Evis Wurf war perfekt und der alte Mann war mit einer Geschwindigkeit auf den Beinen, die die Taucherin einem Mann seines Alters wahrhaftig nicht zugetraut hätte.
Dabei wischte er das Buch vom Tisch und es lag genau vor Evi. Es war die Bibel. Abgegriffen und vergilbt, fast zerfleddert.
Für einen Bruchteil einer Sekunde war sie sich sicher, dass der Mann sich danach bücken würde und sie sehen musste, so offensichtlich sie hier kniete. Für sie war es eine Entscheidung von Leben und Tod, für den alten Mann vielleicht auch, denn anstatt sich danach zu bücken, ging er direkt auf den Vorhang zu und grummelte: „Ich bin am Schlafen. Ich brauche Kraft für heute Nacht…“
Und damit war er aus dem Raum verschwunden, ebenso wie der Korkenzieher, den sie wohl niemals wiedersehen würde. Ein verlorenes Andenken an Shengs Hope und die bar des Dusty Derreck.
Mit klopfenden Herzen kam Evi wieder draußen an und erneut stellte sich ihr die Frage, ob es Sinn machen würde, eine weitere Erkundung zu starten oder den Rückzug anzutreten. Doch dann sah sie wie sich die Gruppe um Lancaster und der augenscheinlichen Anführerin der Plünderer auf den Weg Richtung Lager machte.
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Haile hatte endlich was sie brauchte und während sie noch über das seltsame Schauspiel und die für sie so vollkommen unverständlichen glücklichen Gesichter der beiden Vultures nachgrübelte, versuchte sie abermals zu der Hütte mit den Gefangenen zu kommen.
Probe Haile: Parcourläufer: Bestanden! (erleichtert durch Ablenkung)
Die Kultistin musste einsehen, dass es deutlich komplizierter war, mit einem Mitbringsel wie einem Eimer voll Wasser zu balancieren und zu schleichen, doch da die meisten der Vultures abgelenkt schienen, gelang es ihr.
Als sie wieder in der aufgeheizten Hütte angekommen war, war der Mann, mit dem sie vorher gesprochen hatte, wieder ohnmächtig geworden. So wie sie es aus dem Tempel gewohnt war, wenn Diener sich um sie kümmerten, benetzte sie ihren Finger mit der Flüssigkeit und verstrich diese langsam auf den aufgesprungenen Lippen des Mannes, der darob sofort die Augen aufschlug und sie erkannte. Noch hatte er den Knebel im Mund, noch immer war sein linkes Auge von verschorftem Blut bedeckt, doch sein rechtes Auge folgte jeder ihrer Bewegungen und obschon er so kaum trinken konnte, war das Wasser an seinen Lippen wohl schon eine Wohltat.
Haile hörte dann Gelächter und Gerede von draußen, die Unterredung mit Lancaster schien offensichtlich zu Ende. Und für sie würde es nun ein heißes Pflaster werden, denn in ihren Augen waren dies Opfer und somit hatten sie durchaus einen nicht zu verachtenden Wert für die Vultures. Sie loszubinden und zu befreien, hätte sicherlich einen vernichtenden Effekt auf die Moral der Plünderer. Auf der anderen Seite wusste sie nicht, wen sie da befreien würde. Die Männer hatten Narben, waren offensichtlich kampferprobt – und doch vollkommen hilflos.
Ihr war klar, dass sie – sollte sie den Rückzug planen – ihn jetzt antreten musste.
a.) Fliehen, bevor Seeker und ihre Truppe zurück kehren. (erleichterte Probe)
b.) Die Männer befreien, sie jedoch stützen und ihnen helfen (Normale Probe + Haile Probe auf Packesel)
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Seeker hatte schließlich eingewilligt und Eryn, Leo und Lancaster in die Halle eingeladen.
Die drei Reisenden mussten und konnten nur hoffen, dass sich ihre Verbündeten bereits aus dem Staub gemacht hatten, denn die Drei wurden wie in einem Triumphzug ins Lager begleitet, wobei sich die jungen Männer wie wild gegenüber Leo und vor allem Eryn gebärdeten, als wollten sie unbedingt deren Aufmerksamkeit erregen, während Seeker jede Annäherung an Lancaster mit einer herrischen Geste unterband, die sich nicht anders als „er gehört mir.“ interpretieren ließe. Eine Beobachtung, die auch Leo machte und die ihr unmöglich entgangen sein konnte.
Schließlich waren sie die vielleicht 300 Meter zum Lager gelaufen und während sich Lancaster nach Spuren ihrer Verbündeten umsah, jedoch weder Evi noch Haile erkennen konnte, wurde seine Aufmerksamkeit wieder auf Seeker gelenkt, die unwirsch seinen hin- und herschwingenden Kopf mit beiden kräftigen Händen packte und auf die Scheune richtete. „Dies ist meine Halle. Von hier aus führe ich die Kriegszüge der Meinen an. Zutritt ist nur Denen erlaubt, die selbst einen Clan anführen und natürlich ihren engsten Verbündeten und Freunden.“ Sie taxierte wieder Eryn und Leo.
Sie wurden flankiert, als sie die mit Schädeln und Federn geschmückte Scheune betraten und waren überrascht, als sie drinnen eine Art seltsame Gemütlichkeit ausmachen konnte. Es war zwar unerträglich heiß in dem hölzernen Gebäude, vor allem weil lange Stoffbahnen die Wände drapierten, auf Denen sich mit schwarzer Farbe zahlreiche Zeichnungen befanden, die allesamt verschiedene Szenen zeigten, die sich jedoch alle unterschieden. Viele waren kriegerischer Natur, einige zeigten offensichtlich Paare, die einander Lust schenkten, andere waren Ansammlungen von Gruppen und eines davon zeigte – sofern es sich erkennen ließ – einen stilisierten Mann, der so etwas ähnliches wie ein Krokodil niederrang. Der Boden war aus festgestampfter, in der Mitte stand ein Tisch, auf dem sich neben allerlei seltenen Köstlichkeiten wie Obst und Gemüse auch einige aus Dosen geschnittenen und entgrateten Bechern und Wasser fand. Und natürlich Schnaps, Lancaster und Eryn erkannten sofort, dass es sich dabei auch um Flaschen aus dem Derrecks handelte, die ihren Weg durch seltsame Windungen des Schicksals hierher gefunden hatten. An den Wänden und auf dem Tisch, vielleicht überall waren Klingen zu sehen, sowie eine erkleckliche Sammlung ausgestopfter Tiere, mehrheitlich Vögel, die überall drapiert waren und vor Denen sich kleine Schalen mit Opfergaben befanden. Der Vergleich mit einem religiösen Gebäude drängte sich sofort auf…
Lancaster sah nach links, als er einen älteren Mann einen Vorhang beiseite schieben sah, der überrascht aufblickte, als er Gäste sah. „Vater, du bist wach?“, sagte Seeker fröhlich und doch mit einem seltsamen Lauern in der Stimme, als wolle sie ihm Ungesagtes unterstellen. Doch dieser beachtete sie nicht und blickte Lancaster an und die beiden alten Männer, die umgeben waren von Menschen, die mehr als doppelt so jung waren wie sie selbst, maßen einander mit Blicken.
„Wie kannst du hier leben wo du weißt, dass die Welt anders war?“, schienen Lancasters Augen zu fragen, wissend, dass dieser alte Mann die Zeiten vor dem großen Zehren erlebt haben musste, ja, wahrscheinlich sogar intensiv erlebt hatte, so gute Zähne wie er hatte und so fein wie sein Gesicht war. Wache Augen blickten Lancaster nun an und er sagte dann: „Seeker. Wir haben Gäste?“ „Neue Verbündete, Vater. Laangkaster von den Hope’Ari.“, kam es sofort von der Frau wie aus der Pistole geschossen und plötzlich wirkten ihre Züge ganz weich und sanft und es war Liebe im Blick, als sie den alten Mann maß, der sicherlich nicht ihr biologischer Vater war. „Ich bin Pray Vulture, Verbündete.“, stellte er sich vor und lächelte. „Wir sollten reden, ich kann helfen zu verstehen, Lancaster.“, wisperte er im Vorbeigehen Lancaster zu, nicht unbedingt unhörbar leise für jeden Umstehenden, aber doch leise genug, damit Seeker es nicht hörte, die mittlerweile mit einer herrischen Geste lachend einige Sachen vom Tisch fegte und ihre Gäste sich zu setzen wies. Pray war mittlerweile eine große Treppe in das Dachgeschoss der Scheune gegangen, seine Schritte zeigten, dass er möglicherweise auf einen Balkon ging.
„Ihr kommt in guten Zeiten, Hope’Ari.“, sagte sie und bleckte die Zähne. „Es gibt viel Krieg und jeder Tag will von uns, dass wir uns beweisen. Die Vögel singen vom letzten Krieg, den wir gemeinsam kämpfen müssen.“
Lancaster erhob sich und sagte mit fester Stimme: „Wir sind hier um Handel zu treiben.“
Seeker zeigte ihre Zähne und schnalzte abschätzig. „Wir handeln nur mit Verbündeten.“, sagte sie dann und wieder war ihr Gesicht dem seinen ganz nah, als sie sich abermals eines dieser langen Augenschlachten lieferten, in denen sie sich gegenseitig nieder zu starren versuchten. „Was wollt ihr haben?“, fragte sie dann lauernd, doch Lancaster wollte sich nicht in die Karten blicken lassen. „Artefakte der alten Welt. Kaum von Nutzen für einen so großen Clan. Etwas, womit sich kein Blut vergießen lässt.“
„Und warum dann Laangkasters Interesse?“, konterte sie und spielte mit einer geschliffenen Klinge in ihren Händen, die leicht gebogen war und sehr gefährlich aussah.
„Lass uns sehen was der Clan Vulture hat.“, kam von Lancaster entschieden und er stand auf. Seeker nickte und drehte ihnen abermals den Rücken zu, während sie aus dem Raum hinaus in einen kleineren Raum ging, in dem allerlei Waffen hingen, die Seeker sichtlich stolz lächeln ließen.
In diesem Raum war eine in den Boden gegrabene Treppe nach unten, sie führte in einen mit Holz abgestützten und ausgeschachteten Kellerraum.
Es war stockdunkel und die Drei konnten spüren, wie Seeker die Gelegenheit zu nutzen schien, wie zufällig an ihnen vorbei zu streichen, sie zu berühren, als wolle sie eine Art Fährte aufnehmen, als ginge es darum, sich einen Geruch einzuprägen. Dann klopfte sie an die Decke und von oben wurden einige Luken geöffnet, die sofort Licht machten und was die Drei sahen, wäre für Morris sicherlich ein Paradies gewesen: Was für sie Beute darstellte, waren Artefakte aus der alten Welt, Überbleibsel aus der Zeit, in der Lancaster ein anderes Leben gelebt hatte. Es waren wehmütige Boten, sie und es alles hier so versammelt zu sehen.
Es schien, als wären die verschiedenen Artefakte sortiert, über jedem Haufen an Beute befand sich eine Art Kenntlichmachung, die die Drei noch nicht verstehen konnten.
Dann wies Eryn aufgeregt mit dem Kopf in eine Ecke, die fast komplett im Dunkeln lag: Dort lag ein Stapel Autobattieren. Vielleicht halb so Viele wie sie brauchen würden.
Lancaster zeigte unauffällig an, dass er verstanden hatte und ging mit gelangweilter Miene durch den Raum und hinterfragte einige Objekte, deren Zweck Seeker manchmal sehr gut erklärte, manchmal jedoch vollkommen daneben lag.
Und nun erklärte sie auch Zweck und Notwendigkeit der Sortierung, es war offensichtlich nach Nützlichkeit für die Clans sortiert. Schließlich waren sie an den Batterien angekommen und Seeker wurde offensichtlich wütend.
„Das sind Batterien, für die Autogefährte wie sie von den Flameriders benutzt werden.“ Ihr Blick wurde lauernd und die Drei konnten sehen, wie mittlerweile von oben einige ihrer Krieger ebenfalls herabblickten und die Unterhaltung interessiert verfolgt hatten und nun ebenfalls wütend die Luft ausstießen. „Nein, Kriegerin der Vögel.“, beschwichtigte Lancaster sie sofort wortgewandt. „Nicht nur die Flamerider benutzen diese Gefährte. Bei weitem nicht. Es gab Zeiten, da wurden sie von Allen benutzt. Heute sind es die Flamerider und die Hope’ari.“ Seeker bleckte abermals die Zähne, sie wirkte nicht überzeugt. „Wir haben sogar schon gegen sie gekämpft. Und geblutet. Ich habe eine Gefährtin bei mir, die Wunde noch fast frisch.“ erklärte er mit fester Stimme und die Anführerin der Vultures lächelte erst, dann grinste sie.
„Also doch Verbündete? Wie ich schon sagte – wir handeln nur mit Jenen, die uns nahe sind. Und was ich euch vorzuschlagen habe, kann uns allen helfen. Unserem Clan. Laangkasters Clan. Denn diese Batterien..." – sie sprach das Wort furchtbar falsch betont aus – "...sind Beute von den Sabals. Sie haben viel davon, mehr davon. Aber sie handeln nicht. Sicherlich auch nicht mit Laangkaster.“ Sie blickte ihn ernst an und es funkelte plötzliche Vorfreude in ihren Augen auf. „Aber der Clan Hope’Ari wird zusammen mit den Vultures gegen die Sabal kämpfen und zusammen bluten. Die Kinder des Gefieders werden den Menschen der alten Welt niederschmettern und mit ihm seine Waffen, seine Sklaven und seine Frauen. Wir teilen die Beute. Alle Artefakte für Laangkaster und Clan Hope’Ari.“
Sie blickte abschätzend in Richtung Eryn und Leo und stapfte dann wieder los nach oben. Ein Diebstahl verbot sich im Moment von selbst, denn noch standen die anderen Vultures an den Luken.
„Also – Seeker. Was willst du von uns? Was willst du von mir?“ verlangte Lancaster zu wissen.
„Wir verbünden uns. Unsere Clans werden zu Freunden. Wir teilen und die Genüsse und Gefahren dieser Welt. Von was ich künde, ist: Ihr wollt diese Batterien haben. Ich habe ein paar, Sabal hat noch mehr davon. Helft dem Clan Vulture, Sabal zu vernichten.
Verbündet euch mit uns und ihr bekommt die Batterien der Vultures.
Zieht mit uns in den Krieg und vernichtet Sabal und ihr bekommt auch seine Batterien. Das sollte Laangkaster bei seiner Reise auf dem Motorgefährt helfen und ihn so lange Geschwindigkeit verleihen, bis die Welt wieder nur Nacht kennt, weil die Geister der alten Welt abermals Verderbnis über uns bringen.“
Lancaster nickte vorsichtig, das Gespräch entwickelte sich in eine seltsame Richtung. Fast hätte er gefragt, wie Clans sich verbünden, doch das hätte ihre Tarnung auffliegen lassen.
„Wie erweist man dem Clan Vulture genug Ehre, um als Verbündete angesehen zu werden?“, fragte Eryn dann formvollendet und mit genau dem richtigen Riecher, denn Seeker lächelte nun wieder.
„Wir folgen gemeinsam dem großen Vogel, der uns stark gemacht hat.“ Und dabei zeigte sie mit sichtlichem Stolz im Gesicht auf die einzelnen bannerartigen Zeichnungen, die in ihrem Hauptraum von der Wand hingen.
„Eine Prüfung der Kraft, im Duell auf Leben und Tod. Eine Prüfung im Nachtmond, wenn wir im Dunkeln das Blut der Feinde vergießen. Eine Prüfung der Lust, was die Welt zusammenhält. Ein Sang von Vogelgezwitscher, eine Legende, die vorgetragen wird. Eine Prüfung des Blutes, zu sehen, ob Natur oder Mensch stärker ist. Das Ringen um Nahrung, Waffe und Werkzeug, wenn uns die alte Welt schenkt, was nicht verflucht ist.“
Lancaster dröhnten die Ohren und er zeigte auf das letzte Banner: Es zeigte eine Art gefiederte Schlange, die sich auf einen Menschen stürzte. „Eine Prüfung des Glaubens. Wenn die gefiederte Schlange selbst in die Schlacht eingreift und ihre Sendboten schickt.“
Die großgewachsene Frau legte den Kopf schief und schenkte sich einen Schluck von Derrecks Gebranntem ein, während Lancaster nachdenklich und mehr unbewusst einen Tropfen Schweiß mit den Augen verfolgte, der den langen Weg über die tättowierte Haut der Frau nahm und ihn die Narben und die schiere, wilde Kraft Seekers erahnen ließ.
„Wir denken darüber nach.“, sagte er dann und nahm das von Seeker an ihn gereichte „Glas“ Schnaps entgegen…
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