Im Leben der jungen und schönen Thymian geht so ziemlich alles schief, was nur schief gehen kann. Ihre Gouvernante wird schwanger aus dem Haus geworfen und später tot aufgefunden - ertrunken. Noch am selben Tag hat der Vater schon jemand neues eingestellt. Noch viel übler: Der Apotheker aus dem unteren Stockwerk, Meinert, nutzt die emotionale Schieflage Thymians aus und schwängert sie. Als sie sich weigert zu heiraten, wird ihr das Kind abgenommen und sie selbst in eine ultrastrenge Erziehungsanstalt mit drakonischer Führung gesteckt. Als der mitellos gewordene Graf Osdorff ihre Familie nicht dazu bringen kann, sie zurückzunehmen, flieht sie mit einer Freundin und landet in einem Edelbordell... Teilweise kommt es zwischenzeitlich sogar noch dicker, bevor es allmählich wieder bergauf gehen kann und sich das Blatt endlich zu ihren Gunsten wendet.
Stehe normalerweise nicht auf solche Dramen, aber das hier wirkte erstaunlich modern und spricht diverse Themen an, die bis heute noch immer aktuell und relevant sind. Soll heißen, es ist ein modernes Melodrama, und keine von diesen kitschigen Geschichten, die bloß ultra-theatralisch auf die Tränendrüse drücken, wie es sie zu jener Zeit schon zu Hauf gab. Louise Brooks, nach verspäteter Anerkennung eine der ganz großen Stummfilm-Stars, ist eine klasse Hauptdarstellerin! In diesem Fall zuerst naiv, dann verspielter, aber stets voller Energie. Kann nachvollziehen, warum vor Jahrzehnten viele verrückt nach ihr waren. In Tagebuch einer Verlorenen gibt es einige bemerkenswerte Szenen, die in Erinnerung bleiben, wie etwa in dem Heim. Auch so manche creepy Nebencharaktere tauchen auf, es wird ein ziemlich trostloses Bild der Gesellschaft gezeichnet. Dazu passt der wundervolle Schlussatz, der nach wie vor nichts von seiner Gültigkeit verloren hat: "With a little more love, no one on this earth would ever be lost!"
Es handelt sich um eine deutsche Produktion, Regie führte Georg Wilhelm Pabst. Der Film wurde seinerzeit nach der Premiere stark zensiert, daher musste die Uraufführungsversion aufwändig rekonstruiert werden. Gibts auf BD in einer tollen Ausgabe von Masters of Cinema, yay! Zugegeben, hätte ich das nicht gewusst und hätte mir das Jahr nicht noch gefehlt, hätte ich mir den Film wahrscheinlich nie angeguckt. Nun bin ich froh, dass ich es doch gewagt habe, über den Tellerrand zu schauen. Wieder mal was Gutes entdeckt. 8/10
Ebenfalls von Pabst und mit Brooks, aus dem selben Jahr. Der Aufstieg und unausweichliche, tiefe Fall einer amoralischen jungen Frau namens Lulu, deren sorglose Erotik die Lust und Gewalt in jenen Menschen anregt, die sie umgeben. Keine Ahnung, was alle daran finden. Ich mein, war jetzt nicht schlecht als Drama, aber die Figuren entwickeln sich null weiter und bleiben total statisch. Die Handlung ist auch überaus minimalistisch, es ist eine reine Charakterstudie und viele der Szenen wirken seltsam unzusammenhängend (wozu die Unterteilung in einzelne Kapitel leider beiträgt). Wenn die Leute gegen Ende in London sind, stirbt Lulu durch einen random Mörder (Jack the Ripper?) von der Straße. Das mag man zwar auf Meta-Ebene bzw. indirekt und thematisch schön interpretieren können, wegen der ungewöhnlichen Art, wie das genau passiert, aber der Schlussteil hat vordergründig irgendwie überhaupt nichts mehr mit dem Rest der Geschichte zu tun. Mir fehlte eine Art Payoff. Mehrere Handlungsstränge bzw. Charakter-Schicksale bleiben am Schluss einfach ungelöst in der Luft hängen, so etwas kann ich gar nicht leiden.
Alles dreht sich nur um Lulu. Ja sicher, Louise Brooks ist unglaublich hübsch, und ihre Rolle lebendig, sexuell aufgeladen, verführerisch, aber auch manipulativ und egozentrisch. Obwohl sie im Grunde recht passiv bleibt, zerstört sie alle möglichen Personen (insbesondere Männer, aber nicht nur die) um sich herum. Einige Abschnitte wirken geradezu sinnlos. Weiß nicht, ob die Vorlage auch so eine uninteressante Geschichte war. Der Film ist nur deshalb sehenswert, weil es so eine Freude ist, Brooks beim schauspielern zuzuschauen - sie kommt stets vollkommen authentisch rüber! Tagebuch einer Verlorenen ist nicht halb so bekannt wie Die Büchse der Pandora, aber zehn mal so gut, weil wir dort eine richtige Handlung mit sich entwickelnden Charakteren haben. Hier sucht man danach vergeblich. 6/10
Halte ich für drastisch überbewertet. Okay, der Film ist von Murnau, das heißt wenigstens die Sets und Bildkompositionen sind durchweg super, denn das kann er bekanntlich wie das kleine Einmaleins. Die Fehler liegen meiner Meinung nach in der Geschichte. Sunrise wird einem als "allegorische Erzählung" verkauft, das heißt schonmal, dass alle Figuren unbenannt bleiben und die Dialoge bzw. Zwischentitel entsprechend nur sehr selten auftauchen. Doch gerade in einer Handlung, die gerne emotional sein würde, ist es meiner Ansicht nach nötig, eine Nähe des Zuschauers zu den Figuren herzustellen, und das wird hier nicht effektiv gemacht. Teilweise eher im Gegenteil, es fühlt sich seltsam distanziert an.
Sunrise handelt von einem verheirateten Bauern mit Kind, der eine Affäre mit einer bitchigen Frau aus der Stadt hat, die ihn überredet, seine liebe Ehefrau (zuckersüß gespielt von Janet Gaynor) umzubringen bzw. im See zu ertränken. Das versucht er dann auch tatsächlich auf einem Ausflug. Im letzten Moment kommt er wieder zur Vernunft, seine Ehefrau flieht in die Stadt, er hinterher, die beiden versöhnen sich und verbringen dort eine schöne Zeit, unter anderem auf einem Jahrmarkt. Dieser Mittelteil ist sterbenslangweilig, weil sonst im Prinzip nichts passiert. Heute würde man das wahrscheinlich mit einer Montage von zwei Minuten darstellen, die in ein persönlich-intimes Gespräch mündet oder so, hier dauert der Abschnitt hingegen über eine halbe Stunde und Dialoge sind bekanntlich nicht vorhanden. Würde mehr Sinn machen, wenn wir wenigstens Einblick in das Leben der beiden erhalten oder ihre Gedanken erfahren würden, aber es bleibt alles oberflächlich, oder "allegorisch". Frei nach dem Motto: Keine Ausarbeitung ist auch eine Lösung, soll sich das Publikum selbst was denken. Mir ist schon klar, dass Bilder manchmal mehr sagen können als tausend Worte, aber das hier ging zu weit.
Das größte Problem, das ich mit der erwähnten Wendung hatte, ist aber von viel grundsätzlicherer Natur: Der Typ hat einen Mordversuch an seiner Frau begangen. Hallo, gehts noch? Aber sicher, einmal Kuchen und Blumen kaufen und eine fremde Hochzeit besuchen, schon ist alles vergeben und vergessen. WTF? Im letzten Drittel und Schlussteil der Geschichte machen sie dann noch einen Ausflug auf dem See als zweite Flitterwochen (Uhm, gelinde gesagt seltsame Wahl, nach so einem Trauma genau dort kurz vorher), doch ein Sturm zieht auf, Boot kentert. Er kommt an Land, sie nicht. Er veranstaltet Suchaktion mit der Dorfbevölkerung, scheinbar ohne Erfolg. Während er verzweifelt, kommt die miese Stadt-Bitch vom Anfang wieder angekrochen, er will sie aus Rache erwürgen, aber gerade noch rechtzeitig hört er, dass seine Ehefrau doch noch gefunden und gerettet worden ist. Die Drecksbitch reist daraufhin endlich ab und das Paar ist happy, während die Sonne aufgeht. Das wars.
Tut mir leid, aber diese Handlung ist so knapp und einfach, dass sie höchstens zu einem Kurzfilm gereicht hätte. Vielleicht auch für einen Spielfilm mit einer Länge von einer Stunde. Aber das auf anderthalb zu dehnen hat für mich nicht funktioniert. Schlimmer noch: Ich hab normalerweise nichts gegen Rührseligkeit, aber wenn ich mir denke, dass die männliche Hauptfigur eigentlich ein labiler Psychopath ist (gibt mehrere Stellen im Film, an denen er die Beherrschung verliert), für das was er getan hat eigentlich erstmal eine Weile hinter Gitter gehört (wobei man es ihm nicht nachweisen kann), und seine Frau eindeutig jemand besseren verdient, aber sie aus schwer nachvollziehbaren Gründen trotz allem an ihm hängt, dann sind diese doch recht kitschigen, zu langen und belanglosen Szenen mit Subtilitätsdefizit nur schwierig zu ertragen. Es fehlt an verdienten Sympathiewerten, die der Streifen jedoch einfach so als Vorschuss vom Publikum voraussetzt. Ist wieder einer dieser Fälle, in denen dem Zuschauer indirekt gesagt wird, dass er mit der Figur mitfiebern und auf ihrer Seite sein soll, obwohl dem Zuschauer das möglicherweise vollkommen zuwider ist. Hatte ich zuletzt glaube ich bei The Spectacular Now von 2013, und das war einer der schlechtesten Filme die ich bis jetzt gesehen habe. Bei Sunrise kann man sich wenigstens noch an der schönen Optik erfreuen.
Noch was Historisches - Dies war sogar DER erste Film mit dem Movietone Sound Verfahren (siehe "The Man Who Laughs", den ich schon behandelt habe). Gesprochene Dialoge gab es hier zwar noch nicht, allerdings einen richtigen, synchronisierten, optischen Soundtrack fest mit dem Film verbunden (wurde nicht mehr mit Live Orchester aufgeführt) sowie mit Soundeffekten, die durchaus viel zur Immersion in einigen Szenen beitragen können. Insofern also kein richtiger Stummfilm im engeren Sinne mehr, aber ich habs hier trotzdem eingefügt, da es sich für heutige Zuschauer weitgehend wie einer anfühlt. Wie dem auch sei, nachdem mir so oft von Sunrise vorgeschwärmt wurde und ich ständig ausschließlich Positives dazu gelesen habe, hat mich der Film doch ziemlich enttäuscht. 5/10
Noch ein Nachzügler der Universal Horror Stummfilm Klassiker ^^ Hab den allerdings nur im Internet Archiv in grauenvoller Qualität und mit miesem Soundtrack geguckt, von daher weiß ich gar nicht, wie aussagekräftig oder gerechtfertigt eine Bewertung hier ist. Halt Murder-Mystery um ein Theater, in dem während einer Vorstellung ein fieser Mord geschah. Jahre später, die Tat immer noch ungeklärt, wird es von einem Produzenten wieder aufgemacht und der Versuch unternommen, das Stück von damals neu aufzuführen - mit den gleichen, noch verbliebenen Mitgliedern des Casts. War's vielleicht ein Geist?
Manchmal etwas schwierig, bei den Charakteren den Überblick zu behalten und der Handlung zu folgen, könnte zum Teil aber auch an der Bildqualität aus der Hölle in der von mir gesichteten Fassung liegen. Regisseur Paul Leni (The Man Who Laughs) hat sich bei den Zwischentiteln oder sonstigen Überleitungen ein paar richtig coole Effekte einfallen lassen. Das Theater-Set ist übrigens anscheinend das gleiche, das zuvor für Das Phantom der Oper (1925) verwendet wurde. Nice! Auch sonst einige sehr atmosphärische "spooky" Orte voller Staub und Spinnweben. Diverse wohlbekannte und angenehme Grusel-Klischees werden ausgepackt. Mit nur ca. 80 Minuten geht der Film zügig rum und ist nicht so übertrieben lang wie gewisse andere Vertreter aus der Zeit. Viel mehr kann ich zu The Last Warning auch schon nicht sagen. 6/10?
Ein Showmagier in Afrika will sich an dem Mann rächen, der ihn zum Krüppel machte, und an der unehelichen Tochter, die dieser mit der Frau des Magiers zeugte. Hmm. Den Twist kann man leider schon zehn Meilen gegen den Wind riechen. Was ist das überhaupt für eine bescheuerte Idee, das Leben einer unschuldigen jungen Frau ebenfalls zerstören zu wollen, nur weil man mit dem vermeintlichen Vater noch eine Rechnung offen hat? Das Mädel kannte ja nichtmal ihren Vater, hatte mit dem gar nichts zu tun. Hass ist eine Sache, aber das war Irrationalität in höchstem Maße. Naja. Lon Chaney ist wie immer sehenswert. Ansonsten ganz passabel, der Film, aber auf eine seltsame Art und Weise unangenehm. Die Dauer beträgt gerade mal gut eine Stunde, und trotzdem denke ich, dass man daraus vielleicht besser einen Kurzfilm gemacht hätte. Alles in allem wurde das Rachethema jedoch ganz gut umgesetzt. 6/10
Die zart-zerbrechliche Letty zieht vom Osten der USA in den rauhen Westen, wo sie Spannungen in der Familie verursacht, während die heftigen Umweltbedingungen sie langsam wahnsinnig werden lassen. HAMMER! Ultradichte Atmosphäre, wie ich sie selten zuvor in einem Film gesehen habe. Der unaufhörlich wehende Wind ist quasi ein eigenständiger, allegorischer Charakter in der Geschichte, für die ungezähmten, unkontrollierbaren Naturgewalten stehend, aber unterstreicht gleichzeitig auch symbolisch das vordergründige Geschehen bzw. die Gefühlslage der Figuren. Das ist nicht nur storymäßig total genial (weckte bei mir Erinnerungen an Hiroshi Teshigaharas Suna no Onna /Die Frau in den Dünen), sondern auch visuell faszinierend und beeindruckend umgesetzt! War bestimmt ne Heidenarbeit für die ganzen Effekte zu sorgen. Obendrein noch in der glühenden Hitze der Mojave-Wüste zu filmen - überliefertermaßen eine Tortur für die Beteiligten Filmemacher und Schauspieler.
Die Story mit ihren beinahe mystischen Untertönen ist relativ überschaubar und klein, aber gerade das macht sie so effektiv. Der Film ist sehr visuell geprägt und profitiert davon, ein Stummfilm zu sein, nutzt den damaligen Stand des Mediums perfekt. Zu viele Dialoge hätten nur die Stimmung gestört. Dass Lillian Gish in der Hauptrolle wie immer verdammt gut schauspielert, brauche ich eigentlich kaum erwähnen, aber auch ihr Gegenpart, der von dem Schweden Lars Hanson verkörperte Lige, weiß zu überzeugen, zumal letzterer die schwierige Balance zwischen Zuschauer-Sympathie und der ihm von Letty entgegengebrachten Antipathie treffen und halten musste. Zu der Atmosphäre hat ferner wohl auch der recht modern wirkende Soundtrack von 2007 beigetragen, mit dem ich The Wind gesehen habe. Kann gut sein, dass es noch andere gibt, die auch nicht zu verachten sind.
Letztlich ohne jeden Zweifel der beste Stummfilm-Western, einer meiner Lieblingswestern überhaupt, und der beste Film den ich seit Langem gesehen habe. Und das, obwohl ich mit den älteren US-amerikanischen Genrevertretern normalerweise kategorisch nichts anfangen kann. Nicht so hier, The Wind kommt ganz ohne die üblichen Klischees aus, ja setzt sich weit darüber hinweg und steigt in ganz andere Sphären auf! Wenn ihr die Gelegenheit bekommt, den abzuchecken, nutzt sie. 9/10 AAAHHHRGH!! Warum gibts den nicht auf Blu-ray >_<' ? Nichtmal auf DVD anscheinend. Was für eine Schande. Abschließend muss ich aber unbedingt noch ein paar Zeilen zum Ende loswerden, was ich lieber mal komplett in einen Spoilerkasten packe: