Sheng lächelte sie an und ging auf das Spiel ein. Eine aberwitzige Situation war es, dass er sich nach ihrem Knicks huldvoll hinkniete und ihr das Tischbein reichte, wie man es sonst nur aus einigen Ritter- oder Fantasyfilmen kannte, die er früher als Kind so geliebt hatte. Und das in derselben Sekunde, in der ihr Kamerad Jegor einen weiteren Schlag abblockte, sich einen ordentlichen Schwinger fing und seinerseits eine richtig derbe Grade aussteilte. Doch die Wahrheit war, dass Beide diesen Moment des Scherzens gebraucht hatten, um kurz zu Atem zu kommen. Sie tauschten einen letzten Blick, als würden sie sich als Spießgespann schon lange kennen und blickten sich hektisch nach einem Plan um.
Von hinten zu zweit auf den Mann, der eigentlich die Siedlung mit am Leben hielt, kam ihnen Beiden nicht richtig vor. Dann hatte Evi den rettenden Einfall, sie warf ihm ihr Tischbein zu, griff kurzerhand und mit einer Entschlossenheit, die sie gerade selbst überraschte, nach einer großen vergilbten Tischdecke und rannt auf den breiten Rücken von Shaun zu, dessen Muskeln schon vor Schweiß glänzten und sich abzeichneten unter der mit krausem schwarzen Haar bedeckten Haut.
Und plötzlich war ihr klar, dass es sich um nichts Anderes als einen besonders gefährlichen Tauchgang handelte. Natürlich nur abstrakt gedacht. Aber sie kannte das Gefühl, wenn sie sich mit windenden Bewegungen von Strömungen in die geheimen Pfade unter Wasser einführen ließ, mit den Fischen tauchte und selbst an gefährlichen Kreaturen vorbei schwamm - jetzt war dieser Kampf für sie sprichtwörtlich im Fluss....
Mit ihrer ganzen Sportlichkeit, Sheng hinter wissend, sprang sie dem Mann auf den Rücken, legte ihm das Tuch um das Gesicht und stieß sich - das Tuch an beiden Enden fest umklammernd - abermals von Shauns Rücken mit den Knien ab und brachte ihn in Schieflage. Und in der Sekunde, in der Jegor ihm einen echten russischen Panzerschlag in die Gesichtsmitte verpasste, hieb Sheng dem Streitsüchtigen in die linke Kniekehle und so riss Evi den Mann schließlich hart zu Boden, wo er mit gesprizten Gliedern liegen blieb und ein recht dumpfes: "mhmhm... ich gebe auf..." zu vernehmen war.
"Und ich hatte schon Angst, du willst ihn zureiten wie einen Hai...", sprach Sheng kopfschüttelnd und blickte sie an. Evi lächelte und legte fragend den Kopf schief. "Was? Die Geschichte, die man über dich erzählt kennst du nicht?" lachte der Bürgermeister und wischte sich den Schweiß aus der Stirn, während Evi schmerzhaft ihre Hand pochen spürte.
--
Blades saß auf der Liege und blickte sich um. Es war seltsam für sie. Sie hatten in der Bande schon so oft darüber gesprochen, hier einzubrechen und sich ausgemalt, wie die Klinik wohl aussehen könnte.
Und nun hockte sie hier mit schmerzenden Beinen und der Bardame, die sie nicht wirklich beachtete, sondern eher sorgenvoll in Richtung des Dirty Derrecks blickte, von wo noch immer Klirren von Glas und lautes Rumpeln zu hören war.
"Das ist die Gelegenheit.", dachte das Mädchen mit klopfendem Herzen und zog schnell das Kissen wieder hervor, wo sie es sorgfältig auf der Liege drapierte.
Und mit klopfendem Herzen schloß sie die Augen und ließ ihre herzerweichendste Mädchenstimme hören: "Mir ist so unglaublich schlecht, ich denke, ich muss... was trinken.", sagte sie leise und Eryn rollte mit den Augen, während sie in Wills Klinik leise nach Wasser suchte, um Henry nicht zu wecken.
Als sie zurück kam und das Wasser in der Hand hielt, war Blades verschwunden...
Die Jugendliche rannte beinahe mit Freundensprüngen wieder Richtung Strand. "Vielleicht hat mich Guts vollkommen falsch eingeschätzt. Ich bin keine Diebin, ich bin eine Lügnerin. Das ist mein Talent." Und ihr wurde klar, dass sie ihm das unnbedingt erzählen musste, doch dann spürte sie einen Stich im Herzen - den Jungen, den sie so sehr bewunderte war weg. Zusammen mit der Kultistin.
Und schon wie ihre Hochstimmung dahin, selbst die aus Wills Klinik gestohlenen Bandagen und die Schere konnten sie nicht darüber hinweg täuschen, dass ihr das Bauchschmerzen verursachte.
Doch merkte sie nicht, dass sie im Grunde genau auf Haile zu lief...