Léo hatte im Moment sowas von keine Geduld mehr.
Die Ketten in der Bibel , die sie noch immer umklammerte, klirrten sanft vor der bebenden Anspannung, in der sie sich befand.
Ihr einziger klarer Gedanke war, dass sie unbedingt Hju finden musste, bevor dieser sich in das verdammte Minenfeld schmiss oder noch Schlimmeres. Dabei am besten auch noch Seeker, damit sie keinen Anschiss von Ellen bekam.
Léo hatte keine Geduld mehr.
Vor allem nicht für weitere Einmischungen von Leuten, die gerade absolut Nichts zu melden hatten.
Und dann hob Shingshangsheng wieder an. Lächelte ihr kackdreist ins Gesicht. War er irgendwie Jesuchristo oder was, dass er hier den Heiligen markieren musste?
„Es ist in Ordnung, Leo. Sei ohne Sorge. Du bist hier unter Freunden, im Kreis deiner Verbündeten. Ich habe keine Ahnung, was dir vorhin so Schlimmes widerfahren ist, dass du im Moment so aufgeregt bist und dein Herz so blutet.“
Er konnte sich seine Sonnenscheintour sparen. Sie wusste, dass er sie anlog. Jedes seiner verkackten Worte war Kalkül, sie runterzubringen, damit er sie zu irgendeinem Scheiß bringen konnte, den er wollte.
Er hatte überhaupt keine Ahnung von ihr, nicht im Geringsten, also soll er nicht so tun, als wäre er Álvaro und könne mit ihr wie mit einer alten Freundin reden.
"Ey, chica!"
Ihr Kopf schnellte herum und erkannte die bleiche Gestalt Eryns. Wie hatte sie dieses Wrack gerade genannt?!
"Ist ja schön zu hören, wie stolz du auf deinen kleinen Menschenfressfetisch bist,“
Misch Dich einfach nicht ein, in Sachen, von denen Du absolut keine Ahnung hast...
„aber du zeichnest dich als die schlechteste Familie der Welt aus,“
...das hat sie nicht wirklich gesagt...
kalter Hass wallte in Léo auf. Die Bardame hatte es erfolgreich geschafft, eine essentielle Sicherung in der Latina durchbrennen zu lassen. Niemand sagte ihr, dass sie sich nicht ordentlich um ihre Familie kümmerte.
„wenn du dem drohst, der deiner Schwester wichtig ist. „
Nein, das ist genau das, was man tun sollte. So wurde es schon immer bei den Arellano-Felix gemacht. Die Mädchen waren die kleinen Engel, für die niemand auch nur annähernd gut genug war und das musste man den Mackern auch in’s Gedächtnis rufen.
„Und bevor du vor hast, es noch mal zu tun:“
Ohja, als ob Léo noch mehr Gründe bräuchte, einfach gleich auf sie loszugehen.
„Wir reißen dir alle dermaßen den Arsch auf, bevor du auch nur eine Hand an Raoul oder Sheng legen kannst.“
Klar, allen voran Du, Puta, mit der Macht Deines kränkelnden Hüftschwungs.
Langsam glitt Léos Hand an den Griff ihres alten Freundes Machete. Sie würde es jetzt mit allen hier aufnehmen, wenn es sein musste. Vernunft hatte keinen Platz mehr.
„ Also nag an deinen eigenen Fingern weiter. Aber lass was übrig, denn ich gehöre bald zu deinem kleinen Club!"
....WAS?
Sie war auf dem Weg, ein verkackter Zombie zu werden und hielt es nicht für nötig, das mal irgendwie zu sagen? Wegen der Hoffnung auf das Heilmittel? Gerade deswegen hätte sie es jedem erzählen sollen. Erinnerungen an Alice kamen in ihr hoch.
Der Griff der Machete wurde fest umschlungen, die andere wanderte langsam zu Álvaros Leiche, wo das Survival-Messer schnell gezogen wäre.
Würde diese Gemeingefährliche auch nur eine falsche Bewegung machen, würde sie sie sowas von zu Hackfleisch verarbeiten. Und wenn sie dafür selber von den anderen umgenietet würde, das wäre es ihr wirklich wert.
"Du beruhigst dich besser und konzentrierst deine Wut auf die, die sie treffen sollte.“
Solche wie Dich, genau.
„Und quatsch nichts von Privatgesprächen. Niemand hat dich um deine scheiß Meinung gebeten."
Aber um Deine, oder was?
Was Léo aber wirklich fertig machte, war Evis Ausdruck hinter Eryn. Ihre dritte Hermana. Sie war eindeutig gegen sie, stimmte offenbar komplett mit der Zombine in spe überein.
Diese Wut, dieses Unverständnis der Latina gegenüber.
Es lähmte sie.
Dann vernahm sie neben sich eine Stimme, die fast so etwas wie Erleichterung in ihr auslöste.
"Und einige andere reißen dir den Arsch auf wenn du bald keine scheiß Meinung mehr hast, sondern uns deine Zähne in den Arm rammen willst. Meine Fresse, könnt ihr mal alle die Luft anhalten und nicht euch nicht aufführen wie ein verkackter Pimmelverein?"
Hju stand da mit nichts als seiner Hose und den Blessuren der letzten Luststunden am Leib und blickte sich schnauben und grimmig um.
Er war wieder da.
Nicht auf ewig verschollen, unauffindbar, wie so viele in ihrem Leben.
Es ging ihm gut.
Er hat sich nicht in die Luft gesprengt oder sonstwie unnötig in Lebensgefahr gebracht.
Gott sei Dank.
Der Stein, der ihr vom Herzen fiel und die Wärme, die sich dadurch in ihr ausbreitete, lieferten sich einen harten Kampf mit all dem Hass und der Verletztheit, die sich bereits breitgemacht hatten.
"Bevor wir uns also zerhacken... könntet ihr einfach mal durchatmen?"
Sie hatte hier niemanden, der zu ihr stand. Sie wurde in einem fort ausgenutzt und sonst nur geduldet. Nichtmal Hju, der bis eben noch weglaufen wollte, warum und wohin auch immer. Was sie wiederum auf einer ganz anderen Ebene getroffen und verletzt hatte.
Einfach mal durchatmen, als ob das so einfach wäre.
Léo war so unendlich verwirrt.
Sie wollte Eryn anschreien, leiden lassen, sich wild in den Kampf stürzen.
Sie wollte Haile und Evi an sich drücken und ihnen sagen, wie wichtig sie für sie waren.
Sie wollte Hju in die Fresse hauen für die Scheiße, die er abgezogen hatte und ... dann nie wieder loslassen.
Sie wollte einfach nur, dass dieser Sturm an Gefühlen aufhörte.
Léo verspannte sich noch mehr, jeder ihrer Sinne arbeitete auf Hochbetrieb.
Sie war gefangen in dem Käfig, den sie sich über die Jahre aufgebaut hatte. Es gab für sie an dieser Stelle kein Zurück mehr, Rückzug war eine Schwäche, die sie sich nicht geben wollte und dennoch während der Reise schon viel zu oft anderen zu liebe ertragen hatte.
Andere, die dies offenbar nichtmal wertschätzten.
Kleine, heiße Tränen kullerten ihr aus den Augen, sie schlug Leck, sie war so übervoll von Emotionen..
Hörte Kerosin irgendwas mit „Berggorillas und Sympathie zeigen“ außerhalb ihres Blickfeldes flüstern.
Zuviele Sinneseindrücke, zu sehr veränderte sich die Situation mit jeder Sekunde, ihr System wusste nicht mehr, was sie tun sollte.
Léo fühlte sich in die Ecke getrieben, obwohl es gar keinen Grund dafür gab.
Und genau an diesem Punkt brauchte sie natürlich wieder diesen Kackfreundlichen Reisfresser-Jesus.
„Es ist gut, dass du da bist, Leo und für dich, Hugh, gilt dasselbe“
Blablablabla
“Wofür auch immer ich verantwortlich bin, Leo, es tut mir leid. Womit auch immer ich deinen Zorn auf mich gezogen habe – ich denke, wir werden das zu gegebener Zeit regeln.“
Kapierte er denn einfach nicht, dass sie ihn einfach nicht leiden konnte und garnichts mit ihm zu tun haben wollte? Geschweige davon, dass sie seine verschissene Art so richtig aufregte und ihren Hassmotor weiter antrieb, anstatt auszuschalten, wie er wohl wollte.
Er blickte sie nun fest und entschlossen a, suchte ihren Blick. „Doch du bist nicht alleine auf dieser Welt. Du willst den Menschen helfen, die du liebst? Dann zerstöre nicht was sie haben, jetzt, in den Momenten vor der Schlacht.“
Er hatte echt keine Ahnung. Komplett keine.
„Haile hat unglaubliches erlitten und Evi hat mir von ihren Taten berichtet. Sie macht mich zum stolzesten Vater auf dieser kleinen Erde, die uns geblieben ist. Und wenn ihr Lohn ein Kuss von dem Jungen sein soll, dann gönne ich es ihr von Herzen.“
Nur, dass sie nicht einen kleinen Kuss abbekommen hatte, sondern wahrscheinlich bald eine kleine MiniHaile im Bauch gehabt hätte.
„Nicht jeder ist so mutig wie du, Mädchen, nicht jeder kann so sehr und fest auf seine Stärke vertrauen.“
Okay, sie musste ihm offiziell nicht mehr zuhören. Ihr zu sagen, sie wäre mutig und standfest zeugte so sehr davon, nicht berechtigt zu sein, mit ihr in einem Ton zu reden, als ob er ihr Inneres kennen würde.
Es folgten eh nurnoch Vorwürfe, dass sie irgendwas kaputt gemacht hätte. Und das Fest nicht gebraucht hätte. Na klar, weil Du auch wusstest, dass sie nicht und niemals noch mit dazu stoßen wollte.
Die tiefe Wunde in ihr, die soviele in all den Jahren geschlagen haben, wurde von ihm gerade unbewusst so sehr aufgerissen und mit Salz bestreut.
Das Animalische in ihr wog ab, ob Angriff oder Flucht die bessere Option darstellen würde.
Sie schnappte wütend nach Luft
„Außer es ist der Wunsch, dass ich endlich aufhöre zu reden.“
Ja, puta madre, cabrón, halt. Endlich. Das. Maul!
Aber natürlich redete er munter weiter. Folterte sie besser als es Mary damals auf Léos Drogentrip vermochte zu tun.
Er wandte sich mit irgendwelchen Fragen an sie, doch sie hatte sich entschieden. Hier waren Leute dabei, die zu ihrer Familie zählten für sie, ein Angriff war bescheuert.
„Danke, maracón, dass Du mir durch die Blume gesagt hast, dass ich eure schöne Stimmung kaputt gemacht habe, weil ich mich gesorgt habe...Aber weißt Du, nein, wisst ihr Alle?
Ich mache das, was Hju anstellen wollte, was weiß ich warum:
Ich bin weg. Verpisse mich, lasse euch in Ruhe.
Das wollt ihr doch. Macht euren Scheiß, ich mach meinen, wir sehen uns vielleicht bei der Schlacht, aber ernsthaft, ich habe keinen Bock mehr.
Ihr hasst mich doch eh alle, also, adiós...“
Schluchzte sie Sheng und der Runde entgegen, schulterte sich Álvaro und stapfte davon.
Sie hätte sich niemals auf diese Scheiß Reise zusammen mit der Gruppe einlassen sollen. Sie hätte ihren Weg allein gehen sollen.