"Also schön, wie besprochen - die mit den Schußwaffen decken die Einsatzteams, und der Rest hält sich bereit um den Eingang zu verteidigen, sobald der Tank drin ist. Los!"

Dem Appell von Jackman folgend machten sich auch Lisa und Morris auf den Weg zu ihrer Einsatzstation. Die beiden waren eingeteilt worden, die Hunde am Pförtnerhaus abzulenken. ‚Na, das kann ja was werden‘ dachte sich die junge Halbdeutsche, als sie von Jackman dafür eingeteilt worden war. Sie hatte zwar in ihrem Leben mit dem einen oder anderen Tier Bekanntschaft gemacht - hauptsächlich wenn sie Sara bei den Hühnern geholfen hatte – aber der große Hundefreund war sie irgendwie nie gewesen. Sie hoffte, dass ihr das nun nicht zum Verhängnis werden würde. Sie sah hinüber zu Morris. Auf seiner Yacht hatte sie ebenfalls noch nie Hunde gesehen, aber wer weiß, wozu der Lebemann so alles imstande war?

***



Etwa eine Stunde zuvor:
„Ich erinnere mich an eine Geschichte, die meine Mum mir früher erzählt hat. In ihrer Kindheit war sie oft bei ihren Großeltern zu Besuch, dessen Nachbarn einen Hund hatten. Und diesen konnte man wunderbar mit einer Sache ködern: mit Wurst!“ Morris lächelte die 19-jährige an. „Wissen Sie, Miss Schiller, ich denke mit einem guten Stück Fleisch lässt sich so gut wie jedes Lebewesen locken. Was würde ich jetzt für ein gutes Steak tun? Und dazu ein köstlicher Rotwein aus Napa Valley. Kennen Sie die kalifornischen Weine?“ Lisa schüttelte den Kopf. „Oh, das müssen wir unbedingt nachholen. Wenn die Welt wieder ist wie sie einst war, dann feiern wir. Und zwar ausgiebig. Mit Steaks und Wein im Überfluss.“ Bei dieser Vorstellung musste die junge Brünette lachen. Dieser Mann neben ihr war einfach unverbesserlich. „Und vielleicht schafft es ihre liebe Mutter ja dieses Mal uns Gesellschaft zu leisten?“ fügte er mir einem Seitenblick auf Juliane hinzu, die sich ein paar Meter weiter gerade bereit machte sich zusammen mit den Skypeople und den anderen nicht kampffähigen Bewohnern aus Sheng‘s Hope in Sicherheit zu bringen. Neben ihr konnten sie den kleinen Thomas, Franks Sohn, erkennen. Hoffentlich würde er nicht zum Waisen werden, jetzt wo Silvia sich ebenfalls zum Einsatz gemeldet hatte. Lisa nickte. „Ja, ich glaube diese Erfahrung hier hat sie ein wenig aufgerüttelt. Es scheint ihr gut zu tun wieder unter Menschen zu sein, auch wenn sie selbst das noch nicht wahrhaben möchte.“ Sie hielt kurz inne und lächelte. „Ach, und noch eine Sache: Bitte nenn‘ mich Lisa.“ „In Ordnung, Lisa.“ Er stand auf, klopfte sich – mehr symbolisch, als dass es wirklich etwas brachte – den Dreck von der Hose und hielt ihr seine rechte Hand hin um ihr ebenfalls aufzuhelfen. „Dann wollen wir uns mal um die werten Wauzis kümmern.“

***

Wurst hatten sie leider keine auftreiben können, allerdings war auf ihrem Vorratswagen immer noch eine beträchtliche Anzahl an Konservendosen vorhanden. Diese Nudeln in Fleischsoße wollten einfach nicht ausgehen; eine wahre Goldgrube die Lancaster da für sie aus dem Bauch der Ahladita geborgen hatte. Und was ihnen schmeckte, konnte doch für Hunde ebenfalls nicht schlecht sein. Darüber hinaus war es Morris gelungen noch ein Stück Fleisch vom Lagerfeuer der Vultures abzugreifen. Für Lisas Geschmack war es zwar etwas zu kross geworden, doch es verströmte nach wie vor den verlockenden Duft von gegrilltem Fleisch. Als Köder sollte es daher perfekt geeignet sein.

Nach einem letzten Nicken zu den anderen Teams – Ranger und Enigma, Evi und Sheng sowie Hugh Jackman, Léo, Blades und Pray Vulture – mit dem sie sich gegenseitig noch einmal viel Erfolg wünschten, schlichen die beiden nun also vorsichtig in Richtung des Pförtnerhäuschens. In Lisas Leinenbeutel klapperten die Konservendosen mit ihrem Kochgeschirr aneinander. Dass dieses einmal so wichtig wurde, dass es eine Daseinsberechtigung über die simple Essenszubereitung für sie selbst hinaus erhielt… Hätte man ihr das bei dem Aufbruch aus Sheng’s Hope gesagt, sie hätte denjenigen für verrückt erklärt. Aber nun galt es ein „Festmahl“ anzurichten für diejenigen, die sie zu diesem Zeitpunkt noch daran hinderten Adam zu seinem letzten Bestimmungsort zu bringen: die Hundehorde, welche schon seit Jahren vor dem Pförtnerhaus herumstromerte und den Haupteingang bewachte. ‚Wie sie wohl all die Jahre überlebt haben mochten?‘ Sie wollte an die Antwort auf diese unausgesprochene Frage lieber nicht denken. In jeden Fall mussten sie reichlich ausgehungert sein.

Sie schlichen sich von der Seite an das Pförtnerhaus an und gingen neben der Wand hockend in Deckung. Lisa deutete Morris mit dem Zeigefinger an leise zu sein, damit sie nicht zu früh die Aufmerksamkeit der Tiere auf sich zogen. Den Atem anhaltend holte sie nun also Topf, Pfanne und Teller aus ihrer Tasche und drapierte diese so geräuschlos wie möglich vor sich auf dem Boden. Es folgten die Konservendosen und mit ihrem Messer stemmte sie die Ravioli-Dosen vorsichtig auf, eine Verletzung aufgrund des scharfkantigen Randes der Dose und des Deckels wollte sie nun nicht riskieren. Der Duft nach Tomatensoße stieg ihr in die Nase als sie die erste Dose öffnete und diese mithilfe von ihrem Löffel in dem alten Kochtopf entleerte, welcher nun als Futternapf herhalten musste. Geübt öffnete sie gleich darauf die zweite Dose, dessen Inhalt seinen Weg in den zweiten Napf, die Pfanne, fand. „So Jungs, es ist angerichtet“ flüsterte sie und wagte einen Blick um die Ecke des Gebäudes. Und da waren sie, nur wenige von ihnen Meter entfernt: 4 große Hunde mit dunklem Fell. Lisa konnte nicht sagen, um welche Rasse es sich handelte, aber sie wirkten nicht unbedingt wie liebe flauschige Kuschelhunde. Zwei von ihnen saßen mit aufmerksamen Blicken Richtung Haupteingang gewandt und knurrten gelegentlich leise vor sich hin, die anderen beiden liefen hinter ihnen her, immer im Wechsel, von links nach rechts und von rechts nach links. Auch sie wirkten so, als ob ihnen nichts entgehen würde, sobald sich etwas in ihre Nähe begab.
„Los, das Fleisch“ zischte sie zu ihrem Partner hinüber und Morris reichte ihr die Reste der Vulture-Grillparty. In geduckter Haltung, das Steak in der rechten Hand in Bodennähe haltend, ging sie nun langsam auf die Hunde zu. „Hallo ihr, Hundis!“ rief sie ihnen mit sanfter Stimme entgegen. „Schaut mal, was ich leckeres für euch habe!“



Von einer Sekunde auf die andere hatten Lisa den Blick von 4… was waren es, Dobermänner? Rottweiler? Oder etwas ganz anderes? In jedem Fall nicht gerade ungefährliche Hunde… auf sich vereint. „Guck guck.“ Sie wedelte mit dem Fleischstück in ihrer ausgestreckten Hand. WUFF! WUFF! Einer der vier gab ein lautes Bellen von sich, dann jedoch kamen sie neugierig schnüffelnd auf das Mädchen zu und der erste, der bei ihr ankam beleckte hungrig das Fleisch. „Ja, das ist lecker, nicht wahr?“ köderte sie Lisa weiter. „Kommt mit, ich habe noch mehr“. Langsam immer weiter zurück gehend schaffte sie es so die Hunde um die Ecke hinter die Seitenwand des Pförtnerhäuschens zu locken, von welcher aus der Haupteingang nicht mehr frei einsehbar war. „Schaut mal, was ich hier habe…“ Sie lotste die Hunde mit Hilfe des Fleisches zu den beiden zuvor vorbereiteten „Futternäpfen“ mit den Ravioli. Das Fleisch legte sie auf den Teller daneben. „Und nun lasst es euch schmecken.“

Ihr Plan schien aufzugehen. Der erste der vier, der auch zuvor schon an dem Fleisch geschnuppert hatte, widmete sich sogleich dem Teller, während die anderen drei sich Topf und Pfanne zuwendeten. Die Ravioli schienen ihnen zu schmecken und Lisa atmete kurz erleichtert aus. Lächelnd drehte sie sich zu Morris um: „Ich hoffe nur, die Zeit reicht für die anderen um ohne Gefahr ins Gebäude rein zu kommen.“ „Das hoffe ich auch“ entgegnete ihr dieser mit einem Lächeln, welches jedoch kurz darauf erstarb und Panik sich auf seinem Gesicht breit machte. Ruckartig drehte die 19jährige sich um und sah auch direkt das Problem, welches sie nicht bedacht hatte: insgesamt vier große Hunde auf nur drei verhältnismäßig kleine Futterstellen war weniger optimal. Dies hatte zur Folge, dass einer leer ausging und dieser kam nun knurrend und Zähne fletschend auf die beiden Siedler zu. „Nun tu schon was!“

***

„Mum ist wohl früher auch immer mit dem Nachbarshund um die Wette gelaufen“ führte Lisa ihre Erzählung aus Julianes Kindheit fort, als die beiden auf dem Weg vom Golfplatz zu ihrem Einsatzort vor dem Forschungszentrum waren. „Und manchmal hat sie auch nur so getan. Der Hund war wohl ziemlich dämlich und so einfach hereinzulegen. Sie sagte immer „Komm, wir laufen um die Wette“ und brauchte nur zwei Schritte in eine Richtung machen und schon lief der Hund durch den halben Garten.“ Bei dem Gedanken daran musste sie laut lachen. „Sie hatte immer einen Heidenspaß dabei, und anscheinend gefiel es dem Hund auch, obwohl sie ihn so oft veräppelte.“ Auch Morris fiel in ihr Lachen mit ein. „Das klingt nach einer tollen Kindheit, die deine Mutter hatte. Lisa, ich wünsche dir sehr, dass deine Kinder auch wieder in einer solchen unbeschwerten Zeit aufwachsen dürfen, in der Wettläufe rein aus Spaß stattfinden und nicht um sein Leben zu retten.“ „Ich werde alles dafür tun was nötig ist.“

***

Die junge Brünette drückte sich angsterfüllt mit dem Rücken an die Wand und sah den ehemaligen Banker hilfesuchend an. Nun war es also an ihm seinen Teil dazu beizutragen, dass seine geliebte alte Welt auch die neue Welt wurde. „Hey, Lust auf einen kleinen Wettlauf?“ sprach er den auf sich zukommenden Rüden an und deutete zwei Schritte nach rechts, weg von Lisa und weg von den anderen drei Hunden, an. Wuff! Wuff! Morris war sich nicht sicher, wie er die Antwort zu deuten hatte, aber das wichtigste war, dass er ihn sowohl von der jungen Lisa als auch vom Haupteingang des Forschungszentrums fern hielt. „Los, komm mit. Wir laufen ein bisschen.“ Er ging weiter und der Hund schien ihm zu folgen. Als er dann zum Laufen ansetzte, legte auch das Tier an Geschwindigkeit zu und war mit nur wenigen Sätzen bereits an ihm vorbei gesprintet. ‚Wunderbar, es funktioniert. Wie früher bei der jungen Juliane Schiller.‘ Ein Grinsen huschte über das Gesicht des Lebemannes. Er würde Lisas Mutter definitiv zum Essen einladen müssen.

WUFF!

Anscheinend war der Wachhund hier jedoch nicht so leicht auszutricksen wie damals der kleine Mischling der Nachbarn von Juls Großeltern. Sobald er bemerkt hatte, dass der Mann nicht mitgelaufen war, drehte er sich um und kam knurrend zu ihm zurück. 'Ok, anscheinend wird das doch nicht so einfach. Dann muss ich wohl auf meine alten Tage mich tatsächlich noch einmal sportlich betätigen.' Und als ob sie seine Gedanken lesen konnte, rief ihm Lisa in diesem Moment zu: „Lauf, Morris, lauf!“ So nahm er also seine Beine in die Hand und lief los, der Kläffer hinter ihm her. Zunächst nur auf der kleinen Fläche neben dem Pförtnerhaus im Kreis, da ihn jedoch sein Verfolger immer wieder einholte und weiterhin gefährlich vor sich hin knurrte, beschloss er bald seine Runde auszuweiten.

Nur darauf bedacht, den Hund irgendwie von allem anderen abzulenken achtete er jedoch nicht wirklich darauf wo er langlief. Und so sah er sie auch nicht: eine große mit einer schwarzen Kutte bekleideten Gestalt, welche es offensichtlich an den Angriffswellen der Vultures sowie ihrer anderen bewaffneten Freunde aus Sheng's Hope vorbei geschafft hatte und seine Waffe auf den Lebemann gerichtet hatte.

***



PENG!

Lisa hörte den Schuss der Pistole. Um genau zu sein hörte sie schon seit etlicher Zeit jede Menge Schüsse, die meisten jedoch stammten vom Kampffeld, mehrere hundert Meter von ihnen entfernt. Und auf eine gewisse Art und Weise hatte ihr dies immer ein beruhigendes Gefühl gegeben. Denn es bedeutete, dass der Kampf noch in vollem Gange war, dass ihre Freunde und Verbündete noch am leben waren. Die Hoffnung, dass ihr heutiges Vorhaben gelingen würde, dass sie die Welt verändern könnten. Doch dieser eine Schuss war anders. Er kam aus ihrer direkten Nähe. Panisch blickte sie sich um. 'Morris!' Und da war er, ungefähr 10 Meter von ihr entfernt war er stehengeblieben, starrte sie mit großen Augen an und packte sich mit beiden Händen auf seine linke Brust. Der Hund, mit welchem er eben noch um die Wette gelaufen war, war ebenfalls stehen geblieben und blickte ihn nur noch winselnd an. „Morris!“ Ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden lief Lisa zu ihm hinüber und als sie ankam, sank dieser vor ihr auf die Knie. „Scheiße, Morris! Los, komm hoch. Wir müssen dich ins Lazarett bringen.“ Doch Morris schüttelte den Kopf, hob die Hände von der Brust und offenbarte seiner jungen Mitstreiterin die große klaffende Wunde, welche die Waffe des Kultisten mitten in sein Herz geschossen hatte. „Nein, Lisa. Ich schaffe es nicht mehr.“ „Aber...“ Die gerade einmal 19 Jahre alte junge Frau wusste nicht, was sie tun sollte. Es hatten sie zwar schon einige Menschen aus ihrem Umfeld verlassen, doch noch nie war sie direkt dabei, wenn einer starb. Die Situation überforderte sie und Tränen liefen an ihren Wangen herunter. „Bitte, lass mich nicht alleine.“ „Lisa, du bist noch jung. Los, bring dich in Sicherheit und sorge für den Fortbestand der Menschheit.“ Lisa schniefte. „Danke für alles.“ verabschiedete sie sich und wollte sich, schweren Herzens, denn wirklich wohl war ihr nicht dabei ihn einfach so hier liegen zu lassen, zum gehen aufmachen, als er noch ein letztes mal nach ihrer Hand griff. „Bitte grüß deine Mutter von mir.“ flüsterte er ihr zu, bevor er für immer seine Augen schloss. Lisa nickte entschlossen. „Ja, das werde ich tun.“

Und so rannte sie los um ja nichts dazwischen kommen zu lassen ihm diesen letzten Wunsch zu erfüllen.