Jackman stand an der Klippe die San Antonio überblickte.
Er sah Ruinen. Er sah Rauch. Er sah Feuer.
Vor allem aber sah er ein verdammtes Schlachtfeld, gezeichnet von einem Krieg in dem es keinen Sieger gab.
Schwermütig blies er den Qualm seiner Zigarre in die Luft und hob den Flachmann an an seine Lippen.
"Alkohol löst keine Probleme!" hörte er eine Stimme in seinem Unterbewusstsein sagen. Er konnte sie nicht zuordnen. Es war ein typischer Satz wie man ihn so oft hörte wenn man vor dem Zehren lebte.
Natürlich löst Alkohol keine Problem. Wie auch? Als wäre Schnaps jemals aus seiner Flasche geklettert und hätte einem Idioten auf die Nase geboxt, einen Streit geschlichtet oder einen einfach in den Arm genommen.
Alkohol macht einfach taub und unempfindlich gegenüber all der Scheiße die um einen herum passiert.
Hugh kippte den blechernen Flachmann an und nahm den ersten Schluck.
Das Zeug was Derreck da fabrizierte schmeckte im Gegensatz zu dem Whiskey den Fawyer ihm servierte wie warme Pisse.
Warme Pisse die bei absetzen scharf roch und ihm das Gefühl gab als wäre seine Stirn mit Watte gefüllt.
Der Schauspieler lies sein Gewehr auf den Boden fallen und setzte sich an den Rand der Klippe, seine Beine baumelten in der Luft während er wehmütig in die Ferne schaute.
Eigentlich wollte er ja nur das Richtige tun. Doch er wusste was dabei passierte. Was immer wieder passierte.
Das neue Zeitalter in dem er lebte hatte ihm ein ganzes Stück seiner Menschlichkeit geraubt und ihn zu einem wilden Irren gemacht.
Batterien aus dem Fenster werfen und sie erschießen...
Einem Menschen so lange ins Gesicht schlagen bis man den darunterliegenden Boden malträtiert...
Seine Waffe auf einen Idioten richten der dummen Scheiß erzählte...
Jackman zog kräftig an seiner Zigarre und behielt den Rauch einige Sekunden lang in seinem Mund.
Die Lider waren geschlossen und er hielt angestrengt den Atem an.
Langsam hob er den Kopf und öffnete seine Lippen. Heller Rauch stieg auf und erfüllte die Luft mit einem feinen Duft.
Jackman stellte den Flachman zur Seite und legte seinen Rucksack neben sich ab.
Vorsichtig kramte er in den Eingeweiden des verblichenen Sling-Bags herum und holte mit einem leichten Seufzer die Ledermappe hervor welche er noch vor seiner Abreise aus Shengs Hope mitgenommen hatte.
Langsam wickelte er das selbstgedrehte graue Garn ab welche die Mappe zusammenhielt.
Hier war alles drin. Seine Erinnerungen. Seine Gedanken.
Langsam klappte er den Deckel der Mappe auf, griff nach dem Inhalt und zog einen ganzen Stapel an... Krams heraus.
Als erstes fiel ihm einer der vielen Briefe in die Hand die er in den letzten 13 Jahren geschrieben hatte. Adressiert an Gabriel. Er hatte von jedem einzelnen eine Kopie angefertigt, damit er den Wechsel der Wörter besser nachvollziehen konnte.
"Hallo Gabe,
ich hoffe dich gibt es noch in einem Stück.
Ich sitze momentan auf einem Flugfeld. In Page, Arizona. Keine Ahnung ob dir die Stadt was sagt, vermutlich eher nicht.
Hier gibt es eine kleine Siedlung in der ich gerade untergekommen bin. Lange werde ich aber wohl nicht bleiben. Jeder der Einwohner muss am Tag 12 Stunden Gemeinschaftsdienst verrichten.
Ich wette der Cheffe von dem Ding hier spielt sich währenddessen an den Eiern und tut sonst nix.
P.S.
Ich hab dem Kurier hierfür 5 Schachteln Zigaretten, ne Palette Dosenmais und ein halbvolles 9mm Magazin gegeben bevor ich ihn überzeugen konnte den hier mitzunehmen.
Die Penner nehmen einen echt aus."
Er hat nie eine Antwort auf den Brief erhalten.
Jackman legte die Seite wieder in die Ledermappe und nahm sich den nächsten Brief.
"Hallo Gabe,
lange nichts voneinander gehört.
Ich bin mittlerweile aus Page raus. Die Bauern hatten irgendwann keinen Bock mehr und haben den Laden ordentlich aufgeschmischt. Ich bin gerade so noch davon gekommen.
Ob du es glaubst oder nicht. Ich bin die Route 66 entlang und hab Zuflucht in einem National Park gefunden.
Die Leute hier sind richtig gut drauf. Leben mitten im Wald. Haben sich überall Häuser zwischen die Bäume gebaut. Da kommst du nur mit Strickleitern hoch.
Ich denke hier lässt es sich aushalten."
Auch auf diesen Brief erhielt Jackman nie eine Antwort.
Oft überkam ihn der Gedanke, dass Gabe nicht mehr lebte oder nicht antworten wollte.
Rational gesehen war das Schwachsinn. Aus Page verschwand er keine 2 Wochen nachdem er den Brief geschrieben hat und aus dem Park?
Jackman dachte nicht gerne daran zurück.
Schnell legte er den Brief zurück in die Ledermappe und griff sich die nächste Erinnerung.
Ein Foto. Ein Foto seiner Familie.
Lange und bedächtig blickte er in die Gesichter an die er sich kaum noch erinnern konnte. Selbst wenn er die Augen schloss und sie sich angestrengt versuchte ins Gedächtnis zu rufen.
Das war das schwierigste gewesen. Das Gefühl ein herzloses Schwein zu sein welches sich nichtmals mehr an die Gesichter seiner Familie erinnern konnte und ein Foto als Hilfestellung brauchte.
Auch jetzt merkte der verbrauchte Geschichtenerzähler, wie sich ein schweres Gefühl über seinen ganzen Körper legte.
Wie sich seine Augen mit salzigen Tränen füllten und drohten auf das Foto zu fallen.
Schnell wischte Jackman sich mit seinem Ärmel über die Augen.
Er verstaute das Foto in seiner Mappe und griff zum nächsten Brief.
"Hallo Gabe.
Meine Fresse, halt Abstand von der Route 66.
Da fährt so eine verfickte Bikertruppe lang die sich ernsthaft alle für Ghost Rider halten.
Sagt dir das eigentlich was? Keine Ahnung ob du den Film gesehen oder die Comics gelesen hast.
Als hätte ich damals nicht schon genug Ärger wegen fucking Nicolas Cage gehabt.
Hab ich dir eigentlich erzählt wie ich damals mit zich anderen Schauspielerin in Australien in einer Villa Zuflucht gefunden habe? Das Ding war riesig, verglaste Außenfassade, begehbare Kühlschränke, ne große Garage und... so ein super geiles Motorrad auf einem Sockel. Ein Austellungsstück, affen geil.
Cage sind nur irgendwann die Sicherungen durchgeknallt. Hat sich einfach auf das Motorrad gesetzt und etwas darüber erzählt das der Ghost Rider die Armeen der Finsternis zerstören müsste.
Ist einfach durch eine Glasscheibe gebrettert und hat uns alle den Zombies ausgeliefert.
Jedenfalls... bleib weg von der Route 66. Die Typen sind ultra wahnsinnig. Einer von denen hat sich in Brand gesteckt als er mich gesehen hat und fuhr mir dann auf seinem Motorrad hinterher.
Während er brannte.
Ich zieh weiter Richtung Texas.
Lass mal von dir hören."
Jackman lächelte. Das war der erste Brief auf den er tatsächlich eine Antwort erhielt.
"Hey Hugh.
Man. Du machst nur Scheiße, weisst du das?
Den Jungs, den Mädels und mir gehts echt prima.
Diese bescheuerten Siedler haben wirklich Probleme mit dem Benzin bekommen. Genau wie du gesagt hast.
Sind vor 2 Wochen ausgeräuchert worden.
Die Plünderer sind dann bei uns abgestiegen und haben ein paar Sachen da gelassen und sind friedlich abgezogen.
Ich sag ja. Wir sind von der Gunst der Leute abhängig, aber ich bin guter Dinge.
Wenn du mal wieder an die Westküste kommst gib mir vorher Bescheid.
Gabe"
Es waren nur wenige Worte aber... das reichte ihm damals und heute. Er kannte Gabriel nicht lange, aber es erleichterte ihn, dass er lebte. Auch wenn er jetzt schon länger nichts mehr von seinem Freund gehört hatte, irgendwie war er sich sicher, dass der kleine Franzose noch atmete.
Jackman steckte den Rest seiner Sachen wieder in die Ledermappe.
Aus dem Gewusel schauten nun noch ein paar Kettenglieder heraus die er noch einmal in die Hand nahm und an ihnen zog.
Es kamen drei Anhänger zum Vorschein. Drei Erkennungsmarken wie man sie vom Militär kannte.
Die Bleche waren selbst gestanzt und mit verschiedenen Namen bedruckt.
"Jackman, Hugh"
"Lancaster"
"Sydney"
Seine Hand umklammerte die drei Marken fest, die Bleche bohrten sich in seine Handflächen.
Das war das Letzte was er von Gabe bekommen hatte.
Keine Ahnung wo der Junge die Teile hergenommen hatte. Aber er hatte sie für ihn angefertigt.
Sydney... so hatte er sich zwischenzeitlich genannt.
Nach dem Ort wo er geboren wurde.
Lancaster...
Der Ort wo sein neues Leben in den Staaten began.
Jackman ließ die Anhänger zurück in die Mappe gleiten und verschloss sie wieder. Wickelte den Faden wieder um das Leder herum und verstaute seine gesammelten Erinnerungen in seinem Rucksack.
Er griff wieder zu seinem Flachmann und nahm einen weiteren großzügigen Schluck. Sein Blick schweifte wieder über San Antonio. Vom Alamodome hin zum Forschungszentrum und wieder zurück.
Regel Nummer 17. Sei kein Held.
Das war eine Regel aus einem großartigen Zombiefilm. Der Hauptcharakter Columbus liebte seine Regeln und hielt sich stoisch an sie. Bis er eine Familie fand.
Für Wichita, sein Love Interest, hatte er die Regel gebrochen weil er erkannte, dass manche Umstände es wert machten sein Leben in die Waagschale zu werfen und das unmögliche zu versuchen.