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Thema: [ZOOOOOmmxBIES! Staffel 3] Epilog - The World Is Saved

  1. #1

    [ZOOOOOmmxBIES! Staffel 3] Epilog - The World Is Saved

    Der Nebel der Schlacht lichtet sich, und die Überlebenden sehen ihrer neuen Aufgabe entgegen: Das Heilmittel gegen den Zombievirus hinaus in die Welt tragen. Jeder von ihnen trägt die Saat der Hoffnung in sich und hat hat bewiesen, dass Stärke, Familie, Liebe und Zuversicht die Welt retten können.

    Dies sind ihre Geschichten.






    Sheng lief ungeduldig von links nach rechts. Wingman lehnte gegen einen alten Tisch, die Arme vor der Brust verschränkt.

    "Sie werden kommen."
    "...Es gab Berichte von einer Explosion bei den Kultisten. Wingman... ich meine... ich weiß, was sie erwartet hat, aber diese Ungewissheit macht mich fertig."
    "Wir schicken einen Suchtrupp, sobald die Ärzte unsere Leute so weit zusammengeflickt haben. Wir finden sie."


    Evi blickte zu dem alten Soldaten, der seine innere Unruhe mit einer Aura aus stoischer Gelassenheit zu überspielen versuchte. Sie alle machten sich Sorgen. Sheng hatte es nicht lange in den Händen von Romero und Henry ausgehalten, die sich verbissen um die Verletzten kümmerten. Mit einem Verband um die Schulter lief er unruhig an der Stirnseite der Einsatzzentrale entlang. Nach der Schlacht sammelten sich alle Gruppen wieder an dem kleinen Kindergarten der Skypeople, begrüßten Freunde, Familie und trugen die Gefallenen zu Grabe - aufgebahrt wie an einer Perlenschnur lagen da Frank, Sara, YouAre, Morris, Pray und so viele andere.

    "Sheng... Sie wusste, worauf sie sich einlässt..."
    "Ich weiß. Und sie hat es auch geschafft."

    "Ja, die Kultisten, die uns überraschen wollten, haben genau das gesagt. Haile und Eryn und die anderen haben es geschafft. Und sie werden herkommen."

    Evi stand auf und legte Sheng beruhigend eine Hand auf die Schulter. Sie sahen sich in dem kleinen Raum um. Blades saß still in einer Ecke, flankiert von Thorn und Voodoo, direkt in der Nähe Leo und Hugh. Ben hatte sich mit Jäger, Ranger und Liz aufgemacht, eines der Hotels in der Nachbarschaft zu durchkämmen. Es zu sichern, für eine Nacht der Ruhe. Ein letzter Abend des Feierns, bevor sie in jeden Winkel der alten, neuen Welt aufbrechen würden. Sylvia saß bei den Kindern der Siedlung, neben ihr Lisa, die leise mit ihrer Mutter sprach.

    Plötzlich stand Thorn auf, stürmte zu einem der Fenster, dicht gefolgt von Voodoo. Ein Blick in die Ferne, ein Nicken und beide Vultures waren schon aus dem zerstörten Gebäude gerannt. Hatten sie etwas gesehen? Wingman folgte alarmiert, während die restlichen Überlebenden ihre Hälse reckten und versuchten, zu erspähen, was da auf sie zukam.

    "...!"
    "Das sind sie. Ich weiß es."

    Schon war Sheng aus dem Gebäude gestürmt und konnte erkennen, wie Thorn und Voodoo in der Ferne zwei kleine Gestalten vom Boden aufsammelten. Voodoo schulterte den etwas größeren Leib, während Thorn eine schlanke Gestalt auf seinen Armen trug. Eine besorgniserregend blutige Gestalt. Mit vom Blut verfilzten, blonden Locken. Shengs Herz verkrampfte sich.





    "Sie werden wieder. Die Kleine wird wohl ihr Leben lang was von den Narben im Gesicht haben, und den Jungen hat's auch ziemlich erwischt, aber nichts, was lebensgefährlich wäre."

    Henry warf einen blutigen Lappen in einen Eimer und klopfte Romero auf die Schulter. Beide Mediziner hatten sich nach der Schlacht in die Arbeit gestürzt, und niemand hatte sie davon abgehalten. Haile lag auf einem der Sofas in der verwinkelten Lobby des Drury Plaza Hotels und hatte mittlerweile aufgehört, die Einrichtung vollzubluten. Als sich ihre Augenlider flatternd öffneten und sie hochschreckte, gab sie Leo fast eine saftige Kopfnuss.

    "Hey, immer mit der Ruhe, hermana. Du hast grade schon alle wahnsinnig gemacht. Dein Papa hat sich fast eingemacht, als sie dich angeschleppt gebracht haben."
    "...?"
    "Si, Sheng gehts prächtig, ebenso wie Evi. Keine Sorge."

    Haile schaute sie aus großen, goldenen Augen an und blickte sich hektisch um.

    "...und Ravioli auch. Ruhig. Die doctores vom Dienst meinten, ihr hättet ziemlich viel Blut verloren. Haben wir alle."
    "..."

    Das Mädchen legte im Sitzen ihre Arme um Leo, die neben dem Sofa Platz genommen hatte und drückte ihr Gesicht an die Latina. Und zuckte postwendend zurück. Mit den Fingerspitzen betastete sie ihr Gesicht. Vier tiefe Kratzer. An der Wange, direkt am Hals. Georginas letztes Geschenk an ihre Schwester.

    "Haile!"
    "...!"

    Haile konnte sich gar nicht so schnell orientieren, wie Sheng angestürzt kam und sie in seine Arme schloss. Immer noch auf dem Sofa sitzend legte sie ihre Arme um ihren Vater, der vor dem Zweisitzer kniete und Haile eng umarmte.

    "Dir geht es gut?"
    "...Ja."
    "Ich bin so froh. So stolz."
    "Ich auch."

    Lächelnd legte sie ihren Kopf auf seine Schulter. Sie schlug die Augen auf und blickte direkt in Evis Gesicht. Die Taucherin grinste breit, und auch Wingman kam angehumpelt, als sich die Nachricht von Hailes Aufwachen verbreitete. In seinem Windschatten folgte Raoul, dessen Gesichtsausdruck sich offensichtlich nicht zwischen Grinsen und Besorgnis entscheiden konnte.

    Etwas zittrig stand Haile auf, Sheng im einen Arm und breitete den anderen Arm einladend in Richtung Evi und Leo aus. Ihre Schwestern schlossen sich der Gruppenumarmung an, Evi an Shengs anderer Seite, Leo ein wenig unwillig zwischen ihren Schwestern. Raoul schloss seine Arme von hinten um Haile. Mit einem beherzten Griff zog das blonde Mädchen auch Wingman heran, bis sie alle in einem menschlichen Knäul eingeschlossen waren.

    "Familie."




    Es war nicht leicht. Nicht leicht, Thorns verständnisvolles Nicken zu sehen, seinen Blick zum Himmel. Nicht leicht, Evis Ausdruck in den Augen zu sehen, ihren Blick zu der Kette in ihrer Hand.

    Nach all den Reden von Sheng, der Feier der Vultures und den letzten Umarmungen lagen Haile und Raoul zum ersten Mal in ihren Leben in einem Bett. Einem richtigen Bett, mit Matratze, Decken, Kissen und all dem anderen Kram. Die Zimmer des Drury Plaza waren damals nichts besonderes, heute waren sie eine letzte Bastion der alten Welt. Und in ihrer Nüchternheit ganz anders als die Zimmer im Fairmount, an denen Haile ihre Aggressionen ausgelassen hatte.

    "..."
    "...Und jetzt?"

    Seine Stimme war nur ein leises Flüstern, während er seinen Griff um Hailes Schultern verlagerte, um ihr im Halbdunkel des Raumes in die Augen zu sehen. Seine andere Hand stützte er an Hailes Hüfte ab, die nackte Haut sachte streichelnd.

    "...Wir rächen sie."
    "Kerosa?"
    "Ich werde sie finden. Alle. Jeden einzelnen Kultisten. Und ich werde sie alle töten."
    "Und ich werde an deiner Seite sein."
    "Willst du das? Wirklich?"

    Er strich sanft eine blonde Locke aus Hailes Gesicht und beugte sich nach unten, hauchte einen sanften Kuss auf ihre Lippen.

    "Mehr als alles andere."

    Geändert von Caro (07.12.2015 um 16:40 Uhr)

  2. #2
    Silvia saß im alten Kindergarten und hielt Thomas im Arm. Ihre Augen schmerzten von unterdrückten Tränen, da sie mit aller Gewalt versuchte, nicht vor Thomas zu weinen. Sie würde ihm das alles noch erklären müssen. Was es bedeutete, dass es von nun an ein Heilmittel gab und das sein Vater tot war. Sie schniefte kurz und wischte sich über die feuchten Augen. Thalia schaute sie mitleidig an, sie wusste bereits was geschehen war und hatte ihr Hilfe angeboten. Irgendwann würde sie das Angebot annehmen, doch sie war einfach noch nicht in der Lage Vorbereitungen zu treffen. Das würde bedeuten, dass Frank wirklich und unwiederruflich tot war. Dafür war sie einfach noch nicht bereit. Frank sollte noch etwas weiterleben und sei es nur in ihrem Kopf, egal wie absurd diese Einstellung war. Bleib noch kurz bei Tante Thalia, Mama geht mal kurz nach Papa schauen.sagte sie zu Thomas und hoffte, dass ihre Stimme dabei nicht zu sehr zitterte. Thomas war manchmal überraschend scharfsinnig, was er wohl von seinem Vater hatte.
    Sie küsste Thomas mit einem mehr schlecht als recht erzwungenen Lächeln auf die Stirn und verließ den Kindergarten wieder. Thomas hatte sie erzählt, dass Frank noch draußen bei den anderen war und half, die letzten 'bösen Leute' zu fangen. Die Wahrheit würde sie ihm später am Tag erzählen, sobald sie diese selbst ausreichend verkraftet hatte, um ihrem Sohn das Konzept des Todes richtig zu erklären.
    Sobald sie das Gebäude verlassen hatte, fragte sie sich, wo sie eigentlich hin wollte. Zu Franks Leiche? So würde sie nun in Ruhe Abschied nehmen können. Im Chaos der Schlacht und der Aufregung direkt danach war einfach keine Gelegenheit dazu gewesen und sie hatte nur seinen Leichnahm in Sicherheit bringen können, damit nichts damit geschah. Sie wusste einfach nicht, was sie empfinden sollte. In ihrem Kopf waren so viele wiederstreitende Gefühle. Auf der einen Seite war die tiefe Trauer über den Verlust des Mannes, den sie nur wenige Wochen nach dem Beginn des großen Zehrens kennen gelernt hatte und der immer bereit gewesen war alles für sie zu tun und der ihr einen Sohn geschenkt hatte. Das war ihr ein Trost, Frank selbst war zwar nicht mehr da aber immerhin würde er in seinem Sohn weiter leben. Auf der anderen Seite war die unglaubliche Freude darüber, dass ein 21 Jahre alter Traum in Erfüllung gegangen war. Es gab ein Heilmittel. Sie alle hier waren nun gegen Zombiebisse Immun und hatten die Fähigkeit, allein durch Berührungen das Heilmittel weiterzugeben.
    Als sie sich schließlich, weit genug vom Kindergarten entfernt, wieder in der Nähe des allgemeinen Geschehens und somit vor den Augen der Kinder in Sicherheit befand, konnte sie es einfach nicht länger zurück halten. Erst Roberts brutaler Tod bei der Zerstörung von Shengs Hope und nun Frank. Sie sackte an einer Wand des Labors zusammen und gab sich einem heftigen Weinkrampf hin.

    Geändert von wusch (05.12.2015 um 23:17 Uhr)

  3. #3
    5 Jahre später, im Spätsommer 2038, irgendwo in New Orleans



    Plumph
    Mit einem dumpfen Geräusch brach die Nase des jungen Kultisten. Um ihn herum lagen seine Brüder und Schwestern. Der Boden schwamm vor Blut, welches sich langsam in seine schwere Robe fraß. Er spürte mit jedem Schlag, wie die Kraft des Leben spendenden und nehmenden Virus in seinem Blut schwächer wurde. Als würde dieser Krieger, der da auf seiner Brust saß, mit jedem Atemzug und mit jedem Schlag ein wenig mehr der Reinigung von ihm nehmen.

    "Ich frage noch einmal. Ganz freundlich. Willst du uns vielleicht nicht doch helfen?"
    "Ungläubige! Verräter!"

    Der junge Mann, der auf seiner Brust kniete, seufzte einmal schwer und zuckte mit den Schultern, bevor ein weiterer Schlag die Knochen im Schädel des Kultisten krachen ließen.

    "Wo.."
    Schlag
    "...ist..."
    Schlag
    "...euer..."
    Schlag
    "...verkackter...
    Schlag
    "...Anführer?"

    Keine Antwort. Das Blut quoll aus dem geöffneten Mund des jungen Kultisten. Raoul erhob sich und wischte leicht angewidert etwas Blut von seiner Rüstung. Er wand sich der kleinen Gestalt zu, die am Hauptaltar des Tempels stand, in einen Umhang gehüllt und vertieft in die rituellen Aufzeichnungen der LaValettes.

    "Die müssen es aber auch echt immer schwerer machen als nötig."
    "..."
    "Irgendwas spannendes?"
    "...Nein. Nur, dass ich der Teufel bin, im Prinzip."
    "Und das sind inwiefern Neuigkeiten?"

    Er konnte spüren, wie Haile den Mund in ein schiefes Lächeln verzog. Seine Geliebte wandte sich um, das schwere Buch in den Händen. Sie schwang sich auf den heiligen Altar, der vom Blut der versprengten LaValettes triefte, deren Leichen sich am Fuße der Treppen stapelten. Hailes Speer lehnte blutverschmiert neben ihr.

    "Hör dir das an: 'Mit diesem heiligen Dekret erklären wir die Taten des Apostels zur heiligen Blasphemie am gereinigten Frieden. Lady Hailena Prudeene McAldrin wird zur Persona non Grata erklärt, die der himmlichen Gerechtigkeit zugeführt werden soll, sobald der gereinigte Blick der Jünger des Friedens auf sie fällt.'"

    Raoul gab ein ersticktes Schnauben von sich.

    "Funktioniert ja super soweit."
    "...es ist 5 Jahre her, und sie bekommen meinen Namen immer noch nicht hin."
    "Ich glaube, die sterben lieber, als dich 'Haile Sheng' zu nennen."
    "Anscheinend."

    Mit einer Handbewegung deutete Haile auf die Leichen, die sich in der kleinen Kirche stapelten. Neben der jungen Frau röchelte der letzte LaValette seinem Ende entgegen, nicht, ohne die beiden Jäger mit bösen Blicken zu taxieren. Raoul und Haile warfen sich einen Blick zu. Mit einer fließenden Bewegung hüpfte Haile vom Altar und bewegte sich langsam auf den Kultist zu. Auch Raoul kniete sich neben den Sterbenden.

    "Weißt du, wir können das schnell machen, oder dich leiden lassen."
    "Verräter! Unheilsbringer!"
    "Uh, legt BITTE mal eine andere Schallplatte auf, langsam wird es echt nervig."
    "Seit wann weißt du, was Schallplatten sind?"
    "Hey, ich wusste schon immer was Schallplatten sind, ich hab genug von den Dingern aus dem Schiff geholt und an Morris vertickt...Ach Morris... Bei der Gelegenheit..."

    Raoul holte aus und hieb dem LaValette in den Brustkorb.

    "Besser?"
    "...Besser."
    "Sie hätte uns führen sollen! Den Frieden bringen...!"
    "Sie HAT den Frieden gebracht, du Spatzenhirn. Nur halt nicht für euch."

    In der vollkommenen Stille des Kultistentempels, die nur vom gelegentlichen, erstickten Gurgeln des Kultisten vor ihnen unterbrochen wurde, lächelte der ehemalige Schiffsdieb das ehemalige Kultistenmädchen an. Durch die Narbe in seinem Gesicht hatte es etwas von seiner schalkhaften Aura verloren, wurde aber durch die grenzenlose Liebe in seinem Blick mehr als ausgeglichen. Hailes Gesicht war immernoch von dem Umhang verborgen, aber er konnte spüren, wie sie die Geste erwiderte.

    "Zurück zu dir. Sag uns, wo euer Großmeister ist."
    "Niemals!"
    "Komm, kurz und schmerzlos oder lang und unangenehm? Du hast sicher gehört, was wir mit den Leelands angestellt haben?"

    Die Augen des LaValette wurden größer. Ah, das zieht immer.

    "..."
    "Wir hören."
    "...Tallahassee."
    "Geht doch."

    Mit einer einzigen Handbewegung hatte Haile den Hals des jungen Kultisten mit ihrem Dolch aufgeschlitzt, der nun endgültig sein Leben aushauchte. Das Blut spritzte auf ihre Gesichter und endlich legte sich wieder eine feierliche Stille über die alte Kirche. Haile striff die blutige Kapuze ab und schüttelte leicht den Kopf, damit sich ihre blonden Locken wieder in Form bewegten. Mit routinierten Handgriffen bändigte sie ihre Haare im Nacken, sodass das sanfte Kerzenlicht endlich ihr Gesicht erleuchtete.

    "Florida also. Dann können wir gleich noch einen Abstecher zu den Eolas in Orlando machen."
    "Ja...weißt du eigentlich, wie heiß du aussiehst, wenn du gerade 7 Kultisten umgenietet hast?"
    "8."
    "Meinetwegen."

    Raoul griff Haile am Arm und zog sie zu sich. Eine Hand wanderte an ihre Wange, eine schloss sich um ihren Körper. Seine Lippen fanden ihre, ein zärtlicher Kuss, der nur unterbrochen wurde, als er Haile mit starken Armen hochriss und auf den blutigen Altar der letzten Kultisten setzte.



    Hand in Hand verließen die beiden den Kultistentempel, stiegen über die Leichen der LaValettes und blickten in die aufgehende Morgensonne. An so vielen anderen Orten der alten, neuen Welt schauten so viele Augenpaare auf denselben Anblick. Dachten an die anderen Helden von San Antonio.

    "Es wird bald wieder Zeit für ein Treffen, oder?"
    "...Ja."
    "Ich vermisse sie schon. Evi, Sheng, selbst Wingman. Und vielleicht auch Gorilleo."
    "..."
    "..."
    "..."
    "Tallahassee als nächstes?"

    Haile nickte stumm.

    "Für Kerosa."
    "Für Kerosa."

  4. #4
    Die dunklen, schweren Stiefel passten überhaupt nicht zu der restlichen zurechtgemachten Erscheinung der rothaarigen Frau, die sich einen Weg durch den alten Bunker bahnte, wo emsiges Treiben herrschte. Auch die schwarzen Muster und bunten Symbole, die sich von den Unterarmen bis zu ihren Schultern hinaufzogen – auf Ewigkeiten in die Haut geritzt – passten nicht zum Gesamtbild.
    Als die Frau das Gebäude verließ, begegneten ihr weitere Menschen. Fröhliche Menschen, beschäftigte Menschen… welche die sie kannte und andere, deren Gesichter sie noch nie gesehen hatte. Alle starrten sie an. Teilweise verwundert und musternd, da ihr Outfit nun wirklich seltsam wirkte, aber größtenteils wurde sie mit einem breiten Lächeln begrüßt. Die Leute kannten sie jetzt, auch wenn sie ihr selbst unbekannt waren.
    Evangelina. Der Name war nun fast allen Menschen ein Begriff.

    Evi nickte hin und wieder freundlich in irgendwelche Richtungen, beeilte sich aber, um schnell weiter zu kommen. Sie verließ die üblichen, mittlerweile eingetrampelten Wege bald und stapfte sehr undamenhaft durch den Wald. Gut, dass sie die Stiefel angezogen hatte.
    Nach einer Weile erreichte sie ihr Ziel und hielt kurz inne, um den Anblick wieder einmal in sich aufzunehmen. Da, wo vor zwei Jahren Vultures, Skypeople und Siedler von Sheng’s Hope eine unvergessliche Nacht lang miteinander am Lagerfeuer gefeiert hatten, türmten sich kleine Erdhügel. Aus ihnen ragten Holzpflöcke – teilweise verziert, beschnitzt, mit Bändern behangen oder als Kreuze dargestellt. Keines dieser Gräber war ungepflegt oder schmucklos.

    Evi atmete tief durch und ging hoch erhobenen Hauptes zu einem der Hügel, der recht nahe am Waldrand lag. Der Schatten eines Baumes streifte das Holzkreuz, auf dem eine Kette mit einem schimmernden Anhänger hing. Eine schwarze Katze räkelte sich direkt am Waldrand und richtete die großen Kulleraugen auf die Taucherin.
    Ich weiß, ich bin etwas spät, aber du hast es dir ja gemütlich gemacht, Snowball.“ Evi kraulte Snowball kurz und wurde mit einem spielhaften Hieb auf ihre Stiefel belohnt. Die langen Schuhbänder waren irgendwie immer der Hit.
    Die Katze stromerte gerne im Freien herum, aber jeden Abend kehrte sie nach Hause zurück, also in Evis und Shengs Zuhause. Und regelmäßig war sie auch an diesem Grab zu finden – meist an dem Tag, an dem auch die Taucherin ihren Routinebesuch auf dem Friedhof machte.

    Okay, hier bin ich also.“, sagte Evi schließlich an das Grab gerichtet, stemmte ihre Hände in die Hüften und drehte sich einmal um die eigene Achse. Das Kleid, das sie trug, flatterte im Wind. Es war eigentlich einmal ein weißes Unterkleid gewesen – wozu man das früher auch immer gebraucht hatte – und die Träger waren deshalb aus Spitzen, genauso wie der unterste Rand am Rock. Der Stoff war leicht und fühlte sich an wie Federn auf der Haut.
    Sie hatten versucht das Kleid umzufärben und türkis zu machen, aber es wirkte eher hellblau. In die Spitzen an den Trägern und am Ausschnitt hatten sie breite, türkise Bänder eingewoben, die eigentlich auch einmal nur irgendwelche Stoffetzen gewesen waren. Insgesamt sah es nun aber doch ziemlich fein aus, weil Evi fähige Hände gehabt hatte, die ihr geholfen hatten…. Beziehungsweise fähige Hände, die eigentlich alles alleine gemacht hatten.
    Jedenfalls, wären die Stiefel nicht gewesen, dann hätte man fast meinen können, hier eine – wie Will es einmal gesagt hatte – echte Dame vor sich zu haben.
    Tja, Eryn. Es hat zwar etwas gedauert, aber wie versprochen trage ich ein hübsches Kleid, das nur dir stehen würde.“ Evi grinste den Anhänger auf dem Holzkreuz an und setzte sich ungeniert im Schneidersitz vor das Grab. „Du hattest das bestimmt schon vergessen, oder? Aber ich halte meine Versprechen! Ich habe nur so lange gebraucht, weil ich natürlich ein Kleid wollte, das wie deines ist. Finde sowas mal. Ellen hatte ja glücklicherweise allen möglichen Kram gebunkert, aber sie hatte auch nicht ganz deinen Style, das weißt du ja. Und seit sie in ihre Heimat zurückgekehrt ist, wird der Raum, der damals mit ihren Schmuckstücken voll war, ja auch ganz anders genutzt. Aber letzte Woche hatte ich dann Glück, weil ich eine wirklich nette Frau wieder gesehen habe, die mir geholfen hat. Also, es kommen ja dauernd Leute her, weil wir leicht zu finden sind und das Heilmittel ja auch hier verbreiten, aber das war schon etwas Besonder…“ Evi hielt kurz inne, als sie Snowball neben sich spürte, die sich langsam an die Bänder an ihrem Kleid heranpirschte. Etwas unwirsch holte sie das Kätzchen zu sich auf den Schoß, und richtete den Blick dann wieder auf das Grab. „Also am besten erzähle ich dir alles von vorne, ja?

    ---



    Es waren immer nur Kultisten?Sheng lehnte an der Mauer des Bunkers, in dem er Ellens Radio übernommen und weiter ausgebaut hatte. Die Tätigkeit war sein ganzer Stolz und schon kurz nach der Gewinnung des Heilmittels hatten sich seine Nachrichten wie ein Lauffeuer verbreitet. Er war inzwischen die berühmteste Stimme des Landes und der Silverhorn Golf Club der bekannteste Ort im weiteren Umkreis. Während viele der Helden, die damals hier gekämpft hatten, weitergezogen waren, um das Heilmittel so zu verbreiten und ihre persönlichen Wege zu beschreiten, waren Sheng und Evi mit ein paar wenigen anderen hier geblieben. Inzwischen war eine Siedlung am Entstehen, es gab immer mehr Handelsmöglichkeiten und zahlreiche Reisende, die hier etwas vom Heilmittel wollten und Neuigkeiten brachten.
    Wingman hatte von einem Durchreisenden erfahren, dass im weiteren Umkreis von San Antonio hin und wieder tote Kultisten gefunden wurden, während die Gegend mittlerweile eigentlich als immer sicherer galt.
    Ja, und es deutet alles auf menschliches Vorgehen hin. Vielleicht sogar auf etwas Persönliches…“, antwortete der beste Freund von Sheng, der auch hier für die Sicherheit zuständig war, mit einem nervösen Augenzucken. Evi, die neben ihm stand, begann zu grinsen. „Klingt doch gut! Oder nicht? Hey, das sind doch gute Neuigkeiten!“ Wingman und Sheng tauschten einen unsicheren Blick. „Also ehrlich gesagt, ich weiß nicht ob ich besorgt oder stolz sein soll.“, seufzte der Asiate. Evi legte ihren Arm um seine Schultern. „Beides, mein Lieber. Du bist IMMER beides, wenn es um Haile geht.“ Sie küsste den Mann, den sie mehr liebte als alles andere in dieser schönen, neuen Welt, auf die Wange.
    Wichtig ist doch, dass es ihr gut geht. Und so lange irgendwo tote Kultisten gefunden werden, ist alles gut. Ich bin sicher, dass sie uns irgendwann besuchen kommt und nur so sprüht vor Leben. Sie ist unzerstörbar, sie lässt sich nicht aufs Kreuz legen. Also, außer von-.
    Evangelina!
    Die schneidende Stimme gehörte weder Wingman, der schon empört den Mund geöffnet hatte, noch Sheng, der solche Details über Haile lieber nicht diskutierte. Und etwas an der Art, wie der Name ausgesprochen war, ließ Evi zucken. Sie fühlte sich aus irgendeinem Grund wie ertappt und drehte sich zu der Stimme um.

    Dort stand eine Frau mit ergrautem Haar und strengen, blauen Augen. Ihre schmalen, zusammengepressten Lippen formten sich aber schnell zu einem Lächeln, das ihr Gesicht faltiger und sofort freundlicher aussehen ließ. Evi traute ihren Augen kaum.
    Dolores?
    Die Frau nickte und wurde sofort von der Taucherin bestürmt und gedrückt. „Meine Güte, Lori!! Wie lange ist das her? Du lebst! Du bist… wie bist du in deinem Alter bloß hierher gekommen?
    Dolores löste die Umarmung und räusperte sich. „Also wirklich. Ich sehe schon, dir hat immer noch niemand die nötige Höflichkeit beigebracht.“ Sie untermalte die strengen Worte mit einem kleinen, freundlichen Zwinkern.
    Nun, als ich gehört habe, dass die kleine Evangelina Nikos eine Heldin ist, musste ich mich sofort auf den Weg hierher machen. Das hat natürlich ein Weilchen gedauert, aber ich kann sehr störrisch sein, wenn ich mir etwas vornehme. Und Garret hier hat mir sehr geholfen.“ Sie deutete auf einen gut aussehenden Mann, der höflich lächelnd neben ihr stand und der offensichtlich jünger war als sie – höchstens Ende 40.
    Aber wenn du irgendwie Kontakt gesucht hättest, dann hätte auch ich mal vorbeischauen können. Äh, vermutlich. Je nachdem wo du warst.“, sagte Evi, aber Dolores schüttelte den Kopf.
    Es ist eine merkwürdige Fügung, aber ich kenne aus eurer Heldentruppe nicht nur dich.“ Die Taucherin zog überrascht die Augenbrauen hoch, als die ältere Frau ihren Blick auf Sheng richtete.
    Dass ausgerechnet aus Ihnen doch noch etwas geworden ist, hätte ich nie gedacht.“ Sie schürzte die Lippen.
    Sheng lief rot an und ihm schienen die Worte zu fehlen. Man konnte ihm ansehen, dass er erst jetzt erkannte, wer diese Frau war.
    Evi lachte etwas verlegen und legte ihre Hand auf Dolores‘ Schulter. „Warum gehen wir nicht ein bisschen spazieren? Wir haben so viel aufzuholen!“ Und etwas leiser fügte sie hinzu: „Der Kerl ist meine Große Liebe, den willst du doch nicht beleidigen?“ „Der?“, rief die ältere Frau überrascht aus und wollte sich gleich noch einmal an ihn wenden, aber Evi zerrte sie bestimmt weiter weg.

    Der Weg führte die beiden zu den kleinen Häuschen und Bauten, die immer mehr Menschen, die bleiben wollten, ein Zuhause boten. Dort setzten sie sich auf eine Art Bank, die eigentlich nur aus einem großen Stein mit Holbrettern darauf bestand, und redeten bis zur Dämmerung.
    Dolores hatte offenbart, dass sie vor mehr als zwanzig Jahren mit einigen anderen Adam überhaupt erst gefunden hatte. Und Evi hatte es geschafft, Dolores eine umfassende Beschreibung davon zu geben, was sie seit dem Fund von Adam alles erlebt hatte.
    Wie faszinierend, dass eine völlig andere Generation das, was wir angefangen haben, beenden musste. Es ist so viel Zeit vergangen. Ich frage mich, wie Adam all die Jahre verschwunden sein konnte… “ , sagte Dolores nachdenklich. Ihre Gedanken schienen schließlich abzuschweifen und sie rümpfte die Nase leicht. „Wir hätten uns damals aber sicher nicht mit irgendwelchen Wilden verbündet. Das erklärt aber immerhin diese schrecklichen Tätowierungen.“ Bevor Evi sich beschweren konnte, sprach die ältere Frau weiter: „Und Léo gehört auch zu denen? Ist ihre Anführerin geworden? Die kleine, süße Léo?“ Evi prustete. Kleine, süße Léo?
    Vielleicht ist es ganz gut, dass sie nicht hier ist, du würdest vermutlich einen Herzinfarkt bekommen. Aber ja, Léo ist eine starke Frau geworden.
    Ob Clover sie jemals wieder gesehen hat?
    Ich weiß nicht… Hast du Clover jemals wiedergesehen?
    Dolores lächelte und schüttelte den Kopf. „Ich habe sie ja auch nicht mehr gesucht, nachdem ich entschieden hatte, sie in Frieden leben zu lassen.
    Das ist fünfzehn Jahre her, manchmal ändern sich Meinungen.
    Ich sagte doch, ich bin störrisch.“ Dolores lachte kurz auf und es entstand eine Stille zwischen den beiden Frauen.

    Nach einer Weile, in der die beiden ihren eigenen Gedanken nachhingen, stand Evi auf. „Was hast du denn jetzt vor Lori? Du wirst doch bestimmt ein bisschen bleiben, oder nicht? Eine Frau in deinem Alter sollte sich echt nicht übernehmen.“ Die Taucherin streckte die Zunge heraus und bekam dafür prompt einen schmerzhaften Klaps auf die Schulter. „Pass auf du junges Früchtchen, in mir steckt immer noch genug Kraft, für die man mich respektieren sollte.“ Dann stand Dolores auf und brauchte damit doch etwas länger. „Aber ein bisschen Rast könnte trotzdem nicht schaden. Wie ist das denn hier, wen muss man bestechen, um ein Quartier zu finden?
    Evi lachte und ließ die ältere Frau bei sich einhaken. „Du kannst erst mal bei uns bleiben. Garret, oder wie er heißt, von mir aus auch.
    Kann ich mir bei dir denn dafür irgendwie erkenntlich zeigen?“ Die Taucherin schüttelte den Kopf, hielt dann aber inne. Kurz musterte sie Dolores. Es war viel Zeit vergangen, aber sie schien nicht viel von ihrem alten Ich verloren zu haben. Es war dieselbe Frau, die damals auf dem Schiff ihres Vater Zuflucht mit ein paar Mädchen gesucht hatte. Eine Frau, die mit Köpfchen vorging und so ihre Liebsten beschützte. Eine, die trotz aller Widrigkeiten die Fassung behielt und selbst in den härtesten Zeiten immer noch auf ihr Auftreten achtete. Ja, ohne Zweifel. Eine Dame.
    Also eine Sache hätte ich, wo ich echt deine Hilfe gebrauchen könnte…

    ---



    Dolores hat mir also dieses Kleid gemacht. Und die Tatsache, dass ich sie mehr als fünfzehn Jahre nicht gesehen und nicht von ihr gehört hatte, es ihr aber immer noch gut geht, gibt mir weiter Hoffnung. Ich vermisse die anderen, aber nichts spricht dagegen, sie wieder zu sehen, nicht wahr?“ Evi starrte gedankenverloren auf das Amulett, das in der Sonne glitzerte. „Und wenn es so weit ist, dann werde ich dich auch wieder sehen… und du wirst mit den Augen rollen und dich beschweren, dass dich mein dauerndes Gelaber hier immer in deiner trauten Zweisamkeit mit Derreck gestört hat… oder bei einer tiefgehenden Diskussion mit Will. Aber vielleicht mache ich es mit der Kleidersache ja wieder gut und unterhalte euch da oben gerade köstlich.
    Evi lachte und blinzelte sich ein kleines Tränchen aus dem Augenwinkel.
    Du wirst sehen. Schon bald werden wir hierauf zurückblicken und uns nicht mehr einkriegen vor Lachen, weil ich für dich echt ein Kleid anziehen wollte.

    Von hinten waren nun leise, behutsame Schritte zu hören und Snowball spitzte die Ohren. Dann sprang das Kätzchen auf und begrüßte den Neuankömmling mit erhobenem Schweif.
    Es ist bald so weit. Störe ich?“, fragte Sheng, der sich nun auch an Eryns und Derrecks Grab stellte. „Überhaupt nicht.“, antwortete Evi kopfschüttelnd und stand auf. Auf ihrem Hintern hatte sich ein leichter Grünschimmer gebildet – das Kleid war offenbar nicht dafür gemacht, im Gras zu sitzen.
    Du siehst…“ „…lächerlich aus, ja, ich weiß.“ Sheng lachte. „Nicht ganz, was ich sagen wollte.“ Er legte der Taucherin den Arm um die Schulter und küsste sie auf die Stirn.
    Ich habe Dolores jetzt übrigens überzeugt. Sie wird bleiben.“ Evi hob anerkennend die Augenbrauen. „Ich bin beeindruckt. Diese Frau ist so stur… aber früher oder später kann eben niemand mehr deinen Worten widerstehen. Vielleicht werdet ihr ja wirklich noch Freunde?“ Beinahe prustete sie los und auch Sheng musste grinsen. „Darauf würde ich nicht wetten.
    Die beiden schlenderten nun langsam Hand-in-Hand zurück, nicht ohne ihre Blicke noch einmal über all die Gräber schweifen zu lassen.
    Hast du wieder eine Liste gemacht?“ Sheng schüttelte den Kopf. „Ich habe schon letztes Mal bemerkt: Das ist etwas, wo ich wirklich keine Notizen brauche. Ihre Namen haben sich für immer und ewig eingebrannt und ich werde keinen einzigen von ihnen jemals vergessen.“ Evi packte Shengs Hand etwas fester und nickte.

    ---

    „…werden nun traditionell die Namen all der Helden ausgerufen, die an diesem schicksalhaften Tag vor zwei Jahren zur Rettung der Menschheit beigetragen haben.
    Vincent Allomary, Leocadia Arellano-Felix, Mary Black, Henry Daugherty,…
    ...Hugh Jackman, Jegor, Frank Moores, Sylvia Moores,...
    …Romero Sabal, Lisa-Marie Schiller, Haile Sheng, Ichiro Sh…”


    Wir werden keinen einzigen von ihnen jemals vergessen.

  5. #5
    Das Mädchen folgte dem flinken Tier jetzt schon eine ganze Weile. Es war, als wollte das schwarze Fellknäuel es genau so. Die Katze lief zwar davon, doch warf immer wieder Blicke nach hinten, um die ohnehin ständige Aufmerksamkeit der 11-Jährigen einzufangen. Das Kind hätte schneller gekonnt, doch selbst hier - nur hunderte von Metern vor ihrem Ziel - war Vorsicht geboten. Natürlich wurde sie daran auch erinnert, als die Stimme ihres Vaters ertönte.

    "Lily, nicht so weit! Mama macht sich schon Sorgen."



    Dabei war Papa der, der sich immer die größten Sorgen machte, wenn es am wenigsten angebracht war. Was sollte hier schon passieren? Der Wald war in einem guten Zustand, die Katze hatte sie das erste Mal an einem Haufen Gräber entdeckt. Und wo Gräber waren, da lebten auch nette Menschen. Böse Menschen bauten keine Gräber. Außerdem hatte Mama selbst gesagt, dass es nicht mehr weit sein würde, bis sie den Club erreichten.

    Lily hatte viele Fragen gehabt. Was Golf war, wusste sie jetzt - Leute, die besonders reich waren, nahmen sich früher Stäbe mit einem dicken, schweren Ende und versuchten damit kleine Bälle ganz weit zu schlagen. Sie hatte nicht wirklich verstanden, warum man so etwas machen sollte, aber vor ihrem Leben hatten die Leute eben Spaß daran. Einen solchen Stab hatte sie sogar selbst mal gesehen. Nur wurde der benutzt, um jemandem den Kopf einzuschlagen.

    Am Beeindruckensten fand sie Flugzeuge. Die Leute aus der alten Welt waren entweder Genies oder Lügner, wenn sie behaupteten, diese großen Schrottteile in die Luft gebracht zu haben. Lily war in ihrem Leben schon so weit gelaufen, doch Mama und Papa meinten wirklich, dass diese komischen Metallriesen fliegen konnten, nicht nur kaputt am Boden herum lagen, und dabei sogar viel schneller waren als alles was sie kannte. Da drinnen saßen angeblich ganz viele Menschen und bezahlten sogar dafür, das zu dürfen. Da konnte man dann drin schlafen und merkte nichts davon, dass draußen die ganze Welt an einem vorbei zog. Und wenn man wieder ausstieg, war man ganz wo anders.

    Für sie wäre das wahrscheinlich nichts gewesen. Das sportliche Mädchen mochte das Laufen und hörte auch deswegen nicht damit auf, der Katze hinterher zu eilen. Abgelenkt wurde ihre Aufmerksamkeit erst dann vom Vierbeiner, als sie zwischen den dicht aneinander stehenden Bäumen das erste Mal die Behausungen erkannte, die dahinter lagen. Die letzten Meter wurden gesprintet, die erneuten Rufe Papas erstickten irgendwo hinter ihr. Und als sie an den Waldrand kam, baute sich das gesamte Ausmaß vor ihr auf. Eine Menge Menschen, die nicht alle beieinander standen, doch geschäftig schienen, hier und da Dinge erledigten und wohl zum Großteil in Häusern wohnten, die sie schon mal gesehen hatte. An der Art, wie Menschen Häuser bauten, konnte man sehen, wo man war. Zumindest hatte sie das so abgespeichert. Es traf vielleicht nicht immer zu - aber oft.

    "Mamaaaa! Papaaaa! Ist das hier der Golfclub?" Sie wandte sich um und blickte vom Waldrand aus zwischen die Bäume und Sträucher, konnte nicht weit blicken. Die beiden waren noch nicht zu ihr aufgeschlossen, doch die sanfte Stimme ihrer Mutter antwortete Lily bereits. "Ja, wir sind hier richtig, Schatz." Das Rufen weckte auch die Aufmerksamkeit einiger der Anwohner, die zum Teil neugierig zu ihr sahen, doch schnell wieder das Interesse verloren. An anderen Orten der Welt waren die Menschen ängstlicher, rannten davon, wenn Fremde kamen, griffen nach Waffen oder bedrohten einen. Lily hatte beide Seiten bereits erlebt. Doch hier war man entspannt.

    Als sie ihre Eltern hinter sich endlich sah, versuchte das Mädchen die Jagd wieder aufzunehmen. Ihrem aufmerksamen Blick entging nicht, dass die schwarze Katze gerade sowas wie einen Haken schlug, es nicht so weit geschafft hatte, wie es zu vermuten war. Ein freches Grinsen stahl sich auf Lilys Gesicht, kurz bevor sie loseilte. Es dauerte kaum zwei Sekunden, da setzte sich auch das Tier wieder in Bewegung, um Distanz zwischen sich und das Kind zu bringen. Gemeinsam eilten sie sorglos durch das Dorf. Der Tochter der doch nicht ganz so entspannt nach ihr rufenden Eltern fiel dabei weder auf, dass sie hier und da beinahe jemanden umrannte, noch nahm sie Notiz davon, in Richtung einer Bunkeranlage zu rennen. Nur kurz vor Erreichen dieser nahm das Tempo der Katze ab, doch anstatt langsam erschöpft aufzugeben, versteckte sie sich mit einem letzten Sprung halb zwischen und halb hinter den Beinen einer Frau, der Lily beinahe in die Arme lief.

    "Ärgerst du wieder jemanden, Snowball?", fragte die Frau, deren Haar so rötlich war wie das von Lily selbst, die Katze, die aussah als würde sie zwischen den schweren Stiefeln wirklich Schutz suchen. Das Mädchen wusste nicht, ob sie sich mehr über den komischen Schmuck der Frau wundern sollte oder darüber, dass sie der schwarze Katze so einen seltsamen Namen gegeben hatte. Doch die aufgeweckte 11-Jährige lächelte nur verspielt. "Nein, sie hat mich nicht geärgert. Wir haben nur Fangen gespielt." Da sie vor ihrem geistigen Auge bereits sehen konnte, wie ihre Eltern ihr ein Mangel an Höflichkeit vorwarfen, streckte sie forsch die etwas schmutzige Hand aus und hielt sie der Frau hin. "Ich bin Lily."

    "Hallo Lily, ich bin Evi", war die zügige Antwort, gefolgt von einem Händedruck. Neben der kräftigen Hand der Frau fiel dem Mädchen vor allem der Name auf, der sie stutzen ließ. Sie wusste, wo sie hier war. Und sie hatte diesen Namen nicht erst ein mal gehört. "Evi... bist du Evangelina-Evi?" Wieder erfolgte das bestätigende Nicken der Frau nicht eine Sekunde später. Lilys Augen öffneten sich weit. "Wooow! Du bist eine Heldin!" In ihrem Blick lag pure Bewunderung. An Stelle der Frau wäre sie sich nun reichlich stolz vorgekommen, doch die Retterin der Menschheit sah durch ihre Feststellung eher aus wie eine Mischung aus verschmitzt lächelnd und peinlich berührt.

    "Du musst meine Eltern kennen lernen, Evi. Die waren auch mal Helden. An einem Flugh-..." - "Lily!" Das Mädchen stöhnte genervt auf. Damit hätte sie ja rechnen können. "Ich habe gesagt: Nicht so weit!" Die Stimme ihres Vaters war eindringlich. So eindringlich zumindest, wie sie eben sein konnte. Die 11-Jährige hatte inzwischen gelernt, dass weder er, noch ihre Mutter dazu in der Lage waren, böse auf sie zu sein. Und jetzt hatte sie keine Zeit, zu protestieren - denn es gab Wichtigeres. "Papa, das ist Evangelina. Eine von den Heldinnen. "

    Die Augenbrauen des Mannes entspannten sich, wie auch seine Stirn. Er sah nun die Frau an, während die rothaarige Begleitung, die er an der Hand hielt, schon freundlich lächelte. "Es ist toll, Sie in Person zu sehen!", meinte Lilys Vater respektvoll. "Ich bin Ian Burrows." Und auch ihre Mutter stellte sich vor.

    "Mein Name ist Clover."

  6. #6
    Happy Birthday to Daen, happy Birthday to Daen... dieser Post gammelt schon seit Februar bei mir herum und Daen wollte ihn schon immer mal lesen. Deswegen habe ich ihn massiv erweitert und poste ihn jetzt für euch alle~ enjoy!

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    Nach der Schlacht um San Antonio

    Über das Drury Plaza Hotel im Norden der Stadt, in der Nähe des Silverhorn Golfplatzes, legte sich langsam die alles verschluckende Dunkelheit des Abends. Die Toten waren begraben, die Räume gesichert, das Essen für die Überlebenden gekocht. Nach der Umarmung war Haile wieder auf dem Sofa in der Lobby zusammengebrochen. Der Blutverlust, wie Henry den besorgten Sheng mit einer genervten Handbewegung beschied.

    "Ich sag doch, sie wird wieder. Ich hab weit schlimmere Fälle."
    "...Ich weiß."
    "Sie soll viel trinken. Und wenn Prinzessin wieder aufwacht, wird ihr ordentlich kalt sein. Zitterkrämpfe. Nichts dramatisches."
    "...Ich verstehe, Doktor."

    Sheng saß neben der seiner Tochter und hielt ihre leblose Hand. Ihr junges Gesicht war von vier tiefen Kratzern durchzogen, ihre Haare schimmerten immernoch rötlich vom Blut Georginas. Aber ihr Brustkorb hob und senkte sich regelmäßig. Minutenlang starrte der Bürgermeister wie hypnotisiert auf diese Bewegung, bis er von einer Hand auf seiner Schulter aus den Gedanken gerissen wurde.

    "Hey...ich verstehe, wenn du sie nicht alleine lassen willst, aber die anderen brauchen dich. Ich befürchte, dass Wingman als Ansprechperson...eventuell nicht die perfekte Wahl ist."

    Wie um Evis Worte zu unterstreichen, hörten sie ein lautes "MIR DOCH EGAL, WO IHR SCHLAFT, MEINE GÜTE." aus dem Speisesaal des Hotels, wo die Überlebenden der Schlacht ihre Basis aufgeschlagen hatten.

    "...Ich denke, er kann deine Hilfe gebrauchen. Und du brauchst etwas zu tun."
    "...Du hast Recht, Evi. Aber... weißt du... Leo ist mit Voodoo ins Lager der Vultures aufgebrochen, Ben wollte Raoul speziell für das erste Scouten der Region, auch, um ihn eventuell zum Scavenger auszubilden, du organisierst die Freiwilligen... Und was kann ich tun?"
    "Was du am besten kannst, Sheng. Trost spenden. Organisieren. Planen. Beruhigen. Hoffnung spenden."
    "...Wenn du das so sagst, klinge ich um Meilen besser..."
    "Ichiro. Ich sage nur die Wahrheit."

    Mit einem Seufzen erhob sich der ehemalige Bürgermeister. Auf Evis Lippen stahl sich ein Lächeln, als sie sich nach vorne lehnte, um ihn sanft zu küssen.

    "Und wir können ja immer mal wieder ein Auge auf Haile werfen, wenn dich das beruhigt. Aber wenn ich auf dieser Reise eines gelernt habe, dann, dass sie das packt."
    "...Du hast Recht."

    Mit einem letzten Schulterblick gingen die beiden in den Speisesaal, wo sich die Stimmen der Bürger mit Wingmans verzweifelten Anweisungen mischten. Die Stunden vergingen, und Haile schlief immernoch friedlich auf dem breiten Sofa. Sheng entspannte sich mit jeder abgearbeiteten Aufgabe, mit jedem Lächeln, dass er den geschundenen Seelen im Hotel entlocken konnte. Und es gab genug zu tun. Eine Wasserversorgung musste eingerichtet werden, Freiwillige durchkämmten das Hotel auf der Suche nach übrig gebliebenen Zombies und richteten die Räume für die Übergangsbewohner ein. Eine Bastion der Ruhe, bevor sie in alle Winkel der Welt aufbrechen würden. Ehe sich der Asiate versah, war es später Abend und die Ersten brachen bereits in die oberen Stockwerke auf, um zu schlafen. Er hatte schon einige Stunden nicht mehr nach Haile geschaut.

    Als er seine Schritte in die Hotellobby lenkte, konnte er sofort erkennen, dass sich etwas verändert hatte. Statt der kleinen Silhouette lag das ein großer Deckenberg auf dem Sofa. Und mitten darin seine Tochter in den Armen eines dunkelhaarigen Jungen.
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    "Hey, gute Arbeit, Leute. Die Mall war echt eine Goldgrube. Wir schicken morgen einen Trupp, um unsere Schätze abzuholen."

    Ben strich sich den Schweiß von der Stirn und klopfte Raoul mit Schmackes gegen die Schulter, der daraufhin ein ersticktes Keuchen von sich gab.

    "Ben. Rippe."
    "Oh, sorry. Ganz vergessen. Sicher, dass du morgen nochmal mitkommen willst?"
    "Ich komm schon klar. Außer, du haust weiter gegen meine angeknacksten Knochen."
    "Jaja, schon kapiert. Aber wir machen schon noch einen anständigen Scavenger aus dir."
    "Pff, als ob."

    Raoul ließ einmal die Schultern kreisen und schüttelte seinen Kopf. Die Mall war teilweise eingebrochen, das Grundwasser hatte sich seinen Weg gebahnt und er war damit voll in seinem Element. Er war als einziger der kleinen Scavenger-Gruppe mutig genug, die dunklen Gänge zu durchschwimmen. Klar wurde es dabei einmal eng. In dem alten Walmart waren noch ein paar Kunden gefangen. Aber nichts, was ein gezielter Schlag und ein trotziges Anspucken nicht gelöst hätten.

    Ihm tat jeder einzelne Knochen weh, aber die pure Lebensfreude, die ihn durchströmte betäubte jeden Schmerz. Er grinste den älteren Scavenger frech an und betrat die Hotellobby. Ein kurzer Blick verriet ihm, dass Haile immer noch bewegungslos auf dem Sofa lag. Mit einem Nicken entschuldigte er sich und näherte sich vorsichtig dem Mädchen.

    "Hey."

    Keine Antwort. Gut, was hatte er auch erwartet? Auf dem Rückweg hatte sie viel Blut verloren, in erster Linie durch ihre Wunden im Gesicht. Mit den Fingerspitzen strich er ihr eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht. Er hatte sie noch nie ohne ihre Kohlezeichnungen gesehen. Es kam ihm vor, als wäre es Monate her - als er sie das erste Mal von Nahem sah, im Halbdunkel des Schiffsbauch. Er hatte sich damals oft ausgemalt, wie es wäre, mit ihr an der Hand in den Maschinenraum zu kommen und im Blick der anderen zu baden, sie vielleicht tatsächlich rumzukriegen und in die Bande einzuführen. Unter seiner Berührung regte sie sich ein wenig, aber ihre Augen blieben fest geschlossen. Sie zitterte. Raoul blickte sich hektisch um. Aber niemand sonst war in der Lobby.

    "Shit."

    Kurzentschlossen packte er sich eine der dicken, weißen Decken, die überall herumlagen. Das klatschnasse Shirt flog über seinen Kopf, seine durchnässte Hose fiel auf den Boden, aber mitten in der Bewegung zögerte er.

    Früher wäre das nichts gewesen, woran er auch nur einen überflüssigen Gedanken verschwendet hätte. Halbnackt neben einer schönen Frau liegen? Ja Bitte! Blades und die anderen Mädchen der Bande baten ihm mehr als genug Chancen, seinen Charme spielen zu lassen. Aber das hier war anders. Das war keine schnelle Eroberung, die er danach wieder vergessen konnte, um sich dem nächsten interessanten Anblick zu widmen. Das war vollkommen anders. Er hatte sich geschworen, diesmal nichts zu überstürzen. Es zu genießen und dieses Gefühl so lange wie möglich zu erhalten. Nicht zu wissen, wie sich ihre Haut anfühlte, nicht zu wissen, wie sie angefasst werden wollte. Diesmal hatte er alle Zeit der Welt, diese Kleinigkeiten zu lernen.

    Aber Haile zitterte noch immer am ganzen Körper.

    "Ach, fuck it."


    Er breitet die Decke über Haile, die ohne ihre Rüstung noch schmächtiger wirkte. Auch er selbst verschwand fast völlig unter dem weichen Stoff. Jetzt musste er nur noch genug Mut sammeln, sie auch wirklich zu wärmen. Raoul nahm einen tiefen Atemzug und legte vorsichtig einen Arm um Haile.

    Komm schon, gestern ging es doch auch.

    Gestern dachtest du aber auch, dass du stirbst.


    Mit den Fingern tastete er vorsichtig über das schwarze Tanktop, welches Haile nach wie vor trug. Langsam zog er sich näher an die junge Frau. Sie war eiskalt und er konnte spüren, wie ihre Muskeln zitterten. Sie lag auf dem Rücken, den Kopf leicht zur Seite gedreht. So vorsichtig er konnte manövrierte er seinen Arm unter Hailes Kopf und drehte ihren Körper, sodass er sie an seine zerschundene Brust pressen konnte. Raouls anderer Arm drückte sie noch näher an sich und streichelte sanft und beruhigend über ihren Rücken.

    Geht doch. Immer noch nicht wie heute Nacht, aber besser als nichts.

    Er gab Haile einen zärtlichen Kuss auf die Schläfe. Er legte eines seiner Beine über ihre und verschränkte ihre Füße miteinander. Blades hatte das geliebt.

    Nicht an sie denken. Dumme Idee.

    Er hatte immer noch ein unfassbar schlechtes Gewissen. Natürlich hatte er sie nie geliebt, zumindest nicht so, wie sie das gerne wollte. Raoul war dankbar, dass sie da war. Aber noch dankbarer war er damals, dass er sie so einfach benutzen konnte, um seine Position zu stärken. Sie bot sich ihm regelrecht an, als Liebhaberin und treue Untergebene. Für ein paar Minuten Zärtlichkeit nach ihren regelmäßigen Treffen in seinem Raum. Erst in der Dunkelheit des Alamodomes realisierte er, dass sie ihm alles bot, um selbst ein wenig Halt zu haben. Eine sanfte Bewegung riss ihn aus seinen Gedanken.

    "..."
    "...Hey."
    "...?"
    "Alles gut...dir ist nur kalt, glaube ich. Alles okay?"
    "...ja."

    Haile rührte sich ein wenig, befreite ihre Hand, die zwischen ihren Körper gefangen war und legte sie auf seine Brust, fuhr sanft die Linien nach, die Georginas Rute hinterlassen hatte. Dann blickte sie in sein Gesicht, eine Augenbraue nach oben gezogen. Raoul lief rot an.

    "...?"
    "Ähm...also... also, nicht dass du denkst, ich wollte einfach so nackt neben dir liegen oder so..."

    Er räusperte sich verlegen.

    "Ich... Ich dachte nur...dir ist kalt..."
    "..."
    "...und naja, ich bin immer fürchterlich warm...und...naja, dass ich dich wärmen könnte."
    "..."
    "..."
    "...Danke."

    Haile schloss wieder die Augen und schmunzelte leicht. Raoul konnte spüren, wie sie sich näher an ihn kuschelte. Noch ein wenig unsicher, aber dafür umso enthusiastischer - vielleicht etwas zu enthusiastisch.

    "Ow, nicht so fest, bitte."
    "...!"
    "Sorry, Georgina hat mich doch ordentlich vermöbelt."

    Er grinste sie an und grub seine Hand in ihre blonden Haare.

    "Hätte sie nicht machen sollen."

    Raouls Hand, die immer noch auf Hailes Rücken ruhte, tastete sich langsam nach unten, bis zum Saum ihres Tops. Er hielt den Atem an, als er mit den Fingerspitzen über die weiche Haut fuhr, die darunter lag. Haile dagegen schloss wieder die Augen und schien die Berührung zu genießen. Fast schon stahl sich ein selbstzufriedenes Grinsen über Raouls Gesicht. Langsam strich er mit den Fingerspitzen weiter über ihren Rücken, schob ihr Top dabei unter der Decke weiter nach oben.

    "..."
    "Sag mal, Hailey..."
    "...?"
    "Was?"
    "...Hailey?"
    "Nicht gut?"

    Sie lächelte kurz und schüttelte den Kopf.

    "Ich brauche nicht noch mehr Namen."
    "Auch gut... meine Kriegerprinzessin."

    Er verstärkte seinen Griff um ihren Körper und beugte sich grinsend über sie. Raouls Finger unter ihrem Top wanderten weiter nach oben, bis er an den sanften Rundungen ihrer Brüste angekommen war. Gut, reicht erstmal, Junge. Nichts überstürzen. All das. Wir haben Zeit. So viel Zeit.

    Noch während Raoul über all die Möglichkeiten nachdachte, die ihnen jetzt offen standen, wurde er plötzlich davon überrascht, wie Haile ihren Kopf beinahe schon ein wenig schmerzhaft gegen seinen krachen ließ und ihre Lippen auf seine presste. Vollkommen überfordert - schließlich hatte sie ihn noch nie von sich aus geküsst - brauchte Raoul ein paar Momente, um den Kuss zu erwidern. Er ignorierte das Ziehen in seiner Seite und warf sich förmlich auf sie. Die beiden Teenager knutschten wild herum, Raouls Finger strichen sanft über ihre zarte Haut unter ihrem Oberteil und auch Hailes Hände tasten über seinen nackten Rücken. Ein Räuspern und Evis Kichern rissen sie aus ihren neugierigen Zärtlichkeiten. Sheng, Wingman und die rothaarige Taucherin hatten sich vor dem jungen Pärchen aufgebaut. Wingman ergriff als erster das Wort.

    "Sheng...ich sage es ja ungern, aber ich denke... es wird Zeit... für das Gespräch."
    "Das Gespräch?"
    "Du weißt schon. Das GESPRÄCH."
    "Oh..."
    "Nicht euer Ernst, oder?"

    Raoul starrte entgeistert zwischen Sheng und Wingman hin- und her.

    "Meine Fresse..."

    "Jetzt tu nicht so, junger Mann!"
    "Man kann mir ja viel vorwerfen, aber selbst ihr müsst zugeben, dass sich unter meiner Führung die Bande wenigstens nicht noch weiter vergrößert hat."

    "Wo er Recht hat, hat er Recht."
    "Sheng. Trotzdem. Da musst du durch, als ihr...Vater."
    "Okay. Okay. Also..."

    Sheng nahm gerade einen tiefen Atemzug, als Raoul, nach wie vor halbnackt, aufsprang und Haile, die extrem verwirrt zwischen allen Beteiligten saß, an der Hand mit nach oben riss.

    "Außerdem, ich habe mindestens drei gebrochene Rippen und Haile geht es nicht viel besser. Also, denkt ihr ernsthaft, wir machen...also...denkt ihr wir...tun...irgendwas..."

    Raoul war wieder rot angelaufen und drehte sich in Richtung der Treppen.

    "Und selbst wenn, das geht euch einen Scheissdreck an."
    "Das geht uns wohl etwas an, wenn du sie schwäng..."
    "Werde ich nicht!"
    "So wie du niemals etwas aus der Armory klauen würdest, heh?"
    "DAS ist was ganz anderes!"
    "Was ich sagen will: Dir kann man nicht vertrauen, du Dieb!"
    "Von dir muss ich mir gar nichts sagen lassen! Und ob sie mir vertraut, muss Haile immernoch selber entscheiden!"


    Mit diesem Worten und einer trotzigen Geste zog Raoul Haile hinter sich her in Richtung der Treppen, die zu den Hotelräumen führten. Das blonde Mädchen drehte sich noch einmal mit einem entschuldigenden Lächeln um. Sheng strich sich mit den Daumen über die Augen und gab ein leicht entnervtes Geräusch von sich. Evi legte ihm von hinten die Arme um den Hals.

    "Nächstes Weihnachten wird eine Katastrophe."
    "Ja, mein Lieber. Eine wunderbare Katastrophe."

  7. #7
    In Silverhope herrschte normalerweise schon beständiges Treiben, aber jetzt, zu Weihnachten, waren die engen Gassen zwischen den Feldern, Hütten und Häusern auf dem ehemaligen Golfplatz vollgestopft mit Menschen. Wiedersehensfreude, wohin das Auge blickte. Hier und da schürten Vultures, die für das erstaunlich kühle Wetter vollkommen unangemessen gekleidet waren, öffentliche Lagerfeuer auf den Plätzen. Der Schnee knirschte unter ihren schweren Soldatenstiefeln, während sich Haile und Raoul durch die Menschenmenge schoben. Selbst unter der dunklen Kapuze konnte Raoul erahnen, dass seine Geliebte ganz und gar nicht glücklich über diese Massen war.

    Selbstgebaute Hütten - Sheng bestand darauf, dass die Siedler nicht in den alten Häusern der Suburbs rund um den Golfplatz lebten, sondern sich ein eigenes Leben aufbauten. Im wahrsten Sinne des Wortes. Raoul rümpfte die Nase und schob sich weiter durch die Menge. Hier und da meinte er, ein bekanntes Gesicht zu entdecken. Diejenigen aus "seiner" Bande, die von den Kultisten nicht verschont wurden oder mit viel Glück den Folterungen entgangen sind, versuchten sich jetzt als Farmer oder hatten sich den Scavengern angeschlossen. Gerade, als er Haile feixend auf einen ehemaligen Rivalen hinweisen wollte, der an einem Stand selbst gezogene Karotten anpries, stellte er fest, dass seine Geliebte verschwunden war. In dem allgemeinen Gewusel war sie schlicht abgetaucht. Und hatte ihn alleine zurückgelassen. Raoul zog einen Flunsch und verschränkte die Arme vor der Brust.

    "Hey... Auch mal wieder aus der Versenkung aufgetaucht?"

    Eine bekannte Stimme. Nur erheblich sicherer und fester als früher.
    Blades.

    -------

    An der Gedenkstelle für all die Opfer der Kultisten schimmerte eine kleine, rußschwarze Metallkette im Reif. Diesel hatte ihr diese Kette mitgegeben, "um die da i'gndwo hinz'legn oder so". Diesel Flamerider, stolzer Vater von Kerosa und Anführer des Flamerider-Clans, war so etwas wie ihr Chef. Er hatte in den Jahren nach der Apokalypse ein Geschäft daraus gemacht, die ehemalige Metropole New York zu plündern und war mehr als entzückt, Haile und Raoul in seine Reihen aufzunehmen. Weniger entzückt war er, natürlich, als er vom Tod seiner Tochter hörte, an dem Haile sich noch immer die Schuld gab. Aber statt sie zu verurteilen, klopfte er ihr mit seiner Bärenpranke auf die Schulter, murmelte etwas vom "Lauf d'r Dinge" und berief sie zu seiner Stellvertreterin.

    Heute war New York nach wie vor als Todeszone ein wahres El Dorado für Plünderer. Auch wenn die Gefahr heute eher von einstürzenden Wolkenkratzern als von Zombies ausging. Aber aus dem kleinen Ring von Plünderern hatte sich in den Jahren seit dem Kampf um die Menschheit ein kleiner Staat gebildet. Und Diesel als dessen Präsident war heillos überfordert und heilfroh, mit Haile eine waschechte Heldin zur Verfügung zu haben. All das versuchte Haile stumm irgendwie in Richtung des Monuments für die Toten zu kommunizieren, welches auf dem Friedhof der Siedlung stand und unter vielen anderen auch Kerosas Namen trug.

    Haile hörte hinter sich schwere Stiefelschritte im Schnee.

    "Hey, Schwe..."
    "...?"
    "Mh, ich weiß gar nicht, ob "Schwester" noch der angemessene Name ist..."
    "...?"
    "Naja, ich meine, jetzt wo Sheng und ich...naja...sowas wie verheiratet sind. wäre ich da nicht eher deine ... Mutter?"
    "..."
    "..."
    "Schwester."
    "Definitiv, ja, Schwester."

    Evi zog Haile zu einer knochenbrechenden Umarmung heran und hielt sie dann wieder eine Armlänge auf Abstand, musterte ihr schwarzes Kleid und ihr Gesicht. Es schien fast, als müsste sie sich daran gewöhnen, dass Haile nicht mehr ganz so großzügig mit dem Kohlestift agierte und irgendwann aufgehört hatte, sich die komplette Augenpartie schwarz zu schminken. Sie war in den letzten Jahren etwas älter geworden, erwachsener und schien erheblich häufiger zu lächeln.

    "Sheng wird sich SO freuen, dich in einem Stück zu sehen."
    "..."
    "...oder willst du noch ein bisschen hier bleiben?"

    Evi warf einen Blick auf die restlichen Gräber und ihr Blick blieb vor allem an einem Doppelgrab hängen, an dem ein Amulett in der Morgensonne glänzte. Auch Evi war älter geworden. Haile würde fast sagen, dass die ehemalige Schatztaucherin so etwas wie eine mütterliche Ausstrahlung bekommen hatte, schob diesen Gedanken aber schnell wieder zur Seite. Man hörte viele Geschichten über Evi. In manchen Bars wurde sie als wahrer Engel auf Erden beschrieben, die mit ihrem Lächeln ganze Bürgerkriege abwenden konnte. In anderen Bars wurde sie etwas bodenständiger als "gute Seele" von Silverhorn bezeichnet. Und in den Bars, in denen es jemand wagte "Ist doch nur 'ne Frau" zu sagen - nunja, in diesen Bars hatte Haile mittlerweile Hausverbot, nachdem sie mit dieser Meinung über ihre große Schwester aufgeräumt hatte. Sie blickte Evi an und schenkte ihr ein strahlendes Lächeln.

    "Sheng?"
    "Sheng."

    ------

    "Jedenfalls, wusstet ihr, dass Australien von einer Hundeplage heimgesucht wird? Ellen... also, Sergeant Boyd, hat nicht schlecht gestaunt, als sie aus ihrem Haus mitten im Outback erst einmal eine ganze Horde an riesigen schwarzen Hunden befördern musste. Die sind nicht aggressiv, sogar ziemlich freundlich, Labradorabkömmlinge oder sowas..."
    "Und, hast du dein Herz jetzt endgültig an Australien verloren?"
    "Höre ich da neugierige Untertöne, Sheng?"
    "Keinesfalls."
    "Ne, also gegen das, was die Leute mit Perth gemacht haben, kommt das Outback nicht an. Auch wenn man dort in der Wildnis manchmal vergessen könnte, dass es überhaupt so etwas wie die Apokalypse gab..."

    Wingman donnerte sein Schnapsglas auf den Holztisch, an dem vor so vielen Jahren der Schlachtplan ausgetüftelt wurde. Shengs Schnapsglas stand noch gefüllt vor ihm, während er mit einem breiten Lächeln seinem besten Freund bei den Geschichten von seiner Weltreise zuhörte.

    "Aber ganz ehrlich, wenn das Wetter besser wird, geht meine Reise wieder los."
    "Zurück zu Sergeant Boyd?"
    "Was, nein, Europ..."

    Die beiden Männer blickten gleichzeitig auf. Mit einem herzhaften Klopfen hatte Evi ihre Ankunft im alten Bunker angekündigt. Sie schob Haile ein bisschen vor sich her, auch wenn die junge Frau den Weg sicher auch alleine gefunden hätte. Wahrscheinlich. Sheng sprang von seinem Platz am Tisch auf und mit wenigen Schritten überquerte er die Distanz zwischen der festlich geschmückten Tafel und seiner Tochter. Er schloss sie fest in seine Arme. Sie hatten sich seit drei Jahren nicht gesehen und Sheng ertrank geradezu voller Stolz im Anblick dieser jungen Frau, die so unverkennbar seine kleine Haile war, aber doch auch eine erwachsene Frau.

    "Haile! Wie geht es dir? Alles in Ordnung? Wie war..."
    "..."
    "Ishiro, lass sie doch erst einmal zu Atem kommen!"
    "...!"

    Haile drückte sich an ihren Vater und merkte zunächst gar nicht, dass er von hinten angetippt wurde. Eine Teenagerin mit roten Locken mit einem kleinen Kind auf dem Arm war an Sheng herangetreten und drückte ihm das quengelnde Kind in die Hand. Sheng lächelte breit.

    "Was hat sie denn?."
    "...Die kleine Madame ist wieder zu knietschig um auf dem Arm ihrer Babysitterin zu schlafen. Sie will anscheinend auf Papas Arm."
    "Danke, Lily, dass du auf sie aufgepasst hast."

    Dann drehte er sich wieder zu Haile um. Das kleine Mädchen auf seinen Armen öffnete müde die Äuglein und blinzelte ihre große Schwester an. Diese blinzelte ebenso verwirrt zurück und ließ ihren Blick von Sheng über Evi und wieder zurück gleiten. Das kleine Mädchen war ganz einhundertprozentig, definitiv und ohne jeden Zweifel das Kind der beiden. Sie hatte dunkle, mandelförmige Augen, einen dunkelbraunen Haarschopf und einen neugierigen Blick. Eifrig grabschte sie nach Hailes hellblonden Haaren, die sich offen über ihre Schultern ergossen. Haile zuckte ein wenig zurück und blickte ihren Adoptivvater an, der fast ein wenig entschuldigend die Schultern hob. Evi dagegen strich sich einmal über den - zu Hailes Schrecken - leicht gewölbten Bauch und strahlte in die Runde.

    "Wir dachten...naja, jetzt, wo die Welt sicherer ist, da können wir vielleicht..."
    "Und jemand muss die Bevölkerung..."
    "Ja, also..."
    "Sie... ist süß."
    "Ja, und sie ist das vermutlich verwöhnteste kleine Mädchen auf diesem Kontinent."
    "..."
    "Hallo, meine Kleine. Ich habe gehört, du setzt die glorreiche militärische Geschichte der Shengs fort? Und wo ist eigentlich dieser..."

    Wingman kam nun ebenfalls angehumpelt und klopfte der jungen Frau auf die Schultern. Haile blickte sich um, als hätte sie erst jetzt bemerkt, dass ihr Begleiter verschwunden war.

    "Nicht, dass er dich verlassen hat... Ha, DU hast ihn endlich in die Wüste geschickt! Oder, oh, bist du vielleicht schwanger und dieser Nichtsnutz hat sich aus dem Staub gemacht? Das sähe ihm wohl ähnlich."
    "Positiv wie immer, was, Wingman?"

    Raoul war aus dem Gang in den ehemaligen Konferenzsaal getreten - und er war nicht alleine. Der Anblick seines jugendlichen Erzfeindes, noch dazu mit einer anderen Frau als Haile am Arm, sorgte bei Wingman für ein nervöses Keuchen und ein heftiges Augenzucken, und es schien fast, als müsste er den Impuls unterdrücken, eventuelle Wertgegenstände in Shengs Wohnzimmer zu taxieren und sich schützend vor sie zu werfen. Raoul dagegen rollte mit den Augen und die junge Frau löste sich von seinem Arm und strahlte Haile an.

    So wie die südlichen Vultures steif und fest und unter der Androhung von lebendiger Häutung behaupteten, Leo wäre diejenige gewesen, die den Knopf gedrückt hatte, so waren die "neuen" Vultures der festen Überzeugung, dass Blades die "Retterin der Menschheit" war. Sie hatten sich von Leos Clan abgespalten und waren in den Norden gezogen, ins ehemalige Silicon Valley in Kalifornien. Blades hatte es versucht. Sich monatelang dagegen gewehrt, dass sie all den Ruhm bekam, aber Gerüchte und Legenden verbreiten sich schneller als die Wahrheit. Und so wurde Blades Vulture, die "Schande der Ahladita", landauf, landab als die Heilsbringerin verehrt. Sie legte den Kopf schief und lächelte einmal in die Runde.

    "Wollen wir uns vielleicht erst einmal alle hinsetzen?"

    ---------
    "Blades, hast du eigentlich etwas von Leo und Jackman gehört?"

    Die Miene der jungen Frau verfinsterte sich. Sie seufzte einmal tief, blickte an die Decke, blickte Shengs und Evis Tochter an, die friedlich auf ihrem Arm schlief und blickte dann wieder in die Runde.

    "Die südlichen Vultures... sie haben sich mittlerweile über ganz Mexiko ausgebreitet, manchen Berichten zufolge bauen sie sogar die ganzen alten Pyramiden auf Yucatán wieder auf. Leo... also, Seeker, sie ist immer vorne, an der Front gen Süden und kommt nur gelegentlich wieder zurück ins Herz ihres Landes, in ihre Villa an der Grenze. Dort sorgt sie dann zwei Wochen lang für schlaflose Nächte, besonders bei Jackman, und dann verschwindet sie wieder. Ich habe gehört, dass sie dort unten im Süden die ganzen wilden Stämme im Urwald versucht, zu einen. Aber mit ihren üblichen, ... charmanten ... Methoden."
    "Und Jackman? Was macht der, wenn Leo nicht da ist?"
    "Der hält das Land zusammen. Und züchtet Aloe."
    "Aloe?"
    "Aloe."

    Blades widmete sich wieder dem kleinen Mädchen auf ihrem Arm, hielt ihr ihren Finger hin, grinste sie an und entlockte dem Kind hin und wieder ein glückliches Quietschen. Haile und Raoul blickten sich an. Es war für Haile einfach absolut abstrus und fühlte sich komplett surreal an, dass Evi - EVI - ein Kind hatte. Und das Sheng seiner kleinen Tochter gefühlt mehr Aufmerksamkeit schenkte, als ihr. Beide Eltern waren vollkommen vernarrt in das kleine Mädchen, und Haile saß mit verschränkten Armen am Tisch und beobachtete die Szene. Sie wippte mit dem Bein auf und ab und traf dabei immer wieder Raouls Knie mit ihrer Stiefelspitze. Raoul dagegen grinste breit, lehnte sich zu ihr herüber und flüsterte ihr ins Ohr.

    "Du bist eifersüchtig."
    "Bin ich nicht."
    "Ohhhhh doch."
    "Nein."
    "Ach komm, ich weiß, wie sowas aussieht. Wenn bei mir in der Bande ein neues Kind ankam, dann waren die anderen Knirpse auch immer super eifersüchtig und haben sich noch heftiger an Blades' Rockzipfel geklammert."
    "..."

    Haile lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und schürzte die Lippen.

    "DU bist eifersüchtig."

    "Was?"
    "Blades."
    "Was?!"
    "Du schaust sie an."
    "Süße, ich bin nicht eifersüchtig, ich bin horny."
    "..."

    Haile bedachte ihn mit ihrem eingeübten "Raoul, das ist eine beschissene Idee"-Blick. Er ließ sich davon allerdings nicht abhalten, lehnte sich nach vorne und spannte seine Muskeln ein wenig an. Er grinste Blades an, mit seinem patentierten und erprobten Lächeln, das jede durchschnittliche Barfrau zwischen Silverhorn und New York schwach werden ließ.

    Es war nicht sein Ernst. Oder, doch, genau das war es. Während Haile die Augen verdrehte, ließ Blades einmal ihren Blick über ihn schweifen und lächelte dann hintergründig und selbstzufrieden in sich hinein.

    "...Jedenfalls, die Aufbauarbeiten laufen gut. Wir haben den Boden rund um die Wasserlöcher befestigt und bauen demnächst weiter an der neuen City Hall..."

    "Ian, es ist Weihnachten, denkst Du nicht, dass wir auch morgen noch über unsere Pläne sprechen können?"
    "Keinesfalls! Meine Enkelkinder sollen schließlich endlich einen vernünftigen Schulraum bekommen!"
    "....und wir können die Räume dann auch nutzen, damit Clover singen kann..."
    "....UND Sylvia kann die ganz Kleinen in einem eigenen Raum betreuen. Wir sind ja SO froh, dass sie wieder hier ist! Und Thomas ist zu so einem netten jungen Mann geworden, ich habe gehört, er hilft in der Armenküche aus, wir sollten ihm WIRKLICH ein Präsent zukommen lassen!""

    Die Einwohner von Silverhorn, allen voran Dolores und Ian, waren engagiert und sorgten mit ihrer Hände Arbeit dafür, dass die Siedlung seit Jahren immer weiter expandierte. Während Clover als Lehrerin die Kinder und Jugendlichen des Dorfes betreute, waren Ian und seine Schwiegermutter in seltener Einigkeit bestrebt, die Stadtgrenzen immer mehr zu erweitern. Das Leben in Silverhorn war gut. Sauber, sicher und sozial.

    Mit leichtem Schaudern dachte Haile daran, dass sie demnächst einmal wieder ein paar übereifrige Plünderer von Manhattan vertreiben musste. Vor allem Gabriel und Lexi waren unfassbar kreativ darin, ihre Sperren und Blockaden immer wieder zu umgehen... Erst letztens war Haile gerade dabei, mit ein paar Soldaten die Brooklyn Bridge zu sichern, als sie von einem unheiligen Gegröle vom anderen Ufer abgelenkt wurde. Inklusive improvisierter und leidenschaftlicher Tanzeinlage von Lexi zu "Hooked on a Feeling". Gabriel fand immer irgendeinen Weg in die Stadt, um New York auch die letzten Schätze zu entlocken und dabei vermutlich irgendwann von einem Fenster erschlagen zu werden.

    "Hör auf zu grübeln."

    Raoul hatte sich wieder zu ihr rübergebeugt, ein Auge immernoch auf Blades' großzügigen Ausschnitt geheftet.

    "...steht dir nicht."

    Gerade, als er sich zu ihr beugen und seine Lippen auf die ihren drücken wollte, riss Shengs deutliches Räuspern sie aus dem Kuss.

    "Evi und ich bringen dann unsere Kleine ins Bett. Lilly, hilfst du uns bitte dann mit dem Geschirr? Deine Großmutter wird dir da sicher gerne helfen!"

    Sheng war aufgestanden und war mit hochrotem Kopf und Evi an der Hand aus der Tür gestürmt. Wingman genehmigte sich noch einen Schnaps und Raoul lehnte sich zurück, wieder vollkommen auf Blades und ihre Brüste fixiert. Eine unheimliche Wut kam in Haile auf. Soll Raoul doch an Blades scheitern. Soll Wingman doch Huffen und Puffen und Schnaufen, und soll Sheng sie doch ignorieren. Sie stand so schwunghaft auf, dass Raoul, der seinen Stuhl wie ein unartiger Schuljunge nach hinten gekippt hatte und sich an ihr abstützte, fast hintenüberfiel. Ohne ihm einen Blick zu widmen, fegte Haile um die Ecke, die Treppe herunter und in den Raum, der früher einmal Ellens Stofflager gewesen war.

    Aber statt einer Insel der Ruhe fand Haile einen pastellgrün gestrichenen Raum vor, in dem sich Evi und Sheng gerade über ein kleines Kinderbett beugten und ihrer Tochter etwas vorsangen. Sheng mit erstaunlich schöner Stimme, Evi nur als Unterstützung summend.

    Tränen stiegen in Hailes Augen auf, und rückwärts stolperte sie aus dem Raum, hinaus, an die frische Luft. Mit ein paar geschickten Klimmzügen kletterte sie auf den alten Bunker und ließ sich im Schatten des Kamins nieder. Sie war wütend. Wütend auf sich selbst, wütend auf Raoul, wütend auf diese heile Welt hier und wütend auf Sheng. Und während sie da saß, bekam sie gar nicht mit, dass sich ein Dachfenster öffnete und ihr Vater hinter ihr aufs Dach kletterte und sich - vor Anstrengung schnaufend - neben ihr gegen die Wand lehnte.

    "Ich will morgen mal zum Forschungszentrum gehen, um nach Howard zu sehen. Der Gute hat sich darin eingerichtet und forscht weiter an Methoden, das Heilmittel flächendeckend zu verteilen, und ich werde ihn ganz sicher nicht aufhalten. Aber naja...ich schaue lieber mal alle paar Wochen nach, ob er noch lebt, man weiß ja nie."
    "..."
    "Haile..."
    "..."
    "Ich weiß, du fühlst dich vermutlich so, als würde ich dich vergessen haben... Aber ich wusste einfach nicht, wie ich dir mitteilen soll, dass Evi und ich unser erstes Kind bekommen haben. Du bist so weit weg, und man hört von dir nur Gutes, und da..."

    Sheng ließ sich an der Wand nach unten sinken und setzte sich so neben Haile auf das Flachdach des alten Bunkers. Er blickte in den Himmel, und bei dem Lächeln auf seinem Gesicht konnte sie einfach nicht böse auf ihn sein.


    "...und ich meine, du bist so wild und frei, da will ich nicht, dass du denkst, dass du hier sein musst."


    Haile blickte ihren Vater an, dann auf den Boden und dann wieder zu Sheng. Er war wirklich der liebste, netteste Vater, den man sich wünschen konnte. Sie rückte an ihn heran und legte einen Arm um seine Schultern. Sie spürte, wie sich ein Lächeln auf sein Gesicht stahl.

    "Frohe Weihnachten, Haile."
    "Frohe Weihnachten, Papa."

    Geändert von Caro (21.04.2018 um 03:00 Uhr)

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