Vor der Schlacht spürte Evi ihr Herz hart gegen ihre Brust hämmern, aber irgendwie fühlte sie sich trotzdem seltsam ruhig. Um sie herum waren Mensch, von denen sie sich beinahe gut behütet abgeschirmt fühlte. Frank konnte sie nicht sehen, aber sie wusste, dass er sie alle schützte so gut es ging. Hinter sich spürte sie fast die Wärme von Voodoo, der erwartungsvoll summte und wartete. So wie viele Vultures - darunter irgendwo natürlich auch Seeker und Léo. Sogar Needles wagte sich in die Schlacht, und sie suchte seinen Blick häufig, weil sie ihn beruhigen wollte und es auch sie selbst beruhigte, ihn anzusehen. Und noch etwas weiter rechts von ihr konnte sie Jäger erblicken, der konzentriert wirkte. Als sie kurzen Blickkontakt aufbauten, nickte er ihr entschlossen zu, und sie erwiderte die Geste. Sie waren in diesem Moment nicht mehr die Menschen, die sie kannten. Sie waren nun Krieger, völlig auf die bevorstehende Schlacht konzentriert.
Ein paar unspektakuläre Szenen später - Vincent und das Sarin hatten gute Arbeit geleistet - gab es dann plötzlich ein fulminantes Rattern, das in den Bäumen knallte wie Dynamit. In dieses mischte sich schließlich Seekers schrilles Trällern, und Needles wirkte nicht mehr so nervös. Er schnippte mit dem Finger gegen sein Ohr, und Evi tat es ihm grinsend gleich.
Und dann passierte es.
Evi sah, wie er fiel, und es kam ihr vor, als würde er ewig fallen. Sie wusste, dass sein Kopf gleich hart auf den Boden knallen würde, seine Arme regungslos neben ihm zum liegen kommen würden, und er nicht mehr aufstehen würde. Aber alles was sie sah war, wie seine Haare durch die Luft segelten, und sein Körper für den Bruchteil einer Ewigkeit zu fliegen schien - gemeinsam mit dem großen Vogel, oder der gefiederten Schlange.
Trotz des Kampfgetümmels, den Schussgeräuschen und den vielen Rufen und Schreien hörte sie genau, wie Needles auf dem Grund aufkam.
Und dann sah sie geschockt auf, sah den Mann, der dies getan hatte, und ein Schwall aus heißer Wut bäumte sich in ihr auf. Von irgendwo hörte sie Stimmen und weitere Schüsse, und um sie herum bewegten sich schemenhaft die anderen, tapferen Kämpfer. Aber Evi nahm nichts mehr wahr, hörte nichts mehr, fühlte nur brennende Tränen in ihren Augen und den Drang, einen lauten Schrei loszulassen. Sofort stürmte sie los, ihr Beil hatte sie noch nie so schnell gepackt, wie in diesem Moment, und mit nie vermuteter Kraft sprang sie wie eine Wildkatze auf ihren Gegner. Dieser Mann... dieser Kerl... dieser •••••••.
Der ••••••• war überrascht, wich aber schnell genug zur Seite, dass Evi stolperte. Aber diesmal verschwendete sie keinen Gedanken daran, dass sie irgendeinen Ersatzplan brauchte. Ihre Gedanken waren voll von einer tiefen Verzweiflung, deren Schmerz sie mit Hass verwechselte. Sie rappelte sich gar nicht erst auf, sondern haute ihr Beil mit aller Wucht in die Ferse dieses Mörders. Er verzog das Gesicht vor Schmerz und sackte etwas in sich zusammen, und sofort hieb Evi in seine Kniekehle. Sie spürte einen kurzen Widerstand, der schließlich wie eine Scherbe zersplitterte. Der Gegner ging nun in die Knie, und ohne zu zögern hob sie erneut ihre Hand, traf aber erst nur heftig seine Schulter, weil sie nicht mehr geduldig genug war, genau zu zielen. Sie hatte alle Mühe, das Beil wieder aus dem harten Knochen zu bekommen, so eine Kraft legte sie in ihre Schläge, und währenddessen traf sie irgendetwas Hartes.
Es drehte sich plötzlich die ganze Welt um sie herum. Ihr Blick war nach oben gerichtet, ihr Kopf tat weh, und ihr Hintern auch irgendwie. Als Evi erkannte, dass sie offensichtlich unversehrt war, richtete sie sich schnell auf und sah, dass Jäger sich auf einen anderen Sabal gestürzt hatte. Seine Hand hing in einem merkwürdigen Winkel von seinem Arm, neben dem eine tiefschwarze Pistole lag. Sie konnte noch nicht richtig verarbeiten, was geschehen war - Jäger hatte sie wahrscheinlich gerettet und genau im richtigen Moment aus dem Schussfeld eines Gegners gestoßen - , denn alles was sie wollte, war den ••••••• zu erledigen. Sie hatte es nun satt.
Mit einem wütenden Zischen beim Ausatmen trat sie zu dem Mann, der vor Schmerzen wimmerte, und zog ihm das Beil energisch aus der Schulter. Diesmal klappte es sofort. Voller Hass blickte sie ihn an, und bevor ihre Klinge im Nacken des verdammten Mörders landete, flüsterte sie: "Du hast meinen Bruder getötet."
Als sie nun wieder versuchte, das verdammte Beil aus dem nun leblosen Körper zu ziehen, tropften heiße Tränen auf ihre Hand und auf den Nacken des Toten, wo sie sich mit Blut vermischten. Plötzlich fühlte sie sich schwach, und sie wollte nichts weiter als zu Needles. Sie wollte ihm erzählen, dass sie ihn gerächt hatte, und sich einfach neben ihn legen, damit er nicht einsam war.
Doch schon nach kurzer Zeit kam Jäger, zog mit einem Ruck an ihrem Beil und zerrte sie forsch ein Stück weiter. Er hatte überall kleine, rote Spritzer, von denen wahrscheinlich keiner aus seinem eigenen Blut bestand. "Niemals ablenken lassen, du weißt doch?", gab er unter knirschenden Zähnen hervor, während er verwirrt ihre nassen Wangen betrachtete. Nun begann Evi völlig unkontrolliert zu weinen. "Aber er war mein Bruder! Er ist nur für mich in diesen Kampf gegangen! Wie soll ich denn jemals..." Sie verschluckte sich beinahe an ihrem eigenem Schluchzen, und Jäger patschte ihr kurz etwas unbeholfen auf den Rücken.
Aber er hatte keine Zeit zu warten, bis sie sich von selbst beruhigte, also packte er die Taucherin gleich danach fest an den Schultern und sah ihr ernst in die Augen. "Nicht jetzt, später. Er nicht gewollt hätte, dass du nicht kämpfst und alles gibst. Du warst doch stolze Kriegerin in seine Augen, oder? Du jetzt bist nur Haufen Elend." Die Taucherin schluckte. Sie musste das Bild abschütteln, das ihr stets im Kopf herumtanzte. Das von Needles, wie er ihr den Nagel gegeben hatte. Oder den Schmuckgürtel. Oder den Spiegel. Wie er ihr das Tattoo erklärt hatte. Aber Jäger hatte recht. Nagelohr war stolz gewesen ihr Bruder zu sein, weil sie eine Kriegerin war. Teeth Vulture. Und Vultures weinten nicht. Vultures kämpften.
Evi nickte dem Russen, der währenddessen wachsam die Umgebung gemustert hatte, langsam zu. "Du hast recht. Danke." Entschlossen atmete sie durch. Ihr Hände zitterten, aber sie ballte sie zu Fäusten und dann gab Jäger ihr ihr Beil zurück. Nicht jetzt. Später. Wenn alle Gegner besiegt waren, würde sie trauern und sich ordentlich verabschieden. Ich stecke für dich ein, ja? Und du steckst für mich ein. Kein Problem." Evi schaffte ein leichters Lächeln und legte dem Russen eine Hand auf seine Schulter. "Dann bin ich jetzt dran."
Und damit stürzten sich die beiden wieder ins Gefecht, Seite an Seite, damit sie sich gegenseitig den Rücken freihalten konnten.