Der gesamte Ausgang des Angriffs hing von ihnen ab. Die gesamte Mission hing davon ab, ob er im richtigen Moment das Richtige tun konnte wenn es darauf ankam. Will saß in den Schatten im Flur, den Blick starr auf die Tür gerichtet durch die Eryn vor gefühlten Stunden verschwunden war. Sein Herz schlug so schnell und stark, dass es sich anfühlte als würde es gleich in seiner Brust explodieren. Blödsinn.
Eryns schlanke Gestalt erschien im Türrahmen. Sie sah unverletzt und, den Umständen entsprechend, zufrieden aus. Ihre Blicke trafen sich und Eryn lächelte ihn an. Will erwiederte ihr lächeln und eine riesige Last fiel von ihm ab. Die junge Frau hob grad ihre Hand und streckte ihm ihren Daumen entgegen als sich die Tür zum Labor des Doktors mit einem lauten quietschen öffnete und zwei Personen den Flur betraten. Wills Sicht schien zu verschwimmen und sein Körper fing an Adrenalin in seine Venen zu Pumpen. Eryns Blick wurde panisch und sie versuchte sich unter dem Tisch, an dem die beiden Wachen Karten gespielt hatten, zu verstecken. Doch es war zu spät. Sie hatten sie bereits gesehen.
"WILL!"
Die weibliche Wache, die von ihrem Kameraden beim Kartenspielen ausgetrickst wurde, zog eine Pistole aus ihrem Hosenbund und richtete die Waffe auf Eryn, bereit ihr eine Kugel durch den Körper zu jagen. Will spürte den Schmerz bevor er realisiert hatte was passiert war. Von der Frau war ein nervenzerreißender Schrei zu hören während sie auf den alten Holzboden zusammenbrach. Der Rückstoß seiner Waffe hinterließ ein brennendes Gefühl in seiner Schulter. Der Doktor der Sabals trat aus der Tür und stürmte mit einem schrillen Kampfschrei auf Will zu. Hinter ihm konnte Will sehen wie Eryn ebenfalls losgelaufen war, jedoch von der am Boden liegenden Frau von den Füßen gerissen wurde. Das Gewehr am Anschlag war Will diesesmal bereit zu töten. Der Doktor lief direkt auf ihn zu. Er würde ihn nicht verfehlen können. Will betätigte den Abzug.
Klick.
Dann spürte er wie die Faust des alten Mannes ihn direkt ins Gesicht traf. Will klammerte sich an das Gewehr während der Doktor fast im Wahn daran riss und zog und ihn wüst beschimpfte. Will trat und schlug nach seinem Kontrahenten. Er durfte die Waffe nicht bekommen. Im Hintergrund konnte er die beiden Frauen kämpfen hören. Eryn. Der Doktor hatte eine Hand an der Waffe und Will rutschte auf den Abzug. Eine Salve löste sich aus dem Lauf des Gewehrs und donnerte in die Decke über ihnen. Wills Ohren klingelten und als das grauenhafte Geräusch wieder verschwunden war hörte er von weiter hinten das Geräusch wie Metall Fleisch zerschnitt und das Gurgeln von Blut. Eryn schrie.
Der Doktor verpasste ihm einen letzten Schlag welcher Will die Brille aus dem Gesicht schlug und seine Hand von dem Gewehr löste. Mit einem dreckigen Lächeln im Gesicht stand der wahnsinnige alte Mann über ihm. Er hätte sich denken können das es so enden würde. Henry hatte ihn gewarnt sich auf diese Leute einzulassen. Er hatte ihn gewarnt, dass es außerhalb der schützenden Mauern von Shengs Hope nur Gewalt und Tod gab. Aber er hatte ja nicht hörten wollen. Er hatte sich ja unbedingt beweisen wollen, dass er mehr war als der Sohn von Henry Daugherty, dem versoffenen alten Doktor, der es nicht geschafft hatte seine Frau zu retten weil er zu besoffen war. Dass er mehr war als der höfliche junge Mann. Dass er mehr war. Dass er jemand war. Er wollte Freunde finden, ein Ziel im Leben haben. Und genau diese spätpubertäre Ignoranz hatte ihn hier her gebracht. Hatte Eryn das Leben gekostet. Der ersten Person die er als Freund bezeichnet hätte. Sie hatte ihm Vertraut und ihr Leben in seine Hände gelegt und er war zu schwach um sie zu beschützen.
Will sah in den Lauf des Gewehrs. Seine Sicht war verschwommen, die Brille lag neben ihm auf dem schmutzigen Boden. Blut rann ihm aus dem Mund. Er hatte nie über seinen Tod nachgedacht. Es war ein unbefriedigendes Ende.
Wie in Zeitlupe konnte er sehen wie die Miene des Doktors von einem wiederlichen Lächeln zu einer wahnsinnigen Fratze mutierte. Er legte das Maschienengewehr an. Den Lauf direkt auf Wills Stirn gerichtet. Will ließ seinen Kopf nach hinten gegen die Wand fallen und begann zu lachen. Er lachte so laut wie er es seit Beginn des Untergangs der Welt nicht mehr getan hatte. Er lachte über sich, über seinen nutzlosen Vater den er über alles vergötterte, über Eryns Dummheit ausgerechnet ihm zu vertrauen und über die Anderen die draußen darauf warteten, dass sie zurück kamen. Und während er lachte liefen ihm die Tränen in Sturzbächen über das schmutzige, blutige Gesicht.
Der Sabal Doktor fing an manisch zu lachen und sein Finger berührte den Abzug. Es war vorbei. Will schloss die Augen. Sein Leben war vorbei bevor es begonnen hatte.
Dann hörte Will anstatt des sich lösenden Schusses ein knacken, wie dem Doktor das Lachen in der Kehle stecken blieb und sich in ein schmerzhaftes Stöhnen verwandelte. Er öffnete schlagartig die Augen. Vor ihm stand nicht mehr der verückte Wissenschaftler sondern Eryn. Blutig und zerschunden aber lebendig. Sie wurde von der schwachen Lampe an der Decke wie eine mystische Gestalt beleuchtet und Will tastete erneut nach seiner Brille. Er setzte sie hastig auf und tatsächlich. Dort stand sie. In der linken Hand ein blutiges Messer und nun in der rechten das Gewehr, welches der Doktor eben noch an seine Stirn gehalten hatte.
"Eryn wie hast du..."
Der Sabal lag am Boden und rührte sich nicht. "Lass uns gehen." Sie streckte Will die Waffe entgegen und lächelte.