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Krieger
Große Scheiße. Ganz große Scheiße. Sein Gehirn arbeitete auf Hochtouren während das Herz kräftig in seiner Brust schlug. Jäger sprintete über die Baustelle, vorbei an dem ungewöhnlichen Sarg, in dem sein Inhalt friedlich schlummerte ohne das Wahnsinn hier draußen mitzubekommen. Jaja, schlaf nur Kollege, dachte sich Jäger im Vorbeirennen und wünschte sich in diesem Augenblick ebenfalls einen Kokon, in den er hineinkriechen und ein Nickerchen halten könnte bis alles vorbei ist.
Das ganze Lager war in Aufruhr. Es ist genau die Situation eingetreten, vor der sich jeder gefürchtet hatte. Wie wahrscheinlich ist es schon, dass eine Armee von Untoten plötzlich vor unserer Tür steht, musste sich bestimmt so mancher gedacht haben. Nach all den Jahren hinter den schützenden Mauern von Shengs Hope, begann die Unmittelbarkeit der Gefahr zu schwinden. Es verkam zu einem Fernen Donner, dessen wütender Schlag leise wahrgenommen wird und man sich kurz überlegt, ob nicht vorsichtshalber ein Regenschirm angebracht wäre, nur für den Fall dass das Gewitter zufällig auch uns erreicht. Er hatte sich mit aller Macht gegen diesen Gedanken gesträubt, ihn wieder ins Bewusstsein gezerrt und ins Fadenkreuz genommen um das Gefühl für den Tod und das Ende des Fortbestehens der menschlichen Rasse festhalten zu können. Alles andere ist nur Ablenkung. Nun da er wieder draußen in der Apokalypse angekommen ist, auf der Mission zur Wiederherstellung der Welt und mit pochendem Herzen und Schweiß auf der Stirn durch den Sumpf einer Horde von Untoten entgegen rannte, musste er sich eingestehen, dass dieser Gedanke ihn die ganze Zeit über an der Nase herum geführt hatte. Er dachte es festzuhalten, seiner Gegenwart mit Respekt und Ehrfurcht zu begegnen würde genügen. Stattdessen fuhr er auf Schienen, die von seiner unbewussten Faulheit und dem Trugbild von Sicherheit für ihn bereits gelegt waren. Stattdessen hatte er die Erkundung der umliegenden Gebiete aufgeschoben, denn was sollte schon passieren, Zombies vor der Haustür? Ha! Wie unwahrscheinlich.
Er fühlte sich blind und der Gefahr, die noch niemand vollständig begreifen konnte, schutzlos ausgeliefert. Aber Mission ist Mission. Nachdem er Sheng in die Augen gesehen und ihm versichert hatte, dass er auf ihn zählen konnte, gab es kein zurück mehr. Ech, als er von Bogs Mannschaft aus dem Sklavenlager befreit worden war und mit diesen durchgeknallten Kerlen aufwuchs und von ihnen lernte, was es bedeutete ein guter Soldat zu sein, schon da gab es keine zurück mehr für ihn. Rückzug bedeutet Fahnenflucht, es bedeutet seine Kollegen im Stich zu lassen, seine Vorgesetzten im Stich zu lassen und viel gravierender noch, die Mission im Stich zu lassen. Bogs Worte. Er wünschte der alte Chef wäre jetzt hier. In dieser Situation würde der Alte aufblühen und mit Befehlen nur so in alle Richtungen um sich schmeißen, die anschließend auf beeindruckende Weise zu einer perfekt abgestimmten Choreographie zusammenkommen würden. Höchstens Materialverluste. Das militärische Ballett.
Jäger rannte im Halbkreis um den noch geballten Haufen von Untoten. Es würde nicht lange und sie würden ohne jegliches Gefühl für Strategie ausschwärmen, sich wie kleine Spinnen auf dem sumpfigen Grund ausbreiten, je nachdem was gerade ihre primitive Aufmerksamkeit beanspruchte. Von der Flanke aus, zwischen der Anhöhe und der Baustelle, mit dem dichten Wald in seinem Rücken, begann Jäger zu viel Krach zu machen, wie er nur konnte. Er schlug mit der Kletteraxt gegen einen Metallbalken, der aus für ihn noch unerfindlichen Gründen aus dem weichen ragte. Aus seinem Mund ergoss sich ein heiserer Schrei aus Flüchen und Provokationen, in den unterschiedlichsten Sprachen. Einen eigenartigen Augenblick lang wunderte er sich, dass er Wörter aus Léos Gesprächen mit ihm in seine Rufe aufnahm.
"Suka, bljat! Hast du keine Kohones am Sack oder was!? Beweg deine Arsch, Motherfucker! Beweg ihn hierher!"
Wie erwartet begannen sich die Untoten aufzuteilen, einige liefen in Richtung Baustelle, wo Léo und Frank sie aufs Korn nahmen. Andere entfernten sich zusehends von der Gruppe und folgten irgend welchen urzeitlichen Instinkten auf der unendlichen Suche nach Fraß. Keiner von ihnen beachtete Jäger. Sein Gesicht war bereits rot vor Anstrengung, die Augen quollen hervor wie Golfbälle und sein Adams Apfel sprang einem Yoyo gleich auf und ab. Dann ein lauter Krach. Jäger verstummte und riss den Kopf herum. Lancaster hatte auf seinem Bike mehrere Rohre zu Fall gebracht. Sie wälzten sich schwerfällig auf die Untoten, denen jeglicher Selbsterhaltungstrieb zu fehlen schien. Einige rannten direkt auf sie zu. Andere bewiesen entweder eine gewisse intelligente Gegenwärtigkeit oder wankten ziellos umher und rein zufällig weg von dem sicheren, für sie finalen Tod.
Mehrere lösten sich von der Horde und setzten ihren Weg wankend aber zügig in eine andere Richtung fort. Man konnte selten an den eingefallenen Augen oder der Körperhaltung erkennen, dass sie ein neues Ziel ansteuerten. Die Anzeichen dafür waren sublim, nur die erhöhte Geschwindigkeit mit der sie auf ihre neue Beute losstürmten verriet sie. Jäger wusste in diesem Moment, dass ein Dutzend Zombies ihn ins Auge gefasst hatte und nun geil vor Hunger auf ihn losstürmte. Ob es der laute Knall der stürzenden Rohre gewesen war oder purer Zufall, wusste er nicht, aber er empfand tatsächlich sowas wie Freude, dass ihm nach all der Anstrengung endlich Aufmerksamkeit zuteil wurde.
Er rief noch ein paar Worte, um sicher zu gehen, dass sie ihm folgen würden und verschwand in dem Waldstück, irgendwo hinter Bäumen und Sträuchern. Nun waren sie in seiner Domäne. Er sprang über umgestürzte, überwucherte Baumstämme, robbte durchs dichte Gebüsch. Dabei steckte er regelmäßig die Finger in den Mund und Pfiff so laut er konnte. Nach und nach zerfiel auch diese Gruppe. Den Ersten erwischte er, als dieser über eine hervorstehende Wurzel stolperte. Die Kletteraxt bohrte sich tief in den weich gewordenen Schädel und das Stöhnen hörte auf. Der Nächste lief um einen Baum herum. Der Baumstamm war nahezu schwarz und überaus breit, sodass Jäger sich von hinten an ihn heranschleichen und das spitze Ende seiner Axt in dem schiefen Kopf versenken konnte. Der Körper fiel reglos zu Boden.
Irgendwann hatte er aufgehört zu zählen. Vielmehr versuchte Jäger sich die Beschaffung des Waldbodens zu merken. Er beschränkte sich dabei states auf ein überschaubares Stück Waldfläche und kannte es bereits nach dem sechsten toten Untoten nahezu auswendig. Ein Katz- und Mausspiel in diesem Gebiet zwischen einem trainierten Menschen und einer dummen, lebendigen Puppe. Jäger war ganz in seinem Element. Aber, war es etwa dieser Gedanke schon wieder? Fühlst du dich nun mitten im Feindgebiet auch sicher? Vorsichtig umrundete er sein Jagdgebiet. Nur noch einer schien übrig zu sein. Dieser Einstein hat versucht zwischen zwei Birken hindurch zukommen, da es im Wald anscheinend nicht genug Platz gab. Nun steckte er fest. Jäger näherte sich siegesgewiss. Die Axt warf er spielerisch in die Luft um sie am Griff wieder zu fangen. Der Zombie wandte langsam den Kopf in Jägers Richtung und wie zuvor, veränderte sich weder etwas an seiner Haltung noch in seinem Gesicht. Sein Stöhnen wurde nicht lauter, die die bis zur Unkenntlichkeit verweste Fratze hatte keinen wütenden Ausdruck angenommen. Er hing einfach nur so rum.
Jäger blieb wenige Zentimeter neben dem Untoten stehen. Dieses Ding war faszinierend, musste er sich eingestehen. Noch nie hatte er die Gelegenheit eines dieser Rindviecher aus nächster Nähe zu betrachten. Er dachte an Howard und wie der alte Deduschka sich ein Arm und Bein ausgerissen hätte, um jetzt in Jägers Schuhen zu stecken. Er würde vor ihm später im Lager damit prahlen... Das Lager! Er hatte fast vergessen, dass er noch gebraucht wurde. Zeit dieser Sache hier ein Ende zu machen. Er hob die Axt. Der Zombie streckte plötzlich seinen Körper gewaltsam nach vorn. Jäger machte einen Schritt zurück. Erneut spannte sich der stinkende Körper, mit schnellen, brachialen Bewegungen rüttelte er die Bäume durch. Laub begann herabzufallen und das Holz gab bedrohlich nach. Jäger trat wieder einen Schritt vor, hob die Axt mit beiden Händen und zerschnitt mit voller Kraft die Luft. In dem Moment löste sich der Oberkörper von dem Unterleib. Das groteske Ding warf sich Jegor entgegen und brachte ihn durch die Wucht zu Fall.
"Blyat!", rief er heiser. Seine Stimme war nahezu völlig verschwunden und sein Hals schmerzte. Er hielt die Kletteraxt zwischen sich und dem untoten Oberkörper, der mit den Zähnen nach seinem Gesicht schnappte. Er versuchte mit bestialischer Kraft den Mund und die krummen Finger in Jegors Fleisch zu rammen. Jegor dagegen drückte den Griff der Axt gegen den fauligen Hals, der Geruch von Verwesung drang aus dem sich öffnenden Mund in Jegors Nase. Mit einer schnellen Bewegung rollte er sich auf dem Boden und blieb auf dem Untoten liegen, die Arme und die Axt geformt zu einer Schranke. Damit presste er den Anderen fest auf den Boden, drückte sein Knie gegen die Brust, holte aus und versenkte die Klinge knapp über der linken Braue. Keuchend stieg er so schnell er konnte von der Leiche, ging in die Hocke und übergab sich auf einen Igel, der gerade zufällig an ihm vorbeitapste.
Geändert von truecarver (18.09.2015 um 22:02 Uhr)
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