Wingman verzog keine Miene, während Sara grinsend immer wieder in seine Seite piekste, um ihm eine Reaktion zu entlocken, bis der alte Arzt sie maßregelnd ansah und sie sich schmunzelnd abwandte.
„Die Wilde… nun ja…“, der alte Pilot blickte sich nun wieder mit seiner gewohnten Nervosität um, als würde sie jeden Moment mit einem Messer aus einem Baum springen und ihn angreifen. „Sie ist entkommen, ist einfach in den Büschen verschwunden und … hat uns danach ihr blankes Hinterteil wackelnd präsentiert.“, schloss Sara lachend und Howard fiel auf, dass sie mittlerweile ihren Fuß schon wieder fast wie früher belasten konnte.
Als Howard schließlich sein Werk vollendet hatte und Wingman ihm dankbar zunickte, während er probeweise die Hand ein paar Mal zur Faust schloss, sah der alte Arzt, wie ihn die Bewohner von Shengs Hope mit einer Mischung aus Faszination und Dankbarkeit anblickten. Und als wäre die Behandlung der rechten Hand von Sheng ein Startsignal gewesen, drängten sie sich nun um ihn und baten ihn höflich um Hilfe, denn Viele von ihnen hatten sich in der Gefangenschaft Wunden zugezogen, fast Jeder war dehydriert und sie alle – nun ja – stanken erbärmlich. Er würde hier als Arzt noch viel zu tun haben und wahrscheinlich sogar jede Hilfe brauchen die er kriegen konnte.
Sara und Wingman sahen ihn fragend an, als würden sie auf Anweisungen von ihm warten – als würden sie ihm blind vertrauen.
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Sylvia schmunzelte: „Nun, Kohlroulade, die sich einfach mit heißem Wasser aufgießen lässt, habt ihr sicherlich nicht im Angebot. Aber ganz ehrlich, Liebster, ich glaube, es wäre ganz gut, wenn du eine Art Essen organisieren würdest. Wir haben in der Gefangenschaft nur das Nötigste bekommen und wir waren sozusagen die "Ehrengäste“ gewesen. Wahrscheinlich geht es unseren Nachbarn, die für die Kultisten keinen Nutzen gehabt hatten, deutlich schlechter.
Es traut sich nur Niemand was sagen, der Schock und die Angst sitzen noch zu tief."
Und dann sah Frank es ebenfalls – die meisten Bewohner, zumal die, die Niemanden hatten, der sich um sie kümmerte, saßen apathisch da und starrten ins Leere.
Niemand kümmerte sich um sie, Niemand sprach mit ihnen. Sie schienen zu schweben zwischen Jubel und Unsicherheit, zwischen Freude und Betroffenheit.
„Du musst etwas tun, Frank. Oder Jemanden finden, der es tun kann. Der diese Menschen wieder aufrichtet.“
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Sheng hatte geschwiegen und still in sich hinein gelächelt, als Evi mit weit ausholenden Gesten und mit sichtlicher, ehrlicher Begeisterung von den Erlebnissen und Heldentaten von Haile berichtet hatte und die Taucherin konnte mit scharfen Augen und guten Antennen immer wieder ausmachen, wie Sheng ein Tränchen wegblinzeln wollte, sichtlich voll Vaterstolz glänzte und mehr und mehr in seinen Augen wieder den gewohnten, fröhlichen und vor allem optimistischen Ausdruck aufblitzen und manifestieren ließ.
Er atmete ein paar Mal tief ein und aus und als Evi schließlich das zerknüllte Papier hervor zog, musste er fast lachen.
„Oh mein Gott, wie peinlich. Du hast meine tolle Begrüßungsrede gefunden.“
Er nahm das Papier, obschon es aus seiner Hand stammte, vorsichtig und fast ehrfürchtig entgegen und strich zärtlich darüber, sein Blick schien sich an den Worten fest zu saugen.
Dann begann er leise zu sprechen, nachdenklich, mehr zu sich selbst. „Als ihr losgezogen seid, habe ich den Sieg schon vor Augen gesehen. Die Anfangszeiten hier waren schrecklich und grausam, doch dann, nach Jahren harter Arbeit, hatten wir es geschafft und eine Zuflucht geschaffen, die wirklich … etwas Bedeutete, etwas darstellte. Als Niemand von uns mehr an Adam gedacht und geglaubt hatte, tauchte er plötzlich auf dem See aus. Obschon wir so lange nach ihm gesucht hatten, blieb er uns verborgen, er kam erst, als ich die Augen geöffnet bekam über die wundervollen Menschen, die hier in unserer Siedlung lebten.“
Er starrte nun geradeaus, doch er lächelte versonnen, nachdenklich, doch Evi konnte spüren, dass sich das Flämmchen in seinem Inneren an ihren warmen Worten nährte. Und stärker wurde.
„Und es waren genau diese Menschen, diese besonderen, tapferen und kampfstarken Freunde, die sich meldeten, Adam zu transportieren. Ich hatte euren Sieg schon gesehen, ihn gespürt.“
Er seufzte tief und schien den Gedanken mit einer Handbewegung weg zu wischen. „Schon in dem Moment, als ihr zum Tor hinaus seid, habe ich … Vorräte für eure Siegesfeiern zurück legen lassen.“
Er lachte einmal bitter auf. „Und Georgina um ein Lied gebeten, dass sie euch zur Begrüßung singen sollte.“
Evi starrte ihn an als wäre er nicht von dieser Welt, dann lachte Sheng fröhlich und sie stimmte befreit mit ein.
„Sie hat es sogar geliefert und mir vorgesungen. Ohne Witz, es war ein tolles Lied. Und dabei muss sie sich tierisch gefreut haben, wie ahnungslos und dumm ich gewesen war.“
Er biss sich auf die Lippen und nickte ihr zu. „Und dann kamen die Feinde über uns, setzten genau dort an, wo sie uns und euch treffen konnten und ich habe es nicht kommen sehen.“
Sheng schluckte einen bitteren, dicken Kloß nach unten. „Schau dich um, Evi, Niemand hier schaut mir in die Augen. Ich befürchte… ich glaube, sie wollen mich nicht mehr als ihren Anführer sehen, können mein endloses Gelaber, jetzt, wo bewiesen ist, wie substanzlos es ist, einfach nicht mehr ertragen. Ich habe Angst davor, das Wort an sie zu richten, obschon sie es jetzt dringender denn je brauchen würden. Jetzt fühle ich mich nutzlos und… du hast… Besseres verdient.“
Die letzten Worte hatte er nur leise geflüstert, fast vergingen sie im fröhlichen Glucksen des Sees und dem Rauschen der Bäume, als der warme Wind darüber strich, in Gegenrichtung zur Ankunft ihrer Feinde, so dass deren Gestank, der sonst herangetragen worden wäre, sie nie erreichen würde.
Geändert von Daen vom Clan (06.11.2015 um 14:51 Uhr)