"Weil mich in meinem gesamten Leben noch niemals Jemand aus Irgendwas gerettet hat.“
Er war so nah. Das letzte mal, als er so nah war, drehte Haile sich schnell weg, verschämt, nicht wissend, wie sie all das einordnen sollte. Und vielleicht war es auch besser so, nachdem, was er ihr gerade gesagt hatte.
Aber jetzt war wirklich alles anders.
Als seine Lippen ihre berührten, zuckte sie nicht zurück. Im Gegenteil, sie schloss die Augen, darauf vertrauend, dass er sie führen würde. Und genau das tat er. Haile genoss die zarte Berührung seiner Lippen, die vernarbt und ausgetrocknet waren, aber trotzdem so viel Zärtlichkeit und Liebe spendeten, wie sie in ihrem Leben noch nie empfunden hatte. Es war langsam, vorsichtig, sanft und baute sich mit der Zeit immer weiter auf, bis die beiden sich schließlich leidenschaftlich küssten und die Welt um sie herum komplett vergessen konnten.
Soll Georgina doch kommen.
Seine rauen Hände wanderten von ihrem Gesicht hinab, über ihren Hals, ihre Schultern, ihre Arme und kamen schließlich an der Stelle zum stehen, die Jacks Messer durchstoßen hatte. Vorsichtig streichelte er über die vernarbte Wunde unter ihrer Brust.
"...?"
"..."
"...das war mein Vater..."
Sie stürzte sich zurück in den Kuss, weitaus stürmischer, als sie es selbst von sich erwartet hatte. Sie hatte einmal von ihm gekostet und wollte am Liebsten nie wieder aufhören. Er zog sie näher an sich, und Haile begann mit ihren eigenen Händen auf Wanderschaft zu gehen. Von seinem Gesicht aus fuhr sie Raoul durch die dunklen Haare und drückte seinen Kopf noch näher an ihren, sodass ihre Lippen förmlich zusammenkamen wie die Wellen einer Brandung. Sie zog ihn tiefer in die Umarmung, und seine Hände wanderten weiter nach unten und hielten Haile schließlich an der Hüfte fest. Raoul brach den Kuss und berührte Hailes Stirn mit seiner eigenen. Er atmete schwer und hatte die Augen noch immer geschlossen.
"Ich werde dich nie wieder enttäuschen."
"Du hast mich nie enttäuscht."
"...Ich...Danke."
Mit einem letzten, kurzen Kuss löste er sich schließlich von ihr, auch wenn ihre Hände immer noch ineinander verflochten waren. Sie schauten sich in die Augen.
"Wir werden sie umbringen."
"...!"
Haile nickte kurz und schaute zur Seite, in die Ferne. Zu der Staubwolke, die in der Ferne am Horizont stand.
"Wir werden da morgen hingehen, du, Kerosa, Thorn und ich, und wir werden ihr den Arsch aufreißen. Wir vier sind eine kleine Gruppe, perfekt, um uns anzuschleichen und nicht aufzufallen. Wir werden von der Seite kommen und Georgina höchstpersönlich überraschen, und dann werden wir sie töten."
"..."
"Sie wird uns nie wieder wehtun."
Die beiden schauten sich kurz an und machten sich dann auf dem Weg zu Wingman, der sich im Schatten der ehemaligen Terrasse des Haupthauses eine Art Einsatzzentrale errichtet hatte, von wo aus er Wachen einteilte, sie sich aus den weniger müde aussehenden Siedlern rekrutierten. Er nickte kurz, als Haile und Raoul sein Revier aus unzähligen Tischen und Stühlen, Karten und kleinen Figuren,die früher einmal zu einem Set "Mensch-Ärger-Dich-Nicht" gehört haben mussten, betraten.
"Wingman..."
Raoul schien tatsächlich Respekt vor dem Soldaten entwickelt zu haben. Oder er war sich immer noch nicht sicher, ob er hier richtig war.
"...Hm?"
"Wingman, ich habe einen Plan für morgen. Alles was wir tun müssen, ist Georgina töten."
"...!"
"Na, wenn's weiter nichts ist."
"Genau genommen muss Haile sie umbringen."
"...!"
"Und warum, junger Mann, muss sie das?"
Die beiden Teenager warfen sich einen Seitenblick zu. Nein, er musste es wissen. Er plante die Strategie, er war der Taktierer, der die Schlacht zwar nicht anführen würde, wohl aber essentiell für den Erfolg von allem war. Es war schließlich Raoul, der die Stille durchbrach und es dem gealterten Soldaten sagte.
"Weil Haile dann zur Anführerin aller Kultisten wird."