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Auserwählter
Sie wusste es. Haile wusste es. Eryn wird sterben.
Während die junge Frau ihr Herz ausschüttete und immer wieder auf Hailes generelle Großartigkeit einging, ließ das Kultistenmädchen Raouls Hand fallen und ging ein paar Schritte weg, verfolgt von Eryns neugierigen Blicken. All diese Lobpreisung änderte nicht die Realität.
"Du wirst immer der bessere Mensch bleiben, weil du unsere gemeinsame Reise nicht brauchtest, um gut zu werden."
"..."
Das war so merkwürdig. Haile hatte nicht viel getan. Aber jeder behandelte sie wie eine Heilige, wie schon im Tempel. Sie lehnte sich an einen Baum in der Nähe und hörte Eryn mit einem halben Ohr zu. Kein Mensch ist nur gut oder nur schlecht. Eryn hatte eine Reise durchgemacht, ebenso wie Haile, nur eben etwas später. Als Sheng sie aus den Trümmern des Tempels gezogen hatte, verbannte das Mädchen all ihre Erinnerungen tief in ihr Unterbewusstsein, ebenso wie ihren Auftrag, alles Leben zu beenden. Es war nicht heroisch, dass sie sich gegen diesen Auftrag gestellt hatte. Sie hatte ihn schlichtweg verdrängt. Haile war keine Heldin.
"Du bist die Hoffnung für uns."
Nein. Ich habe nur meine Fehler wieder gut gemacht. So wie du, Eryn. Haile drückte sich von Stamm des Baumes ab und ging zurück zu den beiden, gerade rechtzeitig, um Eryns Beichte über ihre Infektion mitzuerleben. Sie warf Raoul einen verschwörerischen Seitenblick zu.
Eryn, die Mutige.
Eryn, die so sein wollte wie Haile.
Eryn, die lieber als Erste in der Schlacht sterben wollte, als von der Seuche einzugehen
"Eryn...hey, komm, du wirst schon nicht..."
"..."
"...doch, ich werde sterben. Ich weiß es...
"..."
"...aber ich werde alles tun, um euch zu beschützen...Ich meine, hey, ihr seid...ihr seid die Zukunft."
Haile lachte kurz auf. Ja sicher, sie, das Mädchen, was gekommen war, um sie alle zu töten, war geradezu das Sinnbild von Hoffnung und Zukunft.
"Hey, Eryn, ich hab keine Ahnung, wie das funktioniert, aber wir bekommen das schon irgendwie hin."
"..."
Unerschütterlicher Optimismus bei Raoul, stille Ungläubigkeit bei Haile. Eryn schaute zwischen den beiden Teenagern hin und her und schien immer noch verwirrt über Raouls Gnade und Hailes blitzende Augen. Ihr schlug kein Hass entgegen. Raoul zuckte irgendwann mit den Schultern und unterbrach die etwas unangenehme Stille mit einem nonchalanten Gähnen.
"Wie auch immer Eryn, du stirbst uns morgen nicht unter dem Arsch weg, wir besorgen das Heilmittel, und dann erwarte ich den besten Abend aller Zeiten. Nur, dass du's weißt."
"Verlasst euch drauf."
Sie lächelte. Und Haile wusste wirklich nicht, ob Eryn es auch wirklich so meinte.
Geändert von Caro (09.11.2015 um 15:52 Uhr)
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