hätte sich vor Schreck fast übergeben.


    Er sah Brix ein weiteres Mal in seinem Leben in der Luft schweben. Lebensgefahr im Verzug.

    Und wieder passierte das Wunder!
    Mit letzter Kraft und all ihrer Erfahrung hatte sich Brix gegen den Stein gepresst und sich mit einem entschlossenen Sprung nach oben katapultiert.
    Sie hatte alles auf eine Karte gesetzt und wurde belohnt, als sich ihre Finger in den eigentlich fast unerreichbaren Felsvorsprung über ihr krallten.
    Ihre Arme zitterten, als sie sich hochzog, doch in ihren Augen war ein Funkeln, eine Stärke, eine Selbstsicherheit, die Richard schwer erstaunte.

    Ihm wurde klar…
    Er hatte Stärke, doch sie hatte Kraft. Willenskraft – gespeist aus Idealen und einer unerschütterlichen idealistischen Weltanschauung.
    Solange Brix Ziele hatte, konnte Nichts und Niemand sie aufhalten.
    Er wusste nicht wann sie so geworden war. Seit wann sie so war. Er wusste nur, er hatte sie irgendwie aus den Augen verloren und irgendwie, irgendetwas daran machte ihn für eine Sekunde traurig.

    Und dann war sie fast ganz oben, routiniert hatte sie die letzten Meter geklettert.
    Erst grinste Rich und dann lachte er als er Brix auf den letzten halben Meter die Wand hoch half, so wie sie ihm vorhin beim Ufer geholfen hatte.
    „Na, hast du dir die Hosen vollgeschissen, Dickey?“
    Richard winkte ab und blies die Backen auf.
    „Bullshit, ich wusste sofort, dass du es schaffst.“
    Sie grinsten einander an, einen Augenblick länger als Fremde, grade so, als würden sie einander zum ersten Mal wieder erkennen.
    Und dann kam Sam dazu und vernichtete den Augenblick, als er Beiden erleichtert auf die Schulter klopfte.



    Geändert von Daen vom Clan (25.05.2016 um 15:26 Uhr)

  2. #2


    Es wirkte alles so unwirklich, beinahe wie in Zeitlupe. Sam war als erster oben angekommen, hatte noch das Seil inspiziert und dann sein okay gegeben. Dann war Rich hinterhergeklettert, der alle mit seinem Experiment kurz den Atem anhalten hatte lassen. Und zuletzt Brix, bei der es erst so ausgesehen hatte, als würde sie es nicht schaffen. Aber es war doch noch alles gut gegangen.

    Jetzt standen die drei gemeinsam mit Zoe und Sarah am Rand der Klippen und während neben ihnen der Bach leise plätscherte und sich dann im Wasserfall tösend auf den Weg in den See nach unten machte, die Vögel im Wald sangen und die Sonne immer tiefer sank, sie beinahe blendete, begannen sie nun damit die verbleibenden Passagiere des Flugs nach oben zu befördern, teils selbst kletternd und gesichert, teilweise mit leichtem Zug am Seil unterstützend und teilweise auch ganz nach oben ziehend. Es war eine anstrengende Stunde, bis sie schließlich alle mit ihrem Gepäck, völlig verschwitzt oben standen, kurz die Aussicht über das Tal genossen und vergessen wollten, dass sie gestern erst hier auf der Insel abgestürzt waren. Vergessen wollten, dass sie mitten im Atlantik gestrandet waren, verschwunden aus ihrem Leben, völlig verloren. Es war ein schöner, ruhiger Moment, bevor Sarah schließlich verkündete, dass sie sich nun auf den Weg machen sollten. Dass sie im Wald still sein sollten, dass es gefährlich wäre, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und dass sie sich beeilen mussten. Die Dunkelheit brächte neue Gefahren.

    Das schien der Startschuss für die Überlebenden zu sein, auf einmal schossen die Fragen nur so auf Sarah ein: "Warum bist du hier?", "Wo sind die Toten?", "Was sind das denn für Gefahren?", "Was hat es mit der Türe auf sich?", "Können wir gerettet werden?". Es schien kein Ende zu nehmen, die ganze Frustration, die sich angestaut hatte, entlud sich, nun da es eine Außenstehende gab, jemanden, der die Fragen vielleicht beantworten konnte.

    "Ich werde später eure Fragen beantworten, so gut ich es kann. Aber wie gesagt, wir müssen uns beeilen. Und um Gottes Willen, seid still im Wald.", fügte sie scharf an und blickte dabei vor allem Rich und Sam scharf an.

    Endlich machten sie sich auf den Weg, folgten dem Bach durch den Wald, während es um sie herum immer dunkler wurde. Schweigend marschierten sie, es war eine bedrückende Stille. Die Ereignisse der vergangenen Tage schwebten über ihnen, drückten auf sie nieder.

    Ein Büro, es sieht edel aus. Holzvertäfelte Wand, ein großer Schreibtisch. Der rote Ledersessel dahinter leer. An der Wand hängen Portraits von Generälen. Die Fenster sind groß, beeindruckend. Draußen ein Garten, offensichtlich gut gepflegt. An der Decke hängt ein teurer Kronleuchter. Casey dreht sich um. Vor ihm steht ein kleiner Kaffeetisch, eine Teekanne und zwei gefüllte Tassen. In den gemütlichen Stühlen sitzen zwei Männer, beide militärisch gekleidet. Aber nicht wie normale Soldaten, nein das sind Anführer, das sind die mächtigen Befehlshaber, die entscheiden, wie es in der Welt weitergeht. Die beiden sehen so aus, als bedrücke sie etwas. In einem Aschenbecher vor ihnen liegen Überreste eines Nachmittags voller Diskussionen, voller schwieriger Entscheidungen. Dann fällt Caseys Auge auf die Zeitung, die neben ihnen liegt. Sie ist vom 8. Dezember 1941. Auf der Titelseite eine Schlagzeile über die Angriffe auf Pearl Harbour. Es ist eine amerikanische Zeitung. Die beiden Männer stehen auf und reichen sich die Hände. Der jüngere wendet sich zur Türe und sagt: "Ich werde die Einrichtung eines Spähpostens auf Middle Island veranlassen.". Das ist nicht alles was er sagt, aber alles was Casey hört. Dann war er plötzlich wieder im Wald, lief am Bach entlang, hinter Susanne. Die Müdigkeit, die Anstrengung und die Strapazen mussten ihm wohl einen Streich gespielt haben.

    Dann öffnete sich der Wald wieder und sie standen auf einer offenen Fläche, einer großen Lichtung. Und in der Mitte eine Palisade, die gleichzeitig improvisiert und doch komplex und futuristisch wirkte. Der Bach führte rechts daran vorbei, führte dann wieder in den Wald. Und direkt vor ihnen lag das Tor, das offen stand. Dahinter einige kleine Häuser, die recht heruntergekommen wirkten. Und während sie dort hineinmarschierten und Sarah das Tor schloss und verriegelte ging die Sonne langsam unter.

    Geändert von DSA-Zocker (26.05.2016 um 14:20 Uhr)

Berechtigungen

  • Neue Themen erstellen: Nein
  • Themen beantworten: Nein
  • Anhänge hochladen: Nein
  • Beiträge bearbeiten: Nein
  •