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Krieger
Die Stimmung im Pub entspannte sich, nicht zuletzt dank Evis aufgeschlossener Natur und ihrem ansteckenden Lachen. Jäger errötete und entwickelte auf einmal großes Interesse für seine Schuhspitzen, während Evi die Geschehnisse auf ihre ganz eigene Art schilderte und ihn dann wie aus dem Nichts mit Komplimenten bedachte. Er hatte keine Probleme über zombieverseuchten Trümmerhaufen in 100 Meter Höhe auf einem schmalen Drahtseil zu balancieren. Aber wenn es um das andere Geschlecht ging, stellte er sich nicht mehr so geschickt an. Wie denn auch. Jahrelang in den Wäldern mit einer Gruppe abgebrühter Kerle zu leben, mit ihnen zu essen, im Gebüsch zu scheißen, das Wild zu jagen und dumme Witze zu reißen bereitet einen jungen Mann nicht gerade auf die feinen Nuancen zwischengeschlechtlicher Beziehungen vor. Nur in Saras Nähe konnte er sich ungezwungen geben, da ihm nicht einmal in den Sinn kam, sie als ein potentielles Objekt der Begierde zu sehen. Ihr schroffer, ehrgeiziger Diensteifer vermischte sich mit der Disziplin und dem Gebaren eines geschulten Soldaten. Sich in Sara zu verknallen käme Jäger nahezu absurd vor. Da könnte er auch gleich seine Sachen packen, zurück zu seinen ehemaligen Genossen in den ukrainischen Wäldern rennen und dort dem hochgewachsenen, breitschultrigen Pavel mit der langen Schnittwunde quer übers ganze Gesicht und dem schwarzen haarigen Muttermal am Kinn seine grenzenlose Liebe gestehen. Jäger verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Der Pavel war schon ein guter Soldat, keine Frage, aber er war auch selten hässlich. Außerdem klappert er im Schlaf mit den Zähnen. Klack, klack, klack. Und warum zum Teufel überlege ich mir Gründe, warum Pavel doch nicht meine große Liebe ist.
Höchste Zeit den Tag zu beenden, entschied sich Jäger. Nachdem er sich von Evi, Sheng und Frank verabschiedet hatte, warf er noch dem stummen Mädchen im Vorbeigehen einen ausdruckslosen Blick zu und trat in die kühle Nachtluft hinaus. Er atmete tief ein und lauschte dem sanften Rauschen der Wellen. In seinen Gedanken kehrte er zurück in die dichten Wälder des Urals, zu seiner Basa, wo der alte Bog ein straffes Regiment führt und die Kompanie zusammenhält. Ich darf mich nicht beschweren, dachte Jäger, konnte sich damit selbst jedoch nie so recht überzeugen. Er hatte die Gruppe verlassen um Wurzeln zu schlagen, um ein Leben aufzubauen, das nicht aus ständigem Hin und Her, morgendlichen Appellen und der bisweilen erdrückenden Einsamkeit bestand. Shengs Hope hatte ihm das alles erfolgreich mit seiner Friedlichkeit, Vorhersehbarkeit und Zerstreuung genommen. Man gab ihm ein Heim und Aufgaben, die er gewissenhaft erfüllte, sei es die Nutztiere zu füttern, Wache zu halten oder auf Scavenger Runs sich die Knochen zu brechen. Mehr konnte man von einem post-apokalyptischen Albtraum nicht verlangen.
Und dennoch fehlte etwas. Das Gefühl der Stagnation, des sich-im-Kreise-drehens erschien eines Tages wie ein ungebetener Gast. Stand unangekündigt vor der Haustür, mit seinem aufgeblähten Koffer, vollgepackt mit Selbstzweifel, Ziellosigkeit und subtiler Unruhe. Einzig der kalte, im Halse brennende Alkohol schaffte es mit seinem Versprechen eines sinnlosen Rausches dieses Gefühl zu vertreiben. Nur damit die Leere am nächsten Morgen mit voller Wucht erneut zuschlagen konnte. Werden wir denn hier ewig bleiben können? Werden wir darauf warten, dass irgendein anderer das Ruder übernimmt und aus der zerbrochenen Welt wieder etwas Ganzes, etwas wirklich Lebenswertes macht? Dafür sorgt, dass diese wundersamen Automobile wieder durch die unendlich verzweigten Straßen flitzen, an Orte, die so fern liegen und doch einst so nah waren. Er fand Bücher innerhalb der verlassenen Häuser, die über eine solche Welt berichteten, fast beiläufig die Grenzenlosigkeit erwähnten, nach der Jäger sich so sehr sehnte. Er las über all die Autos mit ihren faszinierenden Motoren und sah sich Bilder von metallenen Würmern an, die auf Gleisen fuhren und mehr Leute auf einmal transportieren konnten, als es in Shengs Hope gab. Einst schwebten Fluggeräte wie Vögel durch die Lüfte, donnerten mit unvorstellbaren Geschwindigkeiten über den mit Menschen pulsierenden Städten und die monolithischen Wolkenkratzer streckten sich ihnen wie Arme entgegen.
Diese Wunder sind nun archäologische Artefakte, dachte Jäger verdrossen, während er mit seinen geschwollenen Händen in den Hosentaschen und einem nicht unangenehmen Pochen in den Schläfen durch die nächtliche Siedlung schlenderte. Sie sind ein Überbleibsel von dem, was früher einmal gewesen ist und warten darauf auseinander genommen zu werden um sich in Blechzäunen, Stützbalken, Schrott und primitiven Schiebewägen wiederzufinden. Und wir? Wir haben uns in eine Konservendose verkrochen, uns hinter hohen Mauern aus Metall und Stacheldraht versteckt und blicken mit müder Teilnahmslosigkeit über den Rand, mit dem einzigen Ziel den Untod für immer auszusperren. Denn der Mensch ist dort draußen nicht mehr willkommen. Einstmals der unumstrittene Herrscher über die Natur, wurde er gestürzt durch die eigene Hand und diese Hybris spiegelt sich nun in den leblosen Augen jeder verwesenden, wandelnden Leiche wieder. Wir sind gezwungen, unsere Sicherheit zum obersten Gebot zu erklären und uns im Kreise zu drehen. Die Toten dagegen sind dazu verdammt, ewig durch die Welt zu wandern, ohne sie jemals wieder begreifen zu können.
"Und wer Spirale zuerst entkommt, kriegt Keks.", murmelte er zu niemand bestimmten.
Jäger war an seiner Hütte angelangt. Sein Mund fühlte sich leer und trocken an und er spielte mit dem Gedanken sich noch eine Kippe anzuzünden. Die sich vage ankündigenden Schmerzen in seinen Gelenken und in seinem Gesicht brachten ihn wieder davon ab. Außerdem hatte er sich vorgenommen, die Rationen besser einzuteilen. Es war dumm sich unmittelbar nach der Ausgabe vollzustopfen, um für die restlichen Tage den Gürtel enger zu schnallen. Das wäre ihm in der Basa nie passiert. Doch hier, tja, hier vergisst man über kurz oder lang, dass alles um dich herum vor die Hunde geht. Er würde die restlichen Kippen aufheben, nahm sich Jäger an diesem Abend vor. Damit atmete er noch einmal tief durch und verschwand in seiner eisig kalten, finsteren Chalupa.
Morgen ist ja auch noch ein Tag.
Geändert von truecarver (10.09.2015 um 14:26 Uhr)
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