Am Dienstag Abend dieser Woche habe ich als Spielleiter eine Testrunde Shadowrun 4 geleitet. Als Einsteigerspieler hatten sich die drei Forenrollenspieler unserer Herzen - Zitroneneis, MeTaLeVeL und Nonsense - bereiterklärt, ihre Seelen ein wenig von den Schatten der Sechsten Welt verderben zu lassen; ein erfahrener Pen&Paper-Rollenspieler mit dem Namen Nerduin (der jedoch nicht im MMX registriert ist) hat in der Runde dagegen kaum an Verderben hinzugewonnen, weil sich bekanntermaßen wahnwitzige und durchgedrehte draufgängerische Charaktere, auf deren Stinkefingerzeig selbst Götter sich nicht zu reagieren trauen, sich nicht irgendwie verderben lassen.
Das Besondere an der Runde war jedoch, dass es weder IRL mit Knabberzeug und Würfeln, die sich alle 5 Minuten unter dem Sofa verlieren, gespielt wurde, noch im Forum mit tagelangen Abständen zwischen Postings stattfand - wir fünf wohnten alle einer Chatkonversation in Skype bei, in welcher wir schriftlich das Abenteuer spielten und dabei Momente und Erfahrungen verschiedenster Arten begegneten. Es gab stressige Szenen, es gab entspannte Szenen, es gab fesselnde Szenen, es gab langweilige Szenen - Turbolenz und Action waren drin, aber auch Momente, an denen der Spielleiter nicht genug Zeit hatte, jedem Spieler Input zu geben, um so Beschäftigung auf allen Fronten zu halten.
Angefangen hat es mit einem sehr zähen Einstieg. Die Gruppe war, aus welchen Gründen auch immer, unterwegs zu einem großen Sportevent in Frankfurt am Main, um dort ein wenig in Menschengruppen herumzulungern und einer Spitzenathletin beizuwohnen, welche gepannt den Instruktionen in die erste Disziplin des Events lauschen wollte. Doch unerwartet und aufregend wandelte sich die gesamte Situation in einen September 1972, als Terroristen das Stadion übernahmen, Athleten als Geiseln nahmen und mit Bombeneinsatz drohten, wenn Widerstand seitens der Security oder von Polizeikonzernen drohte. In interessanten taktischen Manövern und einigen (bei Rollenspielen normalen) Missverständnissen schaffte es die Spielergruppe, bestehend aus einer Schwertadeptin, einer Magierin, einer Spitzenathletin und einem Kerl mit zwei Daumen und richtig geilem Sinn für gute Sprüche, die Lage unter Kontrolle zu bringen, ohne dabei auch nur eine Person fatal zu verwunden. Wenn man tollkühne Entmannungen und Onehit-Überraschungsmesserstichangriffe nicht als fatal betrachtet...
Die Situation führte dazu, dass ein übermütiger Kurgan-Troll, der anscheinend eine gewisse Mitverantwortung für die Situation zu haben schien, von 998 Kugeln und zwei Klingenhieben zur Strecke gebracht wurde - was sich allerdings als zäh umgesetzter, dennoch halbwegs kurzer Teil des Abenteuers herausstellte. Das Ende bestand aus ruhigem Characterplay und einer satten Belohnung für die tapferen und geschickten Charaktere, dazu ein wenig Fazit für mich und der optionalen Hausaufgabe für die Spieler, jeweils einen Epilog für die Charaktere zu verfassen.
Im Chatsystem hielt ich Abenteuer schon seit gut einem ganzen Jahr ab, was sich für mich persönlich als meine liebste Form des Spielleitens herausstellte - in der Zeit, in der man schreibt, hat man als Spielleiter die Chance, über das Abenteuer, die Situation und das selbst Geschriebene nachzudenken und damit mögliche Fehler oder Unklarheiten auszubügeln. In einer RL-Runde müsste man sich schon die Zeit zum Überlegen nehmen, was unprofessionell und wegen dem praktisch gestoppten Rollenspiel sogar nervig wirkt. Zudem kann man in einem Chatsystem nachlesen, was jeder einzelne geschrieben hat, und so Missverständnisse und Nachfragereien einschränken. Im Gegensatz zu Forenrunden hat das Chatsystem auch den Vorteil, dass man auf Fragen binnen einer Minute eine Reaktion erwarten kann (sofern kein Spieler gerade die Aufmerksamkeit der SL hat). In Wartezeiten kann man nebenbei auch am eigenen Rechner ein wenig herumkrakelen, bevor man wieder Input hat, um rollenspieltechnisch weitermachen zu können. IRL kann man zwar auch nebenbei etwas machen, wenn man sich eindeckte, doch kann dabei riskieren, wichtige Informationen nicht mitbekommen zu haben. Im Chat liest man sie einfach nach.
Die klaren Nachteile sind dagegen zum einen das Fehlen des physischen Schauspieleindrucks, der einen großen Reiz des Pen&Paper-Rollenspielwesens ausmacht. Dies kann allerdings durch die Chance, Reaktionen schön und üppig beschreiben zu können, gekontert werden. Zum anderen dauern Chatrunden natürlich ein wenig länger und zerren Situationen mit viel Debatten und Besprechungsfaktor (Planungen) in sehr langatmige Länge. Zum dritten fehlt auch die direkte Empathie der Spieler und des Spielleiters, welche viel des Spielgefühls und auch der Vermittlung von Information ausmachen.
Zum Abenteuer selbst habe ich als Spielleiter so einige wichtige Punkte festgestellt und sowohl Komplimente als auch Kritik erhalten, welche praktisch in folgende Erkenntnisse mündeten:
- Im Chat merkt man den Unterschied zwischen vier und drei Spielern gewaltig. Es ist bei dreien weitaus entspannter und von der Aufmerksamkeitswidmung her ausgeglichener. Ich selbst bin es gewohnt, Abenteuer für zwei oder sogar nur einen Spieler zu leiten, wenn sich keine Gruppe finden konnte. Vier Spieler waren für mich eine gute Abwechslung und zugleich Herausforderung, die sich als anstregend, aber farbenfroh, kreativ und abwechslungsreich herausstellte. Denn bei zweien oder nur einem Spieler werden Aktionen letztenendes sehr berechenbar, und man gewinnt ein zu gutes Gespür dazu, welchen Herausforderungen und Situationen der Spieler selbst gewachsen ist und an welchen er lange grübeln würde. Mehr Spieler dagegen bringen Vielfalt ins Szenario, neue Ideen, und vor allem gegenseitige Reaktionen aufeinander. Man kann ahnen, was Alfred, Dieter, Karl oder Hans als Einzelne machen oder sagen würden - doch die Ideen, zu denen sich die vier gemeinsam inspirieren, hätte man sich im Leben nie vorstellen können. Von daher sind Chatrunden mit mindestens vier Spielern weitaus interessanter und unterhaltsamer. Doch man darf keinesfalls vergessen,
- allen Spielern genügend Aufmerksamkeit zu widmen und neue Situationen/Fragen zu stellen. Ich selbst habe an mir gemerkt, dass ich mich stellenweise zu sehr im Voranbringen der Situation eines Spielers verlor und damit den anderen dreien minutenlang nicht genug neuen Input gab, an dem sie kauen konnten.
- Lange Bosskämpfe, die nur aus eintönigen Aktionen und ohne richtigen Stress bestehen, taugen einfach nichts. Sie nerven, sind langweilig und tragen kaum etwas zum Reiz des Abenteuers bei. Beim Kurgan-Troll hätte ich durchaus mal Decken einkrachen oder ihn mal schöne Kommentare reißen lassen sollen, damit die Spieler auch wissen, dass sie da gegen einen harten Gegner und keine harte Tresortür kämpfen. Das können sie ruhig in Abenteuern tun, die dafür ausgelegt sind (spielt Payday! Es inspiriert!).
- Mein Abenteuer war improvisiert gewesen, weswegen ich mir Details, die ich nebenbei erwähnte (Sicherheitsvorkehrungen), nicht selbst verinnerlichte, was dazu führte, dass der Charakter mit den beiden Sprengbedienungsdaumen seine Bomben im Apartment lassen musste, während die Schwertadeptin einfach ihr scharfes Silberrapier und die Magierin ihre Kung-Fu-Butterflyschwerter ins Stadion mitschleppen und dort zum Einsatz bringen durften. Daher sollte man kein Detail auf die leichte Schulter nehmen, besonders nicht, wenn es mit den Standardfragen in jedem Shadowrunabenteuer zu tun hat ("Wie gut sind die Sicherheitsvorkehrungen dort?").
- Man sollte sich stets die Mühe und Zeit nehmen, gute Ausgangspositionen für ein Abenteuer zu finden. Jeder Spieler hasst zähe Einstiege, obwohl sie durch interessante und zum Rollenspiel beitragende Startsituationen gekontert werden können. Die Spitzenathletin hatte nur als einzige eine gute Situation - sie war ja auch in einem Stadion, mit Interviewern und Spotlight. Doch für die anderen drei nahm ich mir leider nicht die Zeit, ihnen einen charakterzugehörigen und reizenden Abenteuerbeginn zu geben.
Soviel ersteinmal von meiner Seite. Nonsense sitzt gerade mühsälig am Abenteuerprotokoll und sortiert die wichtigen Stellen heraus, da enorme Mengen vom Chat aus Off-Topic, humorischen Kommentaren oder einfach nur eher belanglosen Fragen bestanden. Ich weiß, wie lange das Protokoll ist, und mir treibt schon der Gedanke an das Herausarbeiten Schweißperlen ins Gesicht. Daher ein großes Lob an Nonsense, dass er sich die Mühe macht, euch die Runde in ein Format zu übertragen, das auch interessant und lesbar ist!
Ansonsten halte ich jetzt den Thread für Postings der anderen Teilnehmer offen.