"Ihr habt den Chef gehört. Dann erzählt mir doch mal, wie ihr heißt und was ihr so drauf habt."
Brittney glaubte, sich inzwischen ziemlich gut einschätzen zu können. Sie war gut darin, Hände zu versorgen. Und offensichtlich gut darin, in Flugzeugwracks nach Gepäck zu suchen. Aber sie war fürchterlich, wenn es um Bleche ging. Und insbesondere dann, wenn sie schwere Sandansammlungen auf diesen Blechen transportieren musste. Scheiße, war sie darin schlecht. Die nicht mal wesentlich robuster aussehende Ewgenya hatte ihr das erst aufgezeigt.
Sie hatte nicht mal Zeit, sich wieder zu Wort zu melden, da war es die ewig fröhliche Bandkollegin die sprach:
"Ich könnte dir helfen, Valentijn. Ich bin zwar nicht gut darin, Leuten zu sagen, was sie tun sollen, aber... das kannst ja auch du tun." Sie grinste breit.
"Ich sorge dann dafür, dass die Laune oben bleibt und niemand frustriert ist. Das kann ich."
Naja.
Okay, um fair zu sein: Sie konnte das wirklich. Die 19-Jährige war nur allergisch gegen diese gute Laune. Im Gegensatz zu Bree hätte sie diese auch aufsetzen müssen.
"Dann versprüh deine gute Laune aber bitte bei den Leuten, die sich davon nicht so leicht nerven lassen, klar?", fing sie nur an und implizierte damit auch, dass sie nicht vor hatte, während des Erschaffens eines geeigneten Unterschlupfs die Finger still zu halten. "Ich bin gut in allem, was man mit den Fingern macht." - "Ja, das bi-..." - "Schnauze! Also: Gut mit den Händen, schlecht mit den Armen. Sobald ich was tragen muss, kipp' ich um. Das ging mir bei den Blechen und dem Sand auch schon so. Ich kann den Leuten auch gerne ins Gesicht schreien und sagen, was sie tun soll, aber ernsthaft: Ich glaub' kaum, dass das jemand von euch will. Also keine Ahnung. Lass mich irgendwas zusammensetzen oder so. Und wenn wir mal den Schlüssel zur neuen Bude verlieren sollten, knack' ich die Scheiße auf. Oder werfe die Fenster mit irgendwas ein. Been there, done that." Die letzten Worte wurden von einem eindeutig stolzen Schmunzeln begleitet.
[Bree meldet sich für Teilaufgabe 'Organisation'. Brix meldet sich für Teilaufgabe 'Bau'.]
Ross Norway, Puh. Das wird mir zu Hause niemand glauben. Sam glaubte ja selbst kaum, dass er ausgerechnet auf seinem ersten Flug überhaupt mit dem Gründer von Norway Ink. in einer Maschine saß. Und dass sie beide zu den wenigen Überlebenden gehörten.
Wie viele waren sie überhaupt? Damit schaute er sich erstmals bewusst die Anderen Personen an, die locker im Kreise standen und die paar Gestalten, die etwas abseits waren. So gut Zwei Dutzend werden das wohl sein.
Während die beiden Miss Sunshines sich darum stritten, welche am stärksten Strahlte und wo sie zu strahlen hatten oder eben nicht - die schwarze Sonne [Brix] schien wohl am gewinnen zu sein - wandte sich der fast kahlrasierte Kerl [Windu] ihm zu.
"Holzarbeiten also. Was ist den mit deinem Bein?" "Nova hier" damit deutete er auf die Frau neben sich "meinte, dass da wohl nichts gebrochen ist. Aber der Blaue Fleck tut auch so ordentlich weh. Wenn ich das Bein nicht zu sehr belaste sollte ich aber das ein oder andere hinkriegen. Zumindest ein paar Ratschläge kann ich geben." "Gut, dann hast du den Job." damit wandte er sich an die nächste Person. Langsam wurde der Regen auch stärker, allzu viel Zeit zum trödeln hatten sie nicht mehr, wenn sie nicht völlig durchnässt werden wollten. Dann helf ich mal beim Bau. Wird schon schief gehen.
"Du bist doch...Ross Norway von Norway Inc.! Einer der reichsten Männer Amerikas!”
"Naja, nicht unbedingt reichs…"
"Machst du Witze?”
Ich habe ja nie verstanden, wie manche Menschen so unglaublich viel reden können - dazu noch vor anderen Leuten. Sam aber hat damit ganz offenbar kein Problem. Ein kleines bisschen bewundere ich seinen Enthusiasmus und wie es ihm scheinbar so völlig egal ist, wie die Ader an Rossies Schläfe offenbar direkt mit seinem Geduldsfaden verbunden ist - oder ich würde ihn bewundern, wäre der Inhalt seines Ausbruchs etwas weniger peinlich. Und dabei bin ich der Jüngste hier gerade!
Rossie beginnt offenbar hinter seinem beängstigend starren Lächeln Mordgedanken zu hegen (lauf, Sam, flieh solange du kannst!), da stoppen Brix und Fabian den Redeschwall. Das nennt man wohl mit einem blauen Auge davonkommen, schätze ich. Während Sam eine Standpauke kassiert, fällt mein Blick auf den Block, auf dem unser selbsternannter (hat er das?) Planungsbeauftragter bis eben Notizen gemacht gemacht hat.
“–––!”
Die Handschrift ist gut zu lesen, aber ansonsten sind die Notizen ein totales Chaos. Wenn der mal da gleich noch durchblickt! Wobei… In Gedanken fange ich an, die einzelnen Stichpunkte zu ordnen und die Zusammenhänge wiederherzustellen, während Ross unterdessen Valentijn zum Organistor befördert.
“Hm…”
Der Punkt da unten Links will irgendwie noch nicht–––
“Hey!”
Dunkel erinnere ich mich, dass Ross empfindlich schien, wenn es um seine Privatssphäre geht. Äh… Ups?
“Sorry.”
Ross sieht ehrlich genervt aus. Ob ich ihm erklären sollte…?
“…Ist dir etwas aufgefallen?”
“Es ist nur…”
“Nicht blättern, verstanden?”
…und schon habe ich Block und Stift in der Hand. Ich überlege kurz, dann mache ich mich daran, mit ein paar Linien und Markierungen die in dem Chaos verloren gegangenen Zusammenhänge wiederherzustellen. Als ich fertig bin, sieht Ross mit ausdruckslosen Gesicht den Block an. Dann mich. Dann wieder den Block. Dann wieder mich.
Ich glaube, das ist jetzt ein guter Zeitpunkt um wegzu–
“Glückwunsch, du hast den Job.”
–––eh?
“Was?”
"Ich habe gesagt, ich übernehme die Planung, aber ich brauche offensichtlich Hilfe. Ist dir das nicht aufgefallen? Du scheinst dafür geeignet, also wäre mir deine Hilfe ganz recht. Einverstanden?”
Ich brauche ein paar Sekunden, um zu verarbeiten, dass ich statt einem Grund, schleunigst abzuhauen einen Job bekommen habe. Der Mann sieht mich an, als warte er auf eine Antwort, also nicke ich langsam. Als der Groschen endlich fällt, nicke ich eifrig.
Ich habe einen Job. Wie war das denn passiert? Für einen Moment fühle ich mich merkwürdig mit Valentijn verbunden, bevor dieser die Anwesenden anfängt zu… naja, zu organisieren halt.
* * *
Rossie und ich kommen zügig und problemlos voran und haben kurze Zeit später einen ungefähren Plan. Naja, was heißt wir: Er überlegt laut, ich schreibe mit und bringe alles in Form, damit man es hinterher auch noch verstehen kann, ohne Kopfschmerzen zu bekommen. Das kommt mir ganz gelegen: So muss ich nicht viel reden und habe weniger Gelegenheiten mich zu verplappern. Rossie. Ich beiße mir sacht auf die Zunge, um ein Grinsen zu unterdrücken. Außerdem habe ich sogar grob einen Plan gezeichnet! Also, einen Bild-Plan, keinen Plan-Plan. Oder so.
“So, jetzt müssen wir das bloß noch alles dem Trupp da erklären.”
Ross nickt in Richtung der anderen. Das Mädchen in meinem Alter und die blonde Frau, die ich vorhin hatte ansprechen wollen, als ich den Wrestler mit seinem Verband gesehen hatte, gesellen sich gerade dazu.
Ross sieht aus, als hätte er eine Idee.
“Ich habe eine Idee.”
Sag an.
“Ich gehe kurz zu Lilly und Susanne und bringe die beiden auf den neuesten Stand. Du erklärst den anderen in der Zwischenzeit mei… unseren Plan.”
Wa– ich?! So war das aber nicht gedacht! Du redest, ich gucke zu!
“Ä-Ähm…”
“Okay? Okay, auf geht’s.”
“Aber…!”
Und los ist er. Ich kann ihm nur noch unglücklich hinterherschauen, meinen Ansatz von Einwand hat er entweder nicht gehört oder (wie ich eher vermute) ignoriert.
Rossie scheint ein Händchen dafür zu entwickeln, mich kalt zu erwischen.
“…du hast ja bloß keine Lust schon wieder selber reden zu müssen!”, maule ich leise und mache mich auf.
* * *
Ein gutes Dutzend Augenpaare sehen mich verwundert an. Ross hat sich tatsächlich sofort Susanne und Lilly geschnappt (Feigling!) und mich mit dem Rest stehen lassen.
Lass das stillste Kind weit und breit der Gruppe sagen, was der Plan ist. Bitte sag mir nicht, dass du so deine Milliarden gemacht hast.
Valentijn reißt mich aus meinem internen Monolog raus.
“Und, wie sieht’s aus?”
“Ä-ähm… Also…”
Das fängt ja gut an. Punkt um, Iker, du musst da jetzt dur - warum guckt Sam denn schon wieder so genervt in meine Richtung?
“Also.”, setze ich nochmal an. “Wir haben uns überlegt, dass es wohl am Besten ist, wenn wir uns erstmal ins Trockene kommen. Der Regen wird immer stärker und es wäre schlecht, wenn einer krank wird. Auch müssen wir uns überlegen, wo wir schlafen wollen. Dazu wäre es am Besten, wenn wir einen Unterstand oder sowas bauen könnten. Wir brauchen also Leute die sowas bauen können und Leute, die das Material dafür besorgen.”
So weit, so gut. Und nur eine blöde Wiederholung bisher!
An dieser Stelle halte ich den Plan vom Unterstand hoch, den ich nach Rossies Angaben gezeichnet habe, und erkläre kurz die einzelnen Teile und was für Material dort nötig ist. Er kommt mir zwar immer noch nicht wie der Typ vor, den man auf Baustellen antreffen würde, aber vielleicht hatte er ja durch seine Firma mit Architekten zu tun. Beim Bau einer Filiale oder Zentrale oder sowas vielleicht?
“Das sollten nicht dieselben Personen sein, damit sich keiner übernimmt und vor Erschöpfung zusammenklappt. Va- Valentijn? Valentijn und… Bree? Haben glaube ich den besten Überblick im Moment, wer was machen kann. Wir brauchen auf jeden Fall drei Leute die Material holen. Weniger, und die Zeit wird zu knapp. Das Flugzeugwrack müsste genügend dafür hergeben, aber wir brauchen Sachen, die halbwegs stabil sind. Es wäre doof, wenn alles über uns zusammenbricht. Das heißt bloß auch, dass die Teile vermutlich schwer sein werden. Das wäre also eher nichts für die Verletzten.
Und für den Bau wären zwei bis drei Personen gut - für einen alleine ist das zu viel, aber zu viele, und man steht sich gegenseitig im Weg.”
Na also. Wenn ich jetzt noch wieder anfange, zu atmen, war das doch gar nicht so schlimm, denke ich und gebe mein Bestes, mir das Herzklopfen nicht anmerken zu lassen.
“Va- Valentijn? Valentijn und… Bree? Haben glaube ich den besten Überblick im Moment, wer was machen kann. Wir brauchen auf jeden Fall drei Leute die Material holen. Weniger, und die Zeit wird zu knapp. Das Flugzeugwrack müsste genügend dafür hergeben, aber wir brauchen Sachen, die halbwegs stabil sind. Es wäre doof, wenn alles über uns zusammenbricht. Das heißt bloß auch, dass die Teile vermutlich schwer sein werden. Das wäre also eher nichts für die Verletzten. Und für den Bau wären zwei bis drei Personen gut - für einen alleine ist das zu viel, aber zu viele, und man steht sich gegenseitig im Weg.” Dem Jungen die Mitverantwortung an der Planung zu geben, hatte sich bezahlt gemacht. Mag sein, dass er es nicht gewohnt war, vor Menschen zu reden, aber so ungeschickt stellte er sich nach kurzer Orientierung gar nicht mal an - und Ross schien er zuvor auch schon sehr von Nutzen gewesen zu sein. Bisher liefen also alle Bemühungen erfolgreich, so durfte es gerne weitergehen.
Bree hatte sich, was die Kontaktaufnahme betraf, als Bereicherung herausgestellt. Nun sprach sie die Gruppe Freiwilliger an: "Hey Leute. Schön, dass sich so viele von euch beteiligen möchten. Es gibt ja so einiges zu tun, aber das schaffen wir, nicht wahr? Valentijn hier geht jetzt nochmal mit euch durch, wer wo helfen kann. Hört bitte aufmerksam zu, ja? Und nochmals danke, ihr seid toll!"
"Dank je well, Bree. Also, Ross hat mit Iker's Hilfe alles Erforderliche hier zusammengefasst. Fabian und Ewgenya, ihr habt euch für die Materialbeschaffung angeboten, richtig? Wäre gut, wenn ihr noch einen Helfer auftreiben könntet, aber lasst das keine Zeit kosten. Hier habt ihr eine Liste der Dinge, die für den Bau benötigt werden. Sucht im Außenbereich des Wracks, in den Trümmern und im strandnahen Waldgebiet. Brix, Ugur, Sam - während die Materialsammler beschäftigt sind, solltet ihr euch schon mal ansehen wie sich die Jungs von der Planung das Ganze vorgestellt haben, damit ihr mit der Umsetzung loslegen könnt sobald die Einzelteile eintreffen."
"Und fragt einfach, wenn ihr gerade mal nicht weiter kommt.", fügte Bree an. - "Dann mal los!"
Soweit hatte das doch scheinbar gut funktioniert. Doch wie sich zeigte, hatte Valentijn unter dem Zeitdruck zu leichtsinnig Wesentliches außer Acht gelassen. Schnell kamen Einzelne mit ungeklärten Fragen zurück, den Zeitplan warf das natürlich nach hinten. Glücklicherweise brachte Bree die Gelassenheit auf, um entsprechende Ungereimtheiten fachgerecht und liebenswert aus der Welt zu schaffen. Hoffentlich würde das reichen.
[Bree hat die Charisma-Probe für Organisation bestanden, Valentijn ist leider gescheitert.]
Der Plan den Iker und Ross ausgetüftelt hatten, auch wenn es schwer war zu sagen wer genau wie viel Anteil hatte, schien gut durchdacht zu sein, denn es griff alles gut ineinander und war zudem leicht verständlich als sie es den Helfern erklärten. So hatte ein guter Plan auszusehen, zumindest nach Fabians Meinung. Nicht zu starr, sodass alles bei der kleinsten Abweichung in sich zusammen fallen würde aber auch nicht zu locker. Sie würden es damit sicher schaffen, aus Trümmern und Schrott zumindest etwas zu schaffen. Schließlich pakten alle mit an und die heranziehende Nacht und das drohende Unwetter motivierte allesamt kräftig.
Als es dann daran ging diesen Plan weiterzuleiten und in die Tat umzusetzen, geriet die Koordination ein wenig ins Straucheln. Valentijn drückte sich leider immer wieder recht unklar aus bezüglich der gerade anstehenden Aufgaben. Das führte dazu, dass einige, darunter auch Fabian selbst, Valentijn oder auch Bree aufsuchen und darum bitten mussten ihnen nocheinmal genau zu erklären, wo genau beispielsweise was am Ende hin sollte. Die Unstimmigkeiten in der Kooridinierung reichten jedoch nie über kleinere Missverständnisse hinaus und am Ende lief doch noch alles glatt. Sie kannten sich alle schließlich erst seit ein paar Stunden und früher oder später würden sie schon ein gut eingespieltes Team werden.
An der Materialbeschaffungsfront schien alles gut zu laufen. Bevor Zoe, Evangelina und er tatsächlich anfingen die Materialien, also den Schrott, von A nach B zu tragen, sahen sie sich ersteinmal an wo was lag und wer sich ungefähr um welche Abschnitte kümmern würde, damit sie sich nicht im Weg herum liefen und alles Reibungslos lief.
Nachdem Fabian ihnen grob erklärt hatte, was er von ihnen wollte, und selbst aufgebrochen war, um kleinere Bauteile zu suchen, standen Ewgenya und Zoe noch etwas ratlos neben der Absturzstelle. Fabian hatte ihnen aufgetragen, ein möglichst großes Blech zu beschaffen, was Ewgenya mit einem halb geflüsterten "Zu Befehl, erhabener Koordinator..." quittierte. Zoe dagegen grinste ihre neue Partnerin an.
"Zoe Saphir und Ewgenya...ähm...äh..."
"Szabó."
"...und Ewgenya Szabo, Wildamazonen auf der Jagd nach Altmetall! Klingt das nicht super?"
"Zoe Saphir klingt voll wie der Name von 'ner Stripperin."
"...Ernsthaft jetzt?"
"...einer sehr, sehr teure Stripperin!"
Ugh. Zoe hatte es geahnt. Diese Agentur war wirklich alles andere als subtil bei der Namenswahl. Mit den Daumen strich sich die junge Frau über die Augen und gab ein ersticktes Grunzen von sich.
"Also, Flugzeug auseinandernehmen. Wie machen wir das, ohne, dass der ganze Scheiss zusammenkracht?"
'Keine Ahnung. Ich würde ja einfach von oben anfangen. Wenn wir von oben Bleche wegnehmen, kann wenigstens nichts nachrutschen."
"Klingt clever."
Ewgenya und Zoe hatten sich vor dem Wrack aufgebaut, die Hände in die Seiten gestützt und starrten nach oben. Ungefähr in zweieinhalb Metern Höhe hingen ein paar saftige, lose Bleche. Die Frage war nur - wie kamen die beiden Ghetto-Grazien da ran?
"Paaaaass auf. Das ist sicherlich nicht safe for work, aber ich kann dich einfanch hochheben und du angelst dir dann das Teil und hüpfst elegant nach unten. Schaffen wir das?"
"Können wir schaffen, denke ich, jo."
Zoe formte mit ihren Händen ein Netz, das sie Ewgenya grazil darbot, damit sie ihre Füße darauf stellen konnte. Die junge Halbrumänin kletterte nach oben und hielt sich an Zoes Schultern fest. Räuberleiter für ganz Arme. Ein letzter Blick in die Augen der anderen, ein Nicken, und Zoe schwang ihre Arme mit Kraft nach oben - denk an das Hanteltraining, denk an das Hanteltraining, denk an das Hanteltraining - während Ewgenya versuchte, das Blech auf dem Dach des ehemaligen Flugzeugs zu erreichen. Es fehlten Millimeter, aber ihre Finger griffen immer wieder daneben.
"Komm schon...Du...•••••••••!"
Mit aller Kraft, die Zoe in den Armen hatte, hiefte sie Ewgenya noch Millimeter weiter nach oben. Ihre Muskeln spannten sich an und schmerzten ganz fürchterlich, aber....
[Zoe - Stärkeprobe bestanden]
"UGH!"
"Ah...Ahahaha, ich habs, ich habs, ich ziehe es runt....AHHH!"
Mit einem Schrei kam Ewgenya ins Ungleichgewicht, dadurch kam auch Zoe ins Wanken, die ganze Konstruktion aus zwei Frauen und einer Menge Hoffnung, es nicht zu verkacken, drohte einzustürzen. Mit ihren Fingerspitzen hatte Ewgenya das Blech vom Dach des Wrack gepackt und zog es bei ihren unkontrollierten Bewegungen mit nach unten. Leider etwas schneller als geplant. Und just in dem Moment, in dem Zoes Muskeln streikten und aufgaben und der menschliche Turm zusammenkrachte, kam auch das Blech in Bewegung. Ungünstig. Denn Ewgenya war gerade im Begriff, nach unten zu fliegen und sich den Kopf an einem Trümmerteil anzuschlagen. Zoe hechtete zur Seite, fing die junge Rumänin halb im Flug auf, tackelte sie zur Seite und landete auf ihr im Sand. Sie beiden konnten ihr halb ausgesprochenes "FUCK" nicht einmal beenden, als Ewgenya Zoe an den Oberarmen packte und herumrollte, sodass sie nun auf ihr lag. Das Blech kam angeflogen und hätte Ewgenya sicher schmerzhaft am Rücken getroffen, wenn sie nicht alle ihre Muskeln angespannt hätte und...
[Ewgenya - Stärkeprobe bestanden]
Mit einem äußerst wenig spektakulären "Klonk" prallte das Trümmerteil an Ewgenyas Hüfte ab und begrub die beiden Frauen unter sich. Aber ihnen war nichts geschehen - außer dem Schreck, der ihnen den Gliedern steckte. Zoe sammelte zuerst wieder die Kraft, zu sprechen.
"Huh, öfter hier, schöne Frau?"
"Was?"
"Naja, ich hätte jetzt immer gedacht, dass ein Prinz auf einem weißen Schimmel mich rettet oder so, aber eine coole Rumänin tut's auch"
"Weißer Schimmel ist eine Tautologie."
"Eine was?"
Unter dem Blech war es zu dunkel, um Zoes komplett entgeisterten Blick zu sehen. Meine Güte, so flirtet man doch nicht! Ewgenyas furztrockener Kommentar ging im allgemeinen Lärm der anderen Wrackteile unter, die gerade fröhlich plätschernd auf dem Hauptblech landeten.
"Fabian?"
"FABIAN!"
"FABIAAAAAAAAN!!!"
Nach schier unendlichen Minuten kam der Feuerwehrmann endlich, um herauszufinden, wo die beiden Grazien eigentlich blieben. Er joggte zu dem Blech, unter dem die erbärmlichen Rufe der beiden hervorkamen und spannte seine Muskeln an, um sie zu retten.
[Fabian - Stärkeprobe bestanden]
Mit einer gewaltigen Kraftanstrengung riss er das Blech hoch und fand darunter Zoe und Ewgenya, die sich eng umklammert hielten und aufeinanderlagen. In einer anderen Welt die perfekte Ausgangsszene für einen feuchten Traum, hier nur die Quelle für allgemeine Erleichterung auf Seiten der drei Hauptaktuere in der Materialbeschaffung.
"Warum zum Fick haben wir die Scheisse eigentlich gemacht?"
"...und nicht, keine Ahnung, der fucking GEWICHTHEBER?"
"Oder der ÖLRINGER?"
"ODER IRGENDWER AUSSER UNS?!"
Die beiden rappelten sich hoch, Zoe strich Ewgenya etwas unmotiviert den Sand vom Top und unter allgemeinen Beschwerdetiraden schleppten sie sich wieder zu den anderen - soll Fabian doch schauen, wie er das Scheissblech zum Unterstand geschleift bekommt. Nicht mehr unser Problem.
Wie es Valentijn vorgeschlagen hatte, begaben sich die drei ungleichen, zum Bauen des Unterstandes Abgestellten zu Ross und Iker, um von ihnen die nötigen Informationen zu bekommen. Besonders Ersterer zeigte von Anfang, warum er scheinbar so eine Art Berühmtheit war. Brix hatte das Gefühl, Sam einige Male beinahe aus dem Arsch des blonden Mannes ziehen zu müssen, damit er nicht komplett darin verschwand. Der peruanische Junge hingegen schien das Wissen erstaunlich schnell zu adaptieren und seinerseits scheinbar fehlerfrei - jedenfalls wies ihn Ross nicht auf Fehler hin - anzuwenden und weiterzuleiten. Die Bassistin verstand - wie wohl auch ihre Baukollegen - nur auszugsweise etwas von dem, was gesagt wurde. Doch sie fühlte sich dazu in der Lage, zu tun, was man von ihr verlangte, ohne die genauen Gründe zu verstehen. Lediglich Sam stellte immer wieder Fragen, die wohl sein verstärktes Interesse aufzeigen sollten. Brittney hasste Leute wie ihn. Sie kannte diese Art von Personen aus der High School gut genug. Da wurden selbst eindeutig gestellte Aufgaben hinterfragt, um dem jeweiligen Lehrer zu zeigen, wie kritisch und differenziert man doch war und wie sehr dem Perfektionismus verfallen. Vielleicht hätte das beim Suchmaschinenmogul auch gewirkt, wenn dieser nicht wie fast alle Versammelten gewusst hätte, dass durchaus eine gewisse Portion Eile angebracht war. Scheinbar teilte auch Ugur diese Meinung und artikulierte sie ziemlich eindeutig: "Sei mal leise und pack gleich einfach mit an, Bruder. So werden wir nie fertig, weißt du?"
Nicht viel später hatte der fleißige Trupp an Materialbeschaffern ihre Aufgabe zu großen Teilen erledigt. Es war durchaus beeindruckend zu sehen, wie es den Dreien - nicht mühe- und auch nicht fehlerlos, aber doch ohne größere Blessuren - gelang, alles aus dem Wrack an die geeigneten Stellen zu tragen und es dem ebenfalls dreiköpfigen Bauteam damit leicht zu machen. Wieder war Brittney ziemlich beeindruckt von der unscheinbaren Ewgenya, die ihre Kraft zum zweiten Mal unter Beweis stellte, während sich auch die hübsche Zoe und der Feuerwehrmann ihrer Aufgabe eindrucksvoll widmeten.
Es waren noch nicht alle Teile da, die Iker und Ross als notwendig erachtet hatten, doch der Türke, der Deutsche und die US-Amerikanerin begannen bereits damit, das Fundament zu setzen. Die Planer mussten hier und da weitere Anweisungen geben, da es sich doch nicht einfach darstellte, die einzelnen Bleche an die richtigen Stellen zu stecken. Die 19-Jährige wusste immer genau, was ihre Finger machen mussten, doch fühlte sich nicht dazu im Stande, sich auszumalen, wie daraus mal etwas Sinnvolles werden sollte. Sam hatte nach der Schelte des ehemaligen Ölringers zwar aufgehört, den Doppelgänger von Ellen DeGeneres zu belagern, sah jedoch nun auffällig oft in Richtung der deutsch-orientalischen Schönheit, die inzwischen - ihren Erfolg genießend - etwas abseits im Sand saß. Das konnte Brix ihm nicht wirklich verdenken, doch auch abgesehen davon ging er außerordentlich langsam vor, brauchte immer wieder eine Weile, um das offensichtlich verletzte, momentan nicht ganz standfähige Bein neu zu positionieren.
"Willst du vielleicht anfangen zu arbeiten, oder weiter Titten gucken?", brach es aus ihr heraus. Sie legte absichtlich viel Lautstärke in ihre Worte, damit ja niemand sie überhören könnte. Sam zuckte zusammen. Ob er ertappt oder nur eingeschüchtert aussah, konnte sie nicht sicher sagen.
"Ist ja gut. Das kann man aber auch anders formulieren."
"Man kann auch anders arbeiten. Zügig nämlich." Sie sah vielsagend in Richtung Himmel, wenngleich das gar nicht unbedingt nötig gewesen wäre. Die langsam aber stetig häufiger werdenden Regentropfen kündigten an, dass die Fertigstellung des Unterstandes nicht mehr zu lange auf sich warten lassen sollte, wenn sie nicht allesamt an einer Erkältung verenden wollten. "Der Regen wartet jedenfalls nicht, bis du mit deinem Mittagsschlaf und dem Sextraum durch bist. Also nächstes Mal erst abspritzen und dann arbeiten, okay?"
Ugur gluckste belustigt von ihren Worten, während er im Gegensatz zur Bassistin jedoch unbeirrt weiter arbeitete. Über ihn hatte sie sich die gesamte Zeit lang nicht aufregen können. Er wusste, was er tat, tat das auch ohne sich Zeit zu lassen, baute trotzdem keine Scheiße und brachte ganz im Gegensatz zu Sam und ihr selbst sogar noch die Körperkraft mit, die hier und da nötig war, um falsch versetzte Bauteile herauszuhieven und anderweitig zu verwerten.
Der Deutsche nuschelte sich derweil etwas in den Drei-Tage-Bart, arbeitete jedoch tatsächlich zügiger, was sich für eine Weile auch im gesamten Bauprojekt bemerkbar machte. Die improvisierten Blechwände wurden langsam hochgezogen und gaben der Ansammlung an Einzelteilen mehr und mehr Form. Vor allem war es wohl den ruhigen aber bestimmten Einwürfen des Türken und Brittneys sonnenscheiniger Bandkollegin zu verdanken, dass die Stimmung hier und da nicht eskalierte. Der junge Mann mit der Gehirnerschütterung war zwar nicht allzu leicht reizbar, doch hätte nach den dutzenden, noch folgenden Kommentaren der Sticheleien liebenden Rebellin wohl irgendwann Kontra gegeben, wäre da nicht Bree gewesen, um ihn mit guter Laune eben genau davon abzulenken.
Trotz eben dieser Ablenkung kam es dann aber doch, wie es kommen musste. Die fehlende Konzentration durch die Kopf- und Beinverletzung wie auch das erzwungen gehetzte Arbeiten und die Kommentare von Brittney resultierten in einem im Sand dumpf verendenden Scheppern, als Sam mit der kaputten Wade an eines der Bleche stieß und damit eine Ecke der Baute zum Einsturz brachte. Lediglich dem Schnellen Handeln und der Stärke Ugurs war es wohl zu verdanken, dass sich nicht auch weitere Teile an anderen Stellen dominoeffektartig aus der Vertikalen verabschiedeten. Er hielt fest. Während einer der anderen beiden hätte helfen müssen, um die Löcher schnell zu stopfen und wieder eigene Standhaftigkeit ins fast fertige Gebäude zu bringen, ging die Tochter der Kongressabgeordneten jedoch auf den Unfallverursacher los.
"Willst du mich verarschen? Warum setzt du Pisser dich nicht wie die anderen brav in den Sand und lässt die Leute arbeiten, die einen Hauch Ahnung von der Scheiße haben. Du bist so ein Affe, Alter!"
"Es reicht jetzt! Du kannst nicht die ganze Zeit so mit mir reden. Ich...-" Ein Ächzen unterbrach ihn. "Ey kommt, klärt das später, ok?", warf Ugur ein. Die Bassistin konnte fast sehen, wie weit ihre Hänseleien Sam gebracht haben, wie seine Gesichtsfarbe nicht nur durch die Anstrengung die Farbe gewechselt hatte. Er hätte ihr wohl am liebsten ordentlich die Meinung gegeigt, doch schien im Gegensatz zur Rebellin auch ein ganzes Stück vernünftiger. Er wirkte fast dankbar, als nach einer kurzen Pause der zweite Satz vom Kraftpaket folgte, der ihm die Möglichkeit gab, sich für den Moment zu entfernen. "Sam, hol mir mal ne Flasche Wasser oder so."
Bree begleitete den aufgewühlten Kerl weg von der Baustelle und warf Brittney noch einen verurteilenden Blick zu, bevor diese sich endlich erbarmte und die Teile neu einsetzte, die herausgeschlagen wurden, um so auch den Ex-Lagerist zu entlasten. Nachdem die beiden den Bau des Unterstandes im Anschluss an die Unterbrechung zu Ende brachten, kehrte der zum Wasserträger Degradierte wieder zurück, reichte dem reichlich schwitzenden Türken eine Flasche und setzte sich dann in den Sand. Die kurze Dauer der restlichen Arbeit lang beobachtete er weitestgehend still die finalen Momente, gab nur hier und da hilfreiche Tipps, die er vor allem an Ugur richtete. Dass die Drummerin von 'Dick and the Chicks' gegen Ende noch zu Brix aufschloss und ihr im Stillen zu verstehen gab, dass sie eine Entschuldigung für angebracht halten würde, verlieh ihr mehr als den Hauch eines schlechten Gewissens, zu dem sie sich aber nicht offen bekannte.
Am Ende war sie nur froh, dass die Hütte endlich stand.
Endlich stand die Hütte. Sie war zwar nicht besonders groß, und nicht besonder schön, aber immerhin war sie dicht und stabil. Die Überlebenden von Flug Atlantic Airlines 180, bislang glücklicherweise noch nicht durchnässt, versuchten es sich auf dem Sandboden möglichst gemütlich zu machen. Es stand fest: eine gemütliche Nacht würde es nicht werden. Immer wieder zuckten die Blitze am Himmel, immer wieder weckte ein krachendes Donnern diejenigen auf, die einen leichteren Schlaf hatten. Es war noch keine 10 Stunden her, dass sie alle am Flughafen gewesen waren, auf dem Weg in die Vereinigten Staaten und jetzt saßen sie auf einer Insel mitten im Atlantik fest. Hatten einen Flugzeugabsturz überlebt. Ein brennendes Flugzeug gelöscht. Und jetzt auch noch eine Hütte, aus nichts außer Schrott und einigen Ästen und Blättern zusammengebaut. Und wer weiß, vielleicht sah am nächsten Morgen ja alles anders aus, alles besser aus? Es musste doch schon längst ein Suchtrupp unterwegs sein - wenn ein Flugzeug abstürzt, dann lässt man das ja nicht einfach liegen.
Am nächsten Morgen schien die Sonne durch einen leicht bewölkten Himmel. Das Gewitter musste irgendwann weitergezogen sein, oder sich abgeregnet haben. Es war noch recht kühl, als die ersten erwachten und die Hütte verließen. Trotz des heftigen Windes, der in der Nacht geheult hatte, war sie nicht zusammengebrochen, hatte gehalten. Nach einem kurzen Frühstück aus den restlichen Vorräten des Servierwagens und der gefundenen Kiwano, die äußerst gewöhnungsbedürftig schmeckte, waren die Überlebenden bereit für den neuen Tag. Dann erst fielen ihnen die seltsamen Schleifspuren auf dem Strand auf, die vor allem aus der Richtung der Trümmerteile und des Flugzeuges davonführten, in den Wald hinein. Was war hier heute Nacht geschehen?
Es schien so, als wäre alles noch da, als sähe alles so aus wie gestern. Das gefundene und geborgene Handgepäck war nicht abhanden gekommen - und wenn es Tiere gewesen waren, warum war denn dann das Essen nicht auch verschwunden? Es dauerte eine Weile, bis der Erste es bemerkte - die Leichen, die im und ums Flugzeug herum gelegen hatten, teilweise auch unter den Trümmerteilen, und um die sie sich bisher nicht hatten kümmern können, diese Körper waren allesamt verschwunden.