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Auserwählter
"Herzlich willkommen zu unserer Inseltour, mein Name ist Zoe Saphir und ich bin heute ihre Reiseleiterin! Zur linken sehen Sie ein rauchendes Flugzeugwrack, zur rechten den Ozean. Erfrischungen gibt es vorne am Bach. Und das war sie auch schon, unsere Inseltour. Beehren sie uns bald wieder!"
Mit einem Grinsen wand Zoe sich wieder um und blickte in sechs komplett entgeisterte Gesichter. Die großgewachsene Schwedin runzelte die Stirn, sagte aber nichts, während die anderen sie mehr oder weniger ignorieren. Super-Zoe, hier um den Tag zu retten mit unangebrachten Sprüchen. Tut mir ja Leid, aber wenn ich das nicht erzähle, drehe ich durch und gehe mich in der nächsten Pfütze ertränken. Ihre zaghaften Coping-Versuche kamen aber anscheinend nicht so wahnsinnig gut an. Zoe seufzte tief und setzte sich wieder an die Spitze der kleinen Wassercrew. Alleine. Dabei formulierte sie ihre Gedanken beim Laufen laut aus.
"Also, nicht dass ich das wüsste oder so, Geographie war nie meine Stärke, aber seit wann gibts eigentlich Inseln im Nordatlantik?"
Nachdem Richard das Wasser für trinkbar eingestuft hatte, ließ sich Zoe neben ihm in den Kieseln nieder und schöpfte mit der Hand ein wenig Wasser. Ein bisschen in den Mund, ein bisschen über die aufgeschürften, schwitzigen Arme, ein bisschen über das Gesicht. Das war der wortwörtliche Himmel. Sie hatte gar nicht gemerkt, wie heiß es rund um die Trümmer war. Während die anderen schon die Gefäße füllten, allen voran die junge Punkerin, die unter der schieren Last ihres 0,5 Liter-Bechers fast zusammenzubrechen schien, kniete Zoe weiter tief in Gedanken an dem kleinen Bach. Keine zehn Pferde würden sie hier wegbekommen.
Eine Idee stahl sich in den Kopf der jungen Frau.
Eine beschissene Idee.
Aber eine Idee.
Sie erhob sich, warf die langen Haare über die Schultern und zwinkerte Ross kurz zu. Warum auch immer ihm, er schien noch abgeklärter als sie selbst. Für ihn war das hier anscheinend nur eine ungelegene kleine Unterbrechung seines gewiss unfassbar wichtigen Businessscheissdrecks und er schien mehr genervt als wirklich panisch. Ja, genau, Miss Reiseleiterin. Weil du genau in der Position bist, um über die Coping-Mechanismen anderer Leute zu lästern.
Sie checkte kurz die Länge ihres Kleides (angemessen lang), den Zustand ihrer Unterwäsche (vorhanden) und ihren eigenen Mut (brüchig) und hakte ihre Daumen in den Bund ihres Baumwollstrumpfhose. Sie hatte irgendwann mal gelesen, dass man bei langen Flugreisen eine feste Strumpfhose tragen sollte, Thrombose oder so. Sie nahm einen tiefen Atemzug und zog den Stoff über ihren Hintern nach unten. Eher unbewusst warf sie sich in eine möglichst würdevolle Pose. Wobei sie nur "so sexy wie ein 9 Euro-Porno aus dem Orion" hinbekam - vorn übergebeugt, den Hintern in die Luft erhoben und betend, dass ihr Kleid zumindest die meisten Einblicke verhinderte.
Nova, die anscheinend verstanden hatte, was Zoe da tat, wollte schon protestieren.
"Ich glaube, die Behälter, die wir haben, reichen schon..."
Zoe ignorierte den Einwurf. Helfen. Hauptsache helfen. Sie schälte sich aus dem engen Beinkleid, wackelte dabei ein bisschen mit dem Po und straffte sich dann schnell wieder. In einer deutlich damenhafteren Bewegung tauchte sie die Strumpfhose unter Wasser, bis sie sich ganz mit Wasser vollgesogen hatte.
Mit einem Lächeln drückte sie Rich das tropfnassen Knäuel in die Hand.
"Schau nicht so. Das Teil kann locker einen halben Liter Wasser aufnehmen, vielleicht mehr. Wenn euch die Töpfe ausgehen, einfach auswringen. Oder als Andenken behalten."
Ein weiteres Zwinkern, ein schnelles Umdrehen, ein intensiver Selbst-Facepalm. WAS TUST DU DA?! schrie ihr Gehirn. Willst du dich demonstrativ nuttig verhalten, weil das jetzt dein Charakter ist, Zoe?! Muss das so? - "Schnauze!" war ihre äußerst eloquente Antwort an sich selbst. Ihr Gehirn warf bei so viel Vernunft und Einsicht die imaginären Hände nach oben und ergab sich. Geht doch.
Beim Umdrehen fiel ihr Blick auf die Gestalt, die da gemütlich mampfend am Waldrand stand.
"Ähm...Kind."
"Was?"
"Da. Kind"
Zoe streckte den Arm aus und lenkte damit die Aufmerksamkeit der anderen, die nicht schon mit dem Wasser abgehauen waren, aus das asiatische Kind. Da steht ein Kind. Einfach so.
"Gehört der zu uns? Oder wohnt der hier?"
Geändert von Caro (28.04.2016 um 12:45 Uhr)
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