Mit einer fast mütterlichen Berührung brachte Evi Distanz zwischen die beiden und den Rest der Reisenden. Eryn war bereit, endlich ehrlich zu sein, doch nicht vor allen. Sie war sich sicher, die Richtige auserkoren zu haben, um sich zu öffnen. Denn die Taucherin verstand dies blind.

Doch nun stand Eryn da, das Gesicht von Schweiß, Blutresten und dem Sud aus dem Kopf von Leos Vater noch immer verschmiert. Lediglich die wenigen dünnen Tränenpfade wuschen den Dreck aus ihrem Antlitz. Wie sollte sie anfangen? Wie war in Worte zu fassen, was sie fühlte. Was war das? Ein einfaches Öffnen gegenüber der besten Freundin, die sie hatte? Oder sogar so etwas wie ein Testament? Neben dieser Frage, beschäftigte die Irin auch die Angst vor diesem Gespräch. Evi war gut. Vielleicht zu gut. Was, wenn der Rotschopf sie für das, was sie getan hatte, verurteilen würde? Was, wenn sie Angst hatte, sich in ihrer Nähe aufzuhalten, wenn sie erfuhr, welcher Sturm in ihrem Körper tobte? Das Letzte, was sie gebrauchen konnte, war eine enge Vertraute, die Furcht vor ihr hatte.

Doch für jeden Rückzieher war es zu spät. Sie hatte die Wahl getroffen, sich der Wahrheit zu stellen und Evi hatte sich bereiterklärt, ihr dabei zu helfen. Und so platzte es raus.

"Ich bin infiziert."

Stille. Keine offensichtliche Reaktion der Kämpferin. Wie hätte man auf sowas auch reagieren sollen?

"W-was meinst du damit?"

"Ich war im Fawyerland, bin in den Keller. Ich habe die Wachfrau weggeschickt und den Raum geöffnet, in den ich nicht hatte gehen sollen. Da war... Snowball in einem Käfig und dahinter ein Zombie in einem Laufrad. Der sorgte für den Strom. Ich hab die Katze befreit und alle Hebel umgelegt, die ich finden konnte, weil ich sauer war und dem Kerl eins auswischen sollte. Der Zombie wurde befreit und überall ging das Licht aus. Torres, ein Scavenger, kam runter. Ich hatte Angst. Ich dachte, er würde mich töten, wenn er mich sieht. Deswegen habe ich ihn angesprungen, dabei wurde er gebissen. Er hätte mich getötet, aber ich erzählte ihm von dem Heilmittel. Und dann... hat er... mir sein Blut gegeben, damit ich auch infiziert bin und die Mission sicher zu Ende bringe."

Die Geschichte hörte sich nacherzählt genau so schlimm an, wie Eryn sie vor Ort empfunden hatte. Es war beängstigend.

"Ich spüre, wie es durch mein Blut pumpt, seit dem Kampf im Alamodome immer heftiger. Noch kann ich es aufhalten, aber... ich dachte, dass es irgendwann jemand wissen sollte. Wenn ich mich nicht mehr halten kann, bevor wir an das Heilmittel kommen, dann... weißt du Bescheid."

Es fiel ihr schwer, ihre Freundin anzusehen. Anstatt das zu tun, richtete ihr Blick sich auf den saftig-grünen Boden, der so gar nicht dem entsprach, wie die Barfrau sich fühlte.

"Eryn, das..." - "Ich bin noch nicht fertig." Sie lachte kurz auf, fast hämisch, als würde sie sich selbst verspotten. Als wäre dieser Schock nicht groß genug. Sie hatte mehr.

"Als wir noch in Sheng's Hope waren... ich meine im heilen Sheng's Hope... kam ich eines Abends in Derrecks Büro, weil ich etwas hörte. Es war Derreck und er hatte... jemanden in einem großen Sack gefangen." Sie sah kurz zum jungen Dieb, der bei Haile und Sheng stand, die sich in einer sanften Geste näherten. "Es war Raoul.", offenbarte sie und erzählte auch davon, wie es zu dieser Geisel gekommen war, was Derreck für sie auf sich genommen hatte. Ihre Augen waren besonders voll von Hass, als sie von Georgina sprach. Nun hatte sie mehr Grund dafür, die falsche Tochter des Aristokraten zu verachten, als jemals zuvor. Doch der schwierigste Teil von Eryns Geständnis lag noch vor ihr:

"Ich hätte Derreck sagen sollen, dass er den Jungen freilassen soll, aber ich war eine dumme, selbstsüchtige... - ich habe selbst eine Pfanne genommen und ihn ohnmächtig geschlagen." Es war nun fast als sah sie in die direkt entgegengesetzte Richtung, um auch ja jedem Blick ihrer Freundin ausweichen zu können, wie verurteilend er auch war. "Er hat überlebt, aber ich hätte sein Leben einfach so hergegeben, weil ich selbst keinen Ärger mit George und der •••••••• wollte. Für ein paar Sachen, die er dem ••••••• geklaut hat."

Sie atmete tief aus. Noch wog die Last schwer. Ohne die Reaktion von Evi zu kennen, half es ihr nichts, sich zu öffnen. Doch genau so sehr, wie das Warten auf ihre Antwort nötig war, so sehr hatte sie doch Angst davor. "Wie kann man jemandem verzeihen, der so etwas getan hat, Evi?", sprach sie ihre Furcht und ihren Selbsthass laut aus.

"Wahrscheinlich gibt es so etwas wie Schicksal. Deswegen dürfen gute Menschen wie du und wie Haile... und Frank ihre Freunde wiedersehen. Ich habe es mir versaut und verdiene es, ihn nie wieder zu sehen..."

Nun war alles raus. Und Eryn zwang sich mit der letzten Kraft ihres Willens dazu, Evi in die Augen zu sehen.