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Krieger
Allmählich arbeiteten sie sich vor, von den sumpfigen Feldern bis in den angrenzenden Wald. Die Wirkung des tödlichen Gases war nicht zu übersehen, selbst auf dem schwach vom Mond erleuchteten Schlachtfeld und dem markerschütternden Krach um sie herum, wirkte sein Einfluss nur zu deutlich auf den Feind. Evi und Jäger pirschten von Baum zu Baum, duckten sich hinter hüfthohen Sträuchern, umzingelten die desorientierten Sabalkämpfer um aus dem toten Winkel die Klingen in ihren Körpern zu versenken. Waren sie tatsächlich alle Kämpfer? Jäger hatte seine Zweifel. Er massakrierte Frauen, die sich in schierer Agonie den Bauch hielten. Vom Alter gekrümmte Rücken, gebogene Silhouetten im Mondlicht gingen wie gefällte Bäume zu Boden, als er und Evi sie methodisch niederstreckten. Seine eigenen Worte kamen ihm in den Sinn: Jetzt ist keine Zeit für Moral, die hebt man sich für sichere Zeiten auf. Er erstickte den aufkeimenden Zweifel in seinem Bauch, forcierte ihn zurück in das unendliche Labyrinth seiner Eingeweide. Die Kletteraxt kannte keine Moral. Sie bohrte sich gierig in die Weichen Körper, trug das Blut der Gefallenen von einem Leib in den Nächsten. Jäger hatte das Gefühl, es war nicht sein Arm, der die Axt führte, sondern die Axt selbst, die ihn hinter sich her zog, die seinen Blutrausch nährte. Erneut schlug er zu, erlegte irgend jemanden, irgend einen der ihm in die Quere kam. War wohl der Sohn einer Mutter, der Stolz eines Vaters, vielleicht die Liebe einer Frau. Jetzt nur noch ein Beutel mit Därmen, Flüssigkeiten und dem Gift, das darin rumorte. Mit aufgerissenem Maul lag er zusammengekrümmt auf der weichen Erde, die Pupillen nach oben gerichtet zum teilnahmslosen Mond, als wolle er ihn um Hilfe anflehen. Freiwild. Heimatlose Hunde. Jägers Blick fiel auf Evi, die in dem Moment einen gesichtslosen Sabal mit einem heftigen Tritt in den Unterleib zum Stürzen brachte. Schnell warf sie sich auf ihn drauf und drückte das Beil mit beiden Händen auf seinen Hals, während er sich verzweifelt dagegen stemmte. In der Position hatte er keine Chance. Die scharfe Klinge kam immer näher, überwand nach und nach den Widerstand, presste sich auf die blasse Haut bis von dem panischen Schrei nur noch ein flehendes Wimmern übrig blieb. Er gab auf. Die Klinge bohrte sich mit einem heftigen Ruck in den Hals, drang bis zur Hälfte an die Luftröhre und bleib ruckartig stecken.
Ein Schlag traf Jäger am Kopf. Er taumelte einige Schritte vorwärts, hielt sich den schmerzen Scheitel mit der Hand. Hinter sich vernahm er eine Bewegung und reagierte, wich dem nächsten Schlag aus und brachte sich in Position. Vor ihm stand ein Berg von einem Mann. Unter den abgerissenen Ärmeln zeichnete sich ein gigantischer Bizeps ab. Der Kopf war kahlgeschoren, darunter verdeckte ein verfilzter schwarzer Bart das hässliche Gesicht. Erneut holte er aus und schwang die Pranke in Jägers Gesicht. Der Angriff war brutal, unüberlegt, aber mit einer Kraft, die den Schädel eines normalen Menschen wie eine Wassermelone zerschmettern konnte. Für einen Riesen war er schnell, zu schnell befand Jäger und wich den Schlägen aus so gut er konnte, beharrlich die Gelegenheit abwartend, selbst zuschlagen zu können. Doch dieser Moment kam einfach nicht, die Arme schossen hervor, boten keine offene Stelle für einen Gegenschlag. Jäger sprang von einer Seite zur Anderen, bohrte die Spitze seiner Kletteraxt immer wieder in die großen Fäuste und die breiten Unterarme. Er hatte das Gefühl mit einer Nadel auf ein Nadelkissen einzustechen. Der Andere verzog keine Miene, während Jäger ihm die Wunden zufügte. Als er seitlich neben ihm zum Stehen kam bei dem Versuch, ihn schnell genug zu umkreisen um den ungeschützten Rücken zu treffen, fiel ihm etwas Sonderbares ins Auge. Der Riese war nahezu blind. Mehrmals schlug er in die leere Luft, dorthin wo er Jäger vermutete. Das Sarin hat seine Wirkung also nicht ganz entfalten können. Seine Körpergröße muss die Wirkung verlangsamt haben und die wilde Bestie wusste nicht wo genau sie ihren Blutrausch abladen konnte. Jäger zwang sich innerlich zur absoluten Ruhe. Er trat einige Schritte zurück, darauf bedacht, kein Geräusch zu machen. Der Waldboden war ihm so vertraut, es war die Bühne auf dem er seit Kindheitstagen das militärische Ballett aufführte. Der Andere stand mit dem Rücken zu ihm gewandt und schlug immer noch wild um sich. Dann presste er die Hände aufs Gesicht und ein gutturaler Schrei entwich seiner Kehle, als das Gift sich nach und nach im Körper ausbreitete und ihm die Sinne raubte. Es war Zeit dem ein Ende zu setzen. Jäger preschte leichtfüßig los, die Axt würde in wenigen Augenblicken das Blut seiner Leute in den hünenhaften Körper tragen. Unter seinen Stiefeln knackte ein Stock. Sofort richtete sich der Riese wieder auf, drehte sich blitzschnell um die eigene Achse und holte aus. Jäger konnte in letzter Sekunde ausweichen, duckte sich unter den mächtigen Schlag und legte die ganze Kraft in seinen Eigenen. Die Axt sauste durch die Luft und zerschnitt mit einer gezielten Bewegung die Achillessehne. Das Bein knickte leblos ein und er fiel wie ein Burgturm in sich zusammen. Jäger richtete sich schwer atmend wieder auf. In den Schläfen pochte es und er mochte das Gefühl. Der Sterbende brüllte mit heiserer Stimme, wand sich auf dem Boden wie ein umgestürztes Pferd, das nicht mehr aufstehen konnte und begann sich das Gesicht mit den Nägeln aufzukratzen. Ob das Gas dran schuld war oder die Verletzung, vermochte Jäger nicht mehr zu sagen. Auf dem Gesicht bildeten sich blutige Linien, während die Finger unablässig über die Haut fuhren, schneller und immer schneller.
"Willst du es zu Ende bringen, oder soll ich?", hörte er plötzlich Evi hinter sich sagen. Sie stellte sich neben ihn und folgte seinem Blick. Auch sie war außer Atem, in ihren Augen lag ein wilder Glanz, das Gesicht war mit roten Punkten besprenkelt, die an einigen Stellen zu ausgefransten Flecken zusammenliefen. Sie schauten einander an und fanden in ihren Gesichtern die Augen von Jägern, die über ihrer Beute kreisten, kurz bevor sie sich auf ihn stürzten.
Jäger hob ein letztes Mal seine Axt in die Luft und die rote Farbe des Metalls glänzte im Mondlicht.
Geändert von truecarver (29.09.2015 um 11:31 Uhr)
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