Es sind Sommerferien, doch für die Schüler von Lenzhausen heißt das leider nicht, dass sie sich auf die faule Haut legen können, denn die Schule hat ihnen für die unterrichtsfreie Zeit Aufgaben erteilt. Im Falle der Hauptfigur heißt das konkret: Insekten fangen und einen Aufsatz über sie schreiben.
Als er (bzw. sie) sich auf dem Waldberg am nördlichen Ende der Stadt auf die Suche begibt, ertönt plötzlich aus einem alten, mysteriösen Gacha-Automaten, der unter einem heiligen Baum steht, der Ruf: „Füttere mich.“. Da die Neugier über die Angst siegt, findet schließlich eine Münze ihren Weg in den Apparat, der daraufhin eine Art Gespenst ausspuckt. Gleichzeitig erscheint eine geheimnisvolle Uhr, die sich dem verdutzten Protagonisten ums Handgelenk legt. Der Geist stellt sich als Whisper vor, bezeichnet sich selbst als Yo-kai und erklärt, dass man seinesgleichen mit Hilfe der Uhr sehen und aufspüren kann. Er selbst wurde vor langer Zeit von einem übereifrigen Mönch versiegelt und brennt deshalb darauf, mit dem Hauptcharakter herumzuziehen und neue Yo-kai-Freundschaften zu schließen.
Doch im Laufe der Zeit muss Whisper dummerweise feststellen, dass er einige grundlegende Veränderungen in der Welt der Yo-kai verpasst hat und dort längst nicht mehr alles eitel Sonnenschein ist...


Grundsätzlich stehe ich Trainer-RPGs eher ablehnend gegenüber (meine Pokemon-Phase reichte gerade mal für ein ganzes und zwei angefangene Spiele), was vermutlich daran liegt, dass ich in der Regel keine Lust habe zig Charaktere einzeln aufleveln zu müssen. Auch verbinde ich mit diesem Genre eine oft minimale, zweckmäßige Handlung und unzählige, unnütze Kämpfe.
In Bezug auf Yo-kai Watch stolperte ich allerdings über Bezeichnungen wie ‚viele Sidequests’, ‚große Stadt zum Erkunden’ und ‚relativ hoher RPG-Anteil’, außerdem fand ich die Idee mit den ‚klassisch traditionellen’ Monsterchen gar nicht mal so uninteressant. Also fasste ich mir irgendwann doch ein Herz und lieh mir das Spiel für ein paar Wochen aus der Bibliothek aus. Und siehe da, der Funke sprang so weit über, dass ich mir ein eigenes Exemplar kaufte.

Fairerweise muss ich sagen, dass das Spiel meine befürchteten negativen Punkte voll und ganz erfüllt: Die Story ist für Kinder konzipiert und von daher ziemlich simpel gestrickt – großartige Überraschungen oder Twists darf man absolut nicht erwarten. Und die Zeit, die man teilweise investieren muss, bis sich bestimmte Yo-kai trotz voller Sympathie und dargebotenem Lieblings-Happi-Happi ENDLICH mal dazu bequemen, mitzukommen, bzw. überhaupt erst mal aufzutauchen, könnte man eigentlich auch besser nutzen. (Elendige Drecksviecher! )

Aber der ganze andere Rest hat es tatsächlich geschafft mich dauerhaft bei der Stange zu halten.

Lenzhausen ist wirklich groß und verfügt nicht nur über insgesamt fünf Stadtteile, die nach und nach freigeschalten werden, sondern auch über zig Seiten- und Hintergassen, eine umfangreiche Kanalisation, mehrere Gebäude, die als Mini-Dungeons fungieren (eine Baustelle, eine alte Klinik, ein Museum…), verschiedene Läden etc., etc. (Dagegen wirkt die Welt der Yo-kai, obwohl sie ebenfalls aus kleineren Arealen zusammengebaut ist, regelrecht winzig.) Man kann zwar naturgemäß in der Anfangsphase noch längst nicht alles erkunden, aber allein das Wissen, dass man mit steigendem Spielfortschritt Zugriff auf diesen oder jenen Bereich haben wird, hält die Motivation erfreulich hoch.

Mit Sidequests oder allgemein Nebenbeschäftigungen geizt Yo-kai Watch nicht. Neben dem grundsätzlichen Aufspüren und Besiegen der Yo-kai zum Vervollständigen der eigenen Sammlung, kann man sich am Fangen von Fischen und Insekten versuchen, die man gegen die verschiedensten Sachen eintauschen kann. Die eigentlichen Sidequests basieren im Grunde genommen oft darauf bestimmte Items zu beschaffen bzw. diverse Yo-kai zu erledigen oder zu jemandem zu bringen, um dessen Verhalten zu manipulieren, sind jedoch häufig in der Art ihrer Aufgabenstellung abwechslungsreich formuliert und erfreulicherweise nicht immer von vornherein ersichtlich. Kleinere Ausnahmen von der ‚Gleicher-Missionstyp-’Regel bilden u. a. ein zeitlich begrenztes Fangenspiel und ein ‚Finde-den-gesuchten-Ort’-Rätsel in jeweils mehreren Schwierigkeitsgraden.

Einen großen Pluspunkt verdient das Spiel für seinen Humor respektive Wortwitz.
Zwar gibt es leider einige Ausrutscher, der das Niveau auf eine sehr pubertäre Ebene absinken lässt (Stichwort Unterwäsche-Quest oder das Design zweier Yo-kai mit den bezeichnenden Namen ‚Pupsi’ und ‚Furzfürst’, wodurch der Begriff ‚A***gesicht’ eine ganze neue Bedeutung erfährt) und die an manchen Orten ausliegenden 4-Panel-Comics sind auch alles andere als lustig, aber diese Fälle halten sich glücklicherweise in Grenzen.
Bedeutend mehr Spaß machen da schon die Namen, die viele Yo-kai in der deutschen Fassung verpasst bekommen haben: Dörrte (eine verhutzelte alte Frau), Aalbernd (ein ständig lachender Aal), Schlotterrier (ein frierendes Hündchen), Uhudini (ein magiebegabter Uhu), Kalaua (ein mieser Komiker, dessen Witze schon fast weh tun), Nixda, Willnich, Genuk, Habssat, Gähneral, Don Densato, Don Gelato, Schnattalie, Nörgelika und, und, und… Ich liebe so etwas!
Ein wenig in die gleiche Kerbe hauen das Aussehen und die Namen einiger Händler. So hat der Fleischer Herr Eberle vorstehende Zähne, mit denen er einem Keiler ähnelt; der Gemüsehändler Herr Grün ist ein schlaksiger Kerl mit langem Gesicht, der entfernt an eine Stange Lauch oder irgendein anderes längliches Gemüse erinnert und der Fischhändler Herr Bachmann trägt einen witzigen Bart, der ihn wie einen Wels aussehen lässt. (Und ich frag mich allen Ernstes, ob es pure Absicht der Entwickler gewesen ist, dass ich, wenn ich den Nudelkoch angucke, an Wanze, den bekloppten Nudelkoch aus One Piece, denken muss. )
Sogar mit einem kleinen Seitenhieb auf das RPG-Genre wartet das Spiel auf, denn es gibt einen NPC, der sich nach erfüllter Aufgabe sinngemäß mit den Worten „Zum Glück gibt es völlig fremde Leute, die mir aus heiterem Himmel helfen wollen.“ bedankt.

Darüber hinaus:

- Die Musik ist furchtbar dröge, was sie sadistischerweise nicht daran hindert, sich trotzdem als Ohrwurm im Gehörgang festzusetzen. Und der Opening Song toppt das Ganze noch! *schauder* (Dankenswerterweise muss man sich den nicht öfter anhören.)

- Dass der Hauptcharakter beim Betreten oder Verlassen bestimmter Gebäude automatisch die Schuhe abstreift bzw. in sie hineinschlüpft, ist ein echt niedliches Detail.

- Warum kriegt man, wenn man als Mädchen spielt, eine Girlie-Uhr und ein rosafarbenes Fahrrad? Wie war das noch gleich mit der Emanzipation?

- Apropos Fahrrad: Schnellere Fortbewegungsmittel als die eigenen lahmen Füße sind doch was Feines. Und dass man im späteren Verlauf größere Entfernungen mit Hilfe eines ‚Warp-Yo-kais’ überwinden kann, verdient ein zusätzliches Sternchen.

- Immer mal wieder wird man im Spielfluss unterbrochen und in die so genannte Schreckenszeit gezerrt, ein Zustand, in dem die Zeit quasi einfriert und man vor einem großen Oni flüchten muss. Da ich bis zum Schluss nicht rausgekriegt habe, durch was dieses Phänomen ausgelöst wird, es grundsätzlich zum ungünstigsten Zeitpunkt auftritt und man lange Zeit keine Chance im direkten Kampf gegen den Oni hat, so dass man wirklich nur versuchen kann Fersengeld zu geben, betrachte ich die Schreckenszeit als einen ziemlich nervtötenden Spielmechanismus. (Wenigstens hagelt es kein Game Over, wenn man nicht flott genug war…)

- Ab und an schwirren in den Kämpfen blaue oder goldene Irrlichter vorbei, die man mit dem Stylus berühren kann, wodurch man zufallsbestimmt Bonus-EXP, -Geld oder -Items erhält. Nett!

- Nach jeder erfüllten Aufgabe erscheint eine willkürlich ausgewählte Szene aus dem Alltag der Yo-kai, die auf dreierlei Art und Weise enden kann. Je nachdem, welchen Schluss man erwischt, kriegt man entweder kein, ein normales oder ein sehr gutes Item. Witzige Idee!


Ich gehe nicht so weit zu sagen, dass Yo-kai Watch ein GOTY-Titel ist, aber ich war definitiv positiv überrascht, wie lange ich bei diesem Trainer-RPG am Ball geblieben bin. Einige Dinge fand ich rückblickend nicht ganz so prickelnd und mir blieben auch diverse Yo-kai verwehrt (z. B. fast alle exklusiven aus dem Gacha-Automaten), aber insgesamt betrachtet war ich beinahe durchgängig motiviert in alle Ecken zu krabbeln, um noch mehr Yo-kai und Sidequests zu ergattern. Sogar den Post-Game-Bonus-Dungeon hab ich durchgeackert und das will doch was heißen!
Die Wahrscheinlichkeit, dass ich mir den zweiten Teil zulege, ist von daher ziemlich hoch. (Noch mehr Yo-kai! Noch mehr Orte! Mami! )


Kuriosität am Rande:
Wenn man fünf Mal bei Rot über die Ampel läuft, taucht ein besonders starker Yo-kai auf, der einem ordentlich die Hucke vollhaut. Macht man allerdings diversen anderen Blödsinn, den man als Teilnehmer des Straßenverkehrs tunlichst sein lassen sollte, wie in allen unmöglichen Winkeln schräg die Straße zu überqueren, mittenmang umzudrehen oder vor fahrende Autos zu rennen, scheint das irgendwie keine Sau zu interessieren. Erkenntnisse eines verkappten Straßenrowdys…

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Stand:

min. 8 Spiele 3/8
min. 4 (J)RPGs 1/4
Paper Mario: Sticker Star beenden 1/1

Abseits der Challenge ???/???