Dicht hintereinander krochen die blonde Kriegerin und ich nordwärts in die Wälder hinein, während Kaylars Standpauke das Lager und wohl auch das übrige Dorf Eichengrund hinter uns zum erbeben brachte und die Vögel aus ihrem Schlummer scheuchte.
Wir gingen nicht sonderlich weit, nur ein Stück am Fluss entlang hintem Händlerhaus, wo ein kleiner steinerner Überhang genug Schutz bot um bis zum Morgengrauen auszuharren.
Alles war besser als von stechenden Blumenduft umgeben im Schlamm knieend darauf zu warten, vom Kriegsherrn oder vom älteren Jahrgang aufgesammelt zu werden.
Nur blieben meine Sinne wie betäubt. Es lag nicht an der Kälte der Nacht, denn es war ein eher milder Abend. Somit hoffte ich, dass Archon nicht darauf aus war, mich an meinem schlammigen Haar gen Haminga zu schleifen, wenn ich mir hier draussen irgendeine gruselige, unheilbare Krankheit einfing. Nein, es war nichtmal Svenjas Nähe, die mir sonst den Kopf verwirrte.
Es waren die Träume, die mir immer noch tief in den Knochen steckten. Die Ruinen. Die Abgründe. Die Seelen derer, für die jede Hilfe zu spät kam.
"Ich weiß, du willst es mir nicht sagen. Aber... jetzt wäre ein guter Zeitpunkt deine Zunge mal zu entknoten, Weykenson." Ich blickte auf und starrte in ihre glühenden Bernsteinaugen. Sie konnten in meine Seele schauen.
Immer schon. So oft hatte ich daran festgehalten. Der Gedanke machte mir keinerlei Angst, Svenja und ich wussten beide wieviel stärker sie war.
Auch wenn ich sie im Ringkampf inzwischen übertrumpfte, dem harten Schleifen sei dank, so war mein Geist immer noch so zart wie ein Vogeljunges.
Verwirrt. Umherstolpernd auf den dunklen Pfaden dieser wachen Welt. So wie sie es auch in meinen Träumen waren.
Und so vertraute ich ihr im sanften Mondschein ein Stück meiner Seele an, dass ihr wohl eh bereits gehörte.
"Ein Wort für ein Wort, Svallasdottir. Sag mir, wovon träumst du?"
Sie blickte mich seltsam an. Überrascht vielleicht? Nunja,
eigentlich wusste ich ja alles von ihr.
So viele Abende hatten wir zusammen gehockt und die Nacht zerredet, dass Geheimnisse bei uns kaum Bestand hatten.
Ich erinnerte mich. Als sie jung war, wollte sie aus dem Schatten ihres Vaters heraus steigen. Für mich hatte sie das längst geschafft.
Sie war als Kameradin unersetzlich und niemanden würde ich lieber an meiner Seite wissen. Nichtmal Kriegshelden oder Recken, die jedes Getier bereits bezwungen hatten.
Das wusste sie auch.
Und dann war da eine zarte Sorge, die manchmal an ihr zum Vorschein kam, wenn sie die zarten, geschmückten Frauen in der Drachenhallte - meist Dienerinnen des Ars oder Turinniaschwestern, die aus andren Ecken Karadons zu uns gereist waren und die sehr weiblich wirkten - betrachtete. Dann zupfte sie an ihrem kurzen Haar, als wünschte sie, es würde plötzlich wieder wachsen und ihr lang über die Schultern und die Brust wallen. So wie es das in ihren Jugendjahren immer getan hatte. Doch eins wusste ich nicht und es nahm mir mit einem Mal die Schwere der Träume hinfort, weil es mir ein dringlicheres Anliegen zu sein schien.
Ob sie nach ihrem Dienst wohl sesshaft werden wollte? Ob sie sich damit anfreunden könnte Ruhm und Ehre gegen ein normales Leben einzutauschen? Eine Familie zu haben? Sie, die ebenfalls unter der Kriegerin geboren war und noch dazu als Tochter mit Alcandors feurigem Geist gesegnet, und damit keinem Kampf aus dem Weg gehen wollte?
"Wenn du damit meinst, was ich vorhab mit meinem Leben, dann ist die Antwort einfach."
Ich horchte auf. Meine Hände waren kühl vom Schweiß und ich spürte die Aufregung in meinen Eingeweiden nagen. Als wären ihre Worte ein Schicksalswink für mich. Und war dem nicht auch so?
Wir waren bereits verbunden, mit unzähligen unsichtbaren Banden. Ob es ihr auch so ging? Ob sie es spürte?
"Ich beschreite den Pfad, den Alcandor mir vorgegeben hat. Alles andere ergibt sich. Was zählt ist stark zu sein, gerecht und anzupacken, was es anzupacken gilt. Zweifeln ist was für Gelehrte und Elfenohren."
"Hm." Ich nickte. Plötzlich erschienen mir meine Stiefel seltsam beachtenswert und mein Blick bohrte sich in die sich kreuzenden Schlingen. Ein wenig enttäuscht war ich schon.
Und sie sah es mir wohl an, denn ihr Blick wurde versöhnlicher.
"Ein Wort für ein Wort, nicht Haaki?" Ich nickte, immer noch den Blick fest auf der Stiefelkappe meines linken Stiefels. Doch ein Krieger war mutig. Ich schluckte also die Furcht mit einem tiefen Schluck aus meinem Weinschlauch fort und malte mit der Klingenspitze meines Dolches Säulen und Wirbel in die verwurzelte Erde, während ich nachdachte. Wovon träumte ich? Was wollte ich? Weshalb war ich hier?
Irgendwie war ich mir sicher, dass wenn ich Svenja nun anblicken würde, meine Antwort eine andere sein würde. Also blickte ich hinauf zu den Sternen, die zwischen Wurzelwerk und Laubschatten zu uns hinein leuchteten und sprach aus, was ich ihr solange verschwiegen hatte.
"Antworten. Sie sind alles was ich suche. Mit ihnen wird mein Weg mir klar werden."
Sie schnaubte, wie nur Svenja es konnte. Sie hätte auch sagen können "spar dir das Gerede um den heißen Brei und spucks endlich aus", aber sie tat es nicht.
Und genau darin lag eine stille, unausgesprochene Art Respekts, für den ich ihr dankbar war. Ihr war die Sache ernst. Ernster vielleicht sogar als sie mir zu Beginn unsres Nachtwachen-Dialogs gewesen war.
Es wirkte sogar anmutig, wie sie ihren Kopf reckte und ihr Hals lang wurde. Die kräftige Linie zu ihrem Nacken offenbarte, die so verletzlich war.
Aber nichts und niemand konnte ihr etwas anhaben und genau diese Stärke strahlte sie auch jetzt aus.
Wir waren gleich geboren, unter dem gleichen Zeichen, den gleichen Gezeiten und Wettern, den gleichen Leuten. Und doch so ganz anders.
"Na, dann viel Glück damit. Seit du mit dem Runenwerfer und dieser dunkelhaarigen Frau geredet hast, scheinst du mir aber nicht grade erleuchtet worden zu sein. Eher das Gegenteil. Nur noch mehr Fragen, mit jedem Schritt den du gehst, was? Ach Haaki." Sie war besorgt. Und das war es, was ich nicht wollte. Ich wollte mich um sie sorgen, es sollte nicht andersherum sein. Wir schwiegen und in der Stille der Nacht und unsrem Beisammensein lag ein süßer Trost, der mit dem gurgelnden Fluss all meine Ängste mit sich fort nahm.
~***~
Aber während ich noch in Gedanken versunken Kreisel malte, traf mich etwas weiches, duftendes am Kopf. Verwirrt - und viel zu spät - fing ich es auf und betrachtete es.
Dann sie, wie sie sich die ledernen Bänder und Gurte ihrer Rüstung wieder richtete. Es war ihr Leinenhemd.
Ich brachte kein Wort heraus und starrte nur so einfallsreich und wortgewandt wie ein Stück trockenes Brot auf das helle Stück Stoff, das in meinen Händen jetzt schon Flecken bekam.
Ars war wohl an jenem Abend verhindert, oder er hatte mich längst aufgegeben, doch zum Glück war Svenja noch da.
"So wie ich das sehe, hälst du mir auf meinem Weg noch eine Weile den Rücken frei. Also sieh zu, dass du mir nicht abkratzt. Oder dich im Lazarett verkriechst, wie gewisse andere Drückeberger und Blumenpflücker."
Die Vorstellung, dass sie damit Arson meinte und das Bild von ihm wie er mit einigen Elfen und Kränzen im Haar über eine Blumenwiese hüpfte um Heilkräuter einzusammeln entlockte mir ein leises Kichern.
"Ich seh von hier aus, wie dir das Wasser immer noch durchs Haar rinnt, Kerl. Vom Lachen wirste auch nicht trocken hinter den Ohren. Das wär doch ne Idee, hm?
Ich hab hier auch irgendwo noch diese teure Paste. Mal sehn was ich für deine Rüstung tun kann, deren Ächzen ist schlimmer als ein keuchendes Streitross. Wirf die mal rüber."
Nein, Ars war an jenem Abend wirklich nicht bei mir. Und auch kein andrer unsrer sieben gnädigen Götter. Tanis mochte mich ja sowieso nicht, sie mochte sich in diesen Momenten köstlich amüsiert haben.
Ich blieb wo ich war, regungslos, gelähmt von dem herben Honigduft in meinen Händen. Und alles was ich denken konnte war: Ob ihr Haar wohl auch so roch?
"Na los, auszieh'n." So langsam dämmerte es mir nun doch. Aber nur sehr langsam, eine Goblinmatrone der fünften Generation hätte mich gackernd mit ihrem hunderfachen Nachwuchs in diesem Moment auf der Gedankenstraße überholt. Mit ihrem gesamten fußlahmen Nachwuchs, wohlgemerkt.
"Wenn die Goblins sich für Ragnar rächen wollen, halt ich sie dir schon vom Leib. Zumindest die ersten zwei. Und dann kämpfst du halt so. Vielleicht schüchtert es sie ja ein."
Sie grinste, strich bedächtig über den Bogen, der auf ihren Oberschenkeln lag. Und es lag wohl am Klang ihrer Stimme, der ungewohnt zufrieden klang, dass ich gehorchte. Nur hatte ich mich wohl zu früh gefreut.
Kaum das ich in meinen Untersachen dastand, kam Svenja wieder zum Vorschein.
"Wobei dir ein paar Narben auch gut täten." Ja, das war meine Svenja mit der Zunge der einem Pfeil glich.
"Sagt die richtige von uns." Schoss ich zurück. Ich wusste, das meine Schultern nicht so breit waren, wie die von Gorath. Aber das war auch schon alles, was mir an ordentlichen Maßen fehlte.
Zufrieden stellte ich fest, dass meine Zunge mir endlich wieder gehorchte. Nicht das es sonderlich half, dass ich in der Höhle an einer kühlen Steinwand entlangschabte, während sie mich wie ein Stück Wild musterte.
Vor allem das herumhopsen auf einem Bein, als mein Stiefel nicht so wollte wie ich, hätte ich gern schleunigst aus ihrer Erinnerung gestrichen.
"Wie meinst du das?" Uh. Den Tonfall kannte ich auch. Egal was ich jetzt sagen würde, nichts würde ihr Gemüt jetzt noch abkühlen. Also blieb ich bei der nüchternen Wahrheit. Und schönte sie um ihr ein wenig zu schmeicheln. Das machte man doch so... nicht? Ars machte in diesem Moment immer noch Urlaub irgendwo, in einem Blumenschrein auf einer sandigen Insel. Von ihm kam keine Eingebung, so sehr ich auch auf ihn hoffte. Nichtmal Trivia, die Gütige, half mir aus der Patsche. Und grade sie sollte doch wissen, wie man keifende Hausdrachen besänftigte. Sonst gäbe es längst keine Karadonen mehr. Der Gedanke an ihre Sanftmut und einen Haufen weizenblonder Haarschöpfe flößte mir Mut ein. Wir waren füreinander bestimmt, nichtmal eine keifende Svenja konnte das Schicksal abändern. Ha! Nimm das, feuerspeiende Bogenschützin mein!
"Naja, ich hab eben mehr gebrochene Knochen und Prellungen abbekommen als du. Nichts was man noch sieht, keine Verunzierde und schon gar nicht an deinem wohlgestalten Leib, aber ich weiß, das ich mindestens genauso viel erlebt hab, wie du." - "Ach, hast du das?" Nein Trivia, dein Sanftmut facht Alcandors Flamme nur an. Planänderung.
Ars der Fröhliche wachte auf einmal auf und einer Eingebung folgend, gab ich mich dem Schalk hin.
"Na gut. Du hast mehr Elfen verhauen als ich." - "Elfen?" Na geht doch.
"Na, die eine von unsren Übungsspitzohren hast du doch an dem Tag zerlegt, als Gorath dir stockbetrunken zugeflötet hat, wie niedlich er deine Tittchen findet..."
Mein Seitenblick auf sie, verriet mir nichts über ihre Gedanken. Vielleicht hätte ich jedoch in ihr Gesicht und die Augen blicken sollen, die so wunderbar funkeln konnten, wenn sie wütend war... und nicht auf die Einschlüsse der Lederrüstung, die ohne Rüstung ziemlich viel offenbarten. Mehr als sie verbargen. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie die Ausbildung sie verändert hatte. Sowohl ihre Muskeln als auch ihre Rundungen hervorhob. Mehr als nur die gestählten Arme und Beine gab es da jetzt ohne das schützende Leinen ganz andre Täler und Schattenspiele zu bestaunen. Die sich entlang ihrer Seiten und im Profil der festgezurrten Lederriemen nun ziemlich deutlich abhoben und vorwölbten und mit jedem Atemzug im Mondlicht schimmerten wie...
Der Schlag gegens Schienbein kam ohne Vorwarnung. Es musste ihr Bogen gewesen sein, den sie so innig liebte. Sonst hätte sie ein zweites Mal zugeschlagen.
Und sicher auch noch ein drittes und viertes Mal.
Oh Götter, gebt mir Kraft!
Ich biss mir auf die Wange und verkniff mir einen Fluch. Das hatte verdammt weh getan!
"Schöne Kriegerin bist du, einen wehrlosen, halbnackten Kerl..."
"Pass auf was du sagst, sonst geschieht dem wehrlosen Kerl noch ein Unglück..." Fauchte sie etwa?
"...na gut einen beinah ganz nackten Kerl so zuzurichten." Ich strich die wehleidigkeit aus meiner Stimme. Zog eh nicht bei ihr. Ich meinte sogar, sie bitterböse grinsen zu sehen, während ich mir die Striemen auf der nackten Haut rieb und tunlichst vermeidete unter ihren Hals zu blicken. "Wofür genau war das?"
"Fürs Erinnerungen auffrischen. Darauf verzichte ich nämlich gern. Merk dir das."
Ich rollte mit den Augen und war froh, dass sie auf einen weiteren Hieb verzichtete und damit begann wütend auf meiner Rüstung herumzuschrubben.
Götter! Versteh einer die Frauen und ihre dunklen Gedanken!
Irgendwo in meinem Hinterkopf hörte ich Tanis zischend lachen und Ars sich mit tränennassen Augen auf die Schenkel klopfen.
~***~
Manchmal war sie mir schon ein Rätsel. Aber ich nahm was ich bekommen konnte und war ganz zufrieden damit, mich am Fluss mit klarem Wasser zu waschen und allein meinen Gedanken nachzuhängen.
Wenigstens für eine Weile. Dann jedoch zog mich etwas zurück zu ihr. Sie grollte immer viel zu lang, also war es an mir sie von ihren düsteren Gedanken abzubringen.
In einer kleinen Grube hatte sie ein winziges Feuerchen entfacht, kaum mehr als eine Lichtquelle. Ein rotes Glühen zwischen den Bäumen, das von dort wo ich am Fluss stand aussah, als blicke Turinnias Antlitz bereits über das nachtschlafene Land. Aber noch war die blaue Stunde fern und Dunkel zog die Nacht um uns ihre traumlosen Kreise. Es war genug Zeit zu reden und zum zurückkehren. Ich war nicht sicher ob ich nicht lieber erwischt worden wäre. Immerhin hätte ich meine trockenen Sachen anziehen können. Und Gorath hätte mir sicher auf den nächtlichen Schreck ein Stück Speck zugesteckt. Und Asa hätte mir eine Kräutersalbe auf den Rücken getan und irgendwer hätte sein Schaffell um meine Schultern gelegt... achja, Kameraden.
Aber so waren da nur Svenja und ich. Ihr nasses Hemd, dass ich sorgfältig gewaschen und ausgewrungen hatte, steckte ich sorgsam auf zwei Stecken neben das kleine Feuer und hoffte, dass sie noch eines zum Wechseln über hatte. Mit barer Brust auf Erkundungsmission zu gehen, weil ich ihr dann meines überlassen musste, stand nämlich sicher nicht auf der Liste der "Zehn Dinge die ich tun möchte, ehe ich Soldat werde".
"Also Svenja. Ist es eine Abmachung, wenn ich dir für dein aufopferungsvolles Handeln und das Hemd danke und wir da weitermachen, bevor ich mich ausziehen durfte?"
Sie blickte nichtmal auf, zuckte nur mit den Schultern und friemelte an frischgeschnittenen Federn herum, die sie in alte Pfeile einsetzte. Was sie da tat war mir völlig schleierhaft.
"Setz dich hin. Ich bin dran mit fragen." Ich saß kaum zwei Atemzüge, als sie am Feuer vorbei hinter mich krabbelte und leise brummend über meine Schultern rieb.
"Was...?" "Wirst du wohl mal stillsein." Keine Frage. Na dann. Ich grinste, das nasse Haar fiel mir in dichten Strähnen ins Gesicht. Sie schien nicht allzu sauer zu sein.
Den Rücken rubbelte sie mir sorgfältig trocken, wie wir das als Kinder beim großen Waschtag immer gemacht hatten. Ich fühlte mich beinah wieder wie ein Mensch, weniger wie ein Erdferkel.
Schweigend und mit halbgeschlossenen Augen spürte ich ihren Bewegungen nach. Es war kaum zu verbergen, wie sehr ich ihre Nähe genoss.
Und ich wusste, dass sie wusste, dass ich um ihre Gefühle für mich im Bilde war. Weshalb war es nur manchmal so verflixt verfahren zwischen uns, wenn es doch so oft so klar schien was uns verband?
~***~
"Wovor hast du Angst?"
Meine Schultern zuckten nach oben, als sie einen Fleck am Hals besonders fest fortrieb. Aber die Frage saß und bohrte wie ein Dorn in meinen Eingeweiden. Da gab es nichts abzuwehren.
Und Svenja würde sich mit einem "Nichts" nicht zufrieden geben. Ich beäugte ihren Bogen, der in Reichweite lag wie ein böses Omen und atmete hörbar aus. Vermied es aber dabei dem Seufzer der sich in meinem Herzen anbahnte, Raum zu lassen.
"Keine ... Angst. Nicht direkt. Aber ich fürchte mich. Vor dem, was kommt, wenn ich die Antworten nicht finde."
Meine Stimme war nur ein Hauch im Dunkel. Hatte ich das wirklich gesagt? Wieso war ich nur nicht so findig wie Arson und hatte mir etwas von Spinnen oder Krabben oder Dachsen, die im Kochtopf landeten ausgedacht?
"Wie meinst du das, was kommt? Denkst du es fällt ein dicker Ork vom Himmel auf dich drauf, wenn du nicht erahnst, wann und wie er fällt?"
Ich lachte leise bei der Vorstellung, ein Orkhäuptling würde ein Loch in unsre Kaserne reißen, weil die Grünhäute sich beim Katapult beladen vertan hatten.
"Nein, nicht um mich sorge ich mich. Ich fürchte mich um... alles."
Es war schwer in Worte zu fassen. Also blickte ich hinter mich, wo Svenja hinter ihrer dichten, losen Stirnlocke zu mir aufschaute und beide Hände auf meine Schultern gelegt hatte um sich auf mir abzustützen.
Die Wärme ihres Körpers flößte mir Mut ein. Und noch etwas. Ihre Nähe rang mir etwas ab, ein Zugeständnis. Sie verdiente die Wahrheit, nichts geringeres. Also blickte ich in ihre klaren, feurigen Augen, die wie süßer Honig im Feuerschein dahinflossen und griff nach ihrer Hand auf meiner Schulter. Und hielt sie fest. Anders, als ich es je zuvor getan hatte. Sie musste es gespürt haben, denn ihr Blick suchte gleich wieder den meinen und sie lehnte sich so nahe an mich, dass mein Schatten die Hälfte ihrer Gestalt verbarg. Ohne ihr Stirnband saß die Falkenfeder lose in ihrem Haar. Ich erinnerte mich an die gleißende Freude ihres ersten Jagdzugs. Dem Tag, an dem sie der Sonne, dem Wind, dem krummen Bogenholz und der armseligen Bogensehne getrotzt hatte und zum ersten Mal mit ihren eigenen Händen ein Tier erlegt hatte. Ich hatte mir damals gewünscht, ihr leuchtendes Gesicht fürimmer in mein Gedächtnis brennen zu können. Aion hatte mir diese Gunst gewährt und in diesem Moment dankte ich ihm, dass er uns hier zusammensein ließ. So wie wir waren.
Svenja strich mir das feuchte Haar aus dem Nacken und legte ihr spitzes Kinn an meine Schulter. An der anderen regte sich ihre Hand unter der meinen, drehte sich um. Und verschlang sich mit meinen Fingern zu einer starken, lebendigen Einheit. Sie lauschte und blickte zum Feuer hinüber. Wartete, dass ich fortfuhr. Nur wie weiter? Mein Herz beschrieb eine breitere Spannweite als der selbst größte aller Vögel, den sie je erlegt hatte. Und um nichts in der Welt wollte ich sie rastlos sehen. Es genügte schon, dass meine Nächte ruhelos waren.
Sanft murmelte ich in unsre verschlungenen Hände hinein mein leises Geständnis:
"Sie bedeuten etwas, Svenja. Etwas großes. Das ist nicht nur eine Person, oder eine Handvoll Leute um die sich diese Träume drehen."
Sie zuckte.
Meine Worte stolperten weiter, wie ein Wasserfall über einen Haufen geborstenen Schotterstein hinwegrinnt. Mir wurde grausig kalt.
"Es geht um einen Krieg. Einen Krieg, der ganz Karadon verändern wird. Jeden von uns. Ich spüre es ..."
Ihre Hand zuckte, löste sich. Entzog sich mir. Ihre Wärme entzog sich mir. Ihr Atem fehlte mir auf meiner Haut und es schmerzte schlimmer als Peitschenhiebe.
Und für einen grauenvollen Moment dachte ich - jetzt geht sie fort. Verlässt mich. Weil sie es nicht verstehen kann. Nicht verstehen will.
~***~
Ein ordentlicher Klapps auf den Hinterkopf, ließ mich nach vorne sacken.
"Svenja!" Nie hatte mich ein Schlag so glücklich gemacht.
"Vor lauter Träumen siehst du gar nicht mehr, was um dich herum geschieht, oder? Was hat Karadon davon, wenn du vor lauter grübeln in ein Loch fällst? Gar nichts."
"Svenja." Weh und Hoffen lag in meiner belegten Stimme. Ich hatte nicht übel Lust ihr ebenfalls eine runterzuhauen, mich für den Bogenhieb zu revanchieren und ihr eine Abreibung zu verpassen, die sie nicht vergessen ließ, dass wir letztlich immer noch ebenbürtig waren; aber ich begriff die Wahrheit ihrer Worte. Die Schwere, die darin lag.
Ihre warmen Arme legten sich um meine Schultern und drückten mich fest an sich. Und ich wusste in diesem Moment, dass ich ihr immer noch wichtig war. Und es immer gewesen war. Es gab keine Chancen zu verspielen. Nicht mit Svenja. Sie würde immer an meiner Seite sein und ich an ihrer. Weil das unser Platz war.
"Dein Schicksal liegt in deiner Hand. Kein anderes. Ich weiß, dass du etwas besonderes bist, aber es ist nicht deine Aufgabe, Sternendeuter und Prophet zu sein. Das führt nirgends hin."
Mein Gesicht drehte sich zu ihrem hin, bis sich unsre Nasen berührten. Einen neckischen Kampf ausfochten, bei dem sie mich zuletzt in die Nasenspitze biss und ich sie auf meinen Rücken hievte. Ihre Beine um meine Seiten geschlungen behielt sie doch noch die Oberhand. Sie wusste, ich würde nicht im Traum daran denken sie abzuwerfen oder sie an einem tiefhängenden Ast abzustreifen. Dann schon eher...
Ich ließ mich auf den mit trockenen Erdboden fallen und rollte mich halb herum um meine Kriegerin zu fassen zu kriegen.
Doch Svenja war noch nicht fertig damit, mir den Kopf von düsteren Gedanken frei zu waschen:
"Du bist im Sternzeichen der Kriegerin geboren. So wie ich. Vertrau
einmal den Göttern, Haaki. Kannst du das tun?"
Ihre Hand griff nach der meinen, als ich versuchte ihre Tallie zu umfassen. Auch die zweite fing sie ein, als ich ihr das Haar aus dem Gesicht strich. Ohne das Band wallten sie wie die Mähne einer Löwin um ihre herben Gesichtszüge. Ich begutachtete die Adern auf ihrem Arm. Zog beide Hände an meine Brust und sie gleich mit dazu. Ihre ganze Gestalt im Mondlicht hätte nicht schöner sein können. Sie war weich, einige Narben leuchteten hell auf der gebräunten Haut mit den Sommerflecken und den erdigen Schmutzstriemen, die meinen so glichen. Sie war warm. Sie war wundervoll.
"Ich würde es für dich tun", raunte Ars aus meinem Mund.
~***~
I watch you when you sleep
And listen as you breathe
I'm close to you and keep you warm
- Stratovarius; Fairness Justified
Löwinnen fürchten nichts.~