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Ritter
Nachdem Eryn und Will von ihrer erfolgreichen Expedition zurückkehrten - mit der Information im Gepäck, dass es unweit von Sheng's Hope neues Leben gab - wurde ihnen augenblicklich von Ranger aufgelauert. Er verhielt sich kurios, beinahe zu freundschaftlich in Anbetracht der Tatsache, dass sie doch nahezu keine Berührungspunkte hatten. Immerhin war er so gut wie nie im Dusty Derrecks zugegen. Fast wirkte er als führte er etwas im Schilde. Da die Barfrau jedoch ohnehin zum Bürgermeister gewollt hatte, machte sie es sich einfach und folgte ihm, während sie Will überließ, den Vogelfreund über das Geschehen auf der Farm aufzuklären.
"Hey Sheng, Will und Eryn sind zurück", sprach er schließlich, woraufhin sich der Asiate zu ihnen umdrehte. Erst grüßte er freundlich, doch blickte dann vor allem die 25-Jährige sorgenvoll und irgendwie zweifelnd an, während sich Ranger fast etwas aufdringlich hinter ihr positionierte. "Eryn, ich muss mit dir reden!", sagte Sheng ernst und bekam als Antwort nur einen fragenden Gesichtsausdruck. Er und auch der Ex-Kanadier wirkten angespannt, als wäre irgendetwas mit ihr verkehrt. "Okay, ähm...", fing sie an, doch der Bürgermeister unterbrach sie: "Unter vier Augen!"
Als sie ihm folgte, rätselte sie noch, doch nachdem Sheng sie an eine ruhigere Ecke der Nordseite ihrer Arbeitsstätte geführt hatte, arbeitete ihr Verstand wieder. Sie hatte Derreck beim erst- und zweitmaligen Durchqueren der Siedlung nicht wieder gesehen. War er bereits in Gewahrsam? Wollte er über ihn sprechen? Hatte ihr Chef sie womöglich verraten? Der ehemalige Soldat positionierte sich vor ihr, nicht bedrohlich, aber offensichtlich Bereitschaft zeigend, sie jederzeit abzufangen. Als hätte sie irgendeine Chance.
"Ich bin ehrlich, Eryn: Ich habe etwas gehört, dass mich beunruhigt..." - sie stoppte den Gründer der Siedlung noch bevor er richtig anfangen konnte mit einer erhobenen Hand. "Ich kann's mir denken, Sheng!", erwiderte sie und ihre Miene verdunkelte sich. Sie nahm sich augenblicklich vor, ihm Drama zu liefern. Doch als die Erinnerungen zurückkehrten, brauchte sie dieses Drama nicht mal spielen.
"Ich bin so dumm!", fluchte sie und tat, als wäre das lediglich Ärgernis über sich selbst, das er nicht hören sollte, sah ihn dann an und fuhr fort. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Dieses Mal erlaubte sie sich das Weinen. Dieses Mal sollte es ihr helfen. Sie hob die Arme kurz, um anzudeuten, Sheng in eben diese zu nehmen, doch unterließ es dann bewusst, zog zurück. Sie wusste nicht, was er wusste. Seinem Gebaren nach verdächtigte er sie richtigerweise, ein aktiver Teil der gestrigen Eskapaden zu sein. "Es tut mir Leid!"
Sie holte tief Luft und schluckte das Schluchzen runter. Die errötete Nase und die Tränen nahmen ihr die Attraktivität, doch diese würde ihr ohnehin nicht weiterhelfen. Nicht bei Sheng. Nicht jetzt. "Ich hätte es dir erzählen müssen, ich... d-dummes Ding!", klagte sie. "Aber ich... i-ich wollte nicht, dass es öffentlich wird, verstehst du? Erst weißt du davon und dann... und dann Floyd-Williams..." - ihre Stimme wurde für einen Moment leiser, als sie paranoid in Richtung des Anwesens des Mannes sah, der Schuld am ganzen Dilemma gewesen ist. "Ich wollte nur nicht, dass es noch schlimmer wird. Ich hatte so Angst..."
Wieder folgte eine Pause, doch wieder ließ sie die Pause nicht so lang werden, das der Bürgermeister das Wort ergreifen konnte. "Ich bin bei Ben in der Wäscherei gewesen!", fing sie an, den vorigen Abend zu rekapitulieren. "Ich habe ihn darum gebeten, die Sachen zu Wingman zu bringen und bin zurück in die Kneipe. Ihr wart noch da und ich habe überlegt, wo ich anfange mit den ganzen Reparaturen und der Reinigung. Und dann habe ich nach Derreck gesucht, damit er hilft. Am Mittag hatten wir einen Streit, weil er das Kultistenmädchen vor allen Leuten 'Menschenfresserin' nannte. Ich hatte ihn seitdem nicht mehr gesehen und dann war sein Büro abgeschlossen. Ich bin also zur Kasse und habe den Ersatzschlüssel geholt und aufgemacht. Da war er dann, mit einem menschengroßen Beutel - und genau das war da auch drin, ein Mensch!" Sie gab sich fassungslos. Immerhin war sie das gestern auch gewesen. "Erst versuchte er mich abzuwimmeln, aber ich ließ das nicht zu. Der Junge im Sack - Raoul - war wohl ein Dieb. Er hatte von der Farm von... George" - wieder ein Blick auf die Felder - "... gestohlen. Der dachte lange Zeit, dass Derreck der Dieb war, doch... Derreck wusste die Wahrheit. Er wollte nichts verraten, weil... weil irgendwo in dem Kerl doch ein Herz steckt, aber Floyd-Williams hat seine Schläger geschickt und ihn immer wieder übel zugerichtet. Das brachte ihn aber immer noch nicht dazu, ihn auszuliefern. Erst als sie drohten..." - der Ausdruck auf ihrem Gesicht wurde ein schuldbewusster - "... mich zu... verletzen, knickte er ein. Und dabei erwischte ich ihn dann auf frischer Tat. Wie er gerade den Jungen bewusstlos geschlagen hatte, um ihn gegen meine Unversehrtheit einzutauschen. Ich habe ihm gesagt, dass das nicht geht. Dass ich die Entscheidung nicht treffen kann. Er sagte, dass ich das nicht müsse. Er sagte, ich solle einfach gehen und ihn machen lassen, doch das konnte ich nicht. Das wäre doch auch eine Entscheidung gewesen." Wieder atmete sie tief ein.
Da war er; der Moment. Schneller als erwartet. Der Moment, in dem sie die Möglichkeit hatte, ihr frisch belastetes Gewissen rein zu waschen. Ihre Sorgen, ihren Kummer, ihre Schuld in Worte zu fassen und loszuwerden, bei dem Mann, der vermutlich immer nur das Beste für sie und den Rest der Siedlung gewollt hatte.
Doch sie brachte es nicht zustande. Die Barfrau setzte alles auf eine Karte. "Ich habe ihn darum gebeten, es nicht zu tun, den Jungen gehen zu lassen, auf ihn eingeredet, mehrere Minuten lang. Doch dann nahm er diese... Pfanne und schlug auf den Kopf des Jungen ein. Zwei mal! Beim ersten Mal konnte ich seine Nase brechen hören, beim zweiten Mal gab er schon keinen Mucks mehr von sich." Sie machte einen angewiderten Gesichtsausdruck. "Ich hätte ja was getan, aber... wie? Ich flehte Derreck an, es nicht zu tun. Ich sagte, es würde mir schon nichts passieren, doch er hatte seine Entscheidung getroffen. Er stieg nur aus dem Fenster und zog den Jungen mit sich. Ich weiß nicht mal, ob er da nicht vielleicht schon tot gewesen ist."
Sie blickte auf den Boden, um dann den Augenkontakt mit Sheng zu suchen. Das konnte sie: Menschen in die Augen sehen. Die Tränen waren in ihrem Gesicht getrocknet, darin lag nun Verzweiflung und Entsetzen. "Ich hätte es dir erzählen müssen...", wiederholte sie sich. "Aber ich kann doch Derreck nicht... er hat es immerhin für mich getan!" Sie sah den Bürgermeister an, in seinem Blick nach Verständnis für ihr angebliches Verhalten suchend.
Und dann legte sie ihre Arme nach vorne, in einer fast einladenden Gäste. Die Handgelenke drückte sie zusammen. "Ich bin Mitwissende einer Straftat", klärte sie ihn auf. "Nimm mich fest, ich hab' Mist gebaut." Beschämt sah sie zur Seite. "Ich hätte etwas unternehmen müssen", fügte sie ihrem Geständnis leise hinzu.
Und wenigstens der Satz mit dem sie abschloss entsprach wieder der Wahrheit: "Aber ich bin zu feige!"
Geändert von MeTa (11.09.2015 um 23:16 Uhr)
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