Noch auf dem Weg in ihre Garage spielte Kiyori mit dem Gedanken, sich einfach darin einzuschließen, heimlich in ihre Wohnung zu schleichen und die Elfe draußen sitzenzulassen.
Was auch immer sie hatte - in der Aufregung des Mädchens und ihrem eigenen Schock über die Kreatur aus dem Abwasserkanal hatte die junge Mechanikerin nichts wirklich verstanden - es war nicht ihre Angelegenheit.
Noch ist es nicht zu spät, dachte sie, als sie nach dem Schlauch griff. Noch kannst du dich verkriechen, dein Kätzchen schmusen und in deiner Wohnung verharren, bis sie von alleine verschwindet.
Seufzend drehte Kiyori sich um und betrachtete die Elfe.
So fröhlich.
So arglos.
Worüber zur Hölle freut sie sich jetzt?!
Erneut seufzte Kiyori und trat nach draußen, den Schlauch in der Hand.
Sie versuchte, nicht zu genau hinzuschauen und ganz besonders nicht darüber nachzudenken, während sie vorsichtig die noch verbleibenden Schmutzreste von dem Mädchen spülte.

Schmunzelnd schob Nuo’sza sich die klatschnassen Strähnen vor den Augen zur Seite und sah zu ihrer Gönnerin auf, die nach wie vor nur einen verächtlichen Blick und kaltes, konzentriertes Wasser für sie übrig hatte. Aber immerhin war sie wegen Kiyori schon deutlich sauberer als noch vor zwei Minuten, weil diese sie nicht sofort zurück in den Gulli befördert hatte. Mit einem Tritt. Das war doch schon eine ganze Menge, dafür, dass sie sich erst einmal getroffen hatten.
“Dankeschön, verschlossene Kiyori.”

Äußerte Nuo’sza ehrlich. So eine Hilfe war in einer Stadt wie dieser alles andere als selbstverständlich. Vorallem, da sie in Köln überhaupt keine Kontakte hatte…


Kiyori legte den Schlauch beiseite.
“Weißt du, meinen Namen gibt es auch ohne Adjektiv”, brummte sie.
Kritisch beäugte sie die Elfe.
Immerhin sauber genug wirkte sie, um nicht eine dicke Schmutzspur hinter sich herzuziehen, wo auch immer sie hingehen würde.
“Also ... was genau treibst du noch gleich hier?”

Die Dunkelelfin hob den Zeigefinger, deutete erst auf Kiyori und dann auf sich.
“Weißt du, meine großzügige Gönnerin, ich möchte keinesfalls noch mehr verlangen, aber für eine heiße Dusche würde ich jetzt die unaussprechlichsten Dinge tun, nuo. Mir ist…”, ein Schauer ging durch ihren Körper, so dass sie die Arme um sich schlang, und ihre Spitzohren wurden wieder schlapp, ”... ein kleinwenig kühl. Außerdem glaube ich…”, mit einem gespielten Lächeln wich sie dem Blick der Mechanikerin aus, und sah an sich herunter, ”...dass es mir unangenehm ist… hier so erbärmlich vor dir zu sitzen, auf offener Straße, und ein Gespräch zu führen.”


Kiyori schnaubte leise.
Dann deutete sie in Richtung ihres Wohnhauses.
“Komm mit.

Und du bist besser in einer Notlage.”

Sie warf der Elfe einen scharfen Blick zu.

“Oho… wie sie starren kann.” Flüsterte Nuo’sza sich zu und sank schon fast ein wenig zusammen unter dem Blick des deutschen Mädchens. Das kam nicht gerade oft vor. Mühselig erhob sie sich von der Straße und schlich ihr hinterher.


Schweigend führte Kiyori das Mädchen in ihre Wohnung und deutete auf die Tür zum Badezimmer.
“Ich warte.”

Nuo’sza nickte und trat dann vorsichtig ins Bad ein. Es gehörte sich schließlich nicht, als Gast irgendetwas schmutzig zu machen.

Als die Tür sich geschlossen hatte, begab Kiyori sich in die Wohnküche, wo sie sogleich von einem Miauen und einer weichen, samtigen Berührung an ihren Beinen begrüßt wurde.
“Was denn, hast du mich vermisst?”
Lächelnd beugte Kiyori sich herab und strich der Katze, pechschwarz bis auf einen weißen Brustfleck und goldgrünen Augen, über den seidigweichen Kopf.
Das Tier schnurrte, strich weiter um die Waden seiner Herrin, ehe es schließlich zum leeren Futternapf huschte und der Mechanikerin einen erwartungsvollen Blick zuwarf.
“Oh, mein Fehler”, seufzte Kiyori und holte aus dem Schrank eine Schachtel Katzenfutter hervor.
“Hier, du Fressmaschine.”

Als die Tropfen heißen Wassers an ihrem Rücken hinabflossen, gab Nuo’sza ein tiefes, entspanntes Seufzen von sich und sank an der Duschwand in Sitzposition zusammen. Der weite Weg von Paris bis in diese Stadt hatte sie doch merklich ausgezehrt, das Debakel am Ende war da nur die Spitze der Erschöpfung. Die Dunkelelfin wusste nicht, wann sie sich das letzte Mal so hatte gehen lassen. Holo sei Dank hatte sie jemanden gefunden, in jedem billigen Hotel hätte man sie in ihrem Zustand mittels des Sicherheitsdienstes entfernen lassen. Noch ein paar Minuten genoss sie die wohlige Wärme auf ihrem Körper, dann drehte sie den Hahn schweren Herzens ab, wickelte sich eines der bereitgelegten Handtücher um die Hüfte und torkelte schwerfällig aus dem Bad. Wie Nuo’sza feststellen musste, war sie kaum noch richtig bei sich. Fast zwei Tage ohne Schlaf hatten auch an einer nachtliebenden Dunkelelfin Spuren hinterlassen, die Dusche hatte ihr endgültig jeden Funken Antrieb genommen, so dass sie im Halbschlaf durch die Wohnung tapste und versuchte, Kiyori zu finden. Als die Söldnerin irgendwie in ein Schlafzimmer gelangt war, stolperte sie über die Bettkante direkt auf die dicke Federdecke und schlief sofort ein. Ein wenig murmeln noch, dann atmete sie ruhig und gleichmäßig.


In der Wohnküche Kiyori nur, wie eine Tür ging.
Und als sie dem Geräusch folgte, fand sie die Elfe vor, schlafend wie ein Baby.
Einen Augenblick lang spielte Kiyori mit dem Gedanken, sie einfach aus dem Bett zu werfen.
Aber diesen verwarf sie dann doch.
Ihre Eltern hatten ihr Gastfreundschaft wohl zu sehr nahegelegt.
“Wenigstens ist sie sauber”, murmelte Kiyori, ehe sie das Zimmer verließ - ohne die Tür völlig zu schließen - und sich ihrer Werkecke widmete.
Es würde eine lange Nacht werden ...


Als Nuo’sza langsam, nach und nach erwachte, sich ein wenig im Bett herumwälzte und anscheinend mit einem Kissen gekuschelt hatte, fiel ihr noch trüber Blick aus dem Fenster - Es war offensichtlich schon Abend. Gähnend rieb sie sich die Augen und setzte sich auf, um erstmal herauszufinden, wo sie überhaupt war.
Ach richtig… die schweigsame und großzügige Kiyori, nuo. Es sieht aus, als wäre ich noch eine ärgerlichere Bürde gewesen und glatt auf ihrem Bett eingeschlafen…”

Nuo’sza zuckte mit den Schultern, legte das Handtuch vorsichtig zusammen und zog mit einem leidigen Blick ihre stinkenden Sachen wieder an.
“Mein schöner Mantel… der war teuer, nuo.”

Zumindest war sie selbst sauber. Als Söldnerin war es auch nicht ungewöhnlich, mal ordentlich verdreckt zu sein. Abgesehen von ihrer Kleidung fühlte Nuo’sza sich rundum erholt und frisch, der Schlaf hatte ihr wirklich gut getan. Dafür musste sie sich unbedingt revanchieren. Leise verließ sie das Schlafzimmer und ging durch den dunklen Flur Richtung Küche, in der Licht brannte. Als sie vorsichtig um die Ecke lugte, sah sie Kiyori verträumt am Küchentisch sitzen. Nuo’sza betrat den Raum und setzte sich ohne große Scheu zu ihrer Gastgeberin.

Kiyori zuckte leicht zusammen und legte rasch die alte Spieluhr beiseite, die man ihr zur Reparatur gegeben hatte.
“Du hast ernsthaft dieses Zeug wieder angezogen?”, fragte sie mit gehobenen Brauen und gerümpfter Nase.

Ohne eine Antwort abzuwarten, huschte sie in ihr Zimmer und kehrte mit ein paar schwarzen Sachen zurück, die sie seit Ewigkeiten nicht mehr getragen hatte.
Wortlos legte sie diese vor der Elfe ab.

Schon wieder bekam Nuo’sza Schlappohren. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dieser Aufenthalt hier hatte sie der Beschwörerin gegenüber deutlich passiver gemacht, und würde es auch zukünftig. Das gefiel ihr gar nicht. Trotzdem nahm sie die Sachen mit einem dankbaren Nicken und verschwand nocheinmal kurz in den Flur, ehe sie Sekunden später zurückkam. Kiyoris gemütliche Sachen waren zwar wegen dem Unterschied ihrer Körpergröße etwas kurz, trugen sich aber ersteinmal ganz angenehm. Wieder setzte sie sich zu ihr.
“Also ersteinmal möchte ich dir vielmals danken, schweigsame Kiyori. Das hat sehr geholfen, nuo.”

Begann Nuo’sza das Gespräch in entspanntem Tonfall.


Kiyori winkte ab.
Sie hasste Smalltalk, hatte es immer schon getan.
“Du hättest in dem Zustand sämtliche Kundschaft verjagt …”

Sie musterte die Elfe eindringlich.

“Abgesehen davon - was genau ist los?”


“Das tut mir auch angemessen leid, wirklich. Aber großzügig warst du trotzdem, nuo. Und wie versprochen erzähle ich dir, was ich in Köln mache. Allerdings... du hast die großartige, wunderschöne und anmutige Nuo’sza Valatess vorhin in einer sehr... erbärmlichen Verfassung gesehen. Das ist mir etwas… unangenehm, nuo.”

Sie drugste weiter herum, sah auf ihre Knie herab. Wenn es dann doch mal zu den seltenen Momenten kam, in denen Nuo‘sza sich für etwas schämte, wurde ihr Selbstvertrauen durch den Reisswolf gezogen.


Kiyori hob die Brauen.
“Was denn, bist du um deinen Ruf besorgt?”

Es kümmerte sie recht wenig, dass Nussa - oder wie sie auch hieß - nun ein verletztes Ego hatte. Sie wirkte ohnehin nicht wie ein Mädchen, was Angst haben sollte, schmutzig zu werden.

Nuo’sza hob den Kopf und verengte die Augenbrauen.
Ruf? Oh nein, sicher nicht. Ich mag es nur nicht, wie eine Heuchlerin dazustehen, nuo.”


Die Mechanikerin zuckte mit den Schultern.

“Solange mich niemand bezahlt, werde ich schon nicht weitererzählen, dass du aus einer Kloake gekrochen bist ...”

Ein breites Grinsen zeichnete sich auf dem Gesicht der Dunkelelfin ab.
“Das hört sich schön an! In Ordnung, pass auf, schw… Kiyori.”


Also erzählte Nuo’sza, wie sie den vielversprechenden Kleinganoven von Paris bis nach Köln verfolgt, ihn gestellt und ausgequetscht hatte. Was er über die Sache in Frankfurt gesagt hatte und dass Lisanya auf der Abschussliste stand. Dass Nuo’sza ihren Aufenthaltsort kannte, das Attentat in zwei Tagen stattfinden sollte und sie der Sportlerin den Hals retten wollte. Weil sie ihr etwas schuldete. Dass die Söldnerin es auch tat, um über Lisanya an einen vielversprechenden Fall zu kommen, an dessen Ende ein lukratives Honorar warten könnte, verschwieg sie der Mechanikerin vorerst. Es war auch unnötig, ihr das auf die Nase zu binden.

Kiyori stöhnte leise.
Da war man einmal hilfsbereit und dann das ...

“Und du bist sicher, dass dir niemand gefolgt ist?”

Sie legte die Stirn in Falten und erhob sich, stapfte grübelnd hin und her.

Die Söldnerin winkte unbeschwert ab.
“Keine Sorge, nuo. Und… was denkst du darüber? Hast du Interesse, dem kleinen Spitzohr den kleinen Hintern zu retten? Ich fürchte, ich muss nämlich gestehen, makellos wie ich bin, keine Magie zu beherrschen, nuo. Eine Beschwörerin wäre da sehr nützlich. 50:50, Kiyori?”

Fragte sie die skeptisch Zurückstarrende mit hellem Tonfall.

“Wie makellos du bist, habe ich gesehen”, knurrte Kiyori.


Nuo’sza zuckte unter der Spitze zusammen, unterbrach sie aber nicht.

Kopfschüttelnd schritt Kiyori zum Kühlschrank und griff sich eine Flasche Bier heraus, die billigste Plörre, die es zu kaufen gab. Kiyori war nicht immer wählerisch, was genau sie trank.
Sie nahm einen tiefen Schluck, ehe sie sich wieder Nussa zuwandte.

“Weiß unsere Freundin überhaupt, dass sie sich Feinde gemacht hat?”


“Dann wären die Attentäter recht ineffektiv, denkst du nicht, nuo?”


“So effektiv können sie ja wohl nicht sein”, gab Kiyori zurück. “Immerhin hat einer sich von dir fangen lassen.”


Oho~, fährst du deine Krallen aus, kleine Beschwörerin?”

Neckte Nuo’sza nun doch einmal grinsend zurück.


“Nein”, seufzte Kiyori. “Ich mag Realismus.”

Und spitze Kommentare beruhigten.
Sie atmete tief durch.

“Ich habe kein Interesse daran, diese Frau einfach sterben zu lassen.”

“Ich nehme das als motiviertes, dankbares und leidenschaftliches ‘Ja bitte, lass mich helfen, das Leben des kleinen Spitzohres zu retten!’.”

Strahlte Nuo’sza zufrieden.

Als Kiyori das mit einem zerstörerischen Blick quittierte, wurde sie merklich kleinlauter.
“In Ordnung, du bist einverstanden, nuo. Nur einverstanden. Das ist schön, dann haben wir eine Zusammenarbeit. Es freut mich, Kiyori. Was hältst du davon, wenn wir uns in etwa einem Tag dort treffen? Vielleicht möchtest du dich noch vorbereiten. Natürlich werde ich dich so gut es geht beschützen...”, Nuo’sza fuhr sich mit den Fingern durch ihr langes Haar, ”aber man weiß ja nie, nuo.”


“Ich kann ganz gut auf mich selbst aufpassen.”

Kiyori sog an ihrer Flasche.

Abgesehen davon, dass es andere gab, die auf sie achtgaben.
“Wann gehst du wieder?”


Wie als hätte jemand das Signal dafür gegeben, suchte Nuo’sza mit den Augen ganz schnell wieder den Boden. Die daraufhin herrschende Stille war vielsagend und brutal. Half ja alles nichts, mit brüchigem Lächeln sah die Dunkelelfin zu ihrer Gegenüber auf.
“Also… Holo sei meine Zeugin, das war so nicht geplant, nuo… aber ich kenne in Köln leider nicht wirklich jemanden, und man wird mich auch bei meinen üblichen Arbeitgebern eher ungerne aufnehmen, nuo. Zudem bin ich gerade, wie sagt man, pleite, darum hatte ich gehofft…”


“... dass die verschlossene- nein, die gütige Kiyori dich hier pennen lässt?”
Die junge Frau schüttelte unverständig den Kopf.
Das Mädchen verhielt sich wie eine absolute Amateurin mit einem viel zu großen Ego.
“... du kannst das Sofa haben.

Für eine Nacht.
Und das zahlst du mir später.”


Nuo’sza hatte die Abfuhr quasi schon akzeptiert, als sie doch noch bleiben durfte. Mit Sofas hatte sie kein Problem, auf denen schlief sie oft.
“Vielen Dank, gütige Kiyori.”

Summte sie erleichtert. Die Dunkelelfin erhob sich, ging auf die Beschwörerin zu - Und deutete eine leichte Verbeugung an. Dabei tippte sie ihr mit dem Zeigefinger kurz auf die Nasenspitze.
“Ich zahle garantiert und vergesse niemals eine Gefallen, nuo. Das war unser zweites Mal. Es wird sich für dich lohnen.”

Dann zog sie sich in die Ecke mit dem Sofa zurück und murmelte sich auch sofort unter der Decke ein, nachdem sie sich entkleidet hatte - Morgen würde ein anstrengender Tag werden. Bevor Nuo’sza einschlief, dankte sie der Weißwölfin noch für die glückliche Wendung und die nützliche Partnerin, die sie ihr nach ihrem Ausrutscher beschert hatte. Das Ganze würde eine unterhaltsame Anekdote für Reeza werden, so viel war sicher.

Kiyori verbrachte noch ein wenig Zeit damit, an der Spieluhr herum zu werkeln.
Weniger aus Produktivität, sondern mehr, um ihren Geist wieder auf ein halbwegs ebenes Level zu bringen. Und sich zu fragen, worauf sie sich da wieder eingelassen hatte.

Erst als Bastet auf ihren Schoß sprang, merkte Kiyori, dass sie nicht wirklich gearbeitet, sondern nur ein wenig hin und her geschraubt hatte.
Nachdenklich strich sie der Katze durchs Fell.

“Du hast Recht, wir sollten schlafen …”

Sie hob das Tier hoch und trug es in ihr Schlafzimmer, setzte es auf das Bett.
Schnell schlüpfte sie aus ihrer Kleidung und streifte sich ein ausgeblichenes und viel zu weites T-Shirt über, schlüpfte dann unter die Decke, spürte mit geschlossenen Augen, wie ein kleiner, warmer Körper sich an sie schmiegte, begleitet von einem dunklen kehligen Schnurren.
“Ich weiß”, murmelte Kiyori, mit einem Mal sehr schläfrig.

“Ich helfe ihr schon.
Meine Ma würde mich umbringen, wenn ich nicht helfen würde, ihre Autogrammgeberin zu retten …”