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General
Bitte verzeihe mir, dass ich die Jahre über nicht reagiert habe. Ich schien bei der Gründung dieses Threads sehr angespannt gewesen zu sein, unentschlossen zwischen Neugier und Furcht über Reaktionen.
Kritik war tatsächlich nicht mein Bedürfnis, da ich nicht der Poetik nach damit arbeitete, sondern improvisierte und am Schluss etwas hatte, wofür ich nicht wirklich einen nächsten Schritt oder einen Blickwinkelwechsel gesehen habe. Es waren Texte ohne System, mit Gefühlen, aber ohne jede Absicht. Wahrscheinlich hat mir schon deine Antwort geholfen, nicht mehr mit negativen Reaktionen zu rechnen.
Scheinbar blieben die Textchen also nur ein erster Schritt zur Selbstöffnung.
- Was ich rückblickend erkenne, ist, dass ich Enjabments mit Bedacht angewandt hatte, bevor ich lernte, dass sie einen Namen und als Element der Poesie einen festen Platz haben.
- Ich schien auch fasziniert von vor allem paarweise auftretenden Iterationen zu sein. Vielleicht habe ich sie als Ersatz für die fehlenden Reime genutzt, denn in jedem der Texte treten sie ähnlich häufig auf.
- Außerdem ist „Hunger“ damals das Stück des Ganzen gewesen, welches mich perplex, ganz komisch beeindruckte. Erst als das formuliert war, war der Wille der Veröffentlichung da. Ich habe mich womöglich überschätzt, alles auf einmal zu posten, was sich mangels Backup als glücklicher Zufall erwiesen hat. Jedenfalls ist dieser Teil der Dreh- und Angelpunkt des gesamten Bündels.
- Ich glaube, sie sind auch chronologisch gegliedet. Bis auf die letzten beiden sind alle Ich-bezogen, was ein Artefakt der Unerfahrenheit zu sein scheint, ganz zu Anfang auf der Lernstrecke vom Gewöhnlichen ins Verzaubernde.
- Sie lesen sich mir auch sehr unangenehm, was sich wenigstens mit dem Sinn des Threadtitels deckt. Forschungsdrang als gute Absicht, aber überflüssig, wenn man genug von Begriff zum Googeln morbider Gedichte ist, welche mehr oder die gleiche Komplexität aufweisen. Ich denke, metaphorisch-indirekt wären sie genauso ausdrucksfade, aber dafür nicht so auffällig trocken und roh, dass es einem noch zuckend ins Auge springt. 
Das Fehlen der Reime ist die andere...Ungereimtheit. Reime waren mir in ihrem Zweck ein Rätsel, weshalb ich glaube, dass mir das Beachten anderer Bestandteile poetischer Texte zum schreibtreibenden Ziel wurde. Herauszufinden, was es an „Hunger“ war, das ein sehr wirkliches Gefühl in mir auslöste, wozu Gedichte meiner Schulzeit nie im Stande waren.
· Zeilenlängen trennen die Texte gewissermaßen in ihre abstrakteten und konkreteren Stellen. Doch die Längen birgen mir erstmal nur rhythmische Funktionen, da sie als aufmerksamkeitslenkende Mittel in den Textchen keinen Unterschied entfalten.
- Metaphern finden Anwendung, wurden aber nur nach Klang statt Bedeutung eingearbeitet. Direkt ausgedrückte Passagen lassen keinen Grund anmuten, und fühlen sich stattdessen wie ungenutzte Möglichkeiten an. Insgesamt technisch unausgereift.
Aber jetzt mir diese unreflektierten einfachen „Artefäktelein“ durch den Kopf gehen zu lassen bringt mir so einige Gewissheiten wieder, wie ich in dieser Zeit genau getickt haben könnte.
Hätte ich diesen Thread nicht ausgesetzt und stattdessen entschlossen nach Kritik gefragt, wären nun auf jeden Fall ganz andere Erinnerungen am Wirken. Unberührte Vergangenheit hat aus epistemologischer Sicht etwas Wertvolles an sich. Zudem reizen mich viele Grundieen zu einer Aufarbeitung nach meinem jetzigen Stand.
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Soooooooooo, um nun dem Thread hier endlich mal einen Beitrag zu würdigen, ist hier ein nicht allzu altes Gedicht namens „Denke dran“. Der untypische Versaufbau ist so, wie er ist, beabsichtigt, um die Gefühlswelten, die es in sich trägt, spürbarer zu machen, dürfte aber auch der kritikwürdigste Teil sein.
Doch was mich beschäftigt sind des Gedichts recht subjektive Merkmale, für deren Erforschung es nie genug Meinungen geben kann.
Welche Gefühle kann es auslösen?
Welche Stellen sind auf eine spezielle oder besondere Art merkwürdig?
Was gelingt, was scheitert als Mittel der Gefühlsbildung?
Ich bin dankbar für jede Antwort, ob kurz ob lang. Jede neue Perspektive ist ein Fortschritt. 
« Denke dran »
Denke dran
es holt uns ein
die Furcht wird jetzt und dann noch bleiben
such' die Höhle
ehe du fragst
ob sie nicht schon ein Biest belegt.
Denke dran
dass all die Menschen leben wollen
sterben werden in Massengräbern
ganz alleine doch die meisten
wie sie's still und ruhig nur sollen.
All die Menschen, die dort trauern
beschütten wir in jäher Jauche
gleichgetan der Erd' und Asche
die ein Wildtier gut gebrauche.
All die Menschen, die hier wüten
würgen uns die Mäuler voll
wir spucken Leid, wir spucken Galle
spucken Blut, dann ham wir's alle.
All die Menschen, die uns fürchten
fürchten wir am meisten wider
Können uns die Furcht noch leisten
bis wie sie nie wieder sehen.
All den Menschen, die wir hassen
fluchen wir Gedanken nach
Gewillt, dabei es zu belassen
schandbeflecktes Vorbild sein.
Abscheulich steht
die Krähe im Beet
der Spaten schlägt nicht weit vom Feld.
Was das Schwarz zusammenhielt
befärbt jetzt jungen Blattsalat.
Nun steh'n wir da
den Blick herab
wenn vor uns Sünde grell erstrahlt
im Sonnenaufgang aller Morgen
aller Sorgen
aller Schrecken
fühlen uns im Gräuel unser'n Handelns toll geborgen
toll gewogen
schlecht versteckt
den Schatten wirft der Steck im Dreck
beleidigt jede Nacht.
Verrecken muss der Nachbar
dass seine Nicht' auf Erbe wohl
und auf Sumpf anstatt nicht baut;
der Verantwortung haut ab
hält den Pelz sich sauber;
läuft und läuft und
schon abgezogen
ihre Haut
hängt blutend aus
das Wildschwein, das sie einmal war
der Wilderer hat schön gewartet.
Denke dran
der Blitz trifft immer
wo die Ladung höher bebt.
Die Haare stehen uns zu Berge
Reflexe, die der Vorfahr' hegt.
Denke dran
die halbe Stunde
ist so schnell verloren.
Du entscheidest, was sie füllt
Vergangenes trübt; es ist vergoren.
Denke nach, woran du denkst
denk' über dies und über das
denk' zu wenig, denk' zuviel
denke irgendwo, irgendwann
nur denke
bloß nicht daran.
Geändert von relxi (10.12.2020 um 17:19 Uhr)
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