Jackman umfasste den Griff seiner Pistole mit beiden Händen. Alles fühlte sich so taub an.
Die Stille, seit sie durch den Haupteingang gegangen waren, lag drückend auf seinen Schultern. Es war die eigenartige Mischung aus vergangener Sterilität gepaart mit dem unfertigen und heruntergekommen Anblick den das Gebäude nun bot.
Überall fehlten Wandpanele, Deckenelemente, Kabelstränge die offen in der Decke lagen und sich teilweise auch von der Decke hingen.
Doch als sie vor der Schleuse standen und durch die gläserne Tür schauten, sahen was dort lauerte...
Dem gealterten Schauspieler wurde der Hals immer trockener. Bis auf viele wimmelnde Schatten konnten sie nicht viel erkennen, doch es genügten ihnen allen.
"Wehe du überlebst das nicht cabrón."
Jackman schaute Léo in die Augen und biss sich leicht auf die Oberlippe.
"Sonst was? Folgst mir in die Hölle und prügelst meinen Arsch persönlich aus den Händen des Teufels?"
"Nein, aber es wird ganz schön schwer wer deinen Arsch hier überhaupt rauszukriegen wenn du krepierst. Ich will keine Schaufel in die Hand nehmen müssen..."
"Der Herr wird uns führen. Unter seinen schützenden Händen werden wir sein Werk vollbringen..."
Pray musste sich natürlich auch einschalten. Christliches Gefasel mit dem er nicht wirklich viel anfangen konnte.
"Dann gehts jetzt los."
Mit diesen Worten hämmerte Léo mit ihrer Faust auf den Knopf der Konsole. Ein lautes Zischen strömte den Vieren entgegen und dann öffnete sich die Schleuse.
Jackman lud sofort seine Pistole doch bevor er den ersten Schuss lösen konnte sah er aus den Augenwinkeln wie Léo das selbstgebaute Bajonett nach vorne schnellen ließ.
Während der erste Untote fiel und Léo sich bereits an das Werk machte die Reihen der Zombies zu lichten ging für Jackman die Arbeit erst noch los.
Aggressiv machte er einen ausladenden Schritt nach vorn. Den Armen des Untoten entgegen, jeglichen Überlebensinstinkt fallen lassend.
Hugh drückte dem wandelnden Kadaver die Pistole auf den Hals und drückte einfach ab.
Lautstark durchbohrte das 9mm Geschoss das halb verrottete Fleisch und traf auf einen Wirbel im Nacken des Untoten.
Wie ein nasser Sack glitt der Zombie zu Boden und schlug mit einem matschigen Rumsen auf.
Léo und Hugh waren effizient in ihrem Werk.
Während die Latina einen wandelnden Leichnam nach dem anderen mit ihrer Lanze zu Fall brachte, durchlöcherte der Schauspieler präzise Köpfe und Hälse der Zombies.
Er fühlte sich wie in einem Action Film in dem einfach jede Kugel des Helden zu sitzen schien. Egal wie schwer, egal wie unglaublich und unmöglich der Schuss war, der Held schaffte es immer. Hugh fühlte den Rausch des Adrenalins als er einem zombifizierten Sicherheitsheini einfach auf die vermoderte Schnauze boxte, den Helm mit Plexiglasvisier zum fliegen brachte und ihm danach die Pistole einfach auf die Stirn drückte und das nächste explosive Geschoss in einen Schädel jagte.
Doch während Jackman mit einem Grinsen dem Toten beim endgültigen Sterben zusah merkte er fast nicht, dass sich gierige Arme nach ihm ausstreckten...
Nein, nicht nach ihm. Wie ein wimmelnder Tausendfüßler schoss einer der mordlüsternden Bastarde an ihm vorbei und streckte die Arme nach Blades aus die hinter ihm stand und den Sarg schob.
"DU VERFICKTER SCHWANZLUTSCHER"
Gerade noch so konnte Hugh sich mit seinem ganzen Gewicht auf den zappelnden und geifernden Untoten werfen, ihn mit aller Macht auf den Sarg pressen.
Er ruderte mit den Armen, schlug mit den fast schon krallenartigen Fingernägeln nach allem was in seine Nähe kam. Doch Jackman ließ nicht locker, er presste sich immer fester auf den Untoten, hob langsam seinen Arm und führte den Lauf der Rapier 9mm langsam an die vertrockneten Lippen des um sich schlagenden Zombies.
"Gute Nacht... süßer Prinz"
Mit den Worten riss Jackman sein Gewicht und die Pistole zur Seite, schliff den Zombie vom Sarg hinab und drückte den Abzug.
Der Lauf der Pistole, gebadet in Blut und Hirn hing in der Luft. Leicht tröpfelnd.
Das war fucking großarti...
Er hörte das Knacken.
Jackman schaute wieder über den Sarg hinweg. Es war ihm als würde die Zeit langsamer werden und doch noch viel zu schnell sein.
Léo...
"LÉO! FUCK FUCK FUCK. LÉO MACH KEINEN SCHEIß!"
Machtlos musste er mitansehen wie ihm das letzte auf der Welt entrissen wurde.
Er konnte nichts tun, er konnte verfickte Scheiße nichts tun außer zu glotzen, zu schreien und einen massiven Kreislaufkoller bekommen weil sein verschissener Herzmuskel gerade beschloss in den Overdrive zu schalten.
Zusammen mit dem dumpfen Aufschlagen der Körper fühlte er ein schwammiges Taubheitsgefühl in seinem Kopf.
Früher war er so ruhig gewesen. Fröhlich, immer lächelnd, keine Sorgen.
Heute brannte ihm jede Stunde die Sicherung durch. Jetzt war der Moment gekommen in dem der fucking Sicherungskasten die Füße in die Luft warf und sich einfach verabschiedete.
"HALTET DAS VERFICKTE TEIL AN!"
"Aber..."
"HALTET. DAS. VERFICKTE. TEIL. AN"
"Lancaster, wir müssen weiter. Es ist zu wichtig."
Nein. Das war nicht wichtig. Adam war gerade scheißegal.
Es gab in diesem Gang nur eine wichtige Sache und das war eine Person die vor 5 Sekunden noch für die beiden schiebenden Spaten gekämpft hat und jetzt den verfickten Preis dafür zahlte.
Jackman warf gerade einfach jeden Gedanken das Serum zu kriegen über Bord.
Er ballte die Hände zu Fäusten bis sich die Fingernägel seiner Linken in die Handflächen bohrten. Einer entfesselten Kriegsmaschine gleich stürzte er los. Mit beiden Händen voraus stützte er sich auf der Glasdecke von Adams Sarg ab und schwang sich einfach wie beim Bocksprung über den Tank hinweg.
Unsanft landete er auf dem Haufen an gierigen Zombies die Léo unter sich begraben hatten.
Ohne auch nur über die katastrophalen Folgen nachzudenken packte er einen der Untoten im Nacken und bohrte seine Finger in das halb verweste Fleisch. Langsam hob er den Kopf an und blickte in das Gesicht einer schon lange toten Frau die nur noch ihren Oberkief besaß.
Er ging mit der gleichen Brutalität vor, die er schon an einer Kultistenkommandantin ausließ. Langsam hob er die strampelnde Zombiedame an und drückte sie dann mit aller Kraft gegen die Wandpanele, schliff ihr Gesicht über die harten Abdeckungen, hinterließ eine blutige Spur ehe er der wandelnden Leiche eine Kugel ins Genick verpasste.
Wie ein Wahnsinniger nahm er sich einen Untoten nach dem anderen vor und mit jeder Sekunde die verging rückte eine Tatsache immer mehr in sein Bewusstsein.
Léo lag nun schon einige Sekunden unter den Zombies.
Eine Kugel löste sich aus dem Lauf und sprenkelte die Wände rot.
Léo lag nun fast schon eine halbe Minute unter diesem Haufen.
Ein harter Schlag mit dem Griff der Knarre brach den Schädel eines wandelnden Toten und eine klebrige Pampe flog im hohen Bogen durch den Schleusengang.
Sie lag viel zu lange dort.
Dem Schauspieler wurde erst wieder klar vor Augen als er den letzten Untoten von Léo herunterzog und einfach abknallte.
Während all der Zeit war es an Pray und Blades sich nicht nur um Adam sondern auch dessen Verteidigung zu kümmern.
Nur damit Jackman eine Sache machen konnte.
In die geschlossenen Augen der Frau zu schauen die er so sehr liebte. Zu hoffen, dass sie ihn direkt anschauen würde und ihm vorwerfen würde, dass das viel zu lange gedauert hatte.
Das sie ihn treten, schlagen oder anspucken würde weil er alter Sack immer so langsam war.
Doch es kam nichts. Léo lag auf einer von ihr gefällten Leiche. Keinen Muskel bewegend, die Augen weiterhin geschlossen.
In Hughs Augenwinkeln sammelten sich Tränen die er schnell wegwischte.
Er konnte sich sowas jetzt nicht erlauben.
Als wäre Léos schlaffer Körper ein wertvolles Stück Porzellan hob er sie langsam an und schob ihren Oberkörper auf seine rechte Schulter.
Jackman zitterte unter der Anstrengung. Während er Léo auf der Schulter trug und sie dabei festhielt, schoss er drei weitere Kugeln in die Zombiehorde. Innerlich zählte er jedes einzelne Geschoss mit und wusste, er nurnoch eine Patrone im Lauf hatte und unmöglich nachladen konnte.
Er würde Léo nicht absetzen, es war zu gefährlich, kostete zu viel Zeit. Sie müssten durch die Schleuse und sie einfach schließen, die restlichen Zombies einsperren und sich auf die Synthetisierung des Heilmittels konzentrieren.
Mit vereinten Kräften schoben Blades und Pray den Sarg von Adam durch die Schleuse und Jackman stürzte sich sofort auf die Steuerungskonsole.
Die alte Computerkonsole kannte glücklicherweise nur drei voreingestellte Befehle. Öffnen, Schließen, Dekontaminierung. Hugh gab ohne zu zögern den Befehl ein die verdammten Schleusentore zu schließen, die Gefahr einzusperren, damit sie endlich die verfluchte Welt retten konnten.
"Fehler: Vorgang zur Zeit nicht möglich.
Bitte manuelle Schließung durchführen."
Jackman blickte auf den Bildschirm, sah ein kleine technische Zeichnung die deutlich zeigte wo sich die manuelle Steuerung befand. Innerhalb der Schleuse.
"Fehler: Vorgang zur Zeit nicht möglich.
Bitte manuelle Schließung durchführen."
Erst jetzt hörte er das schwere Atmen direkt hinter sich. Pray hatte ihm über die Schulter geschaut und wusste, dass der Computer seine Antwort nicht ändern würde. Egal wie oft der Schauspieler auf die Tastatur einhämmern würde.
Tausend Gedanken gleichzeitig mussten Jackman und auch Pray durch den Kopf schießen. Doch egal wie viel die beiden auch denken mochten, beide fühlten sie die erdrückende Erkentniss.
"Pray..."
"Lancaster..."
Die beiden Männer schauten sich in die Augen. Pray sah den tiefsitzenden Willen in den Augen des Schauspielers liegen. Er war bereit alles zu geben. Sein Leben, für eine Hand voll, für Hunderte, für Tausende. Vielleicht wollte er auch einfach nur der Welt den Rücken kehren.
"Versprich mir... sie... sie..."
Jackman war nicht mehr dazu in der Lage seinen Satz zu beenden. Langsam ließ er Léo zu Boden gleiten und lehnte sie sorgsam an die Wand. Fassungslos schauten Pray und auch Blades auf den Rücken eines Mannes der zu zebrechen drohte.
Sie hörten das leise Schniefen, sahen das unwillkürliche Zittern. Er nahm Abschied, ein letztes Lebewohl ehe er der Dreien die Gelegenheit geben würde die Welt zu retten.
"Manuelle Überbrückung eingeleitete.
Schleuße wird geschlossen."
Blades und Jackman blickten auf. Keiner der beiden hatte es gemerkt. Pray hatte ihn gesehen, den Willen sein Leben zu geben. Hugh hatte nicht erkannt, dass sein Gegenüber seiner eigenen Tochter so sehr ähnelte.
Sie blickten das letzte Mal in das lächelnde Antlitz des grauhaarigen Prays ehe sich die milchigen Türen schlossen und nurnoch seinen dunklen Schatten erkennen ließen.
"Nein... nein nein NEIN"
Sofort ließ Blades vom Sarg ab. Sie strauchelte. Versuchte zu den Türen zu kommen. Ihre Hände prallten gegen das Glas, hämmerten und schlugen auf die Türen ein.
Tränen flossen in Strömen Ihre Wangen hinab. Immer wieder schrie sie der Scheibe entgegen, wollte Pray nicht aufgeben. Pray war es, der ihr Hoffnung, Halt und Ruhe gab in einer Zeit in der sie alles verloren glaubte und nun... würde er sie alleine zurücklassen?
Doch als die Sekunden verstrichen, wurde auf das Schlagen ihrer Fäuste schwächer.
Mit gerötetem Gesicht und Augen voller Tränen blickte sie erneut durch die Scheibe und sah einfach nur den schemenhaften Pray hinter der Scheibe.
Ein leises Surren erfüllte den Gang, es klickte und dann hörten sie die Stimme von Pray. Natürlich, es gab eine Gegensprechanlage.
"Weine nicht um mich. Er wird dich führen, durch das dunkle Tal. Denn wisse..."
Jackman und Blades sahen zeitgleich wie sich hinter dem dunklen Schatten von Pray ein weiterer Umriss bildete.
"...der Herr ist denen nahe, die zerbrochenen Herzens sind und hilft denen, die ein zerschlagenes Gemüt haben."
Jackman hätte Pray gerade am liebsten beschimpft, hätte gewütet, die Scheiben eingeschlagen und ihn dahin gesetzt wo er hin gehörte... auf die sichere Seite der Schleuse. Doch es war bereits zu spät. Beide Schemen gingen unter dem bitteren Weinen Blades zu Boden.
Pray hatte sein Leben gegeben um die anderen zu retten.
Sein Opfer, durfte nicht in Vergessenheit geraten.
Jackman ging allein zum Sarg. Léo war tot. Für Blades brach erneut eine Welt zusammen.
Unter dem Schnaufen Hughs setzte sich der Sarg von Adam wieder in Bewegung. Langsam schob er den Sarg um eine größere Konsole herum.
An der Wand vor ihm befand sich ein großer Tank, gefüllt mit einer Flüssigkeit. Direkt daneben befand sich ein Metallzylinder der aus der Wand herausragte. Der Schauspieler erkannte sofort, dass er von Form und Größe her exakt zu Adams Sarg passte.
Intuitiv und ohne weitere Gedanken zu verschwenden schob Jackman den Sarg in die Öffnung des Zylinders und merkte, wie die Ruhestätte von Patient 0 einrastete.
Erneut surrte es kurz, knackte und die Lautsprecher der Anlage ertönten wieder.
"Mrmhh... mein Name ist Dr. Ericson. Willkommen, im Mother Earth Forschungslabor. Unser Vermächtnis an die Überlebenden soll der größte medizinische Erfolg der Menscheitsgeschichte sein. Wenn ihr diese Aufnahme hört, dann konnten wir euch dies selber nicht mehr mitteilen. Im Namen meiner Kollegen, der Menschheit und und mir danken wir euch jedoch. Denn ihr habt uns Patient 0 gebracht. Ich bin der letzte, lebende Forscher hier. Damit alles reibungslos funktioniert, habe ich den Prozess zur Herstellung des Heilmittels automatisiert. Ihr müsst den Behälter nur andocken und den Prozess starten. Bitte drückt den blauen Knopf auf der Konsole. Die Menschheit steht in eurer Schuld."
Und als das surren der Lautsprecher erstarb und Dr. Ericsons letzten Worte noch einmal wiederholt wurden, tat Jackman nur noch eines.
Den Anweisungen folgen... und den Knopf drücken.
Er sah zu Blades. Immer noch kauernd auf dem Boden hockend. Die Fäuste gegen die Schleuse gepresst. Vor ihr ein wimmelnder Haufen der sich am Fleisch von Pray labte.
Daneben Léo, immer noch an die Wand gelehnt.
Alles in ihm schmerzte. Doch die Leere in seinem Kopf war das schlimmste.
Für einen kurzen Moment dachte er, dass alles wieder halbwegs in Ordnung sein würde.
Intensiv schaute er mit traurigem Blick in das Gesicht der Latina.
Beinahe hätte er einen Schlag bekommen. Er sah wie sich ihr Kopf langsam zur Seite lehnte. Er sah wie Ihre Lider zu flattern begannen, wie ihre Lippen sich leicht bewegten.
Und mit einem Gefühl der Leichtigkeit, drückte Jackman den Knopf.
Es würde alles gut werden.
Alles.