Das Mädchen folgte dem flinken Tier jetzt schon eine ganze Weile. Es war, als wollte das schwarze Fellknäuel es genau so. Die Katze lief zwar davon, doch warf immer wieder Blicke nach hinten, um die ohnehin ständige Aufmerksamkeit der 11-Jährigen einzufangen. Das Kind hätte schneller gekonnt, doch selbst hier - nur hunderte von Metern vor ihrem Ziel - war Vorsicht geboten. Natürlich wurde sie daran auch erinnert, als die Stimme ihres Vaters ertönte.

"Lily, nicht so weit! Mama macht sich schon Sorgen."



Dabei war Papa der, der sich immer die größten Sorgen machte, wenn es am wenigsten angebracht war. Was sollte hier schon passieren? Der Wald war in einem guten Zustand, die Katze hatte sie das erste Mal an einem Haufen Gräber entdeckt. Und wo Gräber waren, da lebten auch nette Menschen. Böse Menschen bauten keine Gräber. Außerdem hatte Mama selbst gesagt, dass es nicht mehr weit sein würde, bis sie den Club erreichten.

Lily hatte viele Fragen gehabt. Was Golf war, wusste sie jetzt - Leute, die besonders reich waren, nahmen sich früher Stäbe mit einem dicken, schweren Ende und versuchten damit kleine Bälle ganz weit zu schlagen. Sie hatte nicht wirklich verstanden, warum man so etwas machen sollte, aber vor ihrem Leben hatten die Leute eben Spaß daran. Einen solchen Stab hatte sie sogar selbst mal gesehen. Nur wurde der benutzt, um jemandem den Kopf einzuschlagen.

Am Beeindruckensten fand sie Flugzeuge. Die Leute aus der alten Welt waren entweder Genies oder Lügner, wenn sie behaupteten, diese großen Schrottteile in die Luft gebracht zu haben. Lily war in ihrem Leben schon so weit gelaufen, doch Mama und Papa meinten wirklich, dass diese komischen Metallriesen fliegen konnten, nicht nur kaputt am Boden herum lagen, und dabei sogar viel schneller waren als alles was sie kannte. Da drinnen saßen angeblich ganz viele Menschen und bezahlten sogar dafür, das zu dürfen. Da konnte man dann drin schlafen und merkte nichts davon, dass draußen die ganze Welt an einem vorbei zog. Und wenn man wieder ausstieg, war man ganz wo anders.

Für sie wäre das wahrscheinlich nichts gewesen. Das sportliche Mädchen mochte das Laufen und hörte auch deswegen nicht damit auf, der Katze hinterher zu eilen. Abgelenkt wurde ihre Aufmerksamkeit erst dann vom Vierbeiner, als sie zwischen den dicht aneinander stehenden Bäumen das erste Mal die Behausungen erkannte, die dahinter lagen. Die letzten Meter wurden gesprintet, die erneuten Rufe Papas erstickten irgendwo hinter ihr. Und als sie an den Waldrand kam, baute sich das gesamte Ausmaß vor ihr auf. Eine Menge Menschen, die nicht alle beieinander standen, doch geschäftig schienen, hier und da Dinge erledigten und wohl zum Großteil in Häusern wohnten, die sie schon mal gesehen hatte. An der Art, wie Menschen Häuser bauten, konnte man sehen, wo man war. Zumindest hatte sie das so abgespeichert. Es traf vielleicht nicht immer zu - aber oft.

"Mamaaaa! Papaaaa! Ist das hier der Golfclub?" Sie wandte sich um und blickte vom Waldrand aus zwischen die Bäume und Sträucher, konnte nicht weit blicken. Die beiden waren noch nicht zu ihr aufgeschlossen, doch die sanfte Stimme ihrer Mutter antwortete Lily bereits. "Ja, wir sind hier richtig, Schatz." Das Rufen weckte auch die Aufmerksamkeit einiger der Anwohner, die zum Teil neugierig zu ihr sahen, doch schnell wieder das Interesse verloren. An anderen Orten der Welt waren die Menschen ängstlicher, rannten davon, wenn Fremde kamen, griffen nach Waffen oder bedrohten einen. Lily hatte beide Seiten bereits erlebt. Doch hier war man entspannt.

Als sie ihre Eltern hinter sich endlich sah, versuchte das Mädchen die Jagd wieder aufzunehmen. Ihrem aufmerksamen Blick entging nicht, dass die schwarze Katze gerade sowas wie einen Haken schlug, es nicht so weit geschafft hatte, wie es zu vermuten war. Ein freches Grinsen stahl sich auf Lilys Gesicht, kurz bevor sie loseilte. Es dauerte kaum zwei Sekunden, da setzte sich auch das Tier wieder in Bewegung, um Distanz zwischen sich und das Kind zu bringen. Gemeinsam eilten sie sorglos durch das Dorf. Der Tochter der doch nicht ganz so entspannt nach ihr rufenden Eltern fiel dabei weder auf, dass sie hier und da beinahe jemanden umrannte, noch nahm sie Notiz davon, in Richtung einer Bunkeranlage zu rennen. Nur kurz vor Erreichen dieser nahm das Tempo der Katze ab, doch anstatt langsam erschöpft aufzugeben, versteckte sie sich mit einem letzten Sprung halb zwischen und halb hinter den Beinen einer Frau, der Lily beinahe in die Arme lief.

"Ärgerst du wieder jemanden, Snowball?", fragte die Frau, deren Haar so rötlich war wie das von Lily selbst, die Katze, die aussah als würde sie zwischen den schweren Stiefeln wirklich Schutz suchen. Das Mädchen wusste nicht, ob sie sich mehr über den komischen Schmuck der Frau wundern sollte oder darüber, dass sie der schwarze Katze so einen seltsamen Namen gegeben hatte. Doch die aufgeweckte 11-Jährige lächelte nur verspielt. "Nein, sie hat mich nicht geärgert. Wir haben nur Fangen gespielt." Da sie vor ihrem geistigen Auge bereits sehen konnte, wie ihre Eltern ihr ein Mangel an Höflichkeit vorwarfen, streckte sie forsch die etwas schmutzige Hand aus und hielt sie der Frau hin. "Ich bin Lily."

"Hallo Lily, ich bin Evi", war die zügige Antwort, gefolgt von einem Händedruck. Neben der kräftigen Hand der Frau fiel dem Mädchen vor allem der Name auf, der sie stutzen ließ. Sie wusste, wo sie hier war. Und sie hatte diesen Namen nicht erst ein mal gehört. "Evi... bist du Evangelina-Evi?" Wieder erfolgte das bestätigende Nicken der Frau nicht eine Sekunde später. Lilys Augen öffneten sich weit. "Wooow! Du bist eine Heldin!" In ihrem Blick lag pure Bewunderung. An Stelle der Frau wäre sie sich nun reichlich stolz vorgekommen, doch die Retterin der Menschheit sah durch ihre Feststellung eher aus wie eine Mischung aus verschmitzt lächelnd und peinlich berührt.

"Du musst meine Eltern kennen lernen, Evi. Die waren auch mal Helden. An einem Flugh-..." - "Lily!" Das Mädchen stöhnte genervt auf. Damit hätte sie ja rechnen können. "Ich habe gesagt: Nicht so weit!" Die Stimme ihres Vaters war eindringlich. So eindringlich zumindest, wie sie eben sein konnte. Die 11-Jährige hatte inzwischen gelernt, dass weder er, noch ihre Mutter dazu in der Lage waren, böse auf sie zu sein. Und jetzt hatte sie keine Zeit, zu protestieren - denn es gab Wichtigeres. "Papa, das ist Evangelina. Eine von den Heldinnen. "

Die Augenbrauen des Mannes entspannten sich, wie auch seine Stirn. Er sah nun die Frau an, während die rothaarige Begleitung, die er an der Hand hielt, schon freundlich lächelte. "Es ist toll, Sie in Person zu sehen!", meinte Lilys Vater respektvoll. "Ich bin Ian Burrows." Und auch ihre Mutter stellte sich vor.

"Mein Name ist Clover."