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Thema: Sturmwindgeweht in Hände voll schwarzer Federn - für düstere Dichtung

Hybrid-Darstellung

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  1. #1
    Bitte verzeihe mir, dass ich die Jahre über nicht reagiert habe. Ich schien bei der Gründung dieses Threads sehr angespannt gewesen zu sein, unentschlossen zwischen Neugier und Furcht über Reaktionen.

    Kritik war tatsächlich nicht mein Bedürfnis, da ich nicht der Poetik nach damit arbeitete, sondern improvisierte und am Schluss etwas hatte, wofür ich nicht wirklich einen nächsten Schritt oder einen Blickwinkelwechsel gesehen habe. Es waren Texte ohne System, mit Gefühlen, aber ohne jede Absicht. Wahrscheinlich hat mir schon deine Antwort geholfen, nicht mehr mit negativen Reaktionen zu rechnen.
    Scheinbar blieben die Textchen also nur ein erster Schritt zur Selbstöffnung.

    - Was ich rückblickend erkenne, ist, dass ich Enjabments mit Bedacht angewandt hatte, bevor ich lernte, dass sie einen Namen und als Element der Poesie einen festen Platz haben.

    - Ich schien auch fasziniert von vor allem paarweise auftretenden Iterationen zu sein. Vielleicht habe ich sie als Ersatz für die fehlenden Reime genutzt, denn in jedem der Texte treten sie ähnlich häufig auf.

    - Außerdem ist „Hunger“ damals das Stück des Ganzen gewesen, welches mich perplex, ganz komisch beeindruckte. Erst als das formuliert war, war der Wille der Veröffentlichung da. Ich habe mich womöglich überschätzt, alles auf einmal zu posten, was sich mangels Backup als glücklicher Zufall erwiesen hat. Jedenfalls ist dieser Teil der Dreh- und Angelpunkt des gesamten Bündels.

    - Ich glaube, sie sind auch chronologisch gegliedet. Bis auf die letzten beiden sind alle Ich-bezogen, was ein Artefakt der Unerfahrenheit zu sein scheint, ganz zu Anfang auf der Lernstrecke vom Gewöhnlichen ins Verzaubernde.

    - Sie lesen sich mir auch sehr unangenehm, was sich wenigstens mit dem Sinn des Threadtitels deckt. Forschungsdrang als gute Absicht, aber überflüssig, wenn man genug von Begriff zum Googeln morbider Gedichte ist, welche mehr oder die gleiche Komplexität aufweisen. Ich denke, metaphorisch-indirekt wären sie genauso ausdrucksfade, aber dafür nicht so auffällig trocken und roh, dass es einem noch zuckend ins Auge springt.

    Das Fehlen der Reime ist die andere...Ungereimtheit. Reime waren mir in ihrem Zweck ein Rätsel, weshalb ich glaube, dass mir das Beachten anderer Bestandteile poetischer Texte zum schreibtreibenden Ziel wurde. Herauszufinden, was es an „Hunger“ war, das ein sehr wirkliches Gefühl in mir auslöste, wozu Gedichte meiner Schulzeit nie im Stande waren.

    · Zeilenlängen trennen die Texte gewissermaßen in ihre abstrakteten und konkreteren Stellen. Doch die Längen birgen mir erstmal nur rhythmische Funktionen, da sie als aufmerksamkeitslenkende Mittel in den Textchen keinen Unterschied entfalten.

    - Metaphern finden Anwendung, wurden aber nur nach Klang statt Bedeutung eingearbeitet. Direkt ausgedrückte Passagen lassen keinen Grund anmuten, und fühlen sich stattdessen wie ungenutzte Möglichkeiten an. Insgesamt technisch unausgereift.


    Aber jetzt mir diese unreflektierten einfachen „Artefäktelein“ durch den Kopf gehen zu lassen bringt mir so einige Gewissheiten wieder, wie ich in dieser Zeit genau getickt haben könnte.
    Hätte ich diesen Thread nicht ausgesetzt und stattdessen entschlossen nach Kritik gefragt, wären nun auf jeden Fall ganz andere Erinnerungen am Wirken. Unberührte Vergangenheit hat aus epistemologischer Sicht etwas Wertvolles an sich. Zudem reizen mich viele Grundieen zu einer Aufarbeitung nach meinem jetzigen Stand.

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    Soooooooooo, um nun dem Thread hier endlich mal einen Beitrag zu würdigen, ist hier ein nicht allzu altes Gedicht namens „Denke dran“. Der untypische Versaufbau ist so, wie er ist, beabsichtigt, um die Gefühlswelten, die es in sich trägt, spürbarer zu machen, dürfte aber auch der kritikwürdigste Teil sein.
    Doch was mich beschäftigt sind des Gedichts recht subjektive Merkmale, für deren Erforschung es nie genug Meinungen geben kann.

    Welche Gefühle kann es auslösen?
    Welche Stellen sind auf eine spezielle oder besondere Art merkwürdig?
    Was gelingt, was scheitert als Mittel der Gefühlsbildung?

    Ich bin dankbar für jede Antwort, ob kurz ob lang. Jede neue Perspektive ist ein Fortschritt.

    « Denke dran »


    Denke dran
    es holt uns ein
    die Furcht wird jetzt und dann noch bleiben
    such' die Höhle
    ehe du fragst
    ob sie nicht schon ein Biest belegt.

    Denke dran
    dass all die Menschen leben wollen
    sterben werden in Massengräbern
    ganz alleine doch die meisten
    wie sie's still und ruhig nur sollen.

    All die Menschen, die dort trauern
    beschütten wir in jäher Jauche
    gleichgetan der Erd' und Asche
    die ein Wildtier gut gebrauche.

    All die Menschen, die hier wüten
    würgen uns die Mäuler voll
    wir spucken Leid, wir spucken Galle
    spucken Blut, dann ham wir's alle.

    All die Menschen, die uns fürchten
    fürchten wir am meisten wider
    Können uns die Furcht noch leisten
    bis wie sie nie wieder sehen.

    All den Menschen, die wir hassen
    fluchen wir Gedanken nach
    Gewillt, dabei es zu belassen
    schandbeflecktes Vorbild sein.

    Abscheulich steht
    die Krähe im Beet
    der Spaten schlägt nicht weit vom Feld.
    Was das Schwarz zusammenhielt
    befärbt jetzt jungen Blattsalat.

    Nun steh'n wir da
    den Blick herab
    wenn vor uns Sünde grell erstrahlt
    im Sonnenaufgang aller Morgen
    aller Sorgen
    aller Schrecken
    fühlen uns im Gräuel unser'n Handelns toll geborgen
    toll gewogen
    schlecht versteckt
    den Schatten wirft der Steck im Dreck
    beleidigt jede Nacht.

    Verrecken muss der Nachbar
    dass seine Nicht' auf Erbe wohl
    und auf Sumpf anstatt nicht baut;
    der Verantwortung haut ab
    hält den Pelz sich sauber;
    läuft und läuft und
    schon abgezogen
    ihre Haut
    hängt blutend aus
    das Wildschwein, das sie einmal war
    der Wilderer hat schön gewartet.

    Denke dran
    der Blitz trifft immer
    wo die Ladung höher bebt.
    Die Haare stehen uns zu Berge
    Reflexe, die der Vorfahr' hegt.

    Denke dran
    die halbe Stunde
    ist so schnell verloren.
    Du entscheidest, was sie füllt
    Vergangenes trübt; es ist vergoren.

    Denke nach, woran du denkst
    denk' über dies und über das
    denk' zu wenig, denk' zuviel
    denke irgendwo, irgendwann
    nur denke

    bloß nicht daran.

    Geändert von relxi (10.12.2020 um 17:19 Uhr)

  2. #2
    Folgendes entstand als ein Test benachbarter Reime. Interessant finde ich, dass von allen Themenpunkten die Überlebendschuld der Trümmerfrauen ganz viel Aufmerksamkeit für sich beanspruchen wollte, nachdem sie ersteinmal Einzug in einer Zeile erhielt. Es scheint ein Thema zu sein, zu welchem mir wenig in der Literatur untergekommen ist.

    Edit: Eine Rückmeldung erhielt ich schon, welche eine Geringheit an Qualität dieses Gedichts bestätigt. Welche Beobachtungen und Erkenntnisse sich weiterhin ergeben lassen, werden Zeit und Leserschaft noch zeigen.


    « Es bleibt einmal »

    Gebraucht hat dieses arme Land
    bloß irgendwas, das halbwegs stand
    der größte Wahn war schon zur Stelle
    verband das Reich in Blitzesschelle
    wofür die Pläne schon zur Hand
    sein Wort, dass er sie wohl verstand.

    Doch gilt der Absicht alle Ehre
    nutzt es erst, wenn Wirtschaft wäre
    ganz ohne Glauben, ohne Geld
    dem Deutschen fremd die dumme Welt
    lohnlos schuftet, um zu bleiben
    und den Verwandten hungrig schreiben
    hat selbst doch seine Saat zertreten
    zweite Schicht, ein Brot, kein beten.

    War doch der eine, sein bürgender Chor
    so tauscht ihm Hans das rechtes Ohr
    bloß für ein Wort, dass sich was wandelt
    ist eh der einzige, der noch handelt.
    Nahm Partei und sprach von Macht
    in Armut bleibt's nur ausgedacht
    denn Zeit rückt ab so radikal
    so rückt gen Ost kollateral.

    Dem Uwe, Peter, Dieter, Reiner
    hat mehr Bedeutung als ein Schreiner
    der Gleichschritt, als noch Sonne schien
    doch nachts noch mehr auf Pervitin.

    Nennt gierig Reich sich fremdes Gold
    fanatisch Reich den Trauten Bold
    Der Führer hat trotz schwachen Knochen
    beste Öfen, die für ihn kochen
    für's Pläneschmieden Jahre gab
    statt Hammer mit seinem Führerstab.

    So wie ein Panzer schlaucht Benzin
    braucht Delusion Amphetamin
    kristallklar wohl stand dieses Reich
    im grellen Schein, wird's Hirne weich.

    So groß er wirkt, so schnell er stieg
    so laut er spricht, so muss der Sieg
    so früh, so grausam niederrasen
    den Juden drohen nur Gärtnersblasen.
    Lügenfügig Schäfchenrassen
    klare Regeln, wann wen hassen
    ab wann Studenten hingerichtet
    und wie man Jungkraut unterrichtet
    Granaten, was einst Vogelsingen
    ein Bild viel schärfer durch Zackenklingen.

    So teuer ist ein armes Land
    so offensichtlich ausgebrannt
    das in den Feuern, die es schürt
    sich selbst doch an der Nase führt.

    Und Uwe der Tochter Hals durchtrennt
    und nichts als SS sein eigen nennt
    im März zur Hauptstadt kommmadiert
    nach Wochen mit ihr eliminiert.

    So, wie Hilde mit Juden rannte
    nun baute für Hunderte, die sie kannte
    und redlich erzählt sich die Tat eines Schindlers
    verdeutlicht das Dreckbraun des mordenden Schwindlers
    der Sterblichkeit gegen Vaterland wog
    und als Krönung dazu um den Einsatz betrog.

    Peters Frau lässt alles raus
    Sagt vor Gericht gegen Ihn aus
    und nun, da ihr Major zur Schweiz aufbrach
    weiß Frau, steht Tränen in Treue nichts nach.
    Sie ahnten ums Schicksal des Kultes der Waffen
    an ihnen, sich zusammenzuraffen
    was so offensichtlich zu werden war
    und Männer warnten vor dieser Gefahr.

    Die Söhne beschämend, dem Gatten bloß Stuss
    und so nun alleine zu tun, was muss
    die, die noch leben, die ruft diese Pflicht
    als Strafe betrachtet verstehen es nicht
    ihrer Schuld so sicher, dass es soweit kam
    verspottetend ihnen nur die Liebsten nahm.

    Denn jedes einzelne Wort verschwiegen
    Gewissen gnadenlos gegenwiegen
    Schuld sich sammelt geduldig zur Frist
    die entscheidet, welch' Dreck sie geworden ist.
    Schlaflose Nächte sind steigende Schmerzen
    nimmt immerhin etwas Schuld vom Herzen.

    Auf Leitplankenschrott kräht früh's ein Hahn
    wo kalt entlang dieser Autobahn
    so weit in Ferne ausgehebt
    ein Grab für alle, die abgelebt
    ohne Stein und Namen nun im Sand
    ach dächte der Deutsche mit Verstand.

    Der Autobahnplan in jener Hand
    ganz andere waren als schlau bekannt
    zusammen das Sinnvollste zu gestalten
    trotz politischer Naturgewalten
    dem Frieden gewidmet, und nicht dem Krieg

    in ihrer vergessenen Republik.

    Geändert von relxi (31.10.2020 um 11:42 Uhr)

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