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Ritter
Eryn warf einen Blick zurück zur Tür, aus deren Richtung sie gekommen war. Will saß vermutlich noch immer da und wartete angewidert und seine gesamte Selbstbeherrschung aufbringen müssend auf ihre Rückkehr. Doch ihre Entdeckung - der Geheimgang - war zu vielversprechend, um nicht wenigstens mal ansatzweise zu untersuchen, wo er hinführte.
Vorerst begab sie sich zurück zur großen Halle und stoppte gerade ab, als sie noch rechtzeitig die Geräusche wahrnahm, die nur von einem Lebewesen hatten kommen können. Es war gruselig. Und so war auch der Anblick, den die Barfrau erhaschte, als sie die Tür etwas aufschob und in Richtung des Altars linste. Der Priester trug eine Maske, die es in Sachen Schauerlichkeit gut mit der von Doc Strider hätte aufnehmen können. Doch noch furchterregender war die Tatsache, dass er diesen Toten eine Messe las.
Die 25-Jährige sah und spürte den ängstlichen Blick vom jungen Doc, der seinen Kopf beim vorgegebenen Beten leicht zur Seite gelegt hatte und sie ansah. Man konnte erkennen, dass er schon längst über den Punkt hinaus war, an dem dieses kuriose Versteckspiel ihn noch kalt ließ; wenn es diesen Punkt überhaupt gegeben hatte. Er zitterte fast etwas, meinte Eryn zu erkennen - doch dann verstummte der Geistliche. Ein Moment der nahezu greifbaren Spannung entstand, doch dann entfernte er sich - glücklicherweise nicht in Richtung des Geheimganges, den sie gerade entdeckt hatte. Er verschwand in Richtung der großen Flügeltür. Ein letztes Anhalten des eigenen Atems wurde von Will abverlangt, doch als der Eingang dann mit einem leichten Knarren wieder zufiel, sprang er sofort auf. Er konnte gar nicht schnell genug aus der Kleidung des Toten kommen.
Ruhig, wenngleich zügig lief die Bardame zum Mediziner und begutachtete seine nicht wirklich abklingende Nervosität mit so etwas wie Stolz. "Du hast das toll gemacht!", sagte sie. Und um nicht zu klingen wie eine Mutter, die ihr Kind für die ersten Schritte ohne Hinfallen lobte, fügte sie hinzu: "Ernsthaft. Das war... beeindruckend. Ich hätte die Tarnung an deiner Stelle maximal aufrecht halten können, indem ich ohnmächtig geworden wäre, oder so." Während er sich den schreckhaften Ausdruck nur langsam aus dem Gesicht wischte und gar nicht schnell genug aus dem Totendress heraus kommen konnte, klärte sie ihn schon über ihren Fund auf: "Im Nebenraum ist ein Geheimgang, unter einer Luke im Schrank." Für einen kurzen Moment fühlte sie sich an etwas erinnert, dass sie kaum noch zusammensetzen konnte. Ihr Bruder. Der alte Fernseher. Ein Kleiderschrank. Schnee. Ein sprechender Löwe. "Ich wollte nicht gehen, bevor ich nicht nach dir geguckt habe." Ein Moment des Altruismus? So etwas war bei der Barfrau selten genug geworden. "Aber jetzt, wo der... Kerl weg ist, sollten wir mal schauen."
Will nickte. Langsam trat wieder Farbe in sein blass gewordenes Gesicht. Nach dem Schauspiel eben musste ihm das Erkunden eines Geheimganges wie ein lächerliches Kinderspiel vorkommen. Er folgte Eryn in Richtung des Wohnraumes, der lange keiner mehr gewesen ist und ließ sich von ihr den besagten Zugang im Schrank zeigen.
"Ich geh vor!", sagte er kurz entschlossen, wohl von spontanem Mut beseelt, was die junge Frau grinsen ließ. "Dein Vater müsste ein Idiot sein, wenn er nicht stolz auf dich wäre."
Und so trat Will, gefolgt von Eryn, in den Geheimgang.
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