Sheng mochte es sich nicht einmal vorstellen, wie einsam es um Shengs Hope bestellt war, wenn die tapferen Helden erst aufgebrochen waren.
Wie sollten sie an Wäsche waschen denken, wenn in diesem Moment ihre Freunde unzählige Kilometer weiter um ihr Leben kämpften?
Wie nur sollten sie Socken stopfen, wenn vielleicht Einer von ihnen in genau der Sekunde verletzt am Boden lag und sein aushauchte?
Shengs Magen fühlte sich plötzlich an wie mit Stacheldraht gefüllt. Hier, an diesem Abend würden sie alle ein letztes Mal für lange Zeit stehen und dann würden sie zur gefährlichsten Reise aufbrechen, die man sich in diesen Zeiten nur vorstellen konnte.
Er lauschte Frank , der den Geist des Zusammenhaltes beschwor und genau das sagte, was das "richtige", das "Gute" in der Situation war, doch jedes noch so tapfere Wort stieß ihn tiefer in die Dunkelheit. Er würde nicht Teil des Ganzen sein, er hatte seinen Part gespielt. Er war der Gralswächter gewesen, der Mann, der dafür sorgte, dass diese Reise irgendwann in ferner Zukunft würde stattfinden können. Und nun hatte er es geschafft, es fühlte sich ungewohnt an, und tonlos und einsam.
Er blickte den Polizisten, im Grunde seinen besten Mann an und hoffte, dass Niemand das Flackern in seinen Augen sehen und erkennen würde und innerlich schwor er sich, hier ein Heim zu schaffen, dass es verdient hatte, zurück kehren zu wollen. Und sich um all die Seelen zu kümmern, an denen die Herzen hier hingen. So viel wollte er noch sagen. Doch die Zeit rannte und war gegen sie.
Während Franks Rede blickte er aus den Augenwinkeln immer in Richtung Evi. Sie sah jetzt anders aus, sauberer natürlich, doch trotz alle Spötteleien und liebevollem Neckens, hatte ihr das wilde Aussehen einer Heimkehrerin aus den Badlands wirklich gut gestanden. "Kein Wunder, dass sie Haie reiten konnte...", dachte er bei sich und erinnerte sich an ihre sehr peinliche Konversation vorhin. Sie war schon weggelaufen, als er noch immer da stand. Die Hände voller Schlamm vom Berühren der Maske und verdrießlich hatte er leise zu sich selbst gesagt: "Aber ich habe doch eine Dusche...eine Gießkanne..."
Er musste mit ihr reden. Ihr eine Sache sagen. Etwas, egal was, zu ihr sagen, nur um sich noch einmal ihre Augenfarbe einprägen zu können.
Doch wie nur könnte er mit ihr ins Gespräch kommen, rasten seine Gedanken fieberhaft, als sie ihn ansprach...
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Langsam drangen die Geräusche von feiernden Menschen an sie heran und ebenso langsam wie feierlich löste sich der Kreis auf. Wingman nahm das Stück Papier vom Boden auf und gab es Lancaster, der nach kurzer Diskussion zum Anführer und Fahrer der kleinen Gruppe ernannt worden war. Eine hohe Ehre und kleine Geste, die er schweigend und mit dem obligatorischen Streichen durch seinen Bart annahm und unterstrich. Wingman nahm Haltung an und salutierte vor dem alten Mann. Stramm und vollkommen formvollendet.
Kurz nickten sie einander zu, dann führte sie ihr Weg auf den Hauptplatz, den Marktplatz, wo bereits das große Feuer entzündet war, welches Wärme und Licht spendete und die Kinder zum Drumherumtanzen einlud.
Der kurze Weg von Derrecks Bar bis hin zum Platz der Feier war mit Fackeln gesäumt, die dem ganzen einen offiziellen und sehr feierlichen Anstrich verliehen. Sand knirschte unter ihren Füßen, der Sand ihrer Heimat - ein Wort, das nicht für jeden dasselbe war, ebensowenig wie Familie und Freundschaft, aber es sprach für sich, dass sie einander anblickten und anlächelten, als sie den Pfad entlang gingen und schließlich von einer jubelnden Menschenmenge empfangen wurden.
Der Worte schienen genug gesagt, es sollte keine neuerlichen endlosen Reden geben, so schien es, denn die Menschen wirkten, als wollten sie einfach nur miteinander lachen und einander nahe sein. Ein letztes Mal ein Stück Geschichte atmen und ein letztes Mal mit einem der Menschen sprechen, der vielleicht das Ende dieses Krieges zwischen den Lebenden und den Toten herbeiführen würde. Ein letzter Kuss in Familien, eine letzte Umarmung, ein letzter Witz und ein letztes Andenken.
Natürlich war nicht alles eitel Sonnenschein. Sylvia stand mit Richard und Thomas wie versteinert in der Menschenmenge, als würde sie trotz allen Stolzes auf ihren Mann jetzt erst realisieren, dass er in den Krieg zog. Henry scheute den Augenkontakt zu seinem Sohn und es war ihm anzusehen, dass er nicht hier sein wollte. Auch Alex schien nicht zu verstehen, was da vor sich ging, unvorstellbar für ein Kind dieses Alters, zu verstehen, dass Niki nun zu gehen hatte.
Doch wer es verstanden hatte und mit dem Herzen abgeschlossen, seinen geliebten Menschen und Freund ziehen zu lassen, der nahm überschwänglich Abschied. Stan steckte Lancaster seinen letzten eingetauschten Weinbrand zu und Jegor spürte eine schwere Hand auf seiner Schulter als er Steve, Shaun und Ben erblickte, die beiden Erstgenannten noch immer mit Spuren ihrer Schlägerei im Gesicht. Sie grinsten breit und die rote Haut ihrer Wangen glänzte fettig von Schweiß. "Wir müssen dir was zeigen, abseits des Feuers, lieber Russki.", sagten sie da und deuteten auch auf Ranger, den Späher, denn immerhin waren sie als Scavenger oft auf die Späher angewiesen. "Wir wollen, dass du da draußen nicht doofer ausschaust als sonst." Sie grinsten. "Wir haben für dich gesammelt, hast du einen Augenblick?"
Als Lancaster in die Mitte des Platzes kam und dort den stabilen hölzernen Wagen sehen konnte, auf dem der Sarg von Adam thronte wie eine Inkaleiche, die herumgetragen wurde, kam Georgina Floyd-Williams auf ihn zu und übertrieben freundlich lächelnd überreichte sie ihm ein violettes Tuch, in dem ein Schlüssel eingebunden war. Der alte Mann kannte diese Objekte von früher, es handelte sich um einen Motorradschlüssel und als die Menge zur Seite schritt, sah er seine Maschine dort stehen - ein Geschenk aus dem Hause Floyd-Williams, bestens dafür geeignet, ihm wertvolle Diense zu leisten. Ein echtes Motorrad, es musste einiges gekostet haben, es zu reparieren und wieder betriebsbereit zu machen. Natürlich hätte sich die Floyd-Williams noch gerne mehr mit dem Anführer feiern lassen und wäre er jünger gewesen, ihren Stand verbessert, doch dazu sollte es wohl nicht kommen. Von weit hinten, außerhalb des Feuerscheins, nahmen die "Goonies und Blades" still Abschied von Lancaster, es schien, als würden sie sich nicht mal ansatzweise in die Nähe der anderen Bewohner trauen. Eigentlich hatte sie ihnen versprochen, dass sie noch eine Geschichte von dem begnadeten Erzähler würden hören dürfen, doch sie wusste nicht wie.
Ganz gegenteilig war es um Morris bestellt, der schon leicht angetrunken im Taumel der Freude gerade seinen letzten Wein an Howard verschenkte, artig Lisas Mutter hochleben ließ um sie für ihr tolles kind zu loben und ein jeder Dame mehr oder weniger geschickte Avancen machte.
Die Karawane von Perlmutter hatte es ebenfalls in die Siedlung geschafft und sobald "Mum Perlmutter" Lisa, Doc Strider und Alfons ausfindig machen konnte, überreichte sie ihnen tief bewegt je ein Amulett mit einem winzigen Klapperschlangenzahn daran, ein typischer Glücksbringer der sehr abergläubischen Ödlandhändler. Doch waren auch sie nicht dagegen gefeit, glauben zu müssen, dass eines der wichtigsten Ereignisse im Begriff war zu geschehen. Und so war auch sie sehr beeindruckt vom Geschehen, auch wenn sie nicht aus der Nähe ihres Wagens wich, aus Angst, es könnte etwas gestohlen werden.
Bald schon waren die Hungrigsten beim Fleisch versammelt und auch Leo sah einige Bewohner, die ihr spezielles Stück Fleisch mit großem Interesse musterten.
Dann wurde unter lautem Lachen und Jubeln das erste Schwein angeschnitten, es war Wingman dem diese Ehre zuteil wurde und der unter den Augen der vielen Menschen noch viel nervöser wirkte und sichtlich lieber weit weg auf Wache gewesen wäre.
Und während das Feuer weithin sichtbar sein Fanal an Hoffnung in die verstrahlten und untotenverseuchten Ödlande sandte und Shengs Hope Abschied nahm von den Menschen aus ihrer Mitte, stand der Mann, den die Winde des Zufalls hierher geführt hatten, alleine am Rand des Geschehens und wollte sich wünschen, dass die Nacht nie zu Ende gehen würde.