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Krieger
Jetzt warte doch, wollte Jäger ihr hinterherrufen, dann setzte aber Howard zum Sprechen an, der Älteste in der Gruppe und wenn ein Älterer das Wort ergreift, dann hat man zuzuhören. Dieser Respekt wurde ihm als Grünschnabel eingebläut und gilt nach wie vor. Jäger folgte Evi mit den Augen, als sie langsam hinter dem Wagen verschwand, mit dem sie die Barrikade durchbrochen haben. Aber welchen Unterschied würde es überhaupt machen, wenn er ihr nachläuft und mit seinem dicken Akzent den Mund erneut aufmacht. Er besann sich wieder auf die alles verschlingende Leere, die ihn nach und nach aus dem Hier und Jetzt entfernen und durch die letzte Hürde tragen wird. Schmerz und Wut werden zu bloßen Vokabeln, diese Gesichter, an die er sich so sehr gewöhnt hatte, wie an die Gesichter seiner Basa-Leute von damals, waren dabei zu ausdruckslosen, nicht unterscheidbaren Figuren zusammenzuschrumpfen, die sich taktisch auf einem Spielfeld positionieren werden. Und Jäger wird genauso einer von ihnen sein. Ein Bauer auf dem riesengroßen, tödlichen Schachbrett.
Die Wahrheit lag nicht in Worten, sondern in Taten. Unabhängig davon, wohin sie nun aufbrechen, was zählt ist ein kühler Kopf und die Bereitschaft alles zu geben. Die Gruppe hatte sich offenbar entschieden, auch wenn so mancher noch schwieg. Frank blickte aufmerksam in die Runde, beobachtete die Leute, hörte zu. Es war nicht schwer einzuschätzen, welchen Weg er einschlagen wird. Auch Jackal hatte sich mit verschränkten Armen zu ihnen gestellt, hörte zu, wägte ab. Für ihn, der selbst in Gefangenschaft gesessen hatte, durfte es ebenso nur eine Option geben. Und der Chef. Tja, seine Einstellung hat er bereits geäußert. Genau genommen betrieb Jäger gepflegte Insubordination, indem er den Worten des Skippers widersprach. Es hieß wir gehen gen Osten, also gab es keine Diskussion. Der alte Bog hätte Jäger dafür schon längst bis zum Hals in der Erde vergraben lassen und seinen Kopf mit eiskaltem Wasser besprüht. Aber er musste es einfach versuchen. Er musste zur Vernunft aufrufen, die Situation erforderte dieses Mal keine Maschine, die Befehle ausführt, sondern jemanden, der widerspenstig hinterfragt. Selbst wenn er damit gegen den wichtigsten Codex seines Lebens verstieß.
Nachdem Howard geendet hatte, verharrte Jäger nachdenklich auf seinem Platz. Ja, eine kontrollierbare Armee der Untoten stellte eine ganz eigene Gefahr dar. Aber es gab genug Überlebende, um sich gegen sie zu stellen. Kampferprobte Veteranen, die noch ziellos durch die Gegend streifen und einfach nur überlebten, oder gar Gruppen wie diese eine war. Sie würden sich zusammentun um den Rest zu beseitigen nachdem Adam sein Ding vollführt hatte. Sie würden sich ihnen entgegenstellen und keine eigenen Opfer scheuen, die Welt ein für alle Mal von der Plage zu befreien. Doch damit sie eine Chance hätten, lag es an ihnen, den Freiwilligen aus Shengs Hope, den ersten Schritt zu tun, dafür zu sorgen, dass mit jedem gefällten Untoten keine zehn Neue auf die Beine kommen. Ist der Virus ausgelöscht, wird es eine Frage der Zeit sein bis die Armee der Untoten durch den Kampfeswillen der Lebenden zusammenschrumpft und schließlich wie eine welke Blume verkümmert. Das alles und noch mehr hätte Jäger gerne gesagt, aber mit seinen Worten hätte er noch mehr Leute verletzt. So kurz vor der finalen Schlacht ein unverantwortliches und furchtbares Ding. Wenn schon Worte, dann sollten sie inspirieren, nicht entmutigen. Damit hielt er seinen Mund. Die Entscheidung stand längst fest, und er tat gut darin, sich mit ihr anzufreunden. Wenn die totale Apokalypse hereinbrechen sollte, werden wir alle wenigstens vereint sein und sich dem nahenden Ende gemeinsam entgegen stellen. Unter anderen Umständen wäre es ein schöner Gedanke gewesen, aber sein Herz war längst nicht mehr dafür empfänglich.
Dennoch hoffte er auf eine Gelegenheit, mit Evi allein zu sein. Hatte er ihr nicht einst das Leben gerettet? Waren sie nicht dabei in die Höhle des Löwen hinabzusteigen? Wenn es einen von ihnen erwischen sollte, werden dies die letzten Worte sein, die sie miteinander gewechselt hatten? Er rieb sich müde die Augen. Jeder schien nun seinen eigenen Gedanken nachzuhängen, kein Wort wurde gesprochen, man hörte nur den Wind, der durch die leerstehenden Häuser pfiff, und irgendwo in der Ferne stöhnte leise der Tod, lockte sie in sein Reich, wo er alle Karten in der Hand hielt. Jäger griff in das Innenfutter seines Pullovers und zog Evis Flachmann hervor. Das Fläschchen lag leicht in seiner Hand, die schwungvollen Verzierungen waren etwas verblasst, aber die sorgfältige Hand, die sie vor langer Zeit eingeprägt hatte, war immer noch in ihnen zu erkennen. Trotz der schwachen Sonnenstrahlen, glänzte es wie ein zwinkerndes Auge.
Geändert von truecarver (17.10.2015 um 18:51 Uhr)
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