Bis dato war ja alles wie am Schnürchen gelaufen. Fast schon zu gut.
Der Ober-Obermuffti sollte besser wirklich ein hartes Kaliber sein, sonst könnte Léo für Nichts mehr garantieren. Ihr innerer Staudamm an Hass und Verzweiflung war kurz vorm Bersten. Wenn sie nicht bald ein Ventil zum Ablassen fand...
Die Vier erklommen den alten Kran, als würde es an der Spitze Frei Tequila geben. Das müde Metall knarzte bedrohlich unter der zusätzlichen Belastung, doch das was das geringste ihrer Probleme. Mit eiserner Entschlossenheit kletterte die Latina höher und höher. Es mutete fast wie eine einstudierte Choreographie an, so fließend und mühelos wirkten ihre Bewegungen. Selbst die Sprünge schienen mehr die eines Panthers als eines Menschen zu sein.
Sie sah nicht nach, ob ihre Schwestern im Geiste zurecht kamen, das war nicht nötig.
Evi hatte einfach Cojones und Haile schon einen verdammten Kran zum Einsturz gebracht.
Apropos.
Sie hätten den Sprengstoff mitnehmen und diesen Kackkran in die Luft jagen sollen, sodass er volle Kanone auf den Obersack knallt und sie die drei Typen nur noch abpflückenmussten.
Schnelle, saubere Nummer, aber sowas fällt einem natürlich erst jetzt ein.
Hju eierte einige Meter unter ihr herum und kam offensichtlich nicht mit ihrem Tempo mit.
In regelmäßigen Abständen brüllte Léo ihm erbauliche Motivationen hinunter.
„Wenn Du weiter wie ne Schnecke hochschleimst, bist Du morgen früh noch nicht oben!“
„Alter!“
„Der Oberobermuffti stirbt an Altersschwäche, ehe Du bei ihm ankommst!“
„Léo, noch so ein Spruch und ich verpasse Dir eine neue Körperöffnung mit meinem Gewehr, wenn ich oben bin!“
„Wenn Dich das schneller klettern lässt, liebend gerne!“
Doch es verfehlte seine Wirkung nicht.
Fast zeitgleich schwangen sich die Beiden auf den Quermasten des Kranes.
Eisiger Wind peitschte ihnen ins Gesicht und ließ Kleidung und Haar wild herumflattern. Balancierend kamen sie der Stelle näher, von der sie noch am nächsten auf die VIP-Lounge springen konnten. Das ehemalige Stadion unter ihnen wirkte winzig und die Kultisten und potentielle Freunde wie Ameisen. Ganz im Gegensatz zum Oberobermuffti, der am Rand stand und noch immer damit beschäftigt war, seinem Fußvolk irgendwelchen Rotz zuzublubbern.
Dass er sie noch nicht bemerkt hatte, war sehr seltsam.
Still tauschten Léo und Hju einen Blick und zogen ihre Waffen, ehe sie sprangen und sich formvollendet auf dem Dach der Lounge abrollten.
Sofort sprang die Halbmexikanerin auf und sprintete auf den langhaarigen Hünen zu, der sich ihrer immer noch nicht gewahr wurde.
Die halbe Distanz war bereits bewältigt, als er sich endlich umdrehte und ihm stand der Schock und die Überraschung über den unvermuteten Besuch deutlich im Gesicht geschrieben.
Seine blutunterlaufenen Augen weiteten sich schier endlos.
Etwas in ihnen weckte vages Wiedererkennen in ihr.
Doch sie würde sich sicher nicht die Zeit nehmen, daran jetzt auch nur einen Gedanken zu verschwenden.
Mit einem Urschrei hob sie ihre Machete über den Kopf und schien nun nur noch so auf ihn zuzufliegen.
Das Erstaunen auf Seiten Oberobermufftis wandelte sich in Zorn und auch er ließ einen unwirklichen Laut durch seine Hässlingsmaske entfahren, der durch das ganze Stadion hallen mochte.
Dann rannte er ihr entgegen.
Léo stieß sich mit aller Kraft vomBoden ab.
Wie ein Bulldozer preschte er ihr entgegen.
Perfekt, denn sie so würde sie mehr Schaden anrichten können, wenn sie gleich traf.
Sie holte in der Luft aus.
Alles, was sie an diesem verkackten Tag durchmachen musste und sie deswegen fast durchdrehen ließ, brachte sie in diesen einen Schlag.
Sie durfte nicht verfehlen.
Sonst konnte sie sich gleich in die Tiefe stürzen, denn genau das würde ihr innerlich widerfahren.
Wie eine Rakete schnellte sie hinab.
Das künstliche Röcheln seiner Atemmaske drang an ihre Ohren.
Léo hieb zu.
Für einen Augenblick war sie seinem Gesicht so nah, dass sie direkt sehen konnte, wie sich der Zorn in seinen Augen zu einer Art Vorfreude wandelte, sie gleich packen und zerreißen zu können.
Oder was auch immer, denn das würden weder Hju noch Léo noch sonstwer je erfahren.
Die Vorfreude wandelte sich wieder in Erstaunen.
Geschmeidig landete sie auf dem Boden, die Machete von einem roten Film aus Blut benetzt.
Sie hatte nicht verfehlt.
Ohne den geringsten Widerstand hatte sie dem Oberobermuffti den Kopf von den Schultern getrennt.
Hugh hatte wirklich Probleme mit der Latina mitzuhalten.
Er konnte noch sehr einen auf aggressiven und impulsiven Raufbold machen, der er ja zum Teil war, doch er spürte wie ihm das Alter wirklich tief in den Knochen steckte.
Heute, in dieser Stunde, mehr als jemals zuvor.
Die beiden zogen sich mit einem kräftigen Schwung fast zeitgleich auf das Dach der VIP Lounge.
Er konnte das rumoren der Masse an Kultisten im Hintergrund dumpf hören. Es war beunruhigend und erfüllte seinen Magen mit einem flauen Gefühl.
Er hatte kein gutes Gefühl bei der Fahrt mit dem Monstertruck und er hatte auch jetzt kein gutes Gefühl.
Doch noch bevor er den ersten Atemzug auf dem Dach tätigen konnte, sah er bereits wie Léo ihre Machete zog und losstürmte.
Eine wilde Amazone, schön, feurig und unberechenbar.
Vieles würde er dafür geben wenn er noch viel mehr Zeit mir ihr verbringen könnte.
Doch würde er die Gelegenheit dazu bekommen?
Aus der Kehle von Léo ertönte ein Kampfschrei, welcher dem bleichen, fast toten Mann mit Atemmaske entgegenschleudert wurde.
Wenn dieser gekonnt hätte, dann wäre er wohl erwidert worden.
Jackman sah nur mit erhobenem Gewehr dabei zu wie die beiden aufeinander zu sprangen.
Der Kultistenboss die Arme zum Töten erhoben, Léo die Machete über den Kopf geschwungen.
Der ehemalige Schauspieler legte das Gewehr an. Er zielte...
Léo schlug zu.
Ein- und Ausatmen.
Er hörte wie die scharfe Klinge auf Fleisch traf und sich tief in den Hals des Kultisten grub.
Er hörte wie die scharfe Klinge auf Knochen traf und sich einfach zwischen den Halswirbeln hindurch schob.
Aus reinem Reflex heraus drückte Jackman ab.
Der segelnde Kopf wurde von einer Kugel durchbohrt und wurde ein ganzes Stück weiter weg katapultiert.
„Scheiße... ist der?“
„Tot? Alter Mann, du lässt echt nach.“
„Ich hatte mir das irgendwie... schwerer vorgestellt. Der ist ja einfach... eh... gestorben.“
„Halt die Backen und lass uns hier verschwinden.“
[Kampfprobe - Meisterlich Bestanden]
Jackman nickte der Latina zu.
Enttäuscht war er ja schon ein bisschen.
Ohne jedes weitere Zögern rannten die beiden wieder zum Rand des Daches der VIP Lounge.
Der Kran lag direkt zu ihren Füßen und sie mussten nur noch nach unten.
Nichts weiter, keine schwere Aufgabe. Nichts könnte mehr schief gehen.
Synchron sprangen sie von der Lounge hinab und krallten sich in die Metallstreben des Kranes.
So lange der Aufstieg dauerte, so schnell kamen sie hinab.
Als Léo und Jackman wieder beide am Fuße des Kranes ankamen blickte sie in die Gesichter von Evi, Haile, Wingman, Raoul und Sheng... sie alle standen vor ihnen, warteten nur noch auf die Rückkehr ihrer Freunde.
Sie hatten es geschafft. Alle hatten sie es geschafft.
Die Türen des Monstertrucks knallten laut als sie sich zu siebt in das Fahrzeug quetschten.
Der Raum war so furchtbar eng, heiß und stickig. Aber die Freude der Freunde, der Familie überwogen einfach alles.
Jackman drehte den Schlüssel des Trucks und ließ den Motor heulend an.
Wie ein Wahnsinniger drückte er einfach mit voller Wucht auf das Gaspedal. Die Reifen drehten sich durch und das Gefährt kam schnell in Fahrt.
Sie müssten ja einfach nur den Weg zurück und dann... wären sie durch.
Der Monstertruck pflügte sich durch die Massen an Untoten, keiner war hier der sie kontrollierte. Alle Anführer lagen im Staub und hatten ihre gerechte Strafe erhalten.
Jackman sah wie die Garage vor ihm lag, direkt dahinter die Türen die zum Oberlicht führten.
Ohne jeglichen Zweifel, dass es schief gehen könnte riss der erfahren Anführer das Lenkrad herum und drückte mit aller Kraft auf die Bremse.
Der Wagen brach aus, die Hinterachse wandte sich komplett herum und das Fahrzeug kam quer in der Garage zum stehen.
Das war furchtbar knapp. Was zum Fick hatte man ihm eigentlich gegeben bevor sie losgingen? Er konnte sich nicht daran erinnern, dass er vorher schon so einen riskanten Scheiß gemacht hätte.
[Fortbewegungsmittel - Bestanden]
„Wer ist eigentlich unser Fahrer? Ich bin mir sicher Sie schon einmal gesehen zu haben...“
Hugh blickte direkt in das Gesicht von Sheng der ihn entgeistert ansah.
„Hi. Hugh Jackman. Der Penner mit dem Bart... aus der Siedlung...“
Sheng schien nicht wirklich direkt darauf zu kommen mit wem er es eigentlich zu tun hatte.
"Lancaster. Ich hab mich nur rasiert, der Bart sah furchtbar aus."
Ohne weitere Worte stießen seine Passagiere die Türen auf und strömten aus dem Wagen heraus.
„Los, alle durch die Türe, geradeaus. Ich hab für nen Abholdienst gesorgt!“
Geordnet folgten sie den gebellten Worten die keinerlei Raum für Zweifel ließen.
Manchmal fand er es ja schon geil Anführer zu sein.
Während die Zombies noch unkoordiniert auf dem Spielfeld herum wankten und nicht wussten wo sie hin sollten... da war ihre kleine Gruppe schon lange weg.
Mit einer Strickleiter durch das Oberlicht, auf das Dach, erwartet von Enigma der stramm wie ein Soldat stand.
Jackman war der letzte der oben ankam und von Enigma in Empfang genommen wurde.
„Berichte: Alles lief nach Plan. Fluchtweg steht bereit. Extraktion vom Dach über Zipline.“
„Scheiße Mann. Enigma, zieh dir einmal den Stock aus dem Arsch und sag uns wie extrem geil und cool das hier war. Wir haben grad unsere Leute rausgeholt, leben alle noch und du... du stehst hier vor mir und hast deinen Arsch aufs Spiel gesetzt. Ich geb dir einen aus sobald das hier alles vorbei ist.“
Freundschaftlich boxte Jackman Enigma gegen die Schulter, klopfte ihm auf den Rücken und joggte dann seinen Freunden hinterher.
Es war faszinierend.
Sie hatten alle Ihr Leben riskiert. Sie haben wirklich alles erreicht was sie wollten und lebten noch.
Alles in allem... bei ihnen lief alles perfekt.