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Held
“Ha–––, Ha–––”
Mein Atem geht schnell, aber gleichmäßig und kontrolliert. Ich laufe mit konstantem Tempo, nur unwesentlich schneller als normales Joggen. Für eine längere Strecke wäre das zu schnell, aber so geht es - ich muss bloß aufpassen, nicht über eine Wurzel oder einen Stein zu stolpern. Eine Waldstück entlangzulaufen ist eben nicht dasselbe wie das Training auf einem Sportplatz oder den Rhein entlang.
Während ich dem Bach folge, um mich ja nicht zu verlaufen - das wäre wirklich der Höhepunkt des Tages, der Teenager, der spurlos verschwindet - konzentriere ich mich ganz auf mich und meinen Körper: Meine Atmung. Mein Tempo. Wie ich den Fuß aufsetze. Wo ich hintrete. Ich merke, wie der Schweiß anfängt, mir übers Gesicht zu laufen, aber das macht mir nichts. Im Gegenteil: Das gehört nunmal dazu. Ich sollte bloß nachher nochmal kurz in den See springen.
Mein Lauftraining ist eine mehr als willkommene Konstante in meinem Leben: Angefangen hatte ich damit in Amerika, in Deutschland habe ich dann weitergemacht. Langstreckenlauf musste mir keiner erklären und ich musste nichts sagen, eines der wenigen Dinge, wo die Sprachbarriere einfach wie weggeweht schien. Über die AG fand ich dann Anschluss zu anderen Kindern, über die machte ich dann endlich schnell Fortschritte mit meinem Deutsch.
Hier ist keine Sprachbarriere. Nur ein ganzer Haufen viel, viel größerer Mist. Und wenn ich mir keine Atempausen wie diese verschaffe, um runterzukommen und alles wieder in die richtige Perspektive zu bringen, liegen meine Nerven bald genauso blank wie die der anderen.
Ja, die Lage ist beschissen. Keiner kann wissen, wie unsere Chancen auf Rettung wirklich stehen. Aber der größte Witz wäre es, wenn Rettung kommt und wir uns bis dahin alle gegeneinander aufgehetzt haben. Kein schöner Gedanke, aber hey - Sam hat heute schon einen ziemlichen Start geliefert. Halluzinationen? Check. Gewalttätig? Check. Und passend dazu haben wir jetzt eine geladene Pistole.
Die hoffentlich weit, weit weg von unberechenbaren, instabilen Personen gehalten wird. Ja, das letzte, was wir jetzt brauchen, sind noch mehr Gefühlsausbrüche.
Ich bin immer noch unschlüssig, ob ich wirklich mit Nova über diese dämliche Szene in der Höhle reden möchte, aber in jedem Fall sollte ich sie wissen lassen, dass ich mich wieder gefangen habe.
Und mit Zoe sollte ich wohl auch nochmal reden. Dazu habe ich noch weniger Lust als auf die Gesprächstherapie-Stunde bei der Schwedin, aber Zoe konnte ja nicht wissen, dass sie da Salz in die Wunde streut. Kiloweise. Und vor allem war die Reaktion so untypisch, dass ich mir inzwischen sicher bin, dass mein Spaß sie auch empfindlich getroffen hat, auch wenn ich keine Ahnung habe, wie oder wieso. Grollen bringt mich jedenfalls nicht weiter, vor allem auf einer Insel, wo man sich nicht aus dem Weg gehen kann. Jedenfalls nicht lange.
Am Strand angekommen mache ich eine kurze Verschnaufpause und schaue mich nach den anderen u... was zum Henker. Offenbar steigt hier gerade die nächste Drama-Szene und wieder ist Sam involviert. Leider ohne seine Klamotten. Ne Leute, da mache ich mich lieber auf den Rückweg, damit will ich nichts zu tun ha…
Knack!
Hastig mache ich, dass ich hinter einem Strauch verschwinde. Bei Leichendieben in der Gegend gehe ich lieber kein Risiko e-oh es ist nur Zoe. Moment, Zoe? Ich bin doch selber erst seit ein paar Minuten hier? Offenbar ist sie direkt nach mir aus der Höhle gekommen. Ich ziehe kurz in Erwähnung, ihr zuzurufen, aber da ist sie auch schon an mir vorbei in Richtung der Zirkustruppe. Ziemliches Tempo, Respekt. Wenn sie das die ganze Strecke drauf hatte wundert mich auch nicht mehr, dass wir fast zeitgleich hier angekommen sind.
Zoes Auftauchen scheint Sam dem Himmel sei Dank zu motivieren, sich endlich mal etwas anzuziehen. Unser Geschwindigkeitswunder lässt sich derweil in den Sand fallen und atmet, als hätte sie gerade einen Marathon gelaufen. Naja, hat sie ja. Einen kleinen. Und das viel zu schnell. Die Erkenntnis, dass Zoe mich wohl doch nicht so einfach in meinem Lieblingssport in die Tasche steckt, beruhigt mich ungemein.
Bleibt die Frage, was ich jetzt mache. Wenn ich dazustoße kann ich vielleicht später so tun, als sei ich mit Zoe zusammen hergekommen. Außerdem habe ich mich so ungünstig versteckt, dass ich es im Leben nicht hier weg schaffe, ohne gesehen zu werden. Bleibt wohl nur die Flucht nach vorn. Die gemächliche, schleichende Flucht nach vorn, ehe noch jemand auf die Idee kommt, ich würde gerne in Büschen hocken und Leute beobachten.
“Ja, ich habe da drin eine Pistole gefunden. Ganz gut in Schuss. Haha, Schuss, ihr versteht?”
“Und...wer hat…?”
“Nova, die Militärtussi, fürs Erste. Ist sicherer, als sie... ähm...öffentlich rumliegen zu lassen.”
Ugh. Zoe. Am liebsten würde ich mir mit der flachen Hand gegen die Stirn schlagen. Wenigstens scheint Sam nichts gehört zu haben.
“Wie auch immer, ich will ja nur mal schauen. Vielleicht ist das auch wirklich einfach Zufall. Kein Plan. Aber erstmal sollten wir wieder zurück und nach dem Funkgerät schauen.”
Uuund… RATSCH.
“Mir bleibt aber auch echt nichts erspart, oder?”
“Scheint fast so, was?”
Sechs überraschte Augenpaare sind auf mich gerichtet, wobei Zoe sich am schnellsten fängt. Bei ihrem Blick wische ich mir rasch das Grinsen vom Gesicht.
“Wo kommst du denn jetzt her?”
Das kurze, klärende Gespräch verschiebe ich wohl lieber, die Dame hat schlechte Laune. Ja, das Laufen war eine gute Idee. Vor einer Stunde hätte ich den Spruch wohl noch persönlich genommen, jetzt schiebe ich ihn auf Zoes akutes Problem mit ihrer Oberweite.
“Ich, äh… hatte gesehen, wie du los bist und dachte, ich komme mit. Du weißt schon, Ross wäre sicher nicht begeistert, wenn jemand alleine in den Wald geht.”
Was ich niieeemals tun würde. Pfadfinderehrenwort mit beidhändig gekreuzten Fingern hinterm Rücken.
“Ich kann schon gut auf mich selbst aufpassen.”
Und mir dabei ein Alibi verschaffen, herzlichen Dank.
“…trotzdem Danke.”, nuschelt Zoe leise hinterher. Gut, dann ist sie also wirklich nicht mehr sauer. Ich lächle einfach zurück.
“Okay, wollen wir dann?”
“Von mir aus kann’s losgehen.”
“Jo Cac, äh, Catus! Mach hinne, ’s geht zurück!”
Und zurück geht es mit dem ganzen Trupp. Jetzt, wo wir langsam laufen müssen - alleine schon, damit Zoes BH sich nicht endgültig verabschiedet - merke ich jetzt doch, wie nassgeschwitzt ich bin. Ehe ich meine Klamotten wieder anziehe muss ich dringend nochmal in diesen See.
Geändert von BDraw (17.05.2016 um 19:06 Uhr)
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