Ich hab das Thema in letzter Zeit zwar schon öfters angerissen, aber ich finde es so interessant, dass ich einen eigenen Thread für gerechtfertig halte. Ich möchte vor allem über zwei Fragen sprechen:
Was unterscheidet Spielstories von denen anderer Medien? Welche Auswirkung haben diese Unterschiede?
Zuallererst möchte ich "Spiele" etwas einschränken und die Interactive Fiction ausklammern, weil sie Büchern bzw. Filmen so nahe ist, dass vieles, was ich gleich schreiben werde, auf sie nicht mehr zutrifft.
Der auffälligste Unterschied zwischen einem Spiel mit nennenswerter Handlung und einem Buch oder Film ist das Gameplay. Die Handlung wird immer wieder und für längere Zeit unterbrochen. Meistens machen die spielbaren Abschnitte den Löwenanteil des Spiels aus. Soweit wird mir denke ich niemand widersprechen. Die Handlung eines Spiels hat die Funktion, die Spielabschnitte miteinander zu verbinden und - wenn ihre Bedeutung für das Spiel groß genug ist - auch als Motivator und Belohnung zu dienen. Formal gesehen sind Spiele den Filmen näher als den Büchern. Die direkte Rede der Bücher findet man zwar auch in Spielen wieder, aber alles, was in Büchern von einem Erzähler beschrieben wird, stellt ein Spiel wie der Film mit Bildern dar, wobei es von Spiel zu Spiel natürlich große Unterschiede gibt. Während sich die Cutscenes moderner Spiele nicht von Filmszenen unterscheiden, unterliegen z. B. Makerspiele großen Einschränkungen. Die Gestik eines animierten Charsets ist nicht mit der einer bildschirmgroßen Figur, die per Motion Capturing animiert wurde, zu vergleichen. Ein statisches Faceset ist etwas anderes als ein bewegtes lebhaftes Gesicht. Per Text dargestellte Dialoge wirken anders als professionell gesprochene Dialoge.
Welche Auswirkung haben diese Unterschiede nun? Die entscheidende Konsequenz ist, dass man die Handlung eines Spiels nicht mit der eines Buches oder Films vergleichen sollte, obwohl es natürlich schon einige Parallelen in Aufbau und Ablauf gibt. Ein Spiel besteht nur aus Handlungsfragmenten, was bedeutet, dass seine Handlung nicht den Zusammenhalt einer Buch- oder Filmstory haben kann. Streicht man das ganze Gameplay und hängt alle Dialoge und Cutscenes aneinander, erhält man mMn meistens keinen Film, zumindest keinen, der "funktioniert". Schon das zeigt, dass einige Kriterien, die für Bücher und Filme gelten mögen, auf Spiele nicht angewendet werden können. Die Struktur der Handlung ist einfach anders. Auf dem RPG Maker kommt noch erschwerend dazu, dass uns die inszenatorischen Mittel fehlen, um Spektakel oder Emotionen so rüberzubringen, wie es Filme oder moderne Spiele tun. Wie dem auch sei, eine Spielstory hat also abrupte Übergänge und zeigt noch mehr als andere Medien nur die Schlüsselmomente. Es gibt schon Regeln, an die sich jedes Medium halten muss, besonders die der Konsistenz. Persönlichkeiten dürfen sich nicht ohne gute Erklärung drastisch verändern und Ereignisse müssen aufeinander aufbauen. Aber man muss im Hinterkopf behalten, dass Spielstories und ihre Figuren immer etwas oberflächlich sind, weil ihre Zeit selbst in längeren RPGs recht knapp bemessen ist. Man hat ja meistens mehrere Charaktere, auf die die Zeit aufgeteilt werden muss.
Warum ist es so, dass jemand aber trotz alledem von einer Spielstory total begeistert sein kann und sie genauso gut findet, wie die aus einem Buch oder Film? Kein Thread von mir, in dem ich nicht abschweife.Alles, was ich jetzt schreib, ist ein wenig, aber nur ein wenig, OT.
Die Erklärung ist ganz einfach: Menschen sind immer voreingenommen - ich natürlich auch. Findet man z. B. etwas aus einem Film besonders gut, dann neigt man dazu, auch alles andere in einem besseren Licht zu sehen und umgekehrt ist es genauso. Man mag manche Genres weniger als andere, bei denen man dann genauer hinschaut. Und wenn man sich langweilt oder aus einem anderen Grund unzufrieden ist, schaut man besonders genau hin. Wir versehen Geschichten gerne mit lobenden Adjektiven, die aber, wenn man sie genauer betrachtet, wenig Aussagekraft haben. Es gibt beispielsweise keinen Konsens darüber, was "anspruchsvoll" ist. Wenn ein guter Bekannter davon spricht, dann weiß ich wohl oft, was er meint, weil ich seinen Geschmack kenn, aber bei anderen kann "anspruchsvoll" vieles bedeuten. Charakterentwicklung, die gibt es in jeder Geschichte, wenn man darunter nur ein Dazulernen versteht und nicht eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Reifung der Figur. Gesellschaftskritisch kann jeder sein, dazu reicht ein einziger Satz, aber Themen nur anzureißen ist etwas anderes, als sie ins Zentrum der Handlung zu stellen und sich tiefgehend mit gesellschaftlichen Problemen zu befassen. Manchmal reicht es aber schon, dass in einer Geschichte ein Thema flüchtig angesprochen wird, das man für interessant und wichtig hält, z. B. Mobbing, um einem das Gefühl zu geben, dass die Story anspruchsvoll ist. Noch deutlicher wird das bei Emotionen. Wir Menschen sind emotionale Wesen. Wenn uns eine Geschichte emotional berührt, dann muss das Handwerk schnell ruhen und wir sind restlos begeistert. Berechtigterweise, denn der Autor hat uns ja erreicht. Trotzdem zeigt das sehr gut, wie voreingenommen wir eigentlich sind. Ich finde diese Voreingenommenheit übrigens nicht schlimm, weil sie eben menschlich ist, aber man sollte nie vergessen, dass man nichts neutral bewertet.
Nun seid wieder ihr an der Reihe. Stimmt ihr mir zu oder seid ihr anderer Meinung?