Ergebnis 1 bis 20 von 101

Thema: Life is Strange - Spoilers between past and future

Baum-Darstellung

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  1. #17
    Dotnot hat sich mit LiS2 einiges vorgenommen: sie haben die (potentiellen!) Lesben aus Teil 1 durch Brüder ersetzt, von denen der jüngere öfter aufmüpfig ist, die Story zu einem Roadtrip gemacht, sie hochpolitisch aufgeladen, enorme Kritik an Stereotypen in den USA geübt und die Zeitreise durch eine ziemlich uninteraktive Telekinese ersetzt. Ich würde sagen, dass so gut wie jede Kritik, die ich zum Spiel gelesen habe, einen dieser Punkte angreift. Hat das Spiel den 5.6 User Score auf Metacritic verdient? Auf keinen Fall, da sind einfach mal wieder viele Trottel dabei. Ist es schlechter als der Erstling? Das hängt sehr von der eigenen Perspektive ab.

    Zunächst mal zum Setting: ich glaube, bei LiS1 waren viele Leute überrascht, wie gut sie sich doch in ein Teenager-Mädel reindenken konnten. Schule ist halt auch ein recht universales Setting (die Japaner wissen es!), weil jeder dazu einen Bezug hat. Das Murder Mystery war aus meiner Sicht eher der Hook, aber nicht die Geschichte, die die Entwickler eigentlich erzählen wollten (siehe BtS) - aber hat für viele gereicht um dem Game ne Chance zu geben. Davon hat LiS2 praktisch nichts. Das Spiel startet in einer gewöhnlichen, sehr netten Familie, und es steht förmlich "Shit happens in T minus 5" auf dem Screen geschrieben. Das Spiel gibt recht schnell Gas und der Roadtrip beginnt.

    Im Gegensatz zum ersten Teil hat man hier in jedem Kapitel eine ganz andere Umgebung. Dadurch opfert man die Bekanntheit, die der Spieler nach und nach mit der Schule von Max hat, kann die Charaktere abere in viele verschiedene Szenarien bringen. Häufig ist mindestens ein Nebencharakter die Brücke zwischen verschiedenen Kapiteln, aber die meisten wird man nie mehr wiedersehen. Was auch einer der Kritikpunkte von vielen Leuten ist. Man hat hier keinen Stepfuhrer (wobei... *g*), keine split personality Kate, usw. Es wird gesagt, die Charaktere in LiS2 seien viel oberflächlicher als die aus Teil 1. Zugegeben, gerade bei den Charakteren, die eher Karikaturen gleichkommen (also so gut wie jeder extrem rassistische US Amerikaner, dem man hier begegnet - man, die Entwickler wollten echt ne Message verkaufen ), stimmt das. Da haben die Entwickler auch versucht, einem in wenigen Sekunden klarzumachen, dass man die Typen hassen soll.
    Aber machen wir uns nichts vor: LiS1 hat sich außerhalb der zentralen Charaktere einem reichen Schatz an Klischees bedient, und die Charaktere auch nicht so massiv entwickelt. Ich glaube die Illusion entsteht eher dadurch, dass man den meisten von ihnen über alle Kapitel begegnet ist und man sie daher eher für Freunde hält als die flüchtigen Bekanntschaften in LiS2. Der zweite Teil hat auch keine Tearjerker Episode, welche nur darum konstruiert wurde die Spieler emotional fertigzumachen - was für viele den emotionalen Eindruck vom ersten Teil sicherlich erhöht hat. Teil 2 will ich trotzdem mal dafür loben, dass sie es trotz der (vermeintlich) kurzen Screentime geschafft haben, einem viele Charaktere näherzubringen. Ich glaube man wird hier glücklicher, wenn man es als eine Art Abenteuergeschichte ansieht bei der man eben immer neue Charaktere kennenlernt und alte nach und nach verblassen. Und irgendwie ist das ja auch das Herz von einem Roadtrip, oder?

    Der Roadtrip hat auch den Vorteil, dass jedes Kapitel eine komplett andere Atmosphäre hat als die anderen, was das Spiel für mich erstaunlich erfrischend gemacht hat. Sie haben auch die Engine ordentlich aufgebohrt und die Umgebungen sehen teilweise beeindruckend aus. Das Gleiche kann ich nur bedingt von den Animationen der Charaktere sagen, denn diese sind teilweise steif und unnatürlich. Macht zwar die Szenen nicht kaputt, aber hilft auch nicht der Atmosphäre. Erinnere mich noch daran, dass ich das bei LiS1 auch schon kritisiert hatte. Der Soundtrack ist auch wieder großartig und fängt die Atmosphäre der jeweiligen Szenen gut ein. Sehr clever ist definitiv die Einbindung von Awesome Adventures of Captain Spirit. Um in Kapitel 2 den vollen Effekt des Szenarios zu bekommen sollte man das Game definitiv durchgespielt haben, und ich würde auch Kapitel 2 als das stärkste ansehen.

    Aber gut, damit kommen wir zu der politischen Agenda. Denn die ist hier wirklich dick aufgetragen. Das Highschool Setting von Teil 1 war da recht unverfänglich - klar, man hatte Chloe als die Punkerin, die offensichtlich weit links ist. Aber gerade dadurch konnte man viele der Nachrichten halt noch gut als "Geschwätz eines Teenagers" ignorieren, wenn man ihre Gesinnung nicht teilt. Das ist in LiS2 nicht mehr möglich, denn die Entwickler halten hier mit vollem Rohr drauf. Jede Person, die rassistisch ist, ist *extrem* rassistisch und ein Monster und lässt das Sean und Daniel spüren. Schweden schwatzen am Lagerfeuer über den Umweltschutz, man versammelt sich in einem Hippie-Camp, Kirche ist eh korrupt, man lernt viele alternative Lebensweisen kennen, etc. Also die volle Palette an Sozialkritik, die gerade "trendy" ist. Das ist teilweise einfach zu viel und hat mich eher an Spiele wie A Normal Lost Phone erinnert, welche den Spielern eine Message reinhämmern wollen. Und ja, in Kapitel 5 habe ich dann mit den Augen gerollt, als man sich in diesem Trailerpark einfindet, bei dem Leute mit ihren alternativen Lebensweisen alle total glücklich sind - das schwule Paar und die verrückte Künstlerin dürfen natürlich nicht fehlen! Ehrlich gesagt empfand ich Kapitel 5 fast schon zur Hälfte als Filler, weil man weiß, dass es bald zu Ende geht und mich die neuen Charaktere nicht die Bohne interessiert haben. Vermutlich wollten die Entwickler mehr Screentime mit der Mutter rausholen (sehr cooler Charakter, btw.) und, so unnötig das auch war, noch mal den Stepfuhrer einbauen. An den der Preis des sinnlosesten Fanservice-Auftritts geht. Aber waren die "Grenzschützer" echt noch nötig? Glaube die "white trash Americans are racist"-Nachricht kam schon in Kapitel 1 und Kapitel 4 sehr gut rüber.
    Das ist wieder ein Fall von "so überzeugt man Leute mit einer anderen Meinung nicht" Tatsächlich wirkt LiS2 eher wie ein Game, was Leute anspricht, die ohnehin politisch sehr links sind und das eher ein Spotlight darauf wirft, wie schlimm die Zustände in den USA sind - gerade wenn man kein WASP ist. Und ja, damit hat es das Spiel viel schwerer als Teil 1, denn Politik ist ein heikles Thema und es kackt sicher vielen Leuten in den Hof. Es ist schon sehr mutig gewesen von Dotnod, dass sie hier ihre Meinung so zentral ins Licht gerückt haben und das muss man einem Spiel mit einem nicht zu verachtendem Budget schon zugestehen. Es trauen sich nicht viele, potentiell so viele Spieler "zu vergraulen".

    Zu den Brüdern. Finde die Beziehung der beiden wurde wirklich toll umgesetzt, mit allen Höhen und Tiefen. Gegen Ende hatte ich auch ein richtiges Band zu Daniel. Dass es Sean unglaublich schwer hat, selber mit den schweren Umständen zurecht zu kommen und gleichzeitig erwachsen genug zu sein, damit er für Daniel sorgen kann, wird wirklich greifbar gemacht. Es wird sicher viele Spieler aufregen, wie aufmüpfig der kleine ist, aber das halte ich eher für ein Problem der allgemeinen Spielerschaft. Denn der Junge macht definitiv nicht immer das, was man will, was für viele einfach ein No Go ist für Sidekick-Charaktere. Er bitched auch relativ viel rum, was ich angesichts seines Alters und der Position, in der sich die beiden befinden, aber vollkommen in Ordnung finde. Trifft er einige sehr dumme Entscheidungen? Natürlich, er ist ein verdammter Neunjähriger mit Superkräften der sich mit seinem Bruder auf der Flucht befindet! Sean selber würde ich stellenweise als ein wenig langweilig bezeichnen, aber da ist er auch nicht so unähnlich zu Max. Am Ende sollen sich die Spieler ja ein wenig auf den Charakter projezieren können und ihn durch Entscheidungen formen. Und an dieser Stelle muss ich die Enden loben, welche von Orpheus oben sehr gut beschrieben wurden. Ich habe auch das Gefängnis-Ende als erstes bekommen, und fand es unglaublich passend. Die Entscheidung, die Sean (bzw. ich) in diesem Moment im Auto getroffen hat, war einfach genau die richtige und ich ziehe meinen Hut davor, dass das Spiel es in diesem Abspann geschafft hat, dass mir die Tränen gekommen sind. Auch die anderen Enden sind alle gut strukturiert und passen. Womit das Spiel vier brauchbare Endings hat, was drei mehr sind als Teil 1.

    Noch ein paar Stray Thougths: Das Gameplay ist eine massive Reduktion zu Teil 1. Durch die Zeitreise gab es einige kleinere Puzzles und nette Gameplay-Einlagen. Davon hat Teil 2 einfach gar nichts. Die Telekinese kann nur in sehr begrenzten Szenarien benutzt werden und ist insgesamt eher ein Plot Device. Ist den Entwicklern wirklich *nichts* eingefallen, womit man Telekinese-Puzzles hätte bauen können? Ich vermute, dass das eine Überreaktion ist weil LiS1 sicher einige Spieler angezogen hatte, die "nur die Story sehen wollen" und schon mit dem minimalen Gameplay des Spiels Probleme hatten. Also lieber gleich komplett streichen, ne? Finde trotz des Roadtrips, dass die Geschichte von Teil 2 viel homogener funktioniert als die von Teil 1. Das liegt daran, weil LiS versucht hat, das Murder Mystery mit dem Teenage Drama zu kombinieren, was für mich nur bedingt geklappt hat. Bei LiS2 ist die "Action" quasi direkt in der Story drin, was alles viel glatter wirken lässt. Ich hatte im Spielverlauf nicht das Gefühl, dass meine Entscheidungen große Auswirkungen haben. Liegt aber auch daran, weil man die vergangenen Gebiete nie mehr wiedersieht und einem höchstens ein Brief geschrieben wird, der einem die Nachwirkungen erklärt. Zentral für die Enden ist im Prinzip, wie man Daniel behandelt und ob man dann gegen Ende eine damit konsistente Entscheidung trifft oder nicht. Anscheinend kann man in Kapitel 3 auch ne Beziehung mit Finn eingehen, was mir eher wie plumper Fanservice von Dotnod rüberkommt als natürliche Charakterentwicklung. Vielleicht bin ich hier auch zu stumpf um zu erkennen, wieso Sean das tun sollte.

    Fazit: Das Spiel ist gut. Ist es so gut wie Teil 1? Ich würde sie etwa auf eine Ebene stellen, sie versuchen halt sehr verschiedene Sachen und wenn man hier ein LiS1 erwartet hat, dann könnte man enttäuscht werden. Und man, bin ich froh, dass Dotnod sich hier was anderes getraut hat und es sogar so weit getrieben hat, dass man tatsächlich Spieler vergraulen kann damit. Viel zu viele Entwickler kneifen ihren Schwanz ein und liefern "gute, aber unglaublich sichere" Ware ab. Es wäre sicher einfach gewesen, ne andere Schule als Setting herzunehmen und im Prinzip das gleiche abzuziehen wie LiS1. Vermutlich hätte es sogar bessere Wertungen gebracht.

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