Glücklich wie ein Trüffelschwein stürzte sich Kerosa in die unzähligen Regale mit verschiedenen Stoffen, einfachen Oberteilen und Hosen und metallisch aussehenden Gürteln und Bändern.
"Wusstest du, dass sie so ein Ding für...Klamotten hat?"
"..."
"Huh. Stille Wasser sind tief, Kerosa ist tiefer."
"..."
Haile gab ein kurzes Schnaufen von sich, welches tiefen Unglauben ausdrücken sollte und warf Raoul einen amüsierten Seitenblick zu. Der grinste und hob die Schultern.
"Ey, weniger lästern, mehr Spaß haben, bevor wir von dieser verdammten Welt fahren!"
"...!"
"Shenga, dein Stecher kann auch mal neue Klamotten vertragen. Lederjacke, ein Oberteil aus EINEM Stück, und wir können schon fast über einen Dreier reden!"
"...Nein."
"Nein."
"Naaaah, ihr seid SOLCHE Parkverbotsschildbeachter."
Ellen schmunzelte und deutete auf eine hintere Ecke des Raumes. Haile zog Raoul in die Richtung, wo tatsächlich eine weitestgehend gut erhaltene Lederjacke hing, sowie einige ganz normale Männershirts. Auch hier war alles penibel sauber und ordentlich. Haile hüpfte auf einen der Schreibtische und blickte den jungen Dieb erwartungsvoll an. Der drehte sich um, zögerte kurz und zog sich dann sein wirklich zerstörtes Oberteil über den Kopf, den Rücken zu Haile gedreht.
"...!"
"...Wie gesagt, Georgina ist echt eine Bitch."
"...!"
"Die anderen "wichtigen" Familienmitglieder von euch wurden immer verschont, aber ich kann ja meine Klappe nicht halten"
Er warf Haile einen schüchternen Blick über die vollkommen vernarbte Schulter zu, ihre Reaktion abwarten.
Sie hatte so etwas noch nie gesehen. Sie kannte Folterungen. Sie kannte die La Valettes. Sie kannte Georgina.
"...Sie hat mich nichtmal den Helden spielen lassen. Immer, wenn ich meine Ration mit einem der anderen geteilt habe und erwischt wurde, hat sie mich ganz allein eingesperrt. Und so lange mit dieser Gerte bearbeitet, bis ich nicht mehr konnte."
Sein Rücken war über und über mit langen, gerade Narben übersäht, Striemen von Peitschen, Schnitte, Gertenschläge. Hailes Hand ballte sich zur Faust.
"..."
"...Lass nachher was von ihr übrig. Für mich."
"...Versprochen."
"Und, was sagt ihr?"
Ellen schaute die Puppe mit großen Augen an, Haile strahlte über das ganze Gesicht und Raoul hatte in seiner brandneuen Lederjacke die Arme verschränkt und starrte Kerosa mit einem ungläubigen Ausdruck an.
"Wie hast du das gemacht? So schnell?"
"Betriebsgeheimnis!"
"Das ist...wirklich beeindruckend."
Haile, keine Frau großer Worte, hatte die Distanz von wenigen Schritten überwunden und die Arme um Kerosa geworfen und drückte sie eng an sich.
"Jetzt probier erstmal an, husch!"
Es passte. Es war unfassbar. Haile drehte eine kleine Pirouette im Raum und breitete grinsend die Arme aus. Aus einem schwarzen Tanktop, einer einfachen schwarzen Hose, goldenen Metallteilen und meterweise weißem Stoff hatte die Flameriderin ein kleines Kunstwerk geschaffen.
"Und du kannst darin kämpfen?"
"Du hättest sehen soll, wie sie so einen fetten Oschi zerlegt hat in dem alten Fetzen, und da ist viel mehr Stoff durch die Gegen geflogen."
"...!"
"Mh, Kerosa, was mir einfällt, du wolltest Gesichtsfarbe? Und...ich denke, ich habe da etwas für dich."
Die ehemalige Domina lächelte geheimnisvoll und barg dann ein rot-orangenes Kleid aus einer Schublade.
"Du bist eine Flamerider, oder? Das ist einer meiner...ähm...Prototypen. Aber die Farbe passt du dir viel besser."
Kerosa quietschte kurz auf und sprang Ellen dann ganz und gar unzeremoniell an
"So, noch hier ein bisschen, und deine Schwester wird sich EINPISSEN."
"...Sicher, dass das gesund ist?"
"EINPISSEN WIRD SIE SICH!"
Mit einer Mischung aus schwarzem Staub und ein wenig Öl pinselte Kerosa Haile neue Zeichnungen aufs Gesicht. Ellen hatte irgendwo noch goldenen Staub und einen Pinsel aufgetrieben, und vervollständigte ihr Kunstwerk auf dem Gesicht der Tochter des Tages mit filigranen Linien. Beide Frauen standen wieder auf und betrachteten die Kriegsbemalung von Haile.
"Perfekt."
"Perfekt!"
Kerosa gönnte sich ebenfalls die volle Dröhnung. Sie bemalte ihre komplette obere Kopfhälfte mit der schwarzen Mischung, betonte ihre Brandnarben noch etwas stärker und grinste sich dann selbst in Ellens Spiegel an.