Sehr cool, im Nachhinein noch mal eure (sehr unterschiedlichen) Meinungen zu LiS2 zu lesen!Ich habe mich hier schon ausgiebig über den zweiten Teil ausgelassen, wollte aber unbedingt auch noch mal auf Sachen eingehen.
Mein Problem ist hier eher: Ich finde das alles sehr oberflächlich und teilweise stümperhaft. Wie du auch sagst, die meisten Rassismus-Momente sind höööchstens für weiße Teenager interessant, die sich sowas gar nicht vorstellen können. (Wobei ich darin durchaus einen Wert sehe; wir kennen das halt als Erwachsene alles schon sehr ausgiebig durch andere Medien. ^^) "Unter der Haube" beschäftigt sich das Spiel nur sehr bedingt mit all diesen Themen, es benutzt sie praktisch mehr als Flavour oder Setting. Es analysiert nicht, warum die Leute rassistisch sind oder was man dagegen machen kann, bei sich selbst und bei anderen, es analysiert nicht mal – und das ist vielleicht das Hauptproblem! – wie genau man sich als PoC in dieser Gesellschaft verhalten sollte. Weil, ja klar, wenn ich mich widersetze, werde ich verprügelt, aber das ist halt offensichtlich. Und dabei hätte es SO viele Ansatzpunkte gegeben! Es gibt eine Stelle, in der David vorschlägt, sich doch der Polizei zu stellen. Warum wird hier nicht thematisiert, warum das für einen einäugigen Latino-Jugendlichen vielleicht schwieriger sein könnte als für einen weißen Kriegsveteranen? Warum ordnen sich fast alle Charaktere in "falsch" und "richtig" ein? Warum zeigt man nicht den strukturellen Rassismus, der sicher auch bei Leuten wie Agent Flores oder Campell durchkommt? Und vor allem: Warum thematisiert man nicht, wie WAHNSINNIG privilegiert und letztlich, äh, WEIß es von der Mutter ist, sich einfach abzusetzen, was dem Latino-Vater wahrscheinlich nie eingefallen wäre? Am besten fand ich da noch die Großeltern in ihrer "freundlichen konservativen Art", aber da muss man halt auch schon genau hingucken, weil praktisch alles wirklich Schwierige in Details und in der Vergangenheit verbuddelt ist. Es wird am Ende einfach alles auf persönliche Entscheidungen heruntergebrochen, auf gute und schlechte Menschen, und das ist echt nicht halb so links wie es erst aussieht.Zitat von Sylverthas
Aber vielleicht liegt das auch am Zeitpunkt der Veröffentlichung. Ich habe das Gefühl, das LiS2 ein paar Jahre später, mit Black Lives Matter & Co im Rücken, ein in den Details ganz anderes Spiel geworden wäre.
Ich nehme noch mal eine Stelle als Beispiel:
Ich meine, im Ernst: Wie geil ist denn bitte das ganze Setup am Ende? Du hast zwei US-amerikanische Latinos, die nach Mexiko wollen, während VIELE Mexikaner in die USA wollen! Und ein bisschen bringen sie das auch ein, wenn die beiden Flüchtenden es erst gar nicht glauben wollen, und wenn man als Sean antworten kann, dass es in den Staaten vielleicht gar nicht sooo geil ist. Aber DAS sind doch die Momente, in die man reindrücken muss! Wie weltfremd ist denn bitte Seans Vorstellung von Mexiko als Land der Freiheit? Warum lachen ihn die beiden Mexikaner nicht aus? (oder sind zumindest völlig verständnislos?) Warum wird nicht mehr mit dem Umstand gemacht, dass natürlich erstmal alle Weißen an der Grenze denken, dass die beiden in die USA wollen? Warum holt man aus diesem Moment, in dem Daniel nach der Mauer fragt, nicht noch mehr raus, nicht mindestens eine Unsicherheit oder eine Diskussion, oder eine Entscheidung, was man antworten kann? (Warum lässt man nicht den Spieler moralisch werden, anstelle der Autoren?) Und so weiter. An solchen Punkten, an denen die simple Weltsicht zusammenbricht, hätten die Autoren tiefer gehen müssen, und vor allem: Sie hätten diese Momente mit Entscheidungen verbinden müssen. Darum geht es in diesen Spielen doch eigentlich, weil man halt Teenager spielt, die lernen, sich in der Welt zurechtzufinden.Zitat von Orpheus
Die letzte Entscheidung im Spiel hat einen kleinen Ansatz davon: Gebe ich auf, gehe ich mit der Gesellschaft auf Nummer sicher oder riskiere ich alles, gegen die Gesellschaft? Aber die Konsequenzen sind halt sooo schwammig. Alleine die Vorstellung, dass zumindest Daniel (und wahrscheinlich auch Sean) irgendwie zwangsweise kriminell werden, wenn man am Ende durch die Mauer bricht, ist fast schon etwas ... rassistisch, gerade im Sinne von "colourblind"? Weil, ich meine, wie hoch ist bitte die realistische Chance, dass zumindest Sean direkt erschossen wird, sobald er aus dem Auto steigt? Dass ihn das Gefängnis ordentlich fickt, wird ja wenigstens gezeigt. In diesem Sinne ist die Flucht doch keine inhärent "böse" Entscheidung – sie ist aber kriminell, klar, und das Spiel verbindet "Kriminalität" in den Endings immer noch damit, dass man eine Bank ausraubt und sich mit anderen Bandenleuten prügelt ... puh. Da ist der Großteil des Spiels glücklicherweise differenzierter; wobei ich mich auch schon etwas aufgeregt habe, als das Klauen von Zelten aus der "rassistischen Tankstelle" () zum Klauen von Brodys Figur geführt hat. (Das ist moralisch NICHT dasselbe!)
Ich finde aber interessant, dass ihr das Gameplay tendenziell schwächer oder zumindest "weniger" fandet. Das ist faktisch richtig, und ich glaube, daran merke ich nur noch mal, wie irrelevant jegliches Gameplay in dieser Reihe, zumindest über Erkundung und Entscheidungen hinausgehend, für mich ist. xD'
Echt schade, dass LiS2 am Ende des Tages offensichtlich nicht so erfolgreich war wie erhofft. Ich hatte auf Steam nicht mal jemanden, mit dem ich meine Entscheidungen vergleichen konnte. o.o Ich würde das aber auch nichts auf das Spiel selbst , sondern maximal auf die Entscheidung schieben, diesen "Anthologie-Weg" zu gehen; ein Spiel mit denselben Charakteren wäre definitiv erfolgreicher, aber auch deutlich unnötiger gewesen, und ich weiß den Mut zu schätzen. Wahrscheinlich hätten sie ein bisschen mehr Hirnschmalz in die Art und Weise, Publicity zu machen, stecken sollen.